Inklusion : Ich kann es nicht !

  • Einen wunderschönen guten Tag !
    Morgen Vormittag werde ich zum Zahnarzt gehen und mir einige (faule) Zähne ziehen lassen. Da mein Zeitfenster nicht so groß ist, hat sich einer meiner überlegt, ob mein Zahnarzt auch nicht gleich meinen Blinddarm herausoperieren könnte. Ach ja, Herzstechen habe ich ja auch noch in der Brust, das könnte er auch noch mitbehandeln. Und dann könnte er mich eigentlich auch noch psychiatrisch behandeln (Im Zahnarztstuhl habe ich bereits die richtige Position eingenommen). Ihr wisst ja, der jahrzehntelange Nervenkrieg in der Schulstube hinterlässt auch Spuren in der Psyche !


    Nun werden einige von Euch jetzt denken, dass es im Zeitalter der hochspezialisierten Berufe nur absoluter Nonsens sein kann, was ich im ersten Abschnitt beschrieben habe.
    Es ist auch absoluter Nonsens, aber leider nicht für den Lehrerberuf, worin auch eine gewisse Tragik in unserem Berufsstand liegt.


    Inklusion heißt das moralingeschwängerte Zauberwort ! Moralingeschwängert deswegen, weil allein schon der Begriff mit erhobenem Zeigefinger bewusst auf eine moralische Verpflichtung hinweist und damit schon Kritiker im Vorfeld verstummen lässt. Wer möchte sich denn auch damit outen, dass er nicht auf der "richtigen" Seite der Moral liegt ?
    Und natürlich ist es leichter und zunächst bequemer, erstmal dazu mit bravem japanischem Kopfnicken Ja und Amen zu sagen.


    Nun ist es auch bei uns bald soweit, dass die Inklusion Realität wird. Und leider bemerke ich auch bei uns im Vorfeld, wenn man sich mit der Bezirksregierung und Schulträger auseinandersetzt, dass die Kritiker nicht gerne gehört werden, bzw. letzte immer mehr verstummen. Es schlägt die Stunde der Gutmenschen und selbsternannten Weltenheiler, die aber das Ganze freilich nur aus der Schreibtischperpektive betrachten !


    So wie einer meiner macht sich natürlich Gedanken darüber, ob wir als konventionelle Lehrer Inklusion überhaupt leisten können. Ich ahne schon jetzt, dass ich da mit meiner Gymnasialausbildung und Realschulerfahrung nicht viel für eine effektive Inklusion werde leisten können. Und ich gebe auch zu, dass es nicht mein berufliches Ziel war, die Förderschüler unterrichten zu müssen.


    Apropos Studium für Förderschullehrer : Ich denke, ein ernstzunehmendes und spezielles (!) pädagogisches Studium, das bis zum ersten Staatsexamen so ca. 4 Jahre dauert und wahrscheinlich ist die Tätigkeit als Förderschullehrer auch nicht jedermanns Sache. Ich behaupte mal, dass die Förderschullehrer mit Abstand den schwierigsten und anstrengendsten Lehrerjob haben und deswegen auch dafür speziell ausgebildet wurden. Von daher bin ich skeptisch, dass wir Sek1/Sek2-Lehrer es wirklich können werden.


    Jetzt kann ich mir einige erboste Stimmen in diesem Forum vorstellen, die in etwa so lauten "Es ist unsere selbstverständliche moralische Verpflichtung ehemalige Förderschüler zu integrieren, schließlich werden ja dafür Ressourcen und Weiterbildung gestellt !".


    Zu den Ressourcen : Bei uns an der Realschule würde es dann konkret so aussehen, dass eine Integrationsklasse aus 25 Schülern bestehen würde, incl. 8 Integrationsschüler. Förderschullehrer ständen für die Hälfte der Stundenzahl der Integrationsklasse zur Verfügung.-Ich musste da erstmal sehr tief durchatmen, wegen der anberaumten Klassenstärke sowie über die Tatsache, dass Förderschullehrer nicht für die volle Stundenzahl als Hilfe zur Verfügung stehen.


    Böse ist, wer dabei denkt, dass zunächst mal die Hauptfächer mit Förderschullehrern versorgt werden. Der geehrte Elternschreck mit seinen "nur" Nebenfächern würde da wahrscheinlich allein im Regen stehen. Naja, und sowieso das Fach Musik mit ein bisschen Trallala wirkt ja schon per se integrativ. Der erfahrene und drahtige Schulstubenmeister Elternschreck kommt da schon irgendwie alleine klar. Er hat ja auch sonst immer eine große Klappe.-Naja, und in der Praxis haben wir dann nachher doch öfter mal die Ausnahmen, dass z.B. eine Integrationsklasse aus 28 Schülern besteht oder die Förderschullehrer krank sind und zufälligerweise dann auch ihre Vertretungen...


    Zur Weiterbildung : Durch ein paar wenige Stunden Hospitation einer Inklusionsklasse an unserer benachbarten Hauptschule werden wir zu Inklusionsexperten gemacht. Dass die dortige Klasse nur aus 16 Schülern besteht und die betreffenden Hauptschullehrer ausgebildete Förderschullehrer sind, bräuchte man eigentlich gar nicht erwähnen. Unser Realschulkollegium wird das dann schon richten, wenn es so weit ist. Pädagogikstudium ist ja schließlich Pädagogikstudium !


    Aber natürlich kann man sich im Bereich der Förderschulpädagogik ja einarbeiten und weiterbilden. Es ist ja unsere Pflicht, uns ein Leben lang weiterzubilden ! Aber wann, wenn wir trotzdem unsere 28 Wochenstunden wie eh und jeh ableisten müssen ? Es ist zeit- und kräftemäßig einfach nicht zu schaffen. Von daher hat sich eine Weiterbildung eh schon erledigt.


    Wenn ich mir das Ganze vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse, so komme ich zu dem Schluss und oute mich hier im Forum : Inklusion, ich kann es nicht !


    Ich bin der Meinung, dass Lehrer sich im Sinne der eigenen Gesundheit und Wohlbefinden öfter trauen sollten, zuzugeben, dass sie manches einfach nicht können, was ihnen zugemutet wird.


    Damit wir uns richtig verstehen : Ich bin nicht generell gegen eine Inklusion, aber ich habe etwas dagegen, wenn plötzlich mit heißer Nadel und fehlenden Resourcen etwas initiert wird, was schon im Vorfeld nicht richtig durchdacht ist. Ist die Karre erstmal angeworfen, interessiert es später niemanden mehr, ob wir für die Inklusion angemessen vorbereitet und ausgestattet sind. Die verantwortlichen Initiatoren haben sich dann vom Acker gemacht und wir Lehrer stehen dann mit den Problemen alleine da.
    -Wie immer ! 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

    2 Mal editiert, zuletzt von Elternschreck ()

  • Stimme dir völlig zu, hatte übrigens neulich ein ähnliches Gedankenspiel (Stichwort: Zahnarzt). Wie komisch, dass Lehrer immer alles können sollen, niemand aber eben je auch die Idee käme, sich beim Zahnarzt ein Muttermal entfernen zu lassen.

  • Stimme dir völlig zu, hatte übrigens neulich ein ähnliches Gedankenspiel (Stichwort: Zahnarzt). Wie komisch, dass Lehrer immer alles können sollen, niemand aber eben je auch die Idee käme, sich beim Zahnarzt ein Muttermal entfernen zu lassen.

    Zitat

    Es
    ist auch absoluter Nonsens, aber leider nicht für den Lehrerberuf,
    worin auch eine gewisse Tragik in unserem Berufsstand liegt.


    Ja, das ist ein großes Problem, das momentan sehr um sich greift. Auch die Ärzte in meiner Familie fluchen z.B. über Verwaltungsaufwand, für den eigentlich Verwaltungsfachpersonal angeschafft werden müsste, was natürlich in Kliniken gespart wird und so am Arzt hängen bleibt.
    Im Gegensatz zu den Ärzten, die durchaus gerne mal zumindest einen Teil der unliebsamen Arbeiten (pflegerischer Natur, Telefonate führen, Kopien erstellen) weiterdelegieren können (Stichwort Krankenschwester usw.), ist der Lehrer komplett auf sich allein gestellt und kann nicht mal eben die Sekretärin zum Kopieren einspannen.


    Dazu kommt aber noch ganz etwas anderes, an einem gewissen Teil der vielfältigen Zusatzaufgaben nebenher hat "die Lehrerschaft" nämlich auch selber schuld. Man kann es ja auch im Forum hier zum Teil lesen und in den Kollegien beobachten:


    Es werden sehr oft von Lehrern Aufgaben, für die eigentlich die Eltern, Psychologen, Ärzte, eine Sekretärin oder Sozialarbeiter zuständig wären, wie selbstverständlich übernommen und dann mitunter gar Kollegen, die sich auf nur das beschränken möchten, wozu sie wirklich offiziell verpflichtet sind, um eben zu vermeiden, dass der Verantwortungsbereich der Lehrer immer weiter ausgedehnt wird (weil viele Lehrer übernehmen diese Aufgaben ja eh freiwillig schon, warum es nicht auch noch offiziell festschreiben denken sich die Verantwortlichen) schief angeschaut.
    Wenn Lehrer in einer Sache spitze sind, dann darin sich selber Zusatzaufgaben zu verschaffen. Sei es beschlossen durch eine Fachschaftssitzung um etwas qualitativ zu verbessern, oder aus moralischem Empfinden.
    Dies habe ich so in anderen Berufsgruppen noch nicht beobachtet. Könnte mir aber vorstellen, dass im sozialen Bereich dieses Phänomen durchaus häufiger anzutreffen ist.



    Was mich fragt ist, was wird von mir als Gymnasiallehrer konkret im Rahmen der Inklusion erwartet. Was muss ich konkret leisten und wie wird überprüft, ob ich das überhaupt mache oder ob ich einfach so weitermache wie bisher, weil ich Inklusion nicht kann (oder will).

  • Ich gehe jede Wette ein, Silicium, dass wir das nicht vorher erfahren, sondern dass ich irgendwann unangekündigt ein Kind in meiner Klasse vorfinde und dann eben sehen kann, wie ich damit umgehe. Ich werde vielleicht bald A15 für die Übernahme der Schulzahnarztbesuche übernehmen, vielleicht schult mich das dann auch für die Inklusion... (Achtung: Durch zu viele Abiturkorrekture momentan Ironiegefährdung!)

  • Aber Elternschreck, was können dir denn ein paar Schüler mit SPF?! Da machst du ein bisschen lehrerzentrierten Unterricht und konsequente Disziplinierung, dann wird das schon ... Das hilft doch bei allen Schülern ... dachte ich?

  • Zitat Silicium :

    Zitat

    Wenn Lehrer in einer Sache spitze sind, dann darin sich selber Zusatzaufgaben zu verschaffen.

    Und das mit Begeisterung, geehrter Silicium !
    Was mir bei uns schon tüchtig auf den Senkel ist, ist die Tatsache, dass jetzt schon einige jüngere Kolleginnen lautstark und mit leuchtenden Augen erwartungsfroh den Tag der Inklusion erwarten, wahrscheinlich um bei der Heilung unserer Gesellschaft mit als erste dabei sein zu dürfen. Und dass es ausgerechnet die Kolleginnen sind, die schon in einer "normalen" Klasse Probleme mit der Disziplin und Unterrichtsdurchführung haben, lässt bei mir einige Bedenken hochkommen. Ich finde so eine Haltung schlichtweg naiv, aber Naivität dürfen wir uns in unserem Job nicht erlauben !


    Nun habe ich durch meine Nachbarin, die selbst Förderschullehrerin ist, einiges erfahren, wie und was im Förderschulunterricht alles so läuft. Noch bevor es den Begriff Inklusion gab, hatte ich da zumindest den Eindruck gewonnen, dass wir vom pädagogischen Ansatz her meilenweit entfernt sind. Um Inklusionsschüler adäquat zu beschulen, müssten wir alle nochmal von vorne anfangen und uns einige Jahre nur diesem Studium widmen, wenn man es ernst meinen würde.


    Ich finde auch, dass damit die hervorragende Arbeit der Förderschulen und ihrer Lehrer zu gering geschätzt wird. Ein Gymnasiallehrer z.B. kann Unterricht in Oberstufen -Leistungskurse abhalten, der Förderschullehrer nicht. Umgekehrt läuft der Gymnasiallehrer auf Grundeis, wenn er Förderschulkinder unterrichten muss. 8)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Ich möchte dazu ein etwas anderes Beispiel aus der Praxis anführen.


    An der Schule, an der ich tätig bin, gibt es lern- und auch geistig behinderte Schüler. Pro Klasse sind dies aber maximal zwei. Das Interessante dabei ist, dass in 12 bis 16 Stunden für lernbehinderte Schüler ein Stützlehrer zur Verfügung steht, was aber maximal die Hälfte der Klassenwochenstunden ist. Für geistig behinderte Schüle steht hingegen einedurchgängige Betreuung zur Verfügung.


    Finanziell gesehen ist dies durchaus fragwürdig, vor allem aber erschließt es mir nicht ganz, wo der genaue Sinn darin besteht, dass diese Kinder in eine Regelklasse gehen. Natürlich, Integrationsklassen sind sozial gesehen eine Bereicherung für die Mitschüler, aber die beeinträchtigten Schüler werden nahzu nicht eingebunden und haben oftmals auch keine Lust, sich einzubringen.


    Hier scheint vieles einfach nicht so zu funktionieren, wie es sollte, bzw. könnte man all dies weitaus gewinnbringender gestalten.


    Man sollte sich also immer fragen, was die Ziele sind und wie diese am besten zu erreichen sind, ohne irgendwelche Pseudomaßnahmen aufzuzwingen.

  • Nun habe ich durch meine Nachbarin, die selbst Förderschullehrerin ist, einiges erfahren, wie und was im Förderschulunterricht alles so läuft.


    Aha. Hier wird wieder einmal von dem, was man vom Hörensagen von einer Förderschule (Förderschulform) gehört hat, pauschalisiert, "was im Förderschulunterricht alles so läuft".
    Aber das interessiert mich ernsthaft: Was läuft denn da alles?



    Noch bevor es den Begriff Inklusion gab, hatte ich da zumindest den Eindruck gewonnen, dass wir vom pädagogischen Ansatz her meilenweit entfernt sind.


    Mit Verlaub, aber ich glaube, dass du vom "pädagogischen" Ansatz von den meisten anderen Lehrern relativ weit entfernt bist - sofern du das Programm, das du hier verkündigst, tatsächlich so durchziehst.




    Um Inklusionsschüler adäquat zu beschulen, müssten wir alle nochmal von vorne anfangen und uns einige Jahre nur diesem Studium widmen, wenn man es ernst meinen würde.


    Der Terminus "Inklusionsschüler" ist schon per se ein Widerspruch, weil die meisten Definitionen von Inklusion ja gerade (im Gegensatz zur Integration) von einer Etikettierung oder Besonderung einzelner SuS absehen.


    Was für Schüler (welche/r Förderschwerpunkt/e) sollen denn zu euch an die Schule kommen?



    Ich finde auch, dass damit die hervorragende Arbeit der Förderschulen und ihrer Lehrer zu gering geschätzt wird.


    Auch wenn ich noch Student bin, so freut mich diese Meinung doch. :) Vllt. schaffst du es irgendwann, sie auf die Grundschullehrer auszuweiten.

  • Wenn Lehrer in einer Sache spitze sind, dann darin sich selber Zusatzaufgaben zu verschaffen. Sei es beschlossen durch eine Fachschaftssitzung um etwas qualitativ zu verbessern, oder aus moralischem Empfinden.

    Das Bestreben nach qualitativer Verbesserung hat nichts damit zu tun, dass man sich selber Zusatzaufgaben verschafft, sondern ist ein Zeichen von Proessionalität im Berufsleben, in diesem Zusammenhang von Moral zu reden, ist in keiner Weise angebracht.
    Was Inklusion etc. angeht, ist Schule keine Institution, die irgendwo im luftleeren Raum herumwabert. Schulen kriegen Vorgaben von übergeordneten Stellen - damit meine ich nicht die örtlichen Schulämter, sondern die Ministerien bzw. die Länderparlamente, die Gesetze verabschieden, in denen Dinge verbindlich geregelt sind (z.B. auch, dass Schulen einen Erzeihungsauftrag haben). Wenn Schulen diese Dinge umsetzen, hat das nichts mit freiwilligen Zusatzaufgaben zu tun. Ich kenne keinen Kollegen, der hinter Zusatzaufgaben hinterherlechzt. Wer eine übernimmt, sieht da entweder eine Notwendigkeit oder möchte sich profilieren oder beides oder die Aufgabe wird einfach verteilt.


    Ich bin übrigens Praktiker, Realist und erfahren genug, um gegen Inklusion aus dem Stand (siehe Zahnarztbeispiel) und gegen Schule als reine Belehrungsanstalt zu sein.

  • Hat irgendjemand von euch Erfahrung mit Inklusion? Ich meine, ganz praktisch?


    Es ist ja offenbar schon ein Riesenproblem, wenn ein geistig völlig normal entwickeltes Kind im Rollstuhl sitzt, dasging durch die Presse.


    Barrierefreiheit sollte eigentlich längst selbstverständlich sein - ist es aber nicht. Das Mädchen mutiert jetzt zur "Inklusionsschülerin" die "nicht adäquat beschulbar" ist - hä?


    Kann es sein, dass es zugleich eine Einstellungsquote für Schwerbehinderte gibt und dass Leute auf die Idee kommen, mit Legasthenie Lehrer werden zu können - dass aber andererseits alle Schüler, die "anders" sind, wegsortiert werden?

  • Ehrlich gesagt, auch ich stimme Elternschrecks Beiträgen nicht überall zu, aber man sollte seine Beiträge auch nicht gleich so voreingenommen lesen, wie es manche hier tun.





    Elternschreck hat doch nichts Negatives gegen Förderschullehrer gesagt. Warum wirft man ihm gleich Pauschalisierung vor? Und dass Förderschulen von ihrem Ansatz her meilenweit von Regelschulen entfern sind, auch das ist nun keine erstaunliche Erkenntnis. Die Form von Differenzierung, die dort betrieben wird und werden muss, ist doch wohl etwas völlig anderes als Unterricht an Gymnasium oder Realschule.


    Die Anfoderungen an Förderschullehrer sind einfach andere. Ich kann auch mal eine Stunde nach Buch machen und die Binnendifferenzierung hinten anstellen, das können Förderschullehrer nicht, dafür muss ich aber stundenlang an Abiturklausuren sitzen. Was aber nicht sein kann, ist, dass man seine bisherigen Belastungen behält, keine Entlastung für enge Zusammenarbeit beisielsweise mit Integrationshelfern hat, geschweige denn einen Förderschullehrer, der mit einem zusammenarbeitet und man dann selbst den Förderschullehrer noch nebenher spielt. Und gerade weil die Ansätze nicht vergleichbar sind, halte ich das auch für unhaltbar.

  • Ich kann auch mal eine Stunde nach Buch machen und die Binnendifferenzierung hinten anstellen, das können Förderschullehrer nicht


    Warum sollen Förderschullehrer das nicht können? Da habe ich in bisherigen Praktika aber anderes erlebt ...


    Auch das mit der Differenzierung verstehe ich nicht ganz: An den Haupt-, Realschulen und Gymnasien hat man 30 - 40 % der Schülerschaft eines Jahrganges. Förderschulen besuchen insgesamt nur 5 - 6 % aller Kinder; da diese noch einmal in (je nach Zählung) 8 bis 10 Förderschwerpunkte unterteilt sind, hat man folglich ein viel weniger breites Feld eines Jahrganges. Selbst an der größten Förderschule, der für "Lernbehinderte", hat man maximal 2 - 3 % eines Jahrgangs, also eine viel homogenere Gruppe. Hinzu kommen die kleineren Klassen. Warum sollte man also an Förderschulen mehr differenzieren müssen?!

  • Hat irgendjemand von euch Erfahrung mit Inklusion? Ich meine, ganz praktisch?
    Barrierefreiheit sollte eigentlich längst selbstverständlich sein - ist es aber nicht. Das Mädchen mutiert jetzt zur "Inklusionsschülerin" die "nicht adäquat beschulbar" ist - hä?


    Bei euch zaehlen Kinder im Rollstuhl als "Inklusionsschueler"? Was ist das denn fuer ein Unsinn? Was machen bei denen denn Schueler, die zeitweise nen Rollstuhl oder sonstige Hilfsmittel brauchen?
    Bei uns muessen alle Schulen mit Rollstuhl "befahrbar" sein. (Mein Gymnasium in Deutschland war auch angemessen ausgestattet...mit Rampen und Fahrstuhl.)


    Wir haben einen Schueler mit Down Syndrome im Jahrgang (nicht der erste an unserer Schule), mehrere Autisten und zahllose Schueler mit sonstigen Problem(chen). Leistungsniveau meiner Klasse bewegt sich je nach Schueler zwischen 1. und 7. Schuljahr, mit der Mehrheit meiner Schueler auf Niveau der 4. Klasse. Bei meiner Kollegin geht's von Vorschule-9. Schuljahr, sie hat ein paar noch ganz am Anfang, und etwas ueber die Haelfte sehr begabt...nur nicht viel in der Mitte. 8|
    Ich hab 9 Schueler mit Foerderbedarf, meine Kollegin ebenfalls. In unseren anderen 5. Klassen sind's zwischen 2 und 4 Schueler. Allerdings nimmt unsere Foerderabteilung nur ungern neue Schueler auf ihrer Liste auf. Theoretisch koennte man denen die Haelfte meiner Klasse zuteilen, aber dann muesste man denen ja offiziellen Foerderbedarf zugestehen. :D:rolleyes:


    Das laeuft schon, wenn's auch nicht einfach ist. Wir sind's aber schliesslich gewohnt...

  • Plattenspieler:


    Ich habe mehrer Förderschullehrer in meinem Freundeskreis. In ihren Klassen sind sehr wenige Schüler, diese haben dafür aber einen kognitiv ausgesprochen unterschiedlichen Entwicklungsstand, sodass für jeden Schüler dort ein einzelner Zugang zum Thema gewählt wird. Dass auch Gymnasien inwzischen eine heterogene Schülerschaft haben, ist wohl kaum mehr Gegenstand von Diskussionen. Selbst meine schlechtesten Schüler können aber lesen, schreiben und in einer Partnerarbeit etwas eigenständig bearbeiten. Vielleicht ist das bei deinem Schwerpuntk ja homogener. Das, was man hier zumindest bei der Arbeit mit Praktisch Bildbaren zu leisten hat, hört sich da schon anders an. Wenn man dort einfach mal Buchunterricht machen könnte, wären in den Klassen wohl kaum nur 8 Schüler.

  • Wobei man zu Dejanas Beitrag auch wissen muss, dass "Förderbedarf" in Großbritannien auch grundsätzlich und bewusst für eine deutlich größere Anzahl von Schülern diagnostiziert wird; dass also unter den vielen förderbedürftigen Schülern in der Klasse sicherlich auch welche sind, die in Deutschland keinen SPF hätten und auch Regelschulen besuchten ...

  • Aus "Mittelschullehrersicht" muss ich einfach sagen - ohne zusätzliche Hilfen erscheint mir das Ganze mehr als gruselig. Defacto habe ich im Grunde genommen schon eine Inklusionsklasse, lustigerweise sind aber Förderschüler plötzlich offiziell keine mehr, wenn sie auf die Hauptschule kommen. ??? Wobei diese zumindest vom Arbeitsverhalten und den Arbeitstechniken her recht fit sind - das würde bei einem früheren gemeinsamen Unterricht dann auch noch entfallen.


    Die Zukunft des MSD ist wohl so geplant - keine Arbeit am Schüler, lediglich Beratung und Diagnose. Aha - generell würde ich aber zusätzliche Förderung am lebenden Schüler wie es vor ein paar Jahren noch war bevorzugen. Zudem unser MSD selbst die wenigen Stunden, die er an unserer Schule hat kaum gesichtet wird.


    Und ehrlich - bei 10 Schülern mit ADHS, fast alle ohne Medikamentenunterstützung, undzählige Male Lese-Rechtschreibschwäche, x-mal Lernschwäche und dem normalem Pubertätswahnsinn bin ich eigentlich ausgelastet.

  • Wobei man zu Dejanas Beitrag auch wissen muss, dass "Förderbedarf" in Großbritannien auch grundsätzlich und bewusst für eine deutlich größere Anzahl von Schülern diagnostiziert wird; dass also unter den vielen förderbedürftigen Schülern in der Klasse sicherlich auch welche sind, die in Deutschland keinen SPF hätten und auch Regelschulen besuchten ...


    Das kommt auch wieder auf die Schule an. Wie gesagt, unsere Foerderabteilung nimmt nur sehr ungern neue Schueler auf. Wir haben viele Schueler, die an kleineren Schulen problemlos als "foerderbeduerftig" eingestuft wuerden. Theoretisch koennte daher die Haelfte meiner Klasse in diese Kategorie fallen, tun sie aber nunmal nicht, da wir einfach nicht die Mittel haben. Fuer meine 5. Klasse sieht der Foerderbedarf daher so aus (um das mal ein wenig zu differenzieren, denn ich weiss nicht, ab wann man in Schland als "Inklusionskind" zaehlt):
    1) Schueler mit Dyslexia und Dyspraxia, Lesealter <6 Jahre, Schreibniveau =5 Jahre, Verhaltensschwierigkeiten (derzeit getestet auf ADHD und Autismus)
    2) Dyslexia und Dyspraxia, Verdacht auf Autismus
    3) Dyslexia, Lesealter <5 Jahren, Schreibniveau <6 Jahren
    4) Lesealter <7 Jahren, Rechtschreibalter = 6.8 Jahre; Mathe = 10 Jahre+
    5) Lesealter <7 Jahren; Konzentrationsspanne = 5 Minuten max.
    6) Dyslexia und Dyspraxia, Verdacht auf ADHD, geistiges Entwicklungsalter = 5 Jahre, Lesealter <6 Jahren, Schreibniveau <6 Jahren, Mathe = 10 Jahre+
    7) Lesealter <7 Jahren
    8.) Lesealter < 7 Jahren, Schreibniveau = 8 Jahre
    9) EBD (emotional and behavioural difficulties)


    Keine Ahnung, welche meiner Kekschen in Deutschland in ner "normalen" 5. Klasse waeren. Ich find meine Klasse eigentlich "normal" und unterrichte an ner "Regelschule". :huh:

  • Ich nehme dieses Verhalten ebenfalls war. Was man jedoch unterscheiden muss ist das Verhalten an Sitzungen und bei "offiziellen" Diskussionen; und die Diskussionen mit *guten* Lehrerkollegen im engen Kreis. Ersteres ist fast immer pro-Zusatzaufgaben; letzere fast immer contra-Zusatzaufgaben.

    Danke für die Bestätigung der Beobachtung.

    Zynisch gesagt: Erwartet wird von Dir, dass Du diese Initiativen nach Aussen befürwortest und auf dem Papier mitträgst, bis sich die Sache totläuft und erkannt wird, dass die Übernahme von Zusatzrollen eine Schwächung der Kernrolle mit sich bringt. Was Du konkret bei Dir im Unterricht machst ist weniger wichtig.

    Owei. Das ist mal auf den Punkt gebracht.


    Mich würde auch mal interessieren, wer da jetzt genau als Inklusionsschüler gilt und wer nicht. Hat jemand vielleicht mal eine Quelle aus der hervorgeht, mit welcher Art von Problemen (körperlich, geistig) ich konfrontiert werde? Ich dachte es geht vor allem auch um geistige Einschränkungen bei der Inklusion? Es ist für mich ein riesiger Unterschied, ob ein Kind geistig ganz normal in der Lage ist meinen Unterrichtsstoff zu verstehen und eben Probleme mit den Augen, den Beinen oder den Ohren etc. hat und deshalb der Unterricht modifiziert werden muss.


    Nur mal als Beispiel, wenn ich eben ein Kind im Rollstuhl habe (was doch eigentlich bereits Gang und Gäbe ist, oder irre ich mich?), dann würde ich mich den Anforderungen dies zu integrieren durchaus gewachsen fühlen. Genauso halte ich es für machbar und selbstverständlich, dass ich z.B. beim Experimentieren in Chemie und Physik einem Schüler, der zum Beispiel gelähmt ist oder motorische Behinderungen hat, entsprechend zu assistieren oder sicherzustellen, dass er zumindest gut beobachten kann was vor sich geht, auch wenn er vielleicht nicht alles selber handwerklich machen kann.
    Da kann man ja für ihn Messwerte herstellen in seinem Beisein, die er / sie dann ganz normal auswertet.
    Hat man einen Schüler, der schlecht sehen kann und massive Probleme mit dem Tafelanschrieb hat, achtet man eben darauf möglichst alles noch einmal zu verbalisieren was man anschreibt (was man ja eh tun sollte) und bittet z.B. einen Schüler (besser Schülerin -> Schriftbild) sauber mitzuschreiben, damit der Tafelanschrieb von dem sehbehinderten Schüler zuhause mit der Lupe studiert werden kann.


    Auch kann man bei Rollstuhlfahrern die Experimente so ausrichten, dass gute Sicht besteht, auch wenn diese eben nicht mal eben aufstehen können zum Schauen was da vor sich geht, wie es andere Schüler einfach können wenn ich sage "Kommt nach vorne und schaut Euch das mal an". Erfordert im Vorfeld sicher einige Gedanken zum Versuchsaufbau, aber ist denke ich machbar (und sinnvoll).


    Wenn das mit Inklusion gemeint ist, dann bin sehr stark dafür und denke auch, dass ich da gute Wege finden werde um akzeptable Lösungen zu produzieren. Erfordert natürlich Überlegungen und Änderungen im Unterricht, aber das ist sinnvoll und denke ich in vielen Fällen gut machbar.
    Keine Ahnung, klingt vielleicht alles laienhaft, aber so stelle ich mir
    ohne jegliche Erfahrung und Studium von Förderdingen die Inklusion vor, wie ich sie
    probieren würde, wenn man mir nicht genau vorschreibt, wie ich in Fall X
    zu verfahren habe.


    Ganz anders sieht es aber meiner Meinung danach aus, wenn ich z.B. einen Schüler mit Trisomie 21 habe, der geistig nicht in der Lage ist den Unterrichtsstoff auch nur annährend zu verstehen. Was soll das?
    Wer geistig dem Unterricht nicht folgen kann gehört aus meiner Sicht einfach nicht in den Unterricht. Warum sollte ich da dann ein völlig anderes Arbeitsblatt entwickeln, was mit dem eigentlichen Niveau nur noch rudimentär zutun hat? Was mach ich mit einem Trisomie 21 Kind, wenn das Thema gerade Sägezahnspannung ist und es gerade dabei ist den Zahlenraum von 1-10 zu entdecken?
    Da fände ich meine Zeit ehrlich gesagt zu schade und auch meine Ausbildung, denn ich habe kein Physik studiert um den Zahlenraum von 1-10 zu erklären oder Atomkraftwerke zum bunt Ausmalen vorzubereiten, nur weil die "normalen" Schüler nun einmal gerade Kerntechnik bei mir behandeln und das Inklusionskind auch etwas an sein "Level" angepasstes dazu machen soll.
    Das ist in meinen Augen einfach total unsinnig, da bin ich stark für Exklusion.


    Nur mal so ein paar Gedanken. Über Quellen zu dem Thema und Meinungen freue ich mich ;)

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