• Offizieller Beitrag

    Leider werden diejenigen, die es lesen *sollten* kein SPON-Abo haben. Solche Interviews mit Leuten, die es wissen müssen, sind ernüchternd. Ich denke es ist verständlich, dass Menschen an das Gute in Menschen glauben wollen. Die russische Gesellschaft ist aber nicht gut. Lediglich eine kleine Minderheit schert sich überhaupt um das, was in der Ukraine passiert. Es gibt da nichts schönzureden und auch nicht zu entschuldigen. Insofern gibt es auch absolut NICHTS über russische Interessen zu diskutieren. Die können uns vollkommen egal sein, sie einfach nur bösartig.

    Oh, ich könnte mir vorstellen, dass die Alliierten, besonders die Sowjets nach 1945 gute Gründe gehabt hätten, das über die damalige deutsche Gesellschaft zu sagen. Die Alliierten haben uns, gleichwohl mit klaren eigensinnigen Hintergedanken, dennoch eine Chance gegeben, wieder auf die Beine zu kommen. Und von der deutschen Gesellschaft nach 1945 war keinesfalls selbstverständlich zu erwarten, dass sie sich zu einer westlichen Demokratie entwickelt und sich von eben diesem Gesellschaftsmodell überzeugen lässt.


    Man muss sich schon die Mühe machen, die russische Gesellschaft bzw. die russische Mentalität zu verstehen, um eine langfristige Friedensordnung für Europa bzw. mittelbar die restliche Welt MIT Russland zu etablieren. Gegen oder ohne Russland, das ist aufgrund der Größe dieses Landes und der militärischen Stärke in Bezug auf das Nuklearpotenzial schlichtweg naiv.

    Russland hat spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ein ganz erhebliches Sicherheitstrauma, dem man gerade als Westen Rechnung tragen muss - so unverständlich das auf den ersten Blick auch wirken mag. Dieses Trauma wurde durch die Niederlage im Kalten Krieg und die relativ schnell im Anschluss daran erfolgte NATO-Osterweiterung sowie die Osterweiterung der EU immer wieder "getriggert".

    Es ist zu einfach, die russische Gesellschaft schlicht als "böse" darzustellen und ihnen die Legitimität ihrer Interessen per se abzusprechen. DAS ist ja gerade mit eine der Ursachen des Konflikts, den wir heute erleben. Wenn man die russische Gesellschaft davon überzeugen möchte, dass Frieden die bessere Option ist, dann muss eben diese Gesellschaft auch in dieser Friedensordnung für sich eine Perspektive sehen. Sie zum Paria zu erklären und sie der Demütigung einer Niederlage auszusetzen halte ich für heute weder zeitgemäß noch in irgendeiner Weise sinnvoll.

  • Ich dachte Ähnliches, vor allem, wie wenig man über Russland weiß, wie fernab von unserer Realität und Lebenseinstellung die meisten dort leben und wir eben auch von deren Leben. Und wir haben uns bislang auch nicht groß für Kriegsverbrechen in der Ukraine und auch in anderen Staaten interessiert, die Russland begangen hat. Ist ja alles weit weg, tief im Osten. Erst jetzt, wo Ukraine als ein europäisches Land wahrgenommen wird und sich Europa aktiv einmischt, kommt es ins Bewusstsein der deutschen Bevölkerung.


    Es fällt mir in Ostdeutschland auch immer wieder auf, wie westlich meine Einstellung zu Russland ist. Ich behaupte, Westeuropäer und Nordamerikaner haben ein sehr negatives, diffuses Russlandbild und insgesamt wenig Interesse an der Bevölkerung und Kultur. Das ist bei ehemaligen DDR-Bürgern anders, die Erziehung ist eine andere, tief verwurzelt Wertschätzung und Ehrfurcht. Auch wenn darüber nicht gesprochen wird. Was man in seiner Kindheit eingetrichtert bekommt, sitzt tief.


    Was mir noch auffiel: Sehr viele Russ*innen haben nur Staatsfernsehen. In Deutschland hat man alle Medien, auf die man zugreifen möchte und trotzdem gibt es tausende "Querdenkende", die sich in ihren Telegramgruppen treffen und gezielt nach Hinweisen suchen wollen, die ihre Einstellung befeuern, nicht weil sie die vorhandenen Informationen auswerten und verstehen wollen. Aufklärung ist mühsam und Menschen kompliziert.

    • Offizieller Beitrag

    Lew Gudkow sagt in dem Interview ja selbst, dass es ein Informationsproblem ist und dass die Propagande jegliches Mitgefühl und Empathie für das, was in der Ukraine passiert, blockiert.

    Ich will Russland keineswegs schön reden, aber ... diese Aussage ...

    Die russische Gesellschaft ist aber nicht gut.
    [...]
    Die können uns vollkommen egal sein, sie einfach nur bösartig.

    ... finde ich in der Pauschalität dann doch etwas einfach gehalten. *kopfschüttel*

  • Grundsätzlich sehe sehe ich das ähnlich wie du. Aber hier

    Es ist zu einfach, die russische Gesellschaft schlicht als "böse" darzustellen und ihnen die Legitimität ihrer Interessen per se abzusprechen. DAS ist ja gerade mit eine der Ursachen des Konflikts, den wir heute erleben.

    muss ich ganz klar widersprechen. Es gibt keine Begründung für einen Angriffskrieg (das ist kein Konflikt und auch keine Militäroperation). Niemand darf einen souveränen Staat angreifen, auch wenn der Angreifer noch so sehr die Sowjetunion vermisst und sich irgendwas davon zurecht spinnt, dass die NATO ihn einkreisen wolle.


    Zitat

    Wenn man die russische Gesellschaft davon überzeugen möchte, dass Frieden die bessere Option ist, dann muss eben diese Gesellschaft auch in dieser Friedensordnung für sich eine Perspektive sehen. Sie zum Paria zu erklären und sie der Demütigung einer Niederlage auszusetzen halte ich für heute weder zeitgemäß noch in irgendeiner Weise sinnvoll.

    Die Niederlage Russlands ist aber der einzige akzeptable Ausgang dieses Krieges. Die Lehre für Russland kann nicht sein, dass es mit Landgewinn belohnt wird, andere Staaten zu überfallen, Zivilisten zu ermorden, seine Soldaten zu verheizen und ein Land zu zerbomben. Dem hätte man eigentlich schon 2014 einen Riegel vorschieben müssen.

    Auch ein Angriffskrieg (in Europa) ist nicht mehr zeitgemäß. Putin ist in der Hinsicht vollkommen aus der Zeit gefallen und denkt noch in sowjetischen Kategorien. Russland war international anerkannt, in die Staatengemeinschaft integriert und hätte die partnerschaftliche Entwicklung nur weiter vorantreiben müssen. Stattdessen hat sich Putin mit seinen Leuten für die rückständige Idee des Landgewinns entschieden.

  • Die Alliierten haben uns, gleichwohl mit klaren eigensinnigen Hintergedanken, dennoch eine Chance gegeben, wieder auf die Beine zu kommen

    Na, wenn ich mich recht erinnere, haben die Alliierten auch den Weg vorgegebenen, was die Deutschen damals sich selbst so vorgestellt haben, spielte da keine grosse Rolle. Wenn die Alliierten die Reindustrialisierung und Remilitarisierung Deutschlands nicht gewollt hätten, wäre es auch nicht so gekommen. Und ja, ich denke auch die deutsche Gesellschaft war damals mehrheitlich moralisch verkommen.


    DAS ist ja gerade mit eine der Ursachen des Konflikts, den wir heute erleben

    Ist das so? Ich meine eher, man hätte viel früher klare Kante zeigen müssen. Stattdessen schwurbelt Steinmeier immer noch was von "Putins Krieg". Es ist der Krieg der Russen. Die einen unterstützen ihn proaktiv, den anderen ist es schlicht egal weil sie mit anderen Dingen beschäftigt sind. Seltsam, dass da ausgerechnet von deutscher Seite immer noch so viel "analysiert" wird mit dem offensichtlichen Ziel die Dinge nur doch nicht ganz so schlecht reden zu müssen, wie sie sind. Und seltsam, dass sich bezüglich der Deutschen nach dem 2. WK die Mehrheit einig ist, dass die deutsche Gesellschaft damals den Lauf der Dinge mitgetragen bzw mindestens nicht verhindert hat und daher nicht zu entschuldigen ist. Ich sehe da keinen Unterschied zur Situation jetzt.


    Du bist hier der Historiker, ich will dir jetzt sicher nicht klugscheissen. Aber denkst du, man hätte den 2. WK durch mehr Verständnis und mehr Verhandeln verhindern können? Ich meine, das wurde versucht, mit bekannten Ergebnis. Ich sehe ferner nicht, dass die Situation in Bezug auf Russland mit dem sicherlich problematischen Verhalten der Alliierten gegenüber Deutschland nach dem 1. WK vergleichbar ist. Russland hat seine Zarenbombe zünden dürfen. Russland hatte 40 Jahre lang die Hand auf einem Teil Deutschlands. Mir ist das zu viel mimimi, die bekommen einfach den Hals nicht voll.

  • Auch der Sinneswandel in der deutschen Gesellschaft, die 1938 noch in großen Teilen gejubelt hat, als die Wehrmacht die ersten Nachbarstaaten ohne großen Wiederstände überrollt hat, kam nicht von selbst sondern wurde dadurch erzwungen, dass die Konsequenzen des verbrecherischen Krieges für die Leute in Form von Millionen toten Soldaten und zerbombten Städten unübersehbar wurden. Und der Holocaust wurde auch danach von weiten Teilen der Bevölkerung und Politik noch lange ignoriert oder verharmlost und es hat noch einmal 10-20 Jahre gedauert, bevor eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Herrschaft stattgefunden hat.


    Die Hoffnung, das in der Breite der russischen Bevölkerung in absehbarer Zeit ein Sinneswandel "einfach so" eintreten wird, ist völlig illusorisch. Das wird nur passieren, wenn der Leidensdruck ähnlich hoch wird, wie in Deutschland 45. Der Unterschied ist, dass man das in diesem Fall nicht militärisch erreichen wird, da kann man maximal den Versuch der Eroberung der Nachbarländer stoppen, das wird aber nicht reichen. Es geht langfristig nur über wirtschaftlichen Druck.

  • Hast du inhaltlich irgendwas zur Diskussion beizutragen? Ich fände es nämlich spannend die mit jemandem wie Bolzbold zu führen, der sich auf der Sachebene sehr gut auskennt. Du hingegen grätscht nur mal wieder auf der ad hominem Ebene dazwischen.

    • Offizieller Beitrag

    Hast du inhaltlich irgendwas zur Diskussion beizutragen? Ich fände es nämlich spannend die mit jemandem wie Bolzbold zu führen, der sich auf der Sachebene sehr gut auskennt. Du hingegen grätscht nur mal wieder auf der ad hominem Ebene dazwischen.

    Hier der inhaltliche Beitrag von mir, zitiert von oben.

    Ich habe auf Aussagen aus dem Interview hingewiesen, um zu zeigen, wie Lew Gudkow es formuliert hat und dass die Schlussfolgerung von dir etwas einfach gehalten war.

    Da war nichts "ad hominem" dabei.


    Aber wo wir bei "Ad hominem" sind ... deine Antwort auf meinen Beitrag passt genau in die Kategorie.

    Also: vielleicht solltest du nicht mit Vorwürfen um dich werfen, die dich selbst betreffen. ;)

  • Vielleicht solltest du mich mit deinem "du solltest mal" zufrieden lassen. *kopfschüttel* und *seufz* ist nicht ganz Erwachsenen-Schreib, finde ich. Kann man mal machen, wenn's eh gerade OT um irgendeinen Klamauk geht. Jetzt der Diskussion hier gerade aber nicht angemessen.


    Abgesehen davon: Lies das Interview noch mal. Es gäbe die Möglichkeit via VPN auf westliche Medien zuzugreifen, das Interesse besteht einfach nicht.

    • Offizieller Beitrag

    Das mit dem "Nicht ad Hominem" klappt immer noch nicht so richtig. ;)


    bzgl. dem Interview:

    Er schreibt, dass der Anteil derjenigen, die mit VPN umgehen können, zwar gestiegen ist, aber immer noch sehr klein ist und dass es sich zunehmend um jüngere und gebildetere Bewohner größerer Städte handelt.

    Sprich: es geht da weniger um "Interesse", sondern mehr um die (wie auch immer gearteten) Möglichkeiten. Ich glaube, du vereinfachst da wieder einmal ein wenig.


    kl. gr. frosch

  • Es gibt hier m.E. zwei Diskussionsstränge. Dass der Angriffskrieg falsch, durch und durch böse und Putin aus der Zeit gefallen ist, darin sind sich sicher alle einig.


    Dass "die Russen" durch und durch böse seien, dagegen sträuben sich manche. Zumindest ich tue das. So wie "die Deutschen" nicht durch und durch böse sind. Als ob wir uns seit '45 grundlegend verändert hätten oder anders wären als unsere Großeltern. Wir sind anders aufgewachsen, anders erzogen worden, haben andere Feind- und Freundesbilder und andere Moralvorstellungen als unsere Großeltern.


    Und mit uns meine ich Westdeutsche, die auch hier im Forum die Mehrheit stellen. Ich glaube, den meisten ist nicht bewusst, wie sehr ihre Einstellung von ihrer politischen Kinderstube beeinflusst ist.

  • So wie "die Deutschen" nicht durch und durch böse sind

    Ja, JETZT, das ist ja der Punkt. Keine Ahnung, wie es mit Russland in 50 Jahren aussieht, hoffentlich besser. Es geht um die russische Gesellschaft, nicht um das Individuum. Dass es davon noch ein paar gute gibt, ist anzunehmen. Die Mehrheit scheint moralisch verkommen zu sein. Das ist das was Gudkow schreibt und ich bin geneigt ihm zu glauben. Die russische Kultur macht den Zustand gerade auch nicht besser. Bach konnte damals genauso wenig retten wie Tschaikowski jetzt.

    • Offizieller Beitrag

    Die Frage ist noch offen:

    Es geht an der Lebensrealität und den Umständen der Menschen in Russland ein wenig vorbei, wenn man schreibt "Die wollen sich einfach nicht dafür interessieren." Inwiefern liest du mangelndes Interesse der Bevölkerung an objektiver Berichterstattung in dem Interview denn raus?

  • Ich habe einfach das Interview gelesen, so steht es da. Ist nicht das erste dieser Art bei SPON und das Fazit ist immer das gleiche. Weisst du selber wie VPN funktioniert? Installiert einfach und nutz es. Ist nicht kompliziert, muss man einfach machen. Ich kann SurfShark z. B. empfehlen.


    Edit: PLONK. Ich merk's dann ja, wenn ich wieder mal gesperrt werde. Jesus... Man kann keine Moderatoren blockieren. Das muss dringend geändert werden.

    • Offizieller Beitrag

    Grundsätzlich sehe sehe ich das ähnlich wie du. Aber hier

    muss ich ganz klar widersprechen. Es gibt keine Begründung für einen Angriffskrieg (das ist kein Konflikt und auch keine Militäroperation). Niemand darf einen souveränen Staat angreifen, auch wenn der Angreifer noch so sehr die Sowjetunion vermisst und sich irgendwas davon zurecht spinnt, dass die NATO ihn einkreisen wolle.

    Korrekt. Aber das war auch nicht die russische Gesellschaft sondern ein autokratisches System.

    Zitat

    Die Niederlage Russlands ist aber der einzige akzeptable Ausgang dieses Krieges. Die Lehre für Russland kann nicht sein, dass es mit Landgewinn belohnt wird, andere Staaten zu überfallen, Zivilisten zu ermorden, seine Soldaten zu verheizen und ein Land zu zerbomben. Dem hätte man eigentlich schon 2014 einen Riegel vorschieben müssen.

    Auch ein Angriffskrieg (in Europa) ist nicht mehr zeitgemäß. Putin ist in der Hinsicht vollkommen aus der Zeit gefallen und denkt noch in sowjetischen Kategorien. Russland war international anerkannt, in die Staatengemeinschaft integriert und hätte die partnerschaftliche Entwicklung nur weiter vorantreiben müssen. Stattdessen hat sich Putin mit seinen Leuten für die rückständige Idee des Landgewinns entschieden.

    Die Osterweiterung der NATO wie der EU stellt aus Sicht der Ex-Sowjets bzw. aus Sicht der russischen Bevölkerung eine ähnliche Vorgehensweise dar wie es jetzt der militärische Landgewinn im Zuge des Krieges ist. So gesehen sind die Annexion der Krim und der Ukraine-Krieg eine Eskalation dessen, was man vorher bereits als westliche Aggression wahrgenommen hat.
    Das muss man weder gutheißen noch empathisch darauf reagieren. Aber man muss es im Hinterkopf behalten.


    Totale Niederlagen haben immer das Risiko, dass der Rachegedanke, das Gefühl der Demütigung und dergleichen sich irgendwann politisch wieder durchsetzen. Der Zweite Weltkrieg war letztlich auch die Fortsetzung des Ersten Weltkriegs, weil der Versailler Vertrag eben keine stabile Friedensordnung war. Das hatten einige schlaue Köpfe der Franzosen und der Briten bereits 1919 selbst erkannt.


    Die russische Mentalität bewundert Stärke und kennt Verachtung für das Schwache - das war auch in Sowjetzeiten so - und Adenauer hatte es damals ebenso erkannt. Niederlage ja. Bedingungslos nein.

    • Offizieller Beitrag

    Die fehlende (technische oder wie auch immer geartete) Möglichkeit, ein VPN zu installieren und zu nutzen, ist die eine Sache.


    Die andere Sache ist die Lebensrealität von Zivilgesellschaften in autoritären Systemen. Es ist weniger fehlendes Interesse als mehr Angst - in einem Land, in dem du bei einer Demo verhaftet wirst, wenn du ein Blatt mit der Aufschrift "Zwei Worte" hochhältst.

  • Gibt es irgendwo aktiven Protest von Exil-Russen? Soweit mir bekannt haben sich da mehrheitlich wehrpflichtige junge Männer verpisst um die eigene Haut zu retten. Und gemäss Gudkow informieren sich gute 20 % via VPN im Ausland. Scheint nicht ganz so dramatisch zu sein wie von dir dargestellt.

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