Brauche Feedback: Elternkritik gerechtfertigt ?!?

  • Ich bin Lehrer. Meine Aufgabe ist es Unterrichtsinhalte auszuwählen und methodisch/didaktisch aufzubereiten. Ich begleite die Kinder dabei beim Lernen, stelle zusätzliches Material zur Verfügung, berate, zeige alternative Lernwege, beobachte Lernprozesse. Natürlich bin ich - gerade im Primarbereich - auch Pädagoge. Und nicht zuletzt sollte ich lernspezifische Einschränkungen erkennen (z.B. Konzentrationsschwächen, Hyperaktivität, Persönlichkeitsstörungen, Motorische Probleme, etc.).


    Nun zu meinem Problem: Ich habe in meiner Klasse einen Schüler, der ziemlich langsam arbeitet, er ist antriebsarm, verträumt, etc. Ich habe die Problematik sehr schnell den Eltern weitergegeben, sie gebeten, das Kind außerschulisch durchzuchecken. Ich bin weder Lernschwächen Diagnostiker, Psychologe noch Arzt. Es könnte schließlich so vieles sein: ADS, Blutdruck, Schilddrüse, ... ... oder einfach nur ein ganz gesundes Kind mit einer Konzentrationsschwäche. Es wurde damals nur halbherzig reagiert, das Problem wurde eher runtergespielt: das wird schon, das Kind müsse sich nur an die Schule gewöhnen. Eine Zuhilfenahme einer sonderpädagogische Kraft unserer Schule wurde total abgelehnt.


    Alles ging nun seinen Weg, das Kind lief im mittleren Leistungsbereich mit - in allen Zeugnissen weisen verschiedene Lehrer aber nach wie vor auf die Problematik hin. Elterngespräche, in denen ich auf die Grundproblematik hinweise, werden abgeblockt und es wird lediglich nach konkreten Maßnahmen meinerseits gefragt.


    Jetzt kommen die ersten schriftlichen Noten und die sind nur im 3er/4er Bereich, natürlich auch deshalb, weil das Kind sehr viel Zeit braucht und oft nicht fertig wird (bei doppelter Zeit könnte es sicher mehr schaffen). Und mit den Noten kommt nun plötzlich eine gewaltige Elternkritik auf - Schule würde nichts machen, schwache Schüler links liegen lassen. Aber ich frage mich, was sollte ich denn tun? Natürlich habe ich kleinere Maßnahmen eingeleitet: Schüler nahe zum Lehrer, Frontal zur Tafel, Sitznachbarn speziell ausgewählt, Hilfe bei der Arbeits- und Zeitorganisation (insbesondere bei einem Test), häufige persönliche Zuwendung - daneben natürlich das allgemeine Programm "guten" Unterrichtes. Aber natürlich habe ich keine eigene Ergotherapie eingeleitet oder spezifische Konzentrationsübungen etc. Dafür bin ich doch gar nicht ausgebildet und wüsste ja nichtmal, was ich denn eigentlich konkret tun müsste bzw. besser sein lassen sollte.


    Nun also meine Frage: Sind hier die Erwartungen der Eltern zu hoch und muss ich das ihnen gegenüber deutlich machen ODER ist es tatsächlich meine Aufgabe, Kinder nicht nur fachlich zu unterrichten und zu fördern, pädagogisch zu begleiten, sondern auch therapeutisch zu begleiten? Die Frage ist ernst gemeint.

    • Offizieller Beitrag

    Wie sollst du ein Kind therapeutsich betreuen? Du bist kein Therapeut !!!
    Das weißt du, und das schreibst du ja auch.
    Wenn die Eltern trotz aller von den Lehrern geäußerten Hinweise nie etwas unternommen haben, kann das nicht dir angelastet werden. Weise darauf hin, dass die zeugnisberichte entsprechend waren, dass dann und dann Gespräche stattgefunden haben und dass du eben kein Ergotherapeut bist.


    Im Übrigen finde ich Noten im 3er und 4er Bereich noch keinen Grund zur Sorge !!
    Bist du da vielleicht an besonders blauäugige Eltern geraten, die ohne die Realität ihres Kindes zu sehen sehr hohe Ansprüche an seine Leistungen haben ??

  • Hallo Schlauby


    Du hast Dir die verschiedenen Wege, wie Du an die Eltern herangetreten bist, wahrscheinlich dokumentiert. Ohne die konkrete Rechtslage zitierfähig zu kennen (aber nach der fragst Du zum Glück ja auch nicht ;) ) denke ich, dass Du Deine Aufgaben vollumfänglich wahrgenommen hast.


    Jedoch fehlt uns hier Detail-Wissen, das den "Fall" ganz anders erscheinen lassen könnte: z.B. handelt es sich um ein sozial besonders schwaches Elternhaus oder hat ein Kind einen Migrationshintergrund oder gibt es andere Faktoren, die andeuten, dass die Eltern gar nicht verstehen,was Du von und mit ihnen möchtest, dann sollte ein Lehrer "mehr" machen. Nicht therapieren (ich halte "Therapien" von Nicht-Ausgebildeten im besten Fall für nutzlos, im schlimmeren Fall für kontraproduktiv bis gefährlich), aber "Massnahmen einleiten" (externe Kontakte hinzuziehen usw.).


    LG, das_kaddl.

    • Offizieller Beitrag

    Ich stimme meinen Vorschreiberinnen uneingeschränkt zu. Du wirst sicher Gesprächsprotokolle in der Schülerakte haben, ebenso wie Förderpläne/individuelle Lernpläne (z.B. mit der Maßnahme "Kind sitzt nah beim Lehrer, frontal zur Tafel").
    Wenn dem so ist, ist auf dem Hintergrund dessen, was ich weiß und wie der Fall von dir geschildert wurde, alles getan, was für dich möglich und sinnvoll war.


    Du darfst das Kind auch gar nicht "therapieren" oder etwas Ähnliches. Bei so massiven Schwierigkeiten, wie du sie beschreibst, müssen Fachleute ran. Bei uns gibt es einen ähnlichen Fall, bei dem die Eltern nun, im 4. Schuljahr, der Überprüfung durch die Schulpsychologie zugestimmt haben. Vorher gab es auch viel Ärger, die Lehrerin wurde scharf angegriffen, weil das Kind im schriftlichen Bereich fast nichts zustande bekam.


    kaddl
    Für die meisten "externen Kontakte" benötigt man die Einverständniserklärung der Eltern (Sonderpädagogen, Schulpsychologie), nur beim Jugendamt wäre eine Meldung möglich ohne die Einverständniserklärung. Insofern denke ich, dass das meiste da ausgeschöpft ist.


    Grüße,
    Conni

  • Guten Morgen, schlauby,
    nee, du hast alles so gemacht, wie es in Ordnung ist. Mehr geht nicht. Die Eltern merken inzwischen vielleicht, dass beim nahenden Schulwechsel ihr Wunsch nach dem Gymnasium - den ich hier einfach mal unterstelle - eventuell nicht so locker durchgeht, und erst dann begreifen sie, dass das Kind vielleicht Hilfe braucht. Und was liegt näher, als dann der Schule den Schwarzen Peter zuzuschieben? Das ist einfach, schnell und kostet nix!
    Dokumentiere weiterhin alles, weise Eltern darauf hin, dass du ihnen das bereits am Sounsovielten im Monat X gesagt hast. Und führe die Elterngespräche in solchem Fall am besten nur noch mit einem Zeugen (Protokollanten). Für alle Fälle.
    Schönes Wochenende - trotzdem!!!


    Gruß venti :)

  • Ich finde, die Eltern haben in so ner allgemeingültiken Floskel reagiert. Ich würde sie mal ganz konkret fragen, was sie sich denn für Unterstützung gewünscht hätten. Bei dem, was Du alles gemacht hast, musst Du Dir glaube ich keine Sorgen machen, ihnen nicht deutlich machen zu können, dass Du das versucht hast, bzw. die anderen Aufgaben nicht in Deinem Bereich liegen.


    Gruß Line

  • Danke schonmal für die vielen Rückmeldungen. Mich belastet das ganze schon ein wenig, da ich sehr hohe Ansprüche an meine arbeit habe und eigentlich keine Kinder "links liegen lassen" will. ich erlebe aber eben auch, dass man als lehrer seine grenzen hat! und wenn da im unterricht ein kind sitzt, dass einfach immer wieder träumt, dann bin ich mit meinem latein erst mal am ende. ich kann es nur beobachten.


    das_kaddl:


    also, die eltern sind gut gebildete, intelligente menschen. ich habe eher das gefühl, man wollte beobachtungen / außerschulische maßnahmen vor mir geheimhalten. alle schwierigkeiten wurden dahingehend gedeutet, dass wir lehrer nicht auf den individuellen lerntypus des schülers eingehen bzw. entsprechende unterstützungen (nur welche?!?) anbieten.


    zum thema dokumentation:


    leider ist dies meine erste klasse gewesen und so habe ich in der hektik des ersten berufsjahres versäumt, gesprächnotizen zu dokumentieren, maßnahmen festzuhalten etc.. das ist jetzt natürlich anders - leider zu spät! aber ich merke selber, dass ich den eltern lieber mit papier gegenübertreten möchte. doof gelaufen!


    im übrigen gibt es nur wenig schulische maßnahmen, weil die leistungen ja niemals schlimm waren. ein kind, dass in der 2. klasse durchschnittliche leistungen erbringt (zwischen gut und ausreichend), steht auf meinem förderplan eigentlich nicht so weit oben. es ist eher das problem, dass die eltern natürlich in richtung gymnasium denken und merken, dass nicht alles so glatt läuft.


    aber was macht man mit einem kind, dass sicher mehr könnte - aber sowohl im unterricht als auch besonder in testsituationen viel zu langsam arbeitet. ich weiß es nicht ?!

  • Ich hätte jetzt gesagt ein Konzentrationstraining. Also die Phasen, in denen Du von ihm erwartest konzentriert zu arbeiten langsam ausweiten. Ich mache das bei einem Schüler mit einem Kurzzeitwecker. 4 Minuten arbeiten, dann Pause, dann wieder 4 Minuten arbeiten etc.


    Wäre so meine Idee, aber da muss man das Kind auch für kennen.

    • Offizieller Beitrag

    bei aller Förderung:


    nicht alle Kinder sind fürs Gymnasium geeignet.


    Das finde ich auch nicht schlimm, aber mit dem Gedanken tun sich oft gerade die gebildeten Eltern schwer.


    Ein Kind mit Lesitungen zwischen gut und ausreichend ist ein völlig normal begabtes Kind, und wie du schon sagst, steht es sicherlich nicht ganz oben auf der Liste der Förderkinder.


    Manche Kinder brauchen einfach auch ein wenig länger, bis der Konten platzt, und bei manchen platzt er nie.


    Förderung brauchen, wenn ich das so lese, eher die Eltern, und zwar in die Richtung, dass sie keine überhöhten Ansprüche an ihr Kind stellen !!

  • Nein, du brauchst dir keinerlei Vorwürfe zu machen. Ich habe auch nun meine erste eigene Klasse und beginne auch erst jetzt mir alles zu protokollieren (am besten ab damit in die Schülerakte - da geht auch nix verloren, selbst wenn es nur eine kurze Gesprächsnotiz/Informationsgespräch ist.
    Ich finde sogar, dass du schon sehr viel getan hast!


    Ein Schüler von mir hatte ähnliche Probleme, diesem Schüler hat ein sogenanntes "Marburger Konzentrationstraining" geholfen (bietet bei uns z.B. die Volkshochschule an), vielleicht wäre das noch ein Tip für die Eltern.

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