Lesen / schreiben in der Waldorf-Schule

    • Offizieller Beitrag

    Mir stößt auf, wie hier gehackt wird. Nicht alles, was nicht der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung entspricht ist per se esoterischer Quatsch.
    Man kann von den Steinerschen Texten halten, was man will, aber an vielen Waldorfschulen wird eine hervorragende pädagogische Arbeit geleistet. Ich bin mir auch nicht sicher, ob alle Waldorfianer Steiner noch wörtlich nehmen.


    Dem widerspreche ich doch gar nicht. Ich schrieb ja, dass ich mich mit der Waldorfpädagogik bisher nicht befasst habe, sondern mich jetzt in diesen paar Tagen, die der Thread jetzt existiert, durch ein paar Auszüge von Steiner gelesen habe. Und das ist, um Neles schönes Wort zu benutzen, Geschwurbel. Im besten Falle harmlos. Aber wenn die Schulen wirklich das als Grundlage für ihre pädagogische Arbeit nutzen und daran glauben (ich schmeiß hier jetzt nur mal die Mars- und Venusmenschen (wtf?) in die Waage), dann wird MEIN Kind eine solche Schule ganz bestimmt niemals von innen sehen. Falls sich die Schulen nur den Namen erhalten haben (wie Herr Rau schrieb), dann maße ich mir darüber kein Urteil an, halte aber das Tanzen des eigenen Namens (ich sag ja, sonst keine Ahnung von Waldorf, das ist nur das, was sich da auf jeden Fall als Assoziation verknüpft hat) für zumindest fragwürdig.


    Und zu einem stehe ich: Die Steinerschen Texte (oder zumindest das, was hier verlinkt wurde) wird mir keiner als was anderes als Esoterikquatsch verkaufen können. Und ich hoffe, dass kein normal gebildeter Mensch von mir etwas anderes erwartet.


    Und wenn jetzt kommt: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fr... halten, dann verweise ich einfach mal auf den gesunden Menschenverstand, der geradezu verlangt, auf diese Textauszüge (!) so zu reagieren, wie ich es tat.
    Das Recht auf diesen Naturwissenschaftler-Snobismus nehme ich mir.

  • Und zu einem stehe ich: Die Steinerschen Texte (oder zumindest das, was hier verlinkt wurde) wird mir keiner als was anderes als Esoterikquatsch verkaufen können. Und ich hoffe, dass kein normal gebildeter Mensch von mir etwas anderes erwartet.

    Unterschätz mal nicht die Naivität der Menschen. Gerade unter den Pädagogen ist ein gewisser Hang zur Esoterik durchaus verstärkt zu beobachten. Beim Sonderschullehramt und Primarlehramt tendenziell mehr als beim Gymnasiallehramt. Meist handelt es sich allerdings um vergleichsweise harmlose Wahnvorstellungen: Steine die beim Auflegen heilen, Engel die über einen wachen, Astralreisen, Aurenanalyse usw. Kurzum das ganze Programm von AstroTV eben.
    Je naiver der Mensch, desto eher besteht auch eine Empfänglichkeit für anthroposophische Thesen.

  • Gerade unter den Pädagogen ist ein gewisser Hang zur Esoterik durchaus verstärkt zu beobachten. Beim Sonderschullehramt und Primarlehramt tendenziell mehr als beim Gymnasiallehramt.

    Kühne These, der zweite Satz, für die ich dir jegliche Kompetenz abspreche. Außer "verstärkt zu beoachten" gibt deine eigenen Beobachtungen weiter, aber die können eigentlich nicht interessant sein. Insofern bedienst du einfach ein Vorurteil. Ob es stimmt oder nicht, ist irrelevant, man muss etwas Wahres schon auch aus den richtigen Gründen für wahr halten. Selbst habe ich keine Daten dazu.


    Für den ersten Satz gibt es allerdings mindestens eine Studie (was ein Indiz ist), die das bestätigt.


    (Nachträglich, um Missverständnissen vorzubeugen: ich habe ja auch meine eigenen kleinen Vorurteile gegenüber allem möglichen, auch Sonderschullehrern und Grundschullehrern. Der größere Hang zur Esoterik ist aber keines davon.)

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

    Einmal editiert, zuletzt von Herr Rau ()

  • Für den ersten Satz gibt es allerdings mindestens eine Studie (was ein Indiz ist), die das bestätigt.

    Vielleicht sollte man mal eine Studie durchführen, welche die Verbreitung esoterischer Vorstellungen bei verschiedenen Berufen abklopft? Du hast natürlich recht, bislang kann ich nur von Beobachtungen sprechen. Das sind allerdings einige, wenn auch teilweise aus 2ter Hand.


    Natürlich sind es oftmals Klischees. Das heißt ja noch lange nicht, dass es nicht trotzdem der Wahrheit entsprechen kann. Es ist ja auch ein Klischee, dass im Beruf der Heilpraktiker mehr Esoteriker unterwegs sind als unter den Maschinenbauern. Stimmt, ohne eine Studie dazu gesehen zu haben (!), trotzdem (vermutlich) ;)


    Klar sind das kühne Thesen, das ist mein Hobby ;)
    Ich stelle sogar die kühne These auf, dass Esoteriker tendenziell eher weiblich sind. Wenn das nachweisbar wäre, dann wäre allein durch das Geschlechterverhältnis der unterschiedlichen Lehramtsstudiengänge meine kühne 2. These unterstützt.


    Nachtrag:


    http://www.vistano-portal.com/…ik_setzen_als_manner.html


    "[...] Frauen glauben eher an Esoterik als Männer und das hat mit Vernunft oder
    Beeinflussung gar nichts zu tun. Es handelt sich auch auf keinen Fall
    um ein Vorurteil und es ist auch keine unbewiesene Vermutung, sondern
    das Ergebnis von diversen Untersuchungen und Studien, die zu diesem
    Thema bereits gemacht wurden. [...]


    Ist so ohne, dass die genannten Studien nicht zitiert werden, natürlich keine verlässliche Quelle. Aber wenn ich mal Zeit habe, mache ich mich auf die Suche. Dass es an den Primarschulen anteilig deutlich mehr weibliche Lehrkräfte gibt, als am Gymnasium muss nicht noch belegt werden oder?

    2 Mal editiert, zuletzt von Silicium ()

  • Zitat

    Unterschätz mal nicht die Naivität der Menschen. Gerade unter den Pädagogen ist ein gewisser Hang zur Esoterik durchaus verstärkt zu beobachten.


    Das hat aus meiner Sicht mit dem heutigen Stellenwert naturwissenschaftlicher Bildung in unserer Gesellschaft zu tun.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Das hat aus meiner Sicht mit dem heutigen Stellenwert naturwissenschaftlicher Bildung in unserer Gesellschaft zu tun.

    Der Stellenwert der Naturwissenschaft ist in Deutschland im Vergleich zu England oder den Vereinigten Staaten anscheinend besonders problematisch. So erzählte uns ein Pädagogik-Dozent von Forschungen dazu:


    Während es in Deutschland vollkommen in Ordnung ist in Physik, Mathe oder Chemie Defizite zu haben, man damit sogar kokettieren kann und schnell jemanden findet, der auch lachend sagt, dass er davon nichts versteht (Gemeinschaftsgefühl), so gilt es in besagten Ländern als extrem peinlich elementare naturwissenschaftliche Dinge nicht zu wissen.
    Dieses Schamgefühl gibt es in Deutschland hingegen (und das im stärkeren Ausmaß als bei den anderen Ländern) beim geschichtlichen und politischen Wissen.


    Also es scheint Studien zu geben, die belegen, dass naturwissenschaftliche Bildung (und das im Land der Ingenieure o.O) für nicht so wichtig genommen wird.

    • Offizieller Beitrag

    Nele: Muss ich nicht lesen, d ich selber mal in den "Genuss" einer Waldorflehrerausbildung gekommen bin (ok, nicht ganz, aber zumindest teilweise). Und es ist durchaus möglich, Waldorflehrer zu sein, ohne Steiner anzubeten. Ich habe auch keine Gehirnwäsche o.ä. erlebt. Mir war es dennoch zu viel Ideologie. Zudem wird man als Lehrer dort extrem gefordert. Auch ist die Bezahlung nicht so dolle.
    Trotzdem muss ich sagen, dass es in der Waldorfpädagogik einiges gibt, wa sich besser oder zumindest als gute Alternative ansehe.
    Ich frage mich, ob alle, die hier so vehement gegen die Waldorfschule wettern eigene Erfahrungen irgendeiner Art mit dem System gemacht haben.
    Es ist ja wohl auch so, dass
    Erkenntnisse, die heute als wissenschaftlich fundiert gelten, morgen überholt sein können. Wer sagt denn, dass alles so zementiert ist, wie wir es heute (wissenschaftlich bestätigt) glauben?
    Wissenschaft ersetzt doch in vielen Teilen die Religion. Deswegen muss ich nicht an esoterische Geistwesen glauben, aber dennoch kann ich akzeptieren, wenn andere es tun.


    Ach ja, und an meiner staatlichen Schule bringt man den Kindern bei, an einen Mann zu glauben, der an einem Kreuz hängt. Wir müssen kollektiv die Messe besuchen. Dort wird der Leib Christi gegessen und sein Blut getrunken...

  • Wegen der Länge meiner Antwort folgen zwei Teile:


    Teil 1


    Nele: Muss ich nicht lesen, d ich selber mal in den "Genuss" einer Waldorflehrerausbildung gekommen bin (ok, nicht ganz, aber zumindest teilweise). Und es ist durchaus möglich, Waldorflehrer zu sein, ohne Steiner anzubeten. Ich habe auch keine Gehirnwäsche o.ä. erlebt. Mir war es dennoch zu viel Ideologie.


    Na, die Ideologie ist eben der Punkt. Die Walddorfpädagogik beruht nicht auf rationalen Erkenntnissen (dazu unten sehr, sehr viel mehr!) sondern auf bloßen Erfindungen. Und wenn die Ideologie erst dann erträglich wird, wenn man sie weitgehend zurückstellt, dann frage ich mich doch, wozu man sie man überhaupt braucht. Dazu stammt diese Ideologie aus der Feder eines offenbar Wahnsinnigen. Schon die Ideen selbst sprechen mehr als deutlich für seine Unzurechnungsfähigkeit. Und dann die rein quantitative Masse: 370 Bände hat der Mensch verfasst, selbst die "Schreibmaschine" Freud hat nur 19 geschafft, Marx und Engels auch nicht ansatzweise so viele und die waren zu zweit. Steiner war ein manisch Getriebener - auf dessen Ideen kann man doch kein Schulsystem aufbauen! Der hatte schon körperlich nicht die Zeit, seine Ideen in Ruhe und differenziert zu durchdenken.


    Natürlich gibt es Waldorfschulen, an denen gute Arbeit geleistet wird. Nur inwieweit ist das auf Steiner zurückzuführen oder nicht vielmehr die Übernahmer ganz allgemein neuerer Vorstellungen von Pädagogik und Didaktik? Warum sollte es dann für den Steinerschen Anteil an der Waldorf-Pädagogik sprechen? Wie schon bemerkt worden ist - an einer Schule, die ihre Schülerschaft ganz elitär überwiegend aus den Häusern solventer und bildungsnaher Elternhäuser rekrutiert und die mit ca. 1,8% von "Zuwandererkindern" nicht sonderlich heterogen ist, läßt sich natürlich leicht arbeiten.


    Sinnvoll wäre sicherlich, diese Frage einer kritischen Prüfung zu unterwerfen. Anthroposophen sind da wenig hilfreich. Bei ihrer kreativen Auslegung der steinerschen Schriften entdecken sie die abenteuerlichsten Erkenntnisse ihres Heroen avant la lettre, z.B. vor einiger Zeit erst die, dass der Nichtmathematiker, die Schrödinger-Gleichung erfunden habe.


    Wenn dabei herauskäme - und ich habe über das Ergebnis einen stillen Verdacht - dass der Beitrag der Anthroposophie, also dessen, was die Waldorfschulen zu Waldorfschulen macht, am Gelingen der Schule eher vernachlässigbar ist, warum sollte man diese Schulform eigentlich dann noch aufrecht erhalten, geschweige denn mit einem solchen Gewese umwerben, wie es geschieht.


    Zitat

    Ich frage mich, ob alle, die hier so vehement gegen die Waldorfschule wettern eigene Erfahrungen irgendeiner Art mit dem System gemacht haben.


    Ich muss selber auch kein Evangelikaler gewesen sein, um rational zu dem Schluss zu kommen, dass Fundamentalismus vehement abzulehnen ist. Wenn ich aus eigener Anschauung feststelle, dass das der Waldorfpädagogik zugrunde liegende mythologische System zutiefst abstoßend ist in seinem Fundamentalismus, seiner Irrationalität und seinen schweren ethischen Defiziten, und gleichzeitig Zeugen dafür höre, dass die steinersche Pädagogik, wenn sie nur konsequent genug umgesetzt wird, zu einer Schulform führt, die mit einem pluralistischen, demokratischen Wertesystem unvereinbare Züge annimmt und bei Kindern und Jugendlichen Schaden anrichtet, dann sehe ich mich auch in der Pflicht, mich dagegen auszusprechen - und das in deutlichen Worten!

  • Teil 2


    Zitat

    Es ist ja wohl auch so, dass Erkenntnisse, die heute als wissenschaftlich fundiert gelten, morgen überholt sein können. Wer sagt denn, dass alles so zementiert ist, wie wir es heute (wissenschaftlich bestätigt) glauben? Wissenschaft ersetzt doch in vielen Teilen die Religion. Deswegen muss ich nicht an esoterische Geistwesen glauben, aber dennoch kann ich akzeptieren, wenn andere es tun.


    Das hier beruht auf einem fundamentalen Missverständnis, was Wissenschaft ist und wie der wissenschaftliche Erkenntnisprozess funktioniert. Dieses Argument ist - ohne dir jetzt persönlich nahetreten zu wollen - das Standardargument, das Vertreter von Esoterik- oder anderen Glaubensformationen vorbringen, um die erkenntnistheoretische Gleichwertigkeit ihres Denkens zu begründen. Das ist aber nicht so und das hängt mit dem zusammen, was in einigen Beiträgen schon bei dem Problem (natur)wissenschaftlicher Bildung angeklungen ist, deswegen möchte ich darauf ausführlicher antworten:


    Wissenschaft ist KEIN apodiktisch vorgetragener Kanon von als "wahr" akzeptierten Sentenzen über die Wirklichkeit ("Fakten"). Stattdessen ist Wissenschaft ein kontinuierlicher Prozess, in dem aufgrund von Beobachtung der Wirklichkeit in Verknüpfung mit bisher gewonnen Vorstellungen aus der Wirklichkeit bzw. mit bislang gewonnenen Erkenntnissen über die Wirklichkeit neue Erkenntnisse und modellhafte Vorstellungen entwickelt werden.


    Diese Erkenntnisse und Vorstellung werden daraufhin von der wissenschaftlichen Gemeinde kritisch und offen auf ihre Belastbarkeit überprüft. Und kritisch ist wirklich als kritisch zu verstehen: Wissenschaftler sind unglaublich scharf darauf, bestehende Vorstellungen zu falsifizieren und Theorien zu widerlegen. Einen großen Namen umzuschubsen und eine fundamental neue Theorie aufzustellen, ist das stille Traumziel jedes jungen Wissenschaftlers, das aber realiter fast nie erreicht wird. Wenn solche Versuche misslingen und die gewonnenen Erkenntnisse und Vorstellungen verlässlich, schlüssig und auch im Detail tragfähig und empirisch überprüfbar zu Vorhersagen über die Wirklichkeit führen bzw. Neubeobachtungen erklären, dann - und erst dann! - erhalten sie den Status einer wissenschaftlichen Theorie. Das ist der höchste Grad an Verbindlichkeit, den es in der Wissenschaft gibt, weil Wissenschaft qua definitionem nicht zu "abschließenden" Erkenntnissen führen.


    Dass, was du der Wissenschaft als Mangel an Verbindlichkeit vorwirfst, ist letztlich ihre große Stärke. Wenn sich nach erbitterten (was von außen als Dogmatik missverstanden wird) Auseinandersetzungen in der scientific community Theoriegebäude oder Erkenntnisse als verlässlich falsch erkannt werden, dann werden sie über Bord geworfen. Natürlich mag es dann noch Randgruppen und einzelne Gelehrte geben, die aus welchen Motiven auch immer, widerlegte Theorien nicht aufgeben wollen; das ist aber kein Defizit der wissenschaftlichen Methode als solcher, denn was zählt ist letztlich der Konsens der wissenschaftlichen Gemeinde, und der führt seid dem Beginn der Wissenschaft verlässlich und beobachtbar zu immer größerem Wissen über die Wirklichkeit.


    Übrigens ist der gerade naturwissenschaftliche Erkenntnisprozess bei weitem nicht so ein "Hü und Hott", wie du hier darstellst. Darwins Evolutionstheorie wurde erweitert aber funktioniert prinzipiell immer noch. Newtons Gravitationsgesetze wurden erweitert, funktionieren aber im Prinzip immer noch. Ohne Einstein würde GPS-Ortung nicht verlässlich funktionieren. Es gibt rasante Fortschritte im Detail - darüber kann man sich in Wissenschaftsblogs http://www.sciencenews.org oder scienceblogs.com gut informieren. Grundsätzliche Neubetrachtungen sind aber höchst selten und äußerst dramatisch - deswegen blickt die Wissenschaftswelt ja gerade höchst aufgeregt auf die Forschungen am LHC; weil zumindest im vage im Raum steht, dass Teile der Relativitätstheorie falsifiziert werden könnten.


    Die vermeintlichen Erkenntnisse von Glaubenssystemen, wie Religionen, esoterischen Richtungen, Verschwörungstheorien, Pseudowissenschaften und Pseudomedizin und der Waldorf-Pädagogik, um die es hier geht, werden auf einem ganz anderen Weg erreicht. Sie sind Narrativen - reine, erfundene Erzählungen. Steiner hat z.b. die "Siebenjahres-Epochen" oder die Atlantis-Geschichte nicht beobachtet oder empirisch festgestellt, sondern schlicht und ergreifend postuliert. Für die Beschreibung der Wirklichkeit ist Erfundenes im besten Falle untauglich, im Normalfall steht es im Weg des Erkenntnisprozesses. Und nein, ein reifes Alter verschafft Erfindungen keine besondere Dignität und Autorität, sie sind immer noch bloße Geschichten, egal ob es sich um eine 3000 Jahre alte chinesische Lehre vom Chi handelt oder die 50 Jahre alten Erfindungen des Science-Fiction-Autors Ron L. Hubbard.


    Schlimmer noch ist der Umgang in esoterischen Kreisen mit solchen Erfindungen, und das kann man an den Texten der anthroposophischen Gemeinde sehr gut beobachten. Es gibt bei ihnen prinzipiell nicht das Recht, Steiners Ideen zu verwerfen, das wäre Frevel an seiner prophetischen Genialität. Die Diskussion, die es gibt, ist die, wie Steiners Ideen auf exegetischem Wege auf die Wirklichkeit zu projizieren sind, wobei im Konfliktfall die Wirklichkeit uminterpretiert wird. Sektiererische Fanatiker oder Zweifler werden im Streitfall in einem Schisma abgespalten (so wie die eine Schule, die sich nicht mehr "Waldorfschule" nennen darf) oder ihnen wird fehlende Inspiration bzw. geistige Reife unterstellt. Zu einer wirklichen Modifikation oder kritischen Überprüfung vorhandener Dogmen kommt es nicht, weil es nicht dazu kommen darf.


    Das ist die Umkehrung von Rationalität - das sind religiöse Diskurse, auch wenn sich die Anthroposophie nicht so nennt. Warum es diese vermeintlichen Wege zu Erkenntnissen gibt, ist für mich anthropologisch erklärbar. Endgültige Wahrheiten geben dem Menschen, der sich in einer feindlichen und unverständlichen Natur findet, eine Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, die ihm Sicherheit verschafft. Eine prinzipielle Unwägbarkeit der Existenz ist für uns schwierig zu ertragen, deswegen bedarf es einer bewussten Anstrengung die Schau der Wirklichkeit über die Versuchung der endgültigen Gewissheit zu erweitern. Weil der Mensch das erzählende Wesen ist, hat er den unstillbaren Drang, seine Umwelt in eine Erzählung, eine Mythologie zu hüllen und sie damit endgültig verlässlich und verständlich zu machen. Das ist ebenso die Quelle vorempirischer Philosophie wie von Religionen oder moderner Esoterik.


    Zitat

    Ach ja, und an meiner staatlichen Schule bringt man den Kindern bei, an einen Mann zu glauben, der an einem Kreuz hängt. Wir müssen kollektiv die Messe besuchen. Dort wird der Leib Christi gegessen und sein Blut getrunken...


    Ich glaube, ich bin einer der letzten, denen du diesen sich aufdrängenden Vergleich als Argument für die Erträglichkeit der Anthroposophie entgegenhalten kannst. Ich habe die traditionellen Glaubensformen aus meinen Ausführungen bewußt herausgelassen, weil ich keine prinzipielle Religionsdiskussion anstoßen wollte. Dass ich natürlich dezidiert dafür eintrete, dass der kirchlich Religionsunterricht ebenso wie religiöse Riten aus staatlichen Schulen verschwindet, steht auf einem ganz anderen Blatt und gehört hier auch nicht hin. Dem Versuch, mich zu einer Teilnahme an einem Ritus zu nötigen, würde zu genauso vehementen Aufruhr führen.


    Nele

    3 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Ist Esoterik (Anthroposophie ist aber keine Esoterik) per se etwas Schlechtes ? 8)


    Ja.


    Und erkläre bitte - zur Abwechslung ohne Gemunkel und konkret - inwieweit die Anthroposophie mit ihrem Atlantisglauben, ihren Geisteswesen und den Planetenbewohnern keine Esoterik ist.


    Nele

  • Erkenntnisse, die heute als wissenschaftlich fundiert gelten, morgen überholt sein können. Wer sagt denn, dass alles so zementiert ist, wie wir es heute (wissenschaftlich bestätigt) glauben?


    Wissenschaft ersetzt doch in vielen Teilen die Religion. Deswegen muss ich nicht an esoterische Geistwesen glauben, aber dennoch kann ich akzeptieren, wenn andere es tun.

    Den hervorragenden Erläuterungen von Neleabels ist kaum etwas hinzuzufügen.
    Nur mal etwas zur Akzeptanz des Glaubens an Geistwesen. Akzeptanz auf den Plan zu rufen ist eigentlich immer etwas, wo man schwierig dagegen argumentieren kann, ist man doch sofort jemand, der nicht tolerant ist.
    Dies ist für mich eine schwierige Sache. Solange dieser Glaube für sich behalten wird und nicht an Schüler weitergegeben wird, keinen Einfluss auf die Bildung der Schüler hat, könnte man es imho vielleicht wirklich akzeptieren. Sobald die Allgemeinheit allerdings damit beeinträchtigt wird, finde ich Akzeptanz falsch!
    Nun müsste man schauen, wie so eine Beeinträchtigung aussehen müsste.
    Es ist mir als Lehrer schließlich auch nicht erlaubt absichtlich sachlich falsche Dinge zu lehren. Wenn ich den Schülern erkläre, dass sich Licht als elektromagnetische Welle im Medium Äther ausbreitet, ohne Hinweis, dass diese Theorie falsch ist, dann mache ich mich aus meiner Sicht strafbar, weil ich den Schülern falsches Wissen vermittel. Der Hinweis, dass es solche falschen Theorien mal gab ist hingegen durchaus interessant, weil es zeigt, wie Wissenschaft voranschreitet.
    Der Psychologe würde beim Glauben an esoterische Geistwesen sogar von Wahn sprechen. Der natürlich erst dann zu therapieren ist, wenn die Person selber darunter leidet oder es zu massiven Einschränkungen bei der Bewältigung des Alltags führt oder dritte gefährdet sind.


    Ach ja, und an meiner staatlichen Schule bringt man den Kindern bei, an einen Mann zu glauben, der an einem Kreuz hängt. Wir müssen kollektiv die Messe besuchen. Dort wird der Leib Christi gegessen und sein Blut getrunken...

    Auch hier haben wir Wahnvorstellungen, die eigentlich keinen Platz an einer allgemeinbildenden Schule haben sollten.


    Zumindest insofern nicht, als, dass der Hinweis wie


    "Früher glaubten die Menschen an einen Gott und den Himmel, weil sie vieles nicht erklären konnten. Heute wissen sie, dass die These der Existenz Gottes abzulehnen ist, weil es keinen einzigen Hinweis dafür gibt."


    regelmässig ausgespart wird.


    Ein allgemeiner Ethikunterricht mit einer Einheit "Christentum", bei dem sich wissenschaftlich mit der Historie und den Einflüssen des Christentums auf unsere Gesellschaft auseinandergesetzt wird und klar gemacht wird, dass es natürlich Humbug war, der aber viel Einfluss auf die Menschheitsgeschichte hatte, ist viel angemessener. Vieles Sinnvolles was der Religionsunterricht leistet (Diskutieren über Moral usw.) und was auch an Werten in der Bibel steht, kann prima auch ohne den Deckmantel einer esoterischen, falschen Weltanschauung gelehrt werden.


    Es kann nicht sein, dass wir in einer modernen Welt, wo wir Schüler in ihrem Verstand so schärfen wollen, dass sie später in der Lage sind in ihrem Denken auch den harten Kriterien der naturwissenschaftlichen Forschung entsprechen zu können um die Menschheit mit neuen Erkenntnissen weiter voran zu bringen, so einen Unfug im Unterricht zulassen. Ob man dabei den Glauben an einen Gott, das unsichtbare rosafarbenes Einhorn, das Vergraben von Kuhhörnern bei Vollmond auf dem Acker oder die Homöopathie propagiert oder auch nur als zu akzeptieren hinstellt ist dabei egal. An einer Schule hat all dies imho nichts zu suchen.

    • Offizieller Beitrag

    Es bleibt für mich dabei: die Wissenschaftsgläubigkeit heutiger Zeit ersetzt die Religion, was keinen Deut besser ist.


    Ich hab ansonsten momentan leider keine Zeit für die ausführliche Diskussion zu diesem Thema. So wichtig ist es mir dann auch wieder nicht. Meine Einstellung ist am ehesten, dass doch jeder das glauben soll, was er will. Und da der Besuch der Waldorfschule freiwillig ist, sehe ich kein Problem. Eher noch im Religionsunterricht, der ja sozusagen flächendeckend abgehalten wird.
    Ich denke auch absolut nicht, dass diese Diskussion irgendetwas bringt, da ich hier sehr einzementierte Ansichten lese.


    Wollte übrigens niemanden etwas bestimmtes entgegenschleudern, Nele. Ich weiß, was du vom Religionsunterricht hältst. Es ist vielmehr so, dass dieser aber in weiten Kreisen akzeptiert wird, und zwar von den gleichen Leuten, die dann auf die Esoteriker wettern.

  • Es bleibt für mich dabei: die Wissenschaftsgläubigkeit heutiger Zeit ersetzt die Religion, was keinen Deut besser ist.

    Heutige Zeit heißt: seit der Aufklärung? Und nein, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wissenschaft fragt, was wahr ist. Woher weiß man, ob etwas wahr ist? Zugegebenermaßen letztlich immer nur durch das, was andere sagen: ich war noch nie Afrika, verlasse mich bei dessen Existrenz aber auf die Aussagen anderer. Davon abgesehen: woher weiß man, was wahr ist? Seit der Aufklärung, eigentlich schon früher, seit es wissenschaftliche Methode gibt, löst man das nicht durch Introspektion, nicht durch Gefühl, nicht durch Überlieferung und Autoritäten. Das alles aus guten Gründen. Sondern durch Theorien, Überprüfung durch Experimente, Überprüfung an der Realität, Überprüfung durch Öffentlichkeit und Peers. Und eben nicht durch: Ich habe das mal gehört oder gesehen. Auch selber mal gesehen haben reicht nicht. Das ist keine Glaubenssache. So funktioniert die Suche nach dem, was wahr ist. Bessere Möglichkeiten sind noch keine gefunden worden.


    Das richtige Gegenargument muss lauten: mich interessiert nicht, was wahr ist, sondern was dazu führt, dass ich mich gut fühle. Das ist erst mal ein passables Argument. Ich glaube aber nicht, dass es mittel- und langfristig zum Wohlfühlen der größen Zahl beiträgt, wenn man die Wahrheit so wenig achtet, aber darüber könnte man streiten. Unserer geschmähten heutigen Zeit geht es bei all ihren Problemen so gut wie keiner zuvor. Das macht das Streben nach Wahrheit der letzten Jahrhunderte.


    Leseempfehlung: G.C.Lichtenberg, "Über Gewitterfurcht und Blitzableitung" (Link, .odt ).


    Heute mit Kollegin unterhalten, die an Lichtnahrung glaubt.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

  • Zitat Nele :

    Zitat

    Die Walddorfpädagogik beruht nicht auf rationalen Erkenntnissen

    Was ja nicht so ganz stimmt, geehrte Nele !
    Rudolf Steiner war überhaupt nicht gegen die Wissenschaften oder gegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse eingestellt. So war er einer mit der ersten, der die Kontinentalverschiebungstheorie von Alfred Wegener befürwortet hat, während andere Wissenschaftler seine Theorie noch für zu abstrus hielten.


    Rudolf Steiner hat durchaus die Verdienste (rationaler) Wissenschaften anerkannt, jedoch hat er in seinen Vorträgen deutlich herausgestellt, dass die Wissenschaften nur das Äußere der Dinge erforschen und erklären können, aber nicht das, was sich hinter diesen Dingen verbirgt, bzw. welche geistigen Wesenheiten mit ihrem Wirken dahinterstehen. Die etabilerte Wissenschaft wird auch z.B. nie klären können, was die Welt im innersten zusammenhält.


    Ich denke, die Anthrosophie bietet uns ein (!) Erkenntnisweg. Freilich ist der Erkenntnisweg ein anderer als in den rationalen Wissenschaften. Aber beides, Anthroposophie und ratioanle Wissenschaft, müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Anthroposophie empfinde ich als ein weiteres Instrumentarium, um zu Erkenntnissen zu gelangen.


    Eine gelungene Synthese ist z.B. in der Anthroposohischen Medizin gelungen. So gehen wissenschaftliche (Schulmedizin) Erkenntnisse und Anthroposophie erfolgreich Hand in Hand. Wer eine Anthroposophische Klinik schon mal besucht hat, weiß, wovon ich spreche.


    Natürlich fällt Nichtanthroposophen der Zugang zur Anthroposophie sehr schwer. Und natürlich klingt auch Steiners Sprache manchmal merkwürdig und verschwurbelt. Aber Steiner war (auch sprachlich) ein Kind seiner Zeit.


    Aber die jahrzehntelange Arbeit und Verdienste der Anthroposophen als Sektiererei, Esoterik und Hokuspokus abzutun erscheint mir als zu vermessen und zu rationalismusgläubig.


    Im Gegensatz zu den Sekten drängen sich die Anthroposophen nicht auf und lassen jeden in Ruhe, der den Erkenntnisweg der Anthroposophie nicht oder auch nicht mehr gehen möchte.


    Bei den Anthroposophen und Waldorflehrern, die ich persönlich kenne, herrscht auch kein verbiesterter Dogmatismus. Den nehme ich aber hier bei einigen Mitgliedern im Forum wahr.8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    • Offizieller Beitrag
    Zitat


    Ach ja, und an meiner staatlichen Schule bringt man den Kindern bei, an einen Mann zu glauben, der an einem Kreuz hängt. Wir müssen kollektiv die Messe besuchen. Dort wird der Leib Christi gegessen und sein Blut getrunken...


    Abgesehen davon, dass ich, obwohl selber Reli-Lehrer, es am liebsten sehen würde, dass Konfessioelle Religion als Schulfach verschwindet, ist IMHO nicht das Problem, was die Waldorfschulen beibringen, sondern warum.


    Die Waldorfschule basiert auf Erkenntnissen, die auf esoterischem, nichts nachvollziehbaren Wegen erzeugt wurden. Daraus haben sie ihre Pädagogik gezogen und behaupten Aufgrund dieser Erkenntnis (teilweise, nicht alle), dass man in der ersten Phase weder schreiben noch lesen soll.m


    Das ist grenzwertig.


    kleiner gruener Frosch

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