Mathe zu leicht? Ein Prof regt sich auf...

  • Was willst du denn da begrenzen? Es gibt doch zu wenige Akademiker, drum bin ich ja hier

    Ist der Unterschied nicht auch, dass in der Schweiz der Anteil der SchülerInnen pro Jahrgang die Abitur machen deutlich geringer ist als in Deutschland?

    Es wird also vorher schon ausgesiebt. Dementsprechend sind diese SchülerInnen dann vielleicht auch besser auf die Uni vorbereitet.

  • Wieso "auch"? Natürlich ist das der Grund. Wenn der Weg zur allgemeinen Hochschulreife schwieriger ist, braucht es keine Zugangsbeschränkung für die Uni. Die Logik will nur auch hier im Forum nicht jeder verstehen.


    Ich hatte tatsächlich schon eine FMS-Schülerin, die nach Deutschland emmigriert ist und dort das Abitur bestanden hat. Bei uns war die kurz vor der Repetition. An der FMS. Kein Witz. Ich wüsste ja zu gerne mal, wie das "drüben" heutzutage wirklich so geht. Ich finde unsere Fachmatura jetzt auch nicht überragend. Es ist OK, die können schon was. Aber der Unterschied zum Gym ist doch recht deutlich.

  • Ich hab mir gerade mal Beispielaufgaben für den LK angeschaut. Also das würde ich spontan noch hinbekommen. Mit der schriftlichen Mathe-Matura für das Profil A bin ich leider aufgeschmissen, ich glaube nicht dass ich da aus dem Stand eine Genügende schaffen würde. Falls es jemanden interessiert, wir haben die letzten beiden Prüfungen immer online:


    https://www.gym-muttenz.ch/fil…r_upload/Matur-21-M-A.pdf

    https://www.gym-muttenz.ch/fil…d/Matur-19-M-Profil_A.pdf


    Wobei doch von einem Jahr zum anderen recht unterschiedlich gefragt wird. Habe ich mir noch nie genauer angeschaut, interessant.

  • Das ist schon ein anderes Niveau als NRW (und auch der Rest von Deutschland).


    Da kommen einige Themen vor (komplexe Zahlen, Drehungen in der Geometrie) etc. die längst keine Rolle mehr in den Lehrplänen spielen. Außerdem müssen deutlich allgemeinere Aussagen gezeigt werden als man es hier kennt.


    Ehrlicherweise muss man sagen: Diese Matura bereitet definitiv besser auf ein naturwissenschaftliches Studium vor als unser Abi.

  • Danke dir für diese Einschätzung. Ich hätte da wirklich keine Ahnung (mehr), wie schwierig das jetzt ist. Dass ich es selber nicht lösen könnte, ist ja kein Massstab, ich beschäftige mich die meiste Zeit nur mit Dreisätzen ^^


    Ich weiss einfach, dass speziell unsere Abgänger sowohl an der ETH als auch in Basel immer recht gelobt werden, sie scheinen es dann auch einigermassen zu können. Wir haben ja durchaus Kontakt mit den beiden Hochschulen.

  • Danke dir für diese Einschätzung. Ich hätte da wirklich keine Ahnung (mehr), wie schwierig das jetzt ist. Dass ich es selber nicht lösen könnte, ist ja kein Massstab, ich beschäftige mich die meiste Zeit nur mit Dreisätzen ^^

    Schwierig ist so eine Sache. Wenn man die Aufgabentypen geübt hat, sind die gestellten Aufgaben sicherlich machbar. Bis auf die Stochastik, die meine persönliche Schwachstelle ist, sahen mir die Aufgaben nicht sehr transferlastig aus. Aber nehmen wir mal die Aufgabe mit f(x)=x*e^x als Beispiel.


    Im NRW-Abi würde man diese Funktion auch ableiten. Dann würde man sie aber eher auf besondere Punkte statt die n-te Ableitung per Induktion zu beweisen. Das ist keine schwierige Aufgabe, da ist keinerlei Transfer drin, sie geht aber über den Schulstoff in NRW hinaus. Das beobachte ich an vielen Stellen.

  • Das stimmt natürlich. Schriftliche Abschlussprüfungen im Schwerpunktfach Chemie sind auch einigermassen bekloppt. Kein einziger meiner KuK würde die lösen können, nicht mal die Leute aus der Bio wenn sie nicht zufällig noch Chemie unterrichten. Man hat's ja aber 4 Jahre lang geübt und dann klappt es eben. Die "Spezialität" der Chemieprüfungen in Muttenz und Liestal ist sicher der hohe Anteil an Transferaufgaben, dafür fragen wir keine freaky Details. Die Prüfung aus Oberwil könnten meine SuS nicht lösen, obwohl sie formal gar nicht schwieriger ist. Die kaspern einfach sehr viel mit dem Orbitalmodell rum. Am Ende ist eben wirklich die spannende Frage, woran man sich 5 Jahre später noch erinnert, wenn man das Fach nicht studieren geht.

  • Das stimmt natürlich. Schriftliche Abschlussprüfungen im Schwerpunktfach Chemie sind auch einigermassen bekloppt. Kein einziger meiner KuK würde die lösen können, nicht mal die Leute aus der Bio wenn sie nicht zufällig noch Chemie unterrichten. Man hat's ja aber 4 Jahre lang geübt und dann klappt es eben. Die "Spezialität" der Chemieprüfungen in Muttenz und Liestal ist sicher der hohe Anteil an Transferaufgaben, dafür fragen wir keine freaky Details. Die Prüfung aus Oberwil könnten meine SuS nicht lösen, obwohl sie formal gar nicht schwieriger ist. Die kaspern einfach sehr viel mit dem Orbitalmodell rum. Am Ende ist eben wirklich die spannende Frage, woran man sich 5 Jahre später noch erinnert, wenn man das Fach nicht studieren geht.

    Könntest Du mal Chemieprüfungen verlinken? Die fände ich spannend.

  • Liestal kann ich dir die aus dem 2018 verlinken:


    https://www.gymliestal.ch/fileadmin/dateiablage/matur2018/


    Du musst auf SPF C klicken, ziemlich weit unten. Wir sind im Wechsel mit der Biologie nur jedes 2. Jahr schriftlich dran, dazwischen mündlich. Der Prüfungsvorschlag aus dem 2020 fehlt gänzlich obwohl es einen gegeben hätte. 2022 laden wir offenbar erst nächstes Jahr hoch oder so. Bei uns fehlt die aus dem 2018, die hätte ziemlich anders ausgesehen als Liestal. Typisch für beide Schulen ist eigentlich, dass wir sehr breit von allem ein bisschen fragen. Dafür erwarten wir wenig auswendig Gelerntes.

  • Liestal kann ich dir die aus dem 2018 verlinken:


    https://www.gymliestal.ch/fileadmin/dateiablage/matur2018/


    Du musst auf SPF C klicken, ziemlich weit unten. Wir sind im Wechsel mit der Biologie nur jedes 2. Jahr schriftlich dran, dazwischen mündlich. Der Prüfungsvorschlag aus dem 2020 fehlt gänzlich obwohl es einen gegeben hätte. 2022 laden wir offenbar erst nächstes Jahr hoch oder so. Bei uns fehlt die aus dem 2018, die hätte ziemlich anders ausgesehen als Liestal. Typisch für beide Schulen ist eigentlich, dass wir sehr breit von allem ein bisschen fragen. Dafür erwarten wir wenig auswendig Gelerntes.

    Dankeschön, die werde ich gerne mal machen. Ich fand sie erstaunlich kurz gehalten - kein Geschwafel.

  • Du musst bedenken, dass der Durchschnittsschweizer einen deutlich kleineren aktiven Wortschatz pflegt als der Durchschnittsdeutsche. Das ist kein Witz und auch nicht despektierlich. Bei vier Landessprachen bleiben keine Kapazitäten für linguistische Tiefe.

  • Wer eine Zugangsberechtigung zu einer Hochschule erworben hat, hat damit nachgewiesen, dass er unter anderem Prozentrechnung und Bruchrechnung beherrscht.

    Nein hat er nicht. Ich musste mir das während des Studiums selbst beibringen.

  • Man kann sich mit einer Dauer-5 in Mathe durchaus durch die eigene Schullaufbahn schleppen, wenn der Rest notentechnisch einigermaßen passt. Sind selbst absolute Grundlagen irgendwann nicht mehr vorhanden, muss man eigentlich eine 6 geben, sprich große Lücken vorhanden, die auch zeitnah nicht behoben werden können. Soweit gehen dann doch die wenigsten Kollegen. Muss ein Schüler die Jahrgangsstufe wiederholen, dann deutlich häufiger aufgrund mehrerer 5en statt einer 6.

  • Wenn bei uns SuS repetieren müssen ist praktisch immer eine Ungenügende in Mathe dabei. Dass mit einer "Dauer-5" in egal welchem Fach jemand die Matura besteht, ist praktisch ausgeschlossen. Das sind 4 Minuspunkte, das braucht zum Ausgleich 4 sehr stabile 5en und sonst darf auch nichts mehr passieren. Dass jemand mit so vielen 5en im Zeugnis so schlecht in irgendeinem Fach ist, kommt eigentlich nicht vor. Ich habe es ein einziges Mal erlebt, dass eine Schülerin mit einer 2.5 in Mathe bestanden hat. Das war aber eine reine Protestnote. Die Schülerin hatte schon vor dem Abschluss als freie Journalistin bei einer Regionalzeitung gearbeitet.

  • Der Vergleich der allgemeinen Hochschulreife mit diesem kompetitiven indischen Aufnahmeverfahren für Plätze an Spitzenuniversitäten ist völlig fehl am Platz.

    Legitim wäre möglicherweise ein Vergleich dieser indische Prüfung mit dem Concours zur Aufnahme auf die französischen ecoles normales (Eliteuniversitäten), bei dem die verfügbaren Plätze an die Bestabschneidenden vergeben werden, wobei sich die Anwärter dafür ein Jahr in den classes preparatoire vorbereiten.


    Die Anforderungen im Fach Mathematik für die allgemeine Hochschulreife hingegen müssen so sein, dass auch der künftige Spitzenjurist sie bewältigt. Und ich kenne Juristen, die sehr intelligent und sehr erfolgreich sind, aber deren Sache das nicht war.


    Im Übrigen waren die indischen Aufgaben an hingedrechselter Künstlichkeit nicht zu überbieten. Man kann sie in der Zeit nur lösen, wenn man sich auf genau solche Aufgabenstellungen intensiv vorbereitet hat. Ob sie als Concours-Aufgabe sinnvoll sind, kann man somit auch geteilter Meinung sein. Wenn man motiviert ist, könnte man sich die französischen Aufgaben zum Vergleich ansehen.

  • Ich habe mir endlich mal die Mühe gemacht, dieses Video anzuschauen, es ging hier im Thread ja vornehmlich um den verlinkten Artikel in der Frankfurter Rundschau. Herr Krötz äussert sich bei 16:28 zum deutschen Lehrplan Mathematik, Gymnasium, sinngemäss mit den Worten Menschenrechtsbildung und Werteerziehung haben nichts mit dem Unterricht in Mathematik und den Naturwissenschaften zu tun. Ich weiss nicht, in wie weit das für die Mathematik gelten mag, für die Naturwissenschaften hat er da im Jahre 2023 aber ganz klar was verpasst. Natürlich geht es in den Naturwissenschaften um ethische Fragestellungen. Natürlich geht es neben der Funktionsweise des Elektromotors auch um dessen Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung der Energiewirtschaft. Natürlich geht es neben dem Reaktionsmechanismus für die radikalische Polymerisation auch um die ökologisch sinnvolle Verwendung und das Recycling von Kunststoffen.


    Er hat auch grade noch mal so die Kurve bekommen, dass er seine Ausführungen zu diesem komischen indischen Test an der Stelle abbricht, als es um Chemie geht. Mathematik in der Chemie suggeriert allzu oft eine pseudo-Exaktheit, die überhaupt nicht gegeben ist. Wenn man meint, Chemie "ausrechnen" zu können, hat man sie nicht verstanden. Das klappt noch für die Einwaage einer bestimmten Stoffmenge und scheitert bereits beim pH-Wert einer Pufferlösung. In der Physik kommt man da sicher noch weiter, aber auch nur an der Schule und auch nur, wenn man vom berühmt-berüchtigten Massepunkt im Vakuum ausgeht.


    Ich dressiere keine Äffchen, ich versuche jungen Menschen das Denken beizubringen. Ich versuche ihnen gerade das beizubringen, dass sie sich alles Faktenwissen gepflegt in den Hintern schieben können, wenn sie es nicht zur Anwendung bringen und Informationen im Kontext verarbeiten und bewerten können. Das heisst eben nicht, dass es ausschliesslich um Anwendungsbezug gehen muss, denn den kann man nur herstellen, wenn man mit den Fakten klarkommt. Nur darf es allein beim Faktenwissen auf gar keinen Fall bleiben, das erfüllt nicht unseren Anspruch an die allgemeine Hochschulreife.

  • Ich habe mir endlich mal die Mühe gemacht, dieses Video anzuschauen, es ging hier im Thread ja vornehmlich um den verlinkten Artikel in der Frankfurter Rundschau. Herr Krötz äussert sich bei 16:28 zum deutschen Lehrplan Mathematik, Gymnasium, sinngemäss mit den Worten Menschenrechtsbildung und Werteerziehung haben nichts mit dem Unterricht in Mathematik und den Naturwissenschaften zu tun. Ich weiss nicht, in wie weit das für die Mathematik gelten mag, für die Naturwissenschaften hat er da im Jahre 2023 aber ganz klar was verpasst. Natürlich geht es in den Naturwissenschaften um ethische Fragestellungen. Natürlich geht es neben der Funktionsweise des Elektromotors auch um dessen Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung der Energiewirtschaft. Natürlich geht es neben dem Reaktionsmechanismus für die radikalische Polymerisation auch um die ökologisch sinnvolle Verwendung und das Recycling von Kunststoffen.


    Er hat auch grade noch mal so die Kurve bekommen, dass er seine Ausführungen zu diesem komischen indischen Test an der Stelle abbricht, als es um Chemie geht. Mathematik in der Chemie suggeriert allzu oft eine pseudo-Exaktheit, die überhaupt nicht gegeben ist. Wenn man meint, Chemie "ausrechnen" zu können, hat man sie nicht verstanden. Das klappt noch für die Einwaage einer bestimmten Stoffmenge und scheitert bereits beim pH-Wert einer Pufferlösung. In der Physik kommt man da sicher noch weiter, aber auch nur an der Schule und auch nur, wenn man vom berühmt-berüchtigten Massepunkt im Vakuum ausgeht.


    Ich dressiere keine Äffchen, ich versuche jungen Menschen das Denken beizubringen. Ich versuche ihnen gerade das beizubringen, dass sie sich alles Faktenwissen gepflegt in den Hintern schieben können, wenn sie es nicht zur Anwendung bringen und Informationen im Kontext verarbeiten und bewerten können. Das heisst eben nicht, dass es ausschliesslich um Anwendungsbezug gehen muss, denn den kann man nur herstellen, wenn man mit den Fakten klarkommt. Nur darf es allein beim Faktenwissen auf gar keinen Fall bleiben, das erfüllt nicht unseren Anspruch an die allgemeine Hochschulreife.

    Vollste Zustimmung.

  • Er hat auch grade noch mal so die Kurve bekommen, dass er seine Ausführungen zu diesem komischen indischen Test an der Stelle abbricht, als es um Chemie geht. Mathematik in der Chemie suggeriert allzu oft eine pseudo-Exaktheit, die überhaupt nicht gegeben ist. Wenn man meint, Chemie "ausrechnen" zu können, hat man sie nicht verstanden. Das klappt noch für die Einwaage einer bestimmten Stoffmenge und scheitert bereits beim pH-Wert einer Pufferlösung. In der Physik kommt man da sicher noch weiter, aber auch nur an der Schule und auch nur, wenn man vom berühmt-berüchtigten Massepunkt im Vakuum ausgeht.


    Ich dressiere keine Äffchen, ich versuche jungen Menschen das Denken beizubringen. Ich versuche ihnen gerade das beizubringen, dass sie sich alles Faktenwissen gepflegt in den Hintern schieben können, wenn sie es nicht zur Anwendung bringen und Informationen im Kontext verarbeiten und bewerten können. Das heisst eben nicht, dass es ausschliesslich um Anwendungsbezug gehen muss, denn den kann man nur herstellen, wenn man mit den Fakten klarkommt. Nur darf es allein beim Faktenwissen auf gar keinen Fall bleiben, das erfüllt nicht unseren Anspruch an die allgemeine Hochschulreife.

    Ich schätze deine Beitrage allgemein, das hier sehe ich anders. Natürlich kann man Chemie ausrechnen. Was fehlt, ist einfach die hinreichende Fülle der Parameter. Wer wirklich genügend davon hat (Atomradius, Neutronenzahl, Energieniveaus der s,p und d-Elektronen) , wird auch hinrechende Vorhersagen erlangen, sogar für die Reaktivität. Die theoretische Chemie beweist uns das und die Analytik und Qualitätssicherung, eben das "Brot-und Butter-Arbeitsfeld" für Chemiker neben der PolymerChemie.

    Ich habe ein Jahr Cheimker im Experimentalphysikpraktikum betreut, die waren bestürzt darüber, als sie zum ersten Mal Fehler für ihre Messwerte bestimmen mussten und merkten, wie nutzlos die Nachkommastellen ihrer Titrationsergebnisse aus dem 1. Semester waren.

    Das andere Ende der Fahnenstange ist eine "Peng und Bumm-Wunderchemie", ist der es um Qualität aber nicht um Quantität geht. Sowas sollte man SuS nicht suggerieren finde ich, sonst kommt die Ernüchterung dann nach der Schule im Chemiestudium. Ohne die Mathematik wären die größten Errungenschaften der Chemie einfach nicht einsetzbar.

  • Du hast mich offensichtlich falsch verstanden. Was man mit Mathe in der Chemie macht, musst du mir nicht erklären, ich habe in der physikalischen Chemie promoviert.


    Zitat

    Ich habe ein Jahr Cheimker im Experimentalphysikpraktikum betreut, die waren bestürzt darüber, als sie zum ersten Mal Fehler für ihre Messwerte bestimmen mussten und merkten, wie nutzlos die Nachkommastellen ihrer Titrationsergebnisse aus dem 1. Semester waren.


    Sowas lernen meine Schülerinnen und Schüler im 11. Schuljahr.

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