Schulen im Kreuzfeuer der PISA-Medien: Jeder fünfte Jugendliche scheitert am Fahrkartenautomaten(!)

  • Da müssen doch wieder dringend die Schulpoltiker eingreifen, meint zumindest der Spiegel:


    Zitat

    Ein Fünftel der 15-Jährigen scheitert im Alltag - das ist das drängendste Problem, das Deutschlands Schulpolitiker zu lösen haben. Doch sie wollen lieber das Gymnasium reformieren.


    http://www.spiegel.de/schulspi…hulversager-a-961914.html


    Probleme wie G8/G9 oder Inklusion treten da doch glatt in den Hintergrund! PISA-Konsortium sei Dank!


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

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  • Wenn deutsche Schüler besser abschneiden als der Durchschnitt der Industrieländer, dann heisst es gleich, dass die Schüler scheitern oder versagen. Kann man nicht erst mal positiv sein und herausheben, dass die Schüler eben besser sind als der Durchschnitt. Aber das würde ja nicht zur deutschen "Meckerkultur" passen!

  • Wenn deutsche Schüler besser abschneiden als der Durchschnitt der Industrieländer, dann heisst es gleich, dass die Schüler scheitern oder versagen. Kann man nicht erst mal positiv sein und herausheben, dass die Schüler eben besser sind als der Durchschnitt. Aber das würde ja nicht zur deutschen "Meckerkultur" passen!

    "Meckerkultur"? Das sehe ich etwas anders, denn ich kann nichts sinnvolles darin erkennen einen mauen Sachverhalt durch Schönreden verbessern zu wollen. Mag sein, dass andernorts die Zustände noch schlimmer sind, aber ich finde die eingeschlagene Richtung in der Pädagogik ÄUSSERST bedenklich, die immer nur die Stärken der Schüler hervorhebt, egal ob im Zeugnis oder sonstwo. Nach dem Motto: "Kevin ist am Ende der Klasse 1 dazu bereits meistens dazu in der Lage, die Anzahl seiner Finger durch Abzählen zu bestimmen." Statt: "Kevin ist noch nicht dazu in der Lage, ohne Hilfsmittel im Zahlenraum bis 10 zu rechnen." Mal ganz drastisch ausgedrückt. Wem soll das bitte etwas bringen? Mir nicht, denn wenn ich etwas nicht kann, dann will ich das auch wissen, um an mir arbeiten zu können. Davon abgesehen find ich den Artikel auch etwas ...


    Na ja, wieder viel bla bla. Und natürlich ist die Schule Schuld, klaro. Die lieben Eltern, die mit ihrem Kind nie Zug oder Bus gefahren sind, die sind natürlich nicht Schuld, ebenso wenig wie sie Schuld daran tragen, dass besagter Kevin beim Rechnen versagt. Wär doch auch noch schöner, wenn der Erziehungsauftrag von uns Lehrern ans Elternhaus verloren ginge, ich wäre untröstlich, würde meine ganze Existens bedroht sehen... :sterne:


    Gruß Jenny

  • Also an Fahrkartenautomaten der DB bin ich auch schon gescheitert.


    Am Automaten der DB vor einigen Jahren in Mannheim, als ich nicht in deren Reisezentrum ewig lang anstehen wollte, weil die Tastatur oben rechts mit "A" losging und dann zeilenweise dem Alphabet nach. Als Mensch, der regelmäßig mit 'nem Computer arbeitet, habe ich schlicht die Buchstaben nicht schnell genug gefunden... Nachdem ich dann nach etlichen Versuchen die Eingaben gemacht hatte wurde mir die Verbindung, die ich Abend vorher im Internet auf der Bahn-Webseite gefunden hatte einfach nicht angeboten. Nachdem meine Wut verflogen war, war auch mein Zug weg und ich "durfte" 'ne Stunde warten. Fazit: Es ist nahezu unmöglich eine Fahrkarte für den Regionalbereich innerhalb von ca. 15min zu bekommen, deshalb wird Auto gefahren, wann immer möglich.


    Brauch' ich jetzt eine spezielle Lehrerfortbildung dafür?


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • a) Auch ich hatte schon Probleme mit solchen Automaten.
    b) Ich glaube mich düster erinnern zu können, dass ich bestimmte Dinge nicht an der Schule gelernt habe, sondern entweder durch meine Eltern oder selbst ... die Bedienung von Automaten war bei mir sicher nie Unterrichtsstoff.


    Daraus folgt dann wohl, dass ich zum alten Eisen gehöre, wenn ich der Meinung bin, dass die Schule nicht für alle Alltagsprobleme die Lösung vermitteln kann / muss?


    Wenn die Schule / Schulpolitik hier "versagt", ist man dann auch mutig genug und attestiert den Elternhäusern Versagen?


    Muss die Schule auf alles eine Antwort / Lösung anbieten, was in der Gesellschaft aus dem Ruder läuft? - Das ist übrigens jetzt nicht als rhetorische Frage gemeint, ich stelle sie mir wirklich ... nur wenn ja ... kann sie?

  • Man sollte allerdings daran erinnern, dass es da nicht um den Lerninhalt "Fahrkartenautomat" ging; es ging um Problemlösekompetenzen, d.h. aus gegebenen Daten die passende und günstigste Verbindung herauszusuchen und einen virtuellen Automaten zu bedienen. (p. 40 in dem verlinkten Dokument.)


    Probleme lösen (und nicht nur "Stoff pauken") sind sehr wohl eine Angelegenheit, die in die Schule gehört.


    Nele

    • Offizieller Beitrag

    Ich dachte auch immer, dass sowohl Deutsch- als auch Englischunterricht in Prinzip durchweg der Alltagstauglichkeit dienen: kann ich mich verständlich machen? Kann ich andere überzeugen? Verstehe ich Texte, auch in ihren Zwischentönen, Manipulationen und Fallstricken?
    Was anderes ist das, als das alltägliche Brot: später im Leben dann halt nicht mehr an literarischen oder Sachtexten, sondern am Mobilfunk/Versicherungs/Mietvertrag, anständige und unanständige Angebote in den Medien und von Angesicht zu Angesicht ;), Menschen, die mich oder die ich überzeugen wollen/will, Gurus und Chefs und Götter und Nachbarn und Ärzte und andere, die mir etwas ein- oder ausreden wollen.. usw, usf?


    Pisa lässt mich mittletweile kalt, weil es zu dem einen nicht führt, was für eine deutliche Verbesserung der Qualität gebraucht würde: eine Abschaffung des Ressourcenvorbehalts und eine odentliche personelle und sachliche Ausstattung. Die Reformsäue kommen, grunzen und gehen...

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

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  • Abgesehen davon: Ich muss dann auch blöd sein, trotz 2 Staatsexamen, bester Noten und sehr gutem Englisch etc. da ich im letzten Londonurlaub nicht sofort in der Lage war, die günstigsten Tickets für 2 Leute / vier Tage zu finden.


    Und dann erst unsere totalen Landeier-Schüler! Bei Fahrten nach Berlin sind die jedes Mal total platt, bis auf die, die bereits im Eltern dort oder in einer anderen Großstadt waren. Andererseits könnten viele unserer SuS den PISA-Leuten problemlos erklären, die man eine große Menge Kühe am effizientesten in die Melkstände sortiert, Traktoren repariert etc.

  • Mal ganz ehrlich... Wundern tut mich das nicht ;)
    Ich glaube, das ist einfach ein Alter, in dem die Jugend so ihre Phasen hat... Was nicht unbedingt bei jedem ist...


    Aber laut der Studie: Ist für mich schon erstaunlich :autsch:

  • Probleme lösen (und nicht nur "Stoff pauken") sind sehr wohl eine Angelegenheit, die in die Schule gehört.


    Ich hoffe, dass das hier niemand ernstlich bezweifelt.


    Das sind immer die Stellen, an denen ich mir die Haare raufe: Alles Wissen ist vorhanden, um ein Problem zu lösen, aber wenn es eine "Textaufgabe" gibt, ist Ende im Gelände. Ich finde es immer wieder schrecklich, wenn Schüler von mir Kochrezepte, Vormachen etc. erwarten. Natürlich gibt es das auch. Aber das eigentlich Wichtige und Interessante sind doch die Aufgaben, die man nicht unmittelbar lösen kann, bei denen man auch mal um die Ecke denken muss.


    Aber ich lasse nicht locker ...


    Das Interessante finde ich, dass asiatische Länder, die für ihren Drill bekannt sind, entgegen der sonst verbreiteten Erkenntnisse dann doch Schüler hervorbringen, die kreativ im Problemlösen sind.

  • Im Lehrbuch Englisch D21 von Cornelsen D3 gibt es eine kleine Abbildung von einem Ticketautomaten in London. Und da haben wir die Mediations-Übung gemacht, welches Ticket man lösen müsste. Da hat sich so ein Oberschlaumeier-Schüler beschwert, warum sie das machen müssten. Da habe ich eben auch gemeint, dass es doch wohl nicht unrealistisch ist, mal vor einem Ticketautomaten im Ausland zu stehen.
    Übrigens, war ich trotz Englischstudium etwas überfordert, als ich vor 5 Jahren das erste Mal vor einem Ticketautomaten in New York gestanden habe :angst:

  • Zitat Piksieben :

    Zitat

    Das Interessante finde ich, dass asiatische Länder, die für ihren Drill bekannt sind, entgegen der sonst verbreiteten Erkenntnisse dann doch Schüler hervorbringen, die kreativ im Problemlösen sind.

    Ich hatte mit nichts anderem gerechnet ! 8_o_)

    Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

  • Das ist ja auch vielleicht eine Frage der kulturellen Mentalität - wir haben hierzulande eine Kultur, auch völlig außerhalb von schulischen Kontexten, bei der die unmittelbare Reaktion auf ein Scheitern darin besteht, dafür eine Erklärung und Entschuldigung zu suchen, eine Rechtfertigung, warum jetzt dies und das aus welchen Gründen auch immer nicht getan, gekonnt, geschafft wurde. Vielleicht brauchen wir einfach eine Mentalität, die Scheitern als Herausforderung betrachtet und als Anlass, ein Problem zu beheben.


    Dieses "kläre die Schuldfrage und nicht das Problem" durchzieht unsere ganze Gesellschaft und das finde ich nervig.


    Nele

  • Dieses "kläre die Schuldfrage und nicht das Problem" durchzieht unsere ganze Gesellschaft und das finde ich nervig.


    Ja, da ist was dran. Das ist wohl auch häufig Grund für ein Missbehagen bei mir: Obwohl ich weiß, dass es mein Job ist, die Schüler vor Probleme zu stellen, die sie eben nicht direkt lösen können (typischer Dialog: "Ich kann das nicht." - "Sie sollen das ja lernen, dafür sind Sie hier."), werde oft ich verantwortlich gemacht, wenn es nicht direkt klappt (meine Formulierungen waren so schwierig, die Anforderungen zu hoch...). Das muss man wohl aushalten.


    Und vor allem klappt's nachher ja doch immer.


    Aber dasselbe gilt natürlich für das Problem "Schüler scheitern an praktischen Problemen": Mit Schuldzuweisungen an Eltern und Lehrer ist niemandem geholfen. Lernen findet immer und überall statt, und für manches, was nicht funktioniert, scheint mir wirklich eine Kultur, eine Haltung ursächlich zu sein, die weit verbreitet ist, ein Abwarten, Meckern, Verantwortung abwälzen.


    In der aktuellen ZEIT fand ich den schönen Satz (sinngemäß): "Wir wär's, wenn man nicht immer nur wartet, bis man abgeholt wird, wo man steht, sondern selbst wohin geht?"

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