• Wir in Wien erlebten eine heftige Terrornacht. Ein paar meiner Schüler haben für ein Kind zu viel gesehen und erlebt. Da noch nicht alle Terroristen gefunden wurden, hatten wir heute keinen Unterricht, sondern nur eine Notfallbetreuung, zu der niemand kam. Wir sind alle völlig fertig.


    Morgen werde ich mit meiner Klasse darüber reden müssen. Die Schüler sind zwischen 12 und 14 Jahre alt (7. Klasse).

    Hat jemand Tipps für mich?

  • Das liest sich ganz entsetzlich. Mein Mitgefühl und meine Gedanken sind bei euch! Wie geht es dir?


    Hältst du es für möglich, den SuS erst einmal Zeit zum Sprechen einzuräumen? Zusammensein, einander zuhören, wie es wem geht, füreinander da sein. Fragen klären- was weiß man bereits über Motive, die Täter, die Hintergründe,...? Fakten können ein ganz kleiner Baustein sein, um mit den Ängsten umzugehen, die so etwas auslöst. Zuhören, welche Gedanken sich die Kinder jetzt machen. Haben sie vielleicht Angst vor Stigmatisierung? Haben sie Sorge, dass sich das wiederholen könnte? Etc. Diese Zeit zum Sprechen muss natürlich sehr sehr umsichtig genutzt werden, also keine extremen Details, falls ein Kind Zeuge geworden ist , sondern wirklich Fokus auf emotionales Befinden, aber natürlich muss auch niemand etwas sagen, weil es ganz wichtig ist einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Grenzen respektiert werden (anders, als das also letzte Nacht der Fall war). Besteht die Möglichkeit zumindest zeitweise die Schulsozialarbeit mit dazuzuholen? Sonst auf jeden Fall auf deren Angebote verweisen bzw. weitere Ansprechpartner nennen, an wen sich die Kinder abgesehen von euch Lehrkräften wenden können, wenn sie sich akut belastet fühlen.


    Es gibt im Bereich des Religionsunterrichts Bausteine zum Umgang mit Trauer, Verlust und Tod, die ein Stück weit auch in diesem Kontext zum Einsatz kommen könnten. Da könntest du mit den Religionslehrkräften bei euch sprechen, wie sie das einbinden als kleine Unterstützung oder sogar einen dieser KoK mit einbeziehen morgen, falls das möglich ist.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Momentan ist es noch ein Schockgefühl, so eine seltsame Leere im Kopf. Ich versuche mich zu sammeln, das wird schon gehen. Meine Kinder haben Angst.


    Deine Vorschläge hören sich super an, fühl dich geknuddelt - Danke dir :rose:.

    Ein Teil der Ereignisse hat sich im Wohnumfeld einiger Schüler abgespielt, nur wenige Minuten von der Schule entfernt. Es gibt daher Kinder, die schon einiges mitbekamen 😥. Mittlerweile weiß ich, dass morgen jemand mit therapeutischer Ausbildung und ein Sozialarbeiter in der Schule sind. Sie werden zwar nicht in jede Klasse kommen können, aber ich darf Schüler zu beiden schicken. Zunächst den Schülern zuhören und auf Fragen eingehen ist, denke ich, wirklich ein sehr guter Ansatz. Morgen habe ich vielleicht auch ein paar mehr Stunden geschlafen :)


    Die Religionslehrer sind auch ein sehr guter Tipp, zumal ich damit normalerweise sehr wenig zu tun habe. Die werde ich mal direkt kontaktieren.


    Liebe Grüße

  • Hey, leider kann ich dir keine Tipps geben. Aber ich würde wohl auch versuchen den Schülern einen Raum zum Reden zu geben. Und das eben wohlüberlegt einleiten, sodass es nicht zu fordernd klingt. Manche brauchen vielleicht auch noch Tage und Wochen dazu.

    Ich finde es einfach nur schlimm, mir selbst fehlen die Worte. Wie sollen denn Kinder sowas begreifen können?

    Ich hoffe sehr, dass die Sozialarbeiter morgen etwas erreichen können bzw. gut ausgebildet sind.

  • Einer der beiden ist Psychologe. Ich habe mittlerweile eine Handreichung für das Krisengespräch erhalten, die ich aber nach CDL's Anregungen etwas überarbeitet habe und an meine Klasse angepasst habe. Für den Fall, dass Schüler nicht reden wollen, habe ich kreative Lösungen vom Psychologen bekommen 👍.

  • Fühl dich gedrückt! Und alles Gute für das Kommende, keine leichte Aufgabe!
    Schön zu hören, dass es Unterstützung gibt.

  • Gut, dass ihr an der Stelle nicht ganz allein gelassen werdet als Schule, sondern weitere Unterstützung erhaltet. Ich wünsche dir und euch erst einmal eine ruhige und sichere Nacht und dann vor allem ganz viel Kraft für die kommenden Tage und Wochen. Der Umstand, dass gerade jetzt die massiven Kontaktbeschränkungen in Österreich beginnen ist an der Stelle natürlich eine weitere Belastung, denn gerade in so einer Situation braucht man seine Mitmenschen und den sicheren Konatakt miteinander. Umso wichtiger insofern, dass ihr zumindest in der Schule in größeren Gruppen zusamenkommen könnt. Das gibt wenigstens ein wenig Normalität und einen sicheren Rahmen. Alles Gute für morgen!

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Hi, will noch schildern, wie es heute gelaufen ist.

    Ich habe sehr viele Stunden in meiner Klasse bekommen. Es hat ca. ein Viertel der Klasse gefehlt.

    Zu Beginn der ersten Stunde waren die Schüler noch nicht gesprächsbereit und wollten normalen Unterricht. Ich erledigte dann übliches Klassenlehrerorganisatorisches, wofür ich mir aber Zeit lies. Die Kinder sollten spüren, dass ich Zeit für sie habe. Nach kurzer Zeit wollten die Kinder dann doch reden. Aber nicht über den Terror, sondern über die Coronamaßnahmen. Ok, redeten wir erst darüber. Auch das beschäftigt die Kinder. Erst ca. eine halbe Stunde später erwähnte ein Schüler den Terror. Dann sprudelte es aus den Kindern heraus. Es tat ihnen gut, den/die Täter als Arschloch zu benennen (Hat er einen Namen? Ja, Arschloch), aber auch über die Helden der Nacht wurde gesprochen. Die Kinder fragten sich dann, wie man zum Helden wird. Wir trennten dann noch in fakenews und gesicherte Fakten (Was habe ich nur von anderen gehört/gelesen und was habe ich selbst gesehen/gehört...?) Wir redeten dann noch über die Spaltung durch Religionen und, dass unterschiedlicher Glaube und/oder andere Rituale und Tabus nicht spalten müssen. Wir suchten Unterschiede und Gemeinsamkeiten und überlegen Projekte, die die verschiedenen Regionen gemeinsam verwirklichen könnten (z. B. ein Multireligionshaus). Die Kinder kamen dann aber auch selbst mit den österreichischen Werten (die Werte moderner aufgeschlossener Gesellschaften) , die man schützen muss und wie man das machen könnte? Ich brachte aber das Beispiel der Karikaturen und, dass diese zur Meinungsfreiheit gehören. Wir diskutierten darüber und was man tun kann, wenn einen eine Karikatur verletzt, ärgert,... (Leserbrief, Anzeige,...). Und noch weiteres.

    Am Nachmittag durften sie malen, basteln und Musik hören.


    Es war nicht schlecht gelaufen und es waren sehr gute Gespräche und Ideen dabei. Zwischendurch durften sie auch ein bisschen Mathe machen (war ihr Wunsch - wahrscheinlich nach Normalität).


    Ihr habt mir gestern echt gutgetan - Danke euch :rose:


    Liebe Grüße

    Frechdachs

  • Frechdachs: Ich lese mit sehr viel Mitgefühl in diesem Thread mit, möchte dir gerne einfach viel Kraft und Trost senden, und ich finde es total toll, dass (und was) du vom heutigen Tag berichtest. Es klingt für mich nach einem sehr guten Umgang mit der schwierigen Situation. Liebe Grüße und alles Gute!

  • Mir stehen Tränen in den Augen. Ich weiß nicht, wie man professionell mit Terrorerleben umgeht, noch wie man mit Kindern richtig darüber spricht, nicht wissend, wer was wie erlebt hat. Ich finde es wunderbar, was du spontan aus der Situation gemacht hat, wie du trotz eigener Betroffenheit auf die Kinder eingegangen bist und ein solches Gespräch über Werte, Glaube, Rechte, Mut, Hilfsbereitschaft, Arschlöcher und gesellschaftliche Teilhabe aus dem Ärmel geschüttelt oder besser aus dem Herzen geschüttet hast. Als Mama und als Gesellschaftsteilnehmerin gut zu wissen, dass auch in sehr belastenden Situationen Lehrer*innen die richtigen Worte finden und einschätzen, wann Mathe heilsam ist und wann es mal pausieren muss. Ich wünsche euch Kraft für die Zeit, die jetzt kommt. Die Kinder, die fehlen, werden möglicherweise noch einige Zeit daran zu arbeiten haben. Wer in unmittelbarer Nähe war bekommt hoffentlich professionelle Hilfe vermittelt.

  • Ich finde es wirklich bewundernswert wie viele Gedanken du dir um die Sache gemacht hast und auch wenn ich etwas spät dran bin mit dem Thema hier, wünsche ich mir, dass mehr Lehrer mit solchen Themen so umgehen wie du !

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