Direkteinstieg in BaWü als Informatiker

  • Das kann ich nur unterstreichen.
    Quer- u. Direkteinsteigern ist gar nicht bewusst auf was sie sich da einlassen und verzweifeln dann oft schnell am System.

    Morse' , könntest du näher ausführen, welche Kernaspekte deiner Meinung nach dazu führen, dass Quer- und Direkteinsteiger:innen am „System“ verzweifeln? Ich kann mir zwar einige Dinge zusammenreimen, fände es aber sinnvoller, wenn du deine Aussage etwas detaillierter ausführen könntest.

    Ich bin mir sicher, dass davon auch andere von deinem Erfahrungsschatz profitieren könnten.

    Ich würde daher gern mit einem Beispiel vorangehen:

    Ich habe vor vielen, vielen Jahren ein 13-wöchiges Schulpraktikum am Stück an einem Gymnasium absolviert.

    Ich hatte folgende Klassen: 6, 7, 8, 10 und 11.

    Woche 1:
    In der ersten Woche hospitierte ich hauptsächlich in den oben genannten Klassen, plante aber schon relativ schnell gemeinsam mit zwei Fachlehrer:innen die kommenden Wochen und die dazugehörigen Unterrichtssequenzen (also: welche Themen für welche Stufe und wie viele Stunden ich ungefähr übernehmen sollte). Bereits am Freitag dieser Woche konnte ich meine erste Stunde halten – in einer 8. Klasse.

    Woche 2:
    Ich glaube, ich hospitierte nur noch gelegentlich, um unterschiedliche didaktische Methoden verschiedener Lehrer:innen kennenzulernen. Gleichzeitig wurde es aber schon recht stressig, denn ich erhielt acht Stunden Unterricht. Nach der Schule saß ich fast ausschließlich am Schreibtisch und plante bis etwa drei Uhr morgens Unterricht – insbesondere mussten die Sequenzen inhaltlich und methodisch über mehrere Stunden hinweg stimmig sein.

    In dieser Woche prasselten extrem viele Eindrücke auf mich ein, und sie war deshalb sehr prägend. Erst da wurde mir richtig bewusst, wie grundlegend anders dieser Job im Vergleich zu vielen anderen ist:

    - Du musst nicht nur fachlich sattelfest sein.

    - Du musst deinen Körper gezielt einsetzen können (Stimme, Mimik, Gestik, Tempo).

    - Du musst Kinder und junge Erwachsene für dein Fach begeistern können, obwohl sie sehr unterschiedliche Interessen haben.

    - Du musst die unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Schüler:innen mitdenken (eine 6. Klasse zu unterrichten unterscheidet sich massiv von einer 11. Klasse).

    - Du musst deinen didaktischen Werkzeugkasten sehr schnell befüllen.

    - Und parallel dazu ständig reflektieren, was du selbst verbessern kannst.

    Woche 3:
    Dann ging es mit zehn Stunden weiter.

    Woche 4 - 13:
    In dieser Woche hatte ich bereits 14 Stunden – und ich habe selten so wenig geschlafen wie ab diesem Zeitpunkt.

    So ging es weiter, mit einer Fluktuation zwischen zehn und 14 Stunden pro Woche, bis das Praktikum in Woche 13 endete.

    Rückblickend kann ich sagen, dass insbesondere Woche 2 mit Abstand die schwierigste war, weil alles gleichzeitig zusammenkam und es in dieser Woche regelrecht Kritik hagelte. Für mich war jedoch klar, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist und ich das Feedback sehr genau prüfen musste, um besser zu werden.

    Mein Lieblingskritikpunkt von damals war:
    „Sie brauchen nicht mit der Tafel zu schmusen. Nicht schreiben und gleichzeitig die Tafel vollquatschen! Schreiben Sie erst hin, dann schauen Sie die Schüler an und erklären es – nicht mit der Tafel schmusen!“
    Ich muss darüber heute noch schmunzeln. 🙂

    Anschließend entwickelt man auch einen ganz anderen Blick darauf, wie andere Lehrkräfte ihren Unterricht strukturieren und durchführen.

    Ich habe – das ist meine subjektive Wahrnehmung – pro Woche deutliche Leistungssprünge gemacht, da ich das Praktikum sehr ernst nahm und wirklich gut sein wollte. Die Lehrer:innen, die mir ihre Klassen überließen, gaben mir entsprechend kontinuierlich mehr Stunden.

    Fairerweise muss man jedoch sagen, dass manche Fachlehrer:innen versuchen, ihre eigene „Art des Lehrens“ weiterzugeben, auch wenn diese nicht mehr zeitgemäß ist. Hier muss man dann einen Kompromiss finden.

    Am Ende waren die Fachlehrer:innen sehr überrascht, wie stark sich alles verbessert hatte, und froh darüber, dass ich die Kritik aus Woche 2 ernst genommen hatte. Das abschließende Fazit war durchweg positiv. Sie sagten mir im Nachhinein sogar, dass sie mich absichtlich ins kalte Wasser geworfen hätten, um zu sehen, ob ich „schwimmen kann“. Offenbar hat es funktioniert.

    Übrigens: Schon vor dem Praktikum habe ich gern Präsentationen gehalten, aber danach fühlte ich mich deutlich selbstsicherer. Bis heute macht es mir großen Spaß, vor Menschen zu stehen und Themen zu erklären.

    Mein Fazit:
    Der Lehrerberuf ist sehr speziell, da er verschiedene Kompetenzdimensionen gleichzeitig in einer Person vereint (Fachwissen, Didaktik, Pädagogik, Zeitmanagement usw.). All das ist auf 45 Minuten komprimiert – und das Anforderungsniveau kann sich alle 45 Minuten komplett ändern. Das gibt es in dieser Form nur in sehr wenigen Berufen.

    Empfehlung:
    Ich würde allen Quer- und Direkteinsteiger:innen dringend empfehlen, zunächst ein Praktikum zu absolvieren, um zu verstehen, welche Fähigkeiten Lehrkräfte täglich abrufen müssen. Das meiste kann man lernen, aber wie leicht oder schwer es einem fällt, hängt stark von der jeweiligen Person ab.

  • InfoThomas Danke für deinen Erfahrungsbericht, ich würde darauf gerne näher eingehen:

    Woche 2:
    Ich glaube, ich hospitierte nur noch gelegentlich, um unterschiedliche didaktische Methoden verschiedener Lehrer:innen kennenzulernen. Gleichzeitig wurde es aber schon recht stressig, denn ich erhielt acht Stunden Unterricht. Nach der Schule saß ich fast ausschließlich am Schreibtisch und plante bis etwa drei Uhr morgens Unterricht – insbesondere mussten die Sequenzen inhaltlich und methodisch über mehrere Stunden hinweg stimmig sein.

    Wäre ich dein Mentor und du würdest mir erzählen, dass du bis 3 Uhr morgens für 8 Unterrichtsstunden ohne sonstige Aufgaben gearbeitet hast, hätte ich dich dafür zusammengeschissen. Wenn man nicht richtig schläft, kann man irgendwann krankheitsbedingt ausfallen und riskiert einen Unterrichtsausfall bei den eigenen SuS.

    Was hast du aus dieser Woche mitgenommen, um den Unterricht effizienter zu planen?

    - Du musst Kinder und junge Erwachsene für dein Fach begeistern können, obwohl sie sehr unterschiedliche Interessen haben.

    Muss man das wirklich? Ich würde zwar auch viele für die MINT-Fächer begeistern, aber aus meiner Sicht muss sich nicht jeder für ein bestimmtes Fachgebiet interessieren. Als Gesellschaft brauchen wir schließlich absolut unterschiedliche Fachkräfte. Hinzu kommt, dass das bloße Interesse am Fach nicht ausreicht, man muss sich schon bereit sein, sich für das Fach auch viele Stunden pro Woche zu committen. Ich sehe daher mehr Sinn dahinter, den Leuten zu vermitteln, dass man für den Erfolg im Leben manchmal auch das machen muss, was anderen hilft, unabhängig davon, ob es Spaß macht oder nicht.

    Am Ende waren die Fachlehrer:innen sehr überrascht, wie stark sich alles verbessert hatte, und froh darüber, dass ich die Kritik aus Woche 2 ernst genommen hatte. Das abschließende Fazit war durchweg positiv. Sie sagten mir im Nachhinein sogar, dass sie mich absichtlich ins kalte Wasser geworfen hätten, um zu sehen, ob ich „schwimmen kann“. Offenbar hat es funktioniert.

    Als ich in meinem Studium war, habe ich bei vielen Praktikumsversuchen, Seminar- und Abschlussarbeiten genauso am Anfang viel Kritik geerntet und später nach dem Verbessern der Kritikpunkte immer mehr dazugelernt und immer mehr Lob bekommen. Das Ganze passierte unabhängig davon, wie viel ich wirklich für ein Fach gearbeitet habe.

    An einem Informatikseminar an meiner Uni zum Thema Contest Programming hatte ich richtig Spaß und ich habe allein für diese 5 ECTS schon gerne auch 60 Stunden pro Woche reingesteckt und viele Zusatzaufgaben gemacht. Trotzdem hatte ich dort mit einer 1.7 keine sehr gute Note. An einem anderen Seminar habe ich meinen Vortrag in 4 Stunden zusammengeschrieben und bekam eine 1.0 und keinen einzigen Kritikpunkt. Was habe ich daraus gelernt? Es ist vollkommen egal, wie viel man arbeitet. Es ist wichtig, dass man den Nutzen für Andere maximiert.

    Ja, man soll aus seinen Fehlern lernen. Ja, man muss schon arbeiten. Ja, man benötigt eine positive Einstellung zum Lernen. Ja, man muss bereit sein, lebenslang zu lernen. Ich denke aber, du hättest auch die gleiche Reaktion bekommen, wenn du von Anfang an nur bis 20:00 arbeiten würdest und dich genauso verbessern würdest.

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