Massive Disziplinprobleme und Anfeindungen in einer Klasse - Was tun?

  • Hallo zusammen,


    ich unterrichte aktuell an einer Sek1-Schule mit "sehr schwierigem Klientel" und habe unter anderem eine Stunde pro Woche Fachunterricht in einer schwierigen G-Niveau Klasse im "besten pubertären Alter". Die Klasse ist als Klasse mit massiven Disziplinproblemen bekannt. Lärm und/oder Arbeitsverweigerung bis hin zur kompletten Sabotage des Unterrichts sind an der Tagesordnung. Schon in der ersten Woche wurde fleißig nachgesessen.


    Die erste Stunde mit der Klasse lief bei mir aufgrund einiger organisatorischer Probleme hinsichtlich der Räumlichkeiten sehr chaotisch. Hinzu kam das ohnehin enorme Störpotenzial in dieser Klasse. Daraufhin entstand massive Unruhe durch die 4-5 "Hauptstörer", der Rest der Klasse wurde "angesteckt". Wirklicher Unterricht konnte entsprechend in dieser Stunde und der Folgestunde in der nächsten Woche nicht stattfinden.

    Bereits in der dritten Woche (und damit dritten Stunde) stöhnten dann selbst "harmlose" Schüler als ich in das Klassenzimmer kam. Sie sagten offen, dass sie bei mir keinen Unterricht wollten, die "problematischeren" S. wurden indirekt beleidigend (untereinander hörbar: "Ihh, wer ist das denn?" usw.).


    Auf den Rat eines Kollegen hin habe ich, nachdem Strafarbeiten und Co. keine Veränderung gebracht hatten, kollektiv den Unterrichtsstoff abschreiben lassen. An Unterricht war ohnehin nicht zu denken. Ich habe bereits erfahren, dass anderen Schülern erzählt wird, ich würde die Klasse hassen. Die Klasse hegt eine deutliche Antipathie gegen mich, sabotiert zu großen Teilen (nicht alle) meinen Unterricht.


    Nun wurden mir zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen vorgeschlagen, beides jeweils von erfahrenen Lehrkräften:

    1. Eine Spielestunde, ein gutes Verhältnis aufbauen, ein Neustart.

    2. Weiterhin knallhart den Stoff abschreiben lassen und disziplinieren, bis sich etwas ändert.


    Was meint ihr zu dem Ganzen? Was würdet ihr machen? Ich bin für jeden Rat dankbar!

  • Hilfe suchen. Wo ist deine Mentorin?

    Habe ich gemacht. Es handelt sich bei den Vorschlägen für das weitere Vorgehen u. a. um Mentoren-Vorschläge. Ich versuche diese Vorschläge auch stets bestmöglich umzusetzen, freue mich aber gleichzeitig über jeden zusätzlichen Tipp.

    Nach den Ferien ist vor den Ferien.

    Einmal editiert, zuletzt von MLSek1 ()

  • Also mit anderen Worten, man lässt dich alleine? Dann halte dich für mein Empfinden an Punkt 2.

    Spiele gehen dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schief.


    Versuche dabei klar in deinen Aufträgen und Anforderungen zu sein, ohne aggressiv oder genervt oder bitter zu werden oder deinen Humor zu verlieren. Das ist m.E. die Hauptschwierigkeit in solchen Klassen. Und diskutiere keine Selbstverständlichkeiten. Jedes "ja, aber..." "der hat aber auch..." "hab ich gar nicht" "dürfen wir aber bei Frau X" freundlich aber bestimmt übergehen.


    Ach je, tut mir Leid, dass dein Einstieg so ein unschöner ist :troest:

  • Danke für deine Ratschläge! Ich werde auf jeden Fall versuchen, nüchtern und professionell damit umzugehen und mich nicht emotional oder verbal auf ihre Spielchen einlassen.


    Ich würde nicht sagen, dass man mich alleine lässt. Die Mentoren haben sich mit mir unterhalten und mir Handlungsempfehlungen gegeben. Das Problem ist halt, dass diese recht gegensätzlich (eine Empfehlung voll Peitsche, die andere Zuckerbrot und etwas Peitsche) waren, ich aber grundsätzlich beide Mentoren für kompetent halte.

  • Ich kann mich dem 2. Vorschlag nur anschließen:

    abschreiben und abzeichnen lassen (je nach Fach Versuchsaufbauten, Schaubilder, Landkarten,...) und zur Bewertung einsammeln. Da praktisch kaum mündliche Mitarbeit vorhanden ist, ist das die Mitarbeit. Dazu noch viele kleine Rests (Überprüfungen,...).

    Versuche das Verhalten nicht persönlich zu nehmen.

    Du sprichst organisatorische Probleme an und, dass die Klasse generell etwas schwierig ist. Vielleicht gibt es hier einen Zusammenhang, dem man im Lehrerteam auf den Grund gehen und beheben sollte.

  • 2. Weiterhin knallhart den Stoff abschreiben lassen und disziplinieren, bis sich etwas ändert.

    Wäre auch die Empfehlung meines Mentors damals gewesen und wäre anhand deiner Schilderungen wohl auch mein Vorschlag. Erstmal die Zügel anziehen, bis die Kids dich respektieren, danach kannst du die Zügel immernoch langsam lockern.

    Holy Moses met the Pharaoh

    Yeah, he tried to set him straight

    Looked him in the eye,

    "Let my people go!"

    Holy Moses on the mountain

    High above the golden calf

    Went to get the Ten Commandments

    Yeah, he's just gonna break 'em in half!

  • Was unterrichtest Du für ein Fach?


    Derweil grübelte ich, was bei uns damals wohl geholfen hätte. Da sind halt etliche Lehrer*innen vermutlich ähnlich an Grenzen gekommen.

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

  • Dass man dir eine solche Gruppe für eine einzelne Wochenstunde gibt, ist nicht in Ordnung. Das wäre auch für gestandene Lehrer keine schöne Situation. Das Ganze hat sicherlich eine interessante Vorgeschichte, wenn die Klasse schon in der ersten Stunde so aufdreht. Bist du neu an der Schule? Wer hat das entschieden?


    Lass dich jedenfalls nicht von den Psychospielchen unter Druck setzen, die Schüler hassen dich nicht und hegen keine Antipathie, sondern probieren aus, ob es dich zum Rotieren bringt, wenn sie so tun, als wäre das so. Nein, tut es nicht, und daher spielst du jetzt ganz sicher nicht zur Belohnung mit ihnen und gibst ihnen die Macht, dich trotzdem nicht lieb zu haben.


    Mach klare Ansagen, gib bewältigbare Aufgaben, sei transparent und konsequent, was die Folgen für die betrifft, die nicht mitziehen, und sieh zu, dass du dort überlebst. Sei einfach die coolste Sau, die sie bisher hatten, komm laut und raumgreifend in den Saal, dreh eine Runde, rück auch den Machos auf die Pelle, sei fröhlich und freundlich, aber glasklar und im Zweifel knallhart. Und weiter fröhlich und freundlich, und wieder glasklar, knallhart usw. Hab keine Angst, sie wollen, dass du zeigst, dass du die Chefin im Ring bist.

  • Literaturvorschlag: Louis Leaman, "Managing very challenging behaviour"

    https://www.amazon.com/Managing-Very-Challenging-Behaviour-2nd/dp/0826438776?tag=lf-21 [Anzeige]


    Das habe ich mir wegen einer ähnlichen Situation während meines Referendariats zugelegt. Nicht alles passt auf das deutsche Schulsystem, aber ich hatte darin doch einige konkrete Anregungen gefunden und es hatte mich auf jeden Fall getröstet zu lesen, dass es dieses Verhalten offenbar häufig genug gibt, dass es sich lohnt, ein Buch dazu zu schreiben; das bedeutete für mich damals, ich konnte es leichter von mir als Person trennen, was schon ein wichtiger Schritt für mich war, um damit besser zurechtzukommen. Einige Strategien, die ich immer noch anwende, habe ich auch daraus. Es sind keine Zaubertricks, viel davon steht sicher auch in anderer Ratgeberliteratur zum Classroom-Management, aber den Schreibstil fand ich angenehm und schön konkret, auch mit wörtlichen Zitaten, wie es sich in der Praxis anhören kann, sodass es wirklich berufsnah ist. Man muss allerdings natürlich englisch können, ich glaube, es gibt keine deutsche Übersetzung.


    Dein Nick MLSek1 heißt, du bist gerade im Ref? Oder was ist dein Status?

  • Was unterrichtest Du für ein Fach?


    Derweil grübelte ich, was bei uns damals wohl geholfen hätte. Da sind halt etliche Lehrer*innen vermutlich ähnlich an Grenzen gekommen.

    Die Probleme treten im Fach Wirtschaft auf. Dort hatte ich sonst eigentlich recht gute Stunden mit den S. und auch sehr positives Feedback bekommen. Leider ist diese Klasse aber ein anderes Kaliber.

  • Ja, ich bin Referendar. Werde mir den Link gleich mal ansehen - Englisch ist kein Problem. Danke!

  • Dass man dir eine solche Gruppe für eine einzelne Wochenstunde gibt, ist nicht in Ordnung. Das wäre auch für gestandene Lehrer keine schöne Situation. Das Ganze hat sicherlich eine interessante Vorgeschichte, wenn die Klasse schon in der ersten Stunde so aufdreht. Bist du neu an der Schule? Wer hat das entschieden?


    Lass dich jedenfalls nicht von den Psychospielchen unter Druck setzen, die Schüler hassen dich nicht und hegen keine Antipathie, sondern probieren aus, ob es dich zum Rotieren bringt, wenn sie so tun, als wäre das so. Nein, tut es nicht, und daher spielst du jetzt ganz sicher nicht zur Belohnung mit ihnen und gibst ihnen die Macht, dich trotzdem nicht lieb zu haben.


    Mach klare Ansagen, gib bewältigbare Aufgaben, sei transparent und konsequent, was die Folgen für die betrifft, die nicht mitziehen, und sieh zu, dass du dort überlebst. Sei einfach die coolste Sau, die sie bisher hatten, komm laut und raumgreifend in den Saal, dreh eine Runde, rück auch den Machos auf die Pelle, sei fröhlich und freundlich, aber glasklar und im Zweifel knallhart. Und weiter fröhlich und freundlich, und wieder glasklar, knallhart usw. Hab keine Angst, sie wollen, dass du zeigst, dass du die Chefin im Ring bist.

    In der Tat habe ich schon von erfahrenen L. gesagt bekommen, dass es in der Klasse auch bei ihnen sehr problematisch ist. Dort wird dann eben abgeschrieben, abgeschrieben und nochmal abgeschrieben.


    Es hat eine Vorgeschichte. Die Klasse hatte einen Vertretungs-Klassenlehrer, der laut Berichten anderer für den Beruf denkbar ungeeignet war. Während seiner Stunden wurde im Klassenzimmer Fußball gespielt, er wurde massiv beleidigt, etc. Die Klasse hat - so jemand, der alles aus der Nähe beobachtet hat - gemerkt, welche "Macht" sie gegen Erwachsene haben. Seither ist ein recht großer Teil der Klasse außer Rand und Band. Es gibt aber natürlich auch vernünftige Ausnahmen.


    Die Klasse musste ich aufgrund meiner Fächerkombi nehmen.


    Vielen Dank für deine Tipps. Ich habe heute direkt versucht sie in der Klasse umzusetzen. Zumindest die erste Stundenhälfte lief besser. Dann lief es nach und nach aus dem Ruder mit Lärm, etc. Wenn ich mir die Klassenbucheinträge so anschaue, dann bin ich froh, dass ich noch nicht direkt beleidigt/beworfen/etc. wurde. Ein Grundproblem ist, dass so viele Mist bauen, dass ich kollektiv reagieren muss. Dies zieht die verständliche Wut der vernünftigeren Klassenhälfte auf sich.

    Nach den Ferien ist vor den Ferien.

    Einmal editiert, zuletzt von MLSek1 ()

  • 2. Weiterhin knallhart den Stoff abschreiben lassen und disziplinieren, bis sich etwas ändert.

    Würde ich auch so machen, aber auch klar Aussicht auf Änderung geben.


    Ich habe Klassen, wo ich konsequent Stillarbeit übe. Aber eben immer mit der Aussicht, dass nach der Phase eine Austauschphase stattfinden wird.

    Also damit die Schüler sehen, dass sie eine Chance haben da raus zu kommen.

  • Welches Bundesland? In Thüringen beispielsweise: §51 Schulgesetz


    Du schriebst Nachsitzen ("Nachholen schuldhaft versäumten Unterrichts") als pädagogische Maßnahme sei schon erfolgt, offenbar ohne Besserungen, dann ist es Zeit für Ordnungsmaßnahmen.

    Versetzung in andere Klassen, andere Schule, dies das.

    Und natürlich zwischendurch immer wieder die individuelle Stundenleistung bewerten.


    Wir müssen akzeptieren, dass mit der Absicherung, die unser Sozialstaat so mit sich bringt, gleichzeitig in letzter Konsequenz der Druck wegfällt, im Leben etwas auf die Kette zu bringen. Durchgefüttert werden sie so oder so. Auf der Straße landet (unfreiwillig) keiner mehr. "Den letzten beißen die Hunde" hat ausgedient. Wer am gesellschaftlichen Zusammenleben nicht teilnehmen will, und dies durch asoziales Verhalten zeigt, der darf auch aktiv ausgeschlossen werden.

  • Bei uns im BL gibt es in der Theorie entsprechende Ordnungsmaßnahmen, die von den Lehrkräften auch seit Langem gefordert werden. ...

  • Ich denke es macht wenig Sinn, wenn ich diese Dinge in meiner Position thematisiere. Da halte ich mich raus und äußere mich nicht weiter dazu. Details über Bundesland etc. möchte ich hier nicht preisgeben, schulinterne Spannungen nicht nach außen tragen.


    Für mich ist die entscheidende Frage: Was kann ich an meinem "classroom management" und der Kooperation mit Kollegen verbessern, um das Beste aus der Situation rauszuholen.

  • 'Kooperation mit Kollegen', wenn sie dich von Beginn an alleine in diese Klasse schicken und keine Ordnungsmaßnahmen durchsetzen sehe ich nicht.


    Dann bleibt dir nur noch...

    ...die entscheidende Frage: Was kann ich an meinem "classroom management"... verbessern, um das Beste aus der Situation rauszuholen.

    Erinnere dich: Was hat geklappt? Wie hat sich das angefühlt? Was hast du getan, als es lief? Und was ist in der Stundenmitte passiert, als es kippte?

  • Zumindest die erste Stundenhälfte lief besser. Dann lief es nach und nach aus dem Ruder mit Lärm, etc.

    Gut gemacht, dann machst du so weiter. Dass sie laut wurden, macht nichts. Die haben ja einiges hinter sich, das wird Monate dauern.


    Versuche, dich nicht allzu sehr in Machtkämpfe zu verstricken, kannst auch mal was laufen und an dir abperlen lassen oder nur nonverbal reagieren. Bleib aber nicht vorne stehen, sondern wechsle deinen Standort immer mal wieder. Nimm mit vielen Blickkontakt auf. Sei besonders am Stundenanfang so präsent wie möglich. Sieh zu, dass du mit allen in Kontakt kommst und die Arbeit der gutwilligen Schüler würdigst, ohne groß zum Thema zu machen, wer mitmacht und wer nicht, also z.B. nach Zufallsprinzip immer ein paar Hefte einsammelst und ohne Noten oder viele Worte zurückgibst (anerkennendes Nicken oder eine leise Bemerkung, wenn angebracht). Sprich sie mit ihrem Namen an. Kurz: Mache durch dein Verhalten jedem deutlich: Ich nehme dich wahr. Auch wenn der nebendran grad vom Stuhl fallen muss oder gröhlt.


    Gute Nerven! Wenn du das durchhast, schreckt dich so schnell nichts mehr.

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