Einheitsschule - das Allheilmittel?

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Ihr Lieben,


    hier ein interessanter Bericht aus Focus-Schule
    Bericht Focus-Schule


    Skandinavische Einheitsschulen sind ja den Medienberichten nach mitunter gar nicht so schlecht.
    Französische Einheitsschulen sind mitunter eine Katastrophe.


    Beide Male ein Schulsystem mit Einheitsschule, doch zwei völlig konträre Ergebnisse. Wer hat denn nun Recht - und das einmal völlig ideologiefrei betrachtet?


    Und nun, Ihr lieben Bildungspolitiker?


    Gruß
    Bolzbold

  • Vielleicht,weil in Frankreich über 20% der Schüler und Schülerinnen auf eine Privatschule gehen, in Finnland und Schweden nur 5 bis 6 Prozent?


    Und jetzt mal wild drauf los spekuliert:
    Je inhomogener eine Bevölkerung (auch bzgl. der Einkommensverteilung) ist, desto eher werden die Eltern, die es sich leisten können, ihr Kind auf eine Privatschule schicken. Auf den staatlichen Einheitsschulen bleiibt dann der Rest. Jetzt kann sich jeder selbst überlegen, ob Deutschland eher in die Gruppe "Frankreich" oder in die Gruppe "Skandinavien" gehört.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Hallo Zusammen,
    ich denk es geht nicht um Einheitsschule oder nicht, sondern, wie bei allem anderen auch, um die konkrete Ausgestaltung.
    Ich selbst habe eine Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule von der ersten bis 10. Klasse besucht. Und der Unterricht wurde dort so organisiert, das eine gutes Lernen möglich war, Sitzenbleiben eher selten war und Lernen oft auch Spaß gemacht hat (so habe ich das erlebt). Die Lehrpläne waren landesweit zentral vorgegeben und die Prüfungen waren Zentralprüfungen.
    Die Lehrpläne waren auch zwischen den Fächern aufeinander abgestimmt, z.B. wurde in Chemieunterricht zunächst was zur organischen Chemie behandelt, bevor im Biologieunterricht die Photosythese (darüber, ob man die wirklich kennen muß, läßt sich sicher trefflich streiten) besprochen wurde. Das war in allen anderen Fächern genauso.
    Deshalb habe ich in meinem Referendariat (2005-2007) auch nie die Diskussionen verstanden ob man denn mal fächerverbindenden, -übergreifenden Unterricht machen solle. Nicht verstanden in dem Sinn, wie man es anders machen kann in der Hoffnung auf ein gutes Ergebnis. Ist diese Abstimmung nicht gegeben bleibt den Schülern oft nur Auswendiglernen übrig und das führt, wenn es in mehreren Fächern so ist, schlicht und einfach zu einem Lastproblem. So kann kein nachhaltiger Lernprozeß funktionieren.
    Viele Probleme mit denen an den Schulen gekämpft wird, werden in den ersten 3-5 Lebensjahren angelegt, Ding die später nur sehr schwer bis gar nicht mehr auszubügeln sind, aber der Schule angelastet werden. Da müssen sich die Eltern fragen lassen wie ernst sie ihren Erzirhungsauftrag nehmen. Zu meiner Zeit waren die Schulklassen sehr viel homogener, nicht zuletzt dadurch, das ein Kindergartenbesuch üblich (nicht Pflicht) war. Und der Kindergarten hatte einen Bildungsauftrag. Kinder die beispielsweise einen entsprechend kindgerechten Wortschatz nicht beherrschten wurden nicht mit 6 Jahren eingeschult, sonder ein Jahr zurückgestuft.
    Also Einheitsschule betrifft aus meiner Sicht nicht nur die Schule sondern das ganze Bildungssystem (Kindergarten bis mindestens einschließlich berufliche Schulen).
    Übrigens die Finnen haben in den 1970er Jahren vom Bildungssystem der DDR gelernt und es entsprechend auf ihre Bedingungen angepasst. Man braucht sich also nur die Erfahrungen die im jetzt eigenen Land vorliegen mal anschauen :)


    Grüße
    Steffen


    PS: Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte das DDR-Bildungssystem nicht in den Himmel loben, es gab und gibt auch sehr berechtigte Kritik daran.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    • Offizieller Beitrag

    ich gebe dir Recht, dass das A und O einer Schule in ihrer Ausstattung (und das meine ich jetzt weniger auf technische Geräte gemünzt) und der Größe der Klassen begründet liegt.
    Ein Vorteil der finnischen Schulen ist ja auch, dass zwei Lehrer pro Klasse eingesetzt sind, dass bei Lernproblemen die betroffenen Kinder sofort individueller betreut werden.


    Hinzu kommen weniger Migrantenkinder als in manchen mitteleuropäischen Ländern. (was nicht per se ein Nachteil sein soll, nur erschwert das mitunter das Arbeiten)


    leicht flau wird mir allerdings bei der doch wohl positiv gemeinten Aussage, der Kindergarten habe einen Bildungsauftrag gehabt.
    Hatte er sicherlich.


    Aber was für einen ??????

  • Friesin!


    Der Kindergarten hat heutzutage ebenfalls einen Bildungsauftrag. Es gibt in BaWü (und sicher nicht nur dort) den sogenannten "Orientierungsplan", der endlich mal festlegt, dass Kindergärten sich an einen Plan gewissermaßen zu halten haben, der Kindern Dinge wie Technik, Naturwissenschaften etc. näher bringt (und andere Fertigkeiten versteht sich).
    Als Kooperationslehrerin höre ich in den Kindergärten dazu durchaus nur positive Rückmeldungen und an meinem eigenen Kind sehe ich, wie das im KiGa umgesetzt wird. Ich finde das toll und erstrebenswert, dort schon anzusetzen. Der KiGa ist schon lange nicht mehr das, was er mal war...... "Mal- und Basteltanten" gibt es schon lange nicht mehr. (Naja, vereinzelt vielleicht schon)


    Zur Einheitsschule: Bei uns in BaWü hat Herr Rau ganz klar gesagt, dass er an dem dreigliedrigen System festhalten will. Er stützt sich unter anderem auf die PISA Ergebnisse.


    Man sollte mal beim Grundgesetz anfangen und dafür sorgen, dass Bildung wie woanders auch "Sache des Bundes" wird. und nicht jeder vor sich hin wirtschaftet.
    Wie soll überhaupt irgendein System funktionieren, wenn alle machen wie sie wollen???????
    Im Saarland gibt es nur noch Gesamtschulen, bei uns fast keine etc.
    Und die KuMi-Konferenzen sind doch auf nur ein großer Witz!
    Das nervt!
    Bin übrigens voll für die Abschaffung der Hauptschule und überhaupt des dreigliedrigen Systems. Frankreich hin oder her. Frankreich hat komplett andere gesellschaftlichen Hintergründe und eine andere Entwicklung hinter sich wie wir.
    Wir können uns da schlecht mit anderen Ländern vergleichen.
    Was wir aber können: Sehen, das dieses System nicht richtig funktioniert und mehr potentielle Schulabbrecher und Arbeitslose schafft wie sonst was!


    Panama

    "Du musst nur die Laufrichtung ändern..." sagte die Katze zur Maus, und fraß sie.

  • Mir fällt ein:
    in Frankreich saß ich als Austauschschülerin mit teilweise 40 anderen Schüler/innen in der Klasse. Die Ausstattung der Schulen war katastrophal.


    Über Finnland weiß ich von einer in Deutschland lebenden Finnin, dass die Ausstattung in finnischen Schulen schon von der Grundschule an sehr gut ist, vom Computer bis hin zu den Toiletten. (Sie ist über den Zustand deutscher Schulen entsetzt). Außerdem gibt es in Finnland höchstens 15 Schüler/innen pro Klasse.


    Meines Erachtens schon wichtige Dimensionen, die große Unterschiede erklären können.

  • Ich glaube es kommt auch darauf an, ob die Mittelschicht mitspielt bei der Erschaffung der Einheitssschule. Verabschiedet sich diese aus dem Schulsystem, bleiben diesem die SuS aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen erhalten und schmoren wieder im eigenen Saft. So scheint es ja in Frankreich zu sein. Da die Mittelschicht aber nun gerade hochgradig vom dreigliedrigen Schulsystem profitiert, indem ihr gesellschaftlicher Status unangetastet und erhalten bleibt, sehe ich da für Deutschland schlechte Chancen.

  • CKR hat m. E. einen wichtigen Sachverhalt angesprochen:


    Die Einheitsschule ist nur politisch zu begründen und nicht pädagogisch: Die Sozialisten forderten erstmals 1881 - Erfurter Programm - die Einheitsschule mit der Begründung, dass das dreigliedrige Bildungssystem die „ungerechte“ Sozialstruktur der Gesellschaft reproduziere; das Bildungsbürgertum müsse somit seiner Grundlage beraubt werden. Diese abenteuerliche Denkfigur hat bis heute - Hamburger Programm der SPD von 2007 fordert die „Demokratische Schule“ - überlebt. Dass das dreigliedrige Bildungssystem in seiner reinen Form (bis 1960) das weltweit beste Bildungssystem war, interessiert nicht - auch heutzutage nicht.


    Dass sich die Einheitsbildung in Deutschland nach 1945 sukzessive durchgesetzt hat, ist nicht zuletzt der Umerziehungspolitik der Amerikaner (und der übrigen Alliierten) zu verdanken. Letztere wurde von unseren Linken, verstärkt nach 1959, aufgenommen und mit der Leitidee der permanenten Vergangenheitsbewältigung durch Horkheimer, Adorno, Mitscherlich etc. volkspädagogisch vermischt. Die (Um-)erziehung der Deutschen zu „Demokraten“ ohne den Hang zur Autoritätsgläubigkeit und zur Vorurteilsbildung ist heute noch die ideologische Grundlage der Einheitsschulbewegung. Letztere basiert nicht nur auf dem organisatorischem Modell der Einheitsschule, sondern auf der maßgeschneiderten kritisch-konstruktiven Didaktik Wolfgang Klafkis (welcher sich offensichtlich auch vom ehemaligen US-Bildungspapst John Dewey, der zusammen mit Lewin, Parsons, Horkheimer, Adorno etc. die re-edukative Bildungsplanung der Amis für das Nachkriegsdeutschland entwickelt hatte, hat inspirieren lassen).


    Fazit: Die Einheitsschule hat nie das Ziel eines leistungsfähigen Bildungswesens gehabt. Dies kann sie vom Ansatz her auch gar nicht leisten. Einheitsbildung ist auf die Zerstörung des gesellschaftlichen Mittelbaus - das Bildungsbürgertum - gerichtet und zielt letztlich auf die Verdummung der Massen: Im Sinne Adornos geht es um die Errichtung einer Massenkultur für kritikunfähige Massen.


    Mithin ist unsere Bildungsmisere nur durch die Rekonstruktion des dreigliedrigen Bildungssystems (s. u. a. Düsseldorfer Abkommen 1955) zu beheben.


    Helen

    • Offizieller Beitrag

    Helen


    Nun, die Rekonstruktion dieses Systems würde aber ein erhebliches Umdenken seitens der Gesellschaft und der Wirtschaft erfordern.


    Hier nur einige Bedingungen dafür:


    a) Die Hauptschule muss wieder aufgewertet werden - und zwar sowohl von der Gesellschaft als auch von der Wirtschaft. Sie müsste entstigmatisiert werden, Unternehmen müssten auch Schulabgänger mit Hauptschulabschluss akzeptieren.
    (Unsere örtliche Sparkasse erwartet wenigstens Fachhochschulreife oder Abitur - das nur mal zum Vergleich).


    b) Schulbesuch und Sozialprestige (sei es "echtes" oder eingebildetes) bedingen sich stark - bis hin zur Perversion, dass Eltern ihr Kind trotz Hauptschulempfehlung aufs Gymnasium klagen. Diese Entwicklung muss gestoppt werden.


    c) Eine Durchlässigkeit nach oben in diesem System darf nicht nur pro forma existieren sondern muss auch praktisch schaffbar sein. Das Scheitern vieler ehemaliger Realschüler in der 11 und 12 zeigt hier deutliche Schwachstellen auf.


    d) Leistung und Eigeninitiative, Eigenverantwortung und selbstständiges Handeln müssen auf der einen Seite stärker gefordert, auf der anderen Seite aber sich auch wieder stärker auszahlen. Nur so kann man der kollektiven Verdummung, Abstumpfung und Verrohung entgegenwirken.


    e) Es ist kontraproduktiv, beide Schulsysteme gleichzeitig fahren zu lassen. Gesamtschulen und dreigliedriges System - wie hier in NRW - funktioniert nicht.
    Zum einen erfuhren auch hier die Hauptschulen massivste Abwertung - sie sind zu "Asi-Verwahranstalten" verkommen.
    Zum anderen schnitten die Gesamtschulen in der Pisa-Studie zwischen Haupt- und Realschulen ab. Auch im Zentralabitur erreichten Gesamtschulen mitunter deutlich schwächere Ergebnisse als Gymnasien.
    Damit ist die Gesamtschule m.E. gescheitert - nur wollen das die verantwortlichen Bildungspolitiker nicht einsehen.


    Ich will keinesfalls sozialdarwinistisch klingen, aber man muss sich fragen, ob es im Extremfall Sinn macht, an einer Einheitsschule - ich überspitze hier - Eliten und Prolls unter einem Dach zu haben.
    Unter sozialistischen Gesichtspunkten ist das natürlich klasse. Dass aber gerade die sozialistischen Gesellschaften am Zwiespalt zwischen Ideologie und menschlicher Natur (Geldgier, Machtgier, Konkurrenzkampf) gescheitert sind, wird anscheinend sorgfältig ignoriert.
    Und wieso sollte das "Bildungsbürgertum" dies mittragen, wenn es im Grunde nichts davon hat? Würden diejenigen, die davon profitieren, ebensolchen Altruismus an den Tag legen?


    Gruß
    Bolzbold

  • Hallo Bolzbold,


    Ihre Kurzanalyse hinsichtlich der zu schaffenden Voraussetzungen ist richtig. Wobei ich meine, dass die Einsicht in die Notwendigkeit der Rekonstruktion der Dreigliedrigkeit relativ schnell in der Bevölkerung wachsen wird. Dies setzt allerdings eine ungeschönte Analyse des Einheitsschul-Unsinns, welcher seit 45 Jahren - mittlerweile auch von bildungsnahen wertkonservativen Seiten - verzapft wird, voraus. Dazu sind dann auch Fehler seitens der Bildungspolitik zuzugeben:
    - Demontage der gymnasialen Oberstufe (Saarbrücker Rahmenvereinbarung 1960),
    - Splittung von Grund- und Hauptschule (Hamburger Abkommen 1964),
    - Gesamtschulprogramm (Bildungsstrukturplan 1970, Bildungsgesamtplan 1973),
    - Fusion von Real- und Hauptschule (verstärkt seit 2006 in SH, HH, HB etc.).


    Mit der Einräumung von Fehlern tun sich unsere Politgrößen allerdings immer schwer. Erschwerend kommt hinzu, dass die Industrieverbände den Unsinn der Zweigliedrigkeit ebenfalls lauthals proklamieren (Aktionsrat Bildung 2007).


    Übrigens reagierte die KMK auf die leistungsfreie Klafki-Pädagogik, welche unsere Bildungssysteme mehr oder weniger durchdrungen hat, mit der Einführung von Bildungsstandards. Letztere bedeuten nichts anderes als die Forderung nach einer basalen Leistungshomogenität, welche am Ende der Bildungsbiographie erreicht werden müsse. Dass gleichzeitig zu Beginn der Bildungsbiographie die Leistungsheterogenität gewollt wird (s. HH, SH), wird nicht (!) als Widerspruch empfunden.


    Zum Thema Leistung im Kontext mit der soziopsychologischen Komponente der permanenten Vergangenheitsbewältigung (Adorno & Co) hat sich der neue PISA-Koordinator Klieme erfrischend offen geäußert.
    http://www.welt.de/welt_print/…keine_Einheitsschule.html


    Was fehlt, ist die Entlarvung der Tendenzforschung linksdrehender Bildungsforscher wie Klemmt, Brumlik etc., welche es in enger Kooperation mit unseren linksorientierten Medien (bis z. B. auf FAZ und Welt) immer wieder schaffen, die Heilslehre der Einheitsbildung - anstrengungsfreie Chancengleichheit - unters Volk zu bringen. Dabei wird die Dialektik von Chancengleichheit und Leistung nicht thematisiert: Chancengleichheit ist nur auf dem Leistungsniveau der Schwächsten zu haben, wobei die Chancenungleichheit bei den Leistungsstarken bewusst nicht gesehen wird.


    Helen

  • Hier sieht man noch einmal sehr schön, wie sich die Mittelschicht (über ihren politischen Einfluss) das dreigliedrige Schulsystem so gestaltet, dass sie gestärkt daraus hervorgeht, während diejenigen, die es eigentlich nötiger hätten unterstützt zu werden, in die Röhre gucken:


    http://bildungsklick.de/pm/613…regierung-liebste-kinder/

  • Ich muss leider in einigen Beiträgen hier etwas Naivität feststellen:


    Der Traum von der großen, glücklichen Einheitsschule wird ein Traum bleiben, denn:


    Diejenigen, die ihre Kinder nicht auf solch eine Schule schicken wollen, werden auch in Zukunft Mittel und Wege finden, es nicht zu tun:


    Niemand kann verhindern, dass diejenigen, die wirklich Geld haben, ihre Kinder im Ausland zur Schule schicken (macht die Oberschicht jetzt schon, z.B. englische Internatsschulen).


    Niemand kann verhindern, dass Privatschulen gegründet werden (Art. 7, Abs. 4 GG). Diese wird man immer so gestalten können, dass sie gewisse Bevölkerungsschichten ausschließen (z.B. über das Schulgeld (+ ein paar Stipendien, damit das ganz einen sozialen Anschein hat) oder über ein spezielles Glaubensbekenntnis: Wem das nicht passt, der muss ja nicht zu einer Privatschule gehen, ist ja freiwillig).


    Die Einheitsschule wird daher immer eine "Restschule" für die finanziell und sozial nicht so gut gestellten sein. Wer das nicht glaubt, soll mir ein einziges Gegenbeispiel auf der Welt nennen (aber bitte mit einer ähnlichen Sozialstruktur wie in Deutschland und keine finnischen "50-Schüler-Hinterwaldschulen").


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    Einmal editiert, zuletzt von Mikael ()

  • Zitat

    Original von Mikael
    Der Traum von der großen, glücklichen Einheitsschule wird ein Traum bleiben,


    Der Traum von der großen, leistungsfähigen und -gerechten Selektionsschule im dreigliedrigen Schulsystem allerdings ebenso.

  • @CRK


    Das leistungsfähige und leistungsgerechte dreigliedrige Bildungssystem war in Deutschland bis 1960 Realität:


    Der Koordinator und Mentor der Einheitsschule in Deutschland, Hellmut Becker, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin, gestand ein: Einst „beruhte die Weltgeltung der deutschen Bildung in erster Linie auf dem Humanistischen Gymnasium und der Universität. [...] Aber auch die Volksschule und die Lehrlingsausbildung verfügten über ein beträchtliches Ansehen in der Welt.“ (Becker, H., Hager, F. Dez. 1992)


    Hellmut Beckers kongenialer Freund im Geiste, der ehemalige Kultusminister Hessens und zusammen mit Wolfgang Klafki Erfinder der Hessischen Rahmenrichtlinie 1972 sowie Direktor des IfS, komplettierte an anderer Stelle: „Das Bildungswesen der deutschen Länder [...] hatte jahrhundertelang in hohem Ansehen gestanden.“ Die allgemeine Elementarerziehung fand „internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung“. „Die auf das ausgebaute humanistische Gymnasium gründende deutsche Forschungsuniversität entwickelte sich zur modernsten und leistungsfähigsten der Welt.“ (Friedeburg v., L. 1989)


    Trotz dieser Erkenntnis waren es insbesondere Becker und v. Friedeburg, welche sich für die Einheitsbildung - komplettiert durch die neo-reformistische Klafki-Pädagogik - seit 1970 einsetzten. Der vollständige Rückbau aller Einheitsstrukturen samt Abkehr von der leistungsfeindlichen Klafki-Pädagogik ist die einzige Möglichkeit, das deutsche Bildungswesen wieder auf das Qualitätsniveau zu heben, wo es mal stand.


    Letzteres wäre für alle gut, auch für die Schwachen. Diesen kann nur durch viele Leistungsstarke geholfen werden, da jene die Mittel erwirtschaften, die notwendig sind, um Hilfe zu gewähren. Jedem Schwachen steht der Weg zur Leistungsstärke offen - Wer will das leugnen?


    Der Weg der Einheitsbildung führt zu einer Einheitlichkeit in der Schwäche. Der folgliche Schrumpfungsprozess des leistenden Mittelstandes (Bildungsbürger) führt dann zum Rückbau der Hilfesysteme für die Schwachen und schadet ihnen damit - Einheitsbildung fördert Chancenungleichheit.


    Helen

  • Zitat

    leistungsfeindlichen Klafki-Pädagogik


    Diese Ansicht hätte ich gerne genauer erläutert. Warum ist die Pädagogik leistungsfeindlich?


    Zitat

    Der Weg der Einheitsbildung führt zu einer Einheitlichkeit in der Schwäche


    Auch diese Aussage hätte ich gerne näher erläutert, um sie besser zu verstehen. Wer sagt denn, das eine Einheitsschule unweigerlich nur in Richtung der Schwächeren gehen muss?


    Zitat

    Diesen kann nur durch viele Leistungsstarke geholfen werden, da jene die Mittel erwirtschaften, die notwendig sind, um Hilfe zu gewähren.


    Dazu müssen die Leistungsstarken aber auch gewillt sein, diese Hilfe zu geben. Mein Gefühl ist, dass viele Sparmaßnahmen auf Kosten der Leistungsschwachen gehen, diesen Menschen wird nichts von den erwirtschafteten Mittel abgegeben.

  • „Leistungsfeindliche Klafki-Pädagogik“:
    Kafki hat in seinem Werk zur kritisch-konstruktiven Didaktik von 1985 (5. Auflage 1996) unter der Überschrift „Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips in der Erziehung“ über mehr als 40 Seiten ausführlich zu seinem Leistungsverständnis Stellung genommen. Ich möchte das hier nicht alles wiederholen. Allein die Überschrift verrät den Tenor. Exemplarisch folgendes Zitat: „Im unreflektierten Leistungsbegriff schlagen sich weniger ökonomisch nützliche als vielmehr veraltete Vorstellungen von Lernen nieder, [...] darüber hinaus didaktisch unreflektierte Auffassungen über sogenannte ‚Allgemeinbildung’ und angeblich ‚unverzichtbares Wissen’, Fertigkeiten, die längst funktionslos geworden sind, und anderes Strandgut einer unkritisch weitergeschleppten Schultradition. Noch einmal also: Im vorverwalteten Leistungsprinzip in der Schule des 19. und 20. Jahrhundert reproduzierte sich sehr wohl eine undemokratische Gesellschaft, eine sozusagen verspätete Ständegesellschaft im Obrigkeitsstaat.“ (Klafki, 1996, S. 220)


    Fazit: Klafki fordert eine prozessorientierte Leistung - das Mitmachen ist der Leistungsnachweis ohne Rücksicht auf den Inhalt. M. a. W. wenn der „alte“ Leistungsbegriff das Vorwissen (Prozessbeginn), den Wissenszuwachs (Prozess) sowie das Ergebnis (Prozessende) eines Bildungsprozesses bewertet, so reicht für Klafki der Prozess, wobei letzterer noch nicht einmal an Wissenszuwachs gekoppelt ist. Leistung nach traditionellem Verständnis steht konträr zum Leistungsverständnis von Klafki. Das Leistungsverständnis nach Klafki ist Leistung ohne Anstregung, mithin Nicht-Leistung. q.e.d.


    „Einheitsbildung führt zu einer Einheitlichkeit in der Schwäche“:
    Einheitsbildung in idealer Ausführung geht von einer beliebig heterogenen Gruppe aus. Dabei besteht die Heterogenität in den Dimensionen des Arbeits- und Sozialverhaltens sowie in der kognitiven Leistungsfähigkeit. Allein die Heterogenität im Arbeits- und Sozialverhalten reduziert die Unterrichtseffektivität im „Idealfall“ auf Null (Rütli-Schule). Betrachtet man den eher seltenen Fall der Homogenität im Arbeits- und Sozialverhalten und ausschließlicher Heterogenität in der kognitiven Leistungsfähigkeit, so kommt es zum sogenannten Konvoi-Effekt: Der Leistungsfortschritt des einzelnen Schülers orientiert sich am Leistungsfortschritt des schwächsten Schülers. Letzteres wird bei den Bildungsforschern durch das „negativ-adaptive“ Verhalten des Lehrers erklärt: Der Lehrer pendelt sein Unterrichtsniveau auf den Mittelwert des unteren Leistungsdrittels einer Klasse ein. Diese Verhalten kann mittels des Konzepts des „somatischen Markers“ nach Antonio R. Damasio erklärt werden: Der Lehrer verhält sich in seinen Alltagsentscheidungen so, dass die Zahl der positiven Ereignisse (im Unterricht) die Zahl der negativen Ereignisse überwiegt.


    Fazit: Im Normalfall einer zweidimensionalen Heterogenität kann das Niveau einer Klasse nur auf der Ebene der Schwächsten angesiedelt sein. Schaut man in die PISA-Ergebnisse, dann findet man in diesen Effekten, welche zudem noch im Kontext der leistungsfeindlichen Klafki-Pädagogik auftreten, eine (von mehreren) Erklärungen für das schlechte Abschneiden dieser Schulform. Leistungsfreie Klafki-Schulen führen zur Einheitsbildung auf unterstem Niveau, Leistungsstarke werden behindert und passen sich den Schwächsten an. q.e.d.


    Helen

  • Vielen Dank für die Ausführungen.


    Zitat

    so reicht für Klafki der Prozess, wobei letzterer ...noch nicht einmal an Wissenszuwachs gekoppelt ist


    Das erschließt sich mir nicht. Meinem Verständnis nach ist Unterrichten immer mit Wissenszuwachs verbunden. Dies wird doch auch nachgeprüft.


    Ich kenne keine Klasse, auch keine im dreigliedrigen Schulsystem, die homogen ist. Man kann natürlich versuchen, die Spanne der Heterogentität so klein wie möglich zu halten, aber es wird immer Schüler/innen geben, die mehr bzw. weniger Leistung erbringen können. Als ein wichtiges Ziel erscheint mir persönlich, dass bewußt gemacht wird, dass die Menschen unterschiedlich sind. Die Akzeptanz der Verschiedenheit verhilft doch nur dazu, einander zu beachten und zu unterstützen. So lange die Menschen mit Schwierigkeiten zu lernen in anderen Schulformen isoliert werden sind sie aus den Augen und damit aus dem Sinn. Und ich halte die leistungsstarke Elite in der Regel nicht für so barmherzig, sich den Schwachen und Armen anzunehmen und sie aus ihren erwirtschafteten Mitteln zu unterstützen.


    Die Heterogenität ist mit dem Ziel verbunden, jedem Schüler bzw. jeder Schülerin ihren größtmöglichen Lernzuwachs zu ermöglichen. Und in der Praxis erlebe ich viele Lehrerinnen in der Grundschule, die sich dieser Aufgabe annehmen. Dort wird enorm differenziert, mit den Kolleginnen zusammengearbeitet, unterschiedliche Lerngruppen innerhalb der heterogenen Gruppe gebildet um jedem Kind gerecht zu werden. Ich erlebe, dass die Lehrerinnen sehr darum bemüht sind, auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu integrieren, Und die Lehrkräfte sind dabei gleich Vorbild in Sachen Teamarbeit. Es mag sein, dass Klafki in seiner Theorie auf den Wissenszuwachs verzichtet, in der Praxis sieht es meiner Meinung nach anders aus. Die Vorraussetzungen sind oftmals nicht optimal, was Personalschlüssel und räumliche Vorraussetzungen angeht, da wird meiner Meinung nach eindeutig gespart, aber das heißt in meinen Augen nicht, dass sich der Unterricht grundsätzlich und unweigerlich nur an den Leistungsschwachen orientiert und deswegen die Heterogentität nur negativ zu bewerten ist.

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