Wege zum Schulabschluss

  • Ihr lieben Kolleg*innen, vor allem wahrscheinlich die, die ihr im berufbildenden Setting arbeitet. Könnt ihr bitte mal erklären, welche Möglichkeiten es gibt, ohne Abitur einen Beruf zu ergreifen? Ggf. auch, was man macht, wenn man überhaupt keinen Schulabschluss hat. Geht das, könnte ich ganz ohne Schulabschluss eine Lehre anfangen?


    Und irgendwo hab ich mal gehört, dass man mit Hauptschulabschluss eine Ausbildung machen kann und dann automatisch einen Realschulabschluss hat. Stimmt das so? Was gibt es noch für Wege abseits des klassischen Weges Realschule - > Azubi oder Abitur -> Studium.


    Interessiert mich aus persönlichen Gründen und auch, weil ich feststelle, wie wenig ich selbst und auch andere Lehrkräfte oft über die diversen Varianten wissen. Kann man da bundesweite Gemeinsamkeiten festhalten?

  • Geht das, könnte ich ganz ohne Schulabschluss eine Lehre anfangen?

    Ja! Der Betrieb muss Dich einstellen. Mehr nicht.


    Und irgendwo hab ich mal gehört, dass man mit Hauptschulabschluss eine Ausbildung machen kann und dann automatisch einen Realschulabschluss hat.

    In NRW ist das so, wenn Du einen bestimmten Schnitt hast und Englisch in einem bestimmten Stundenumfang hattest (kann auch nachgeholt werden). Bei einem Schnitt mindestens 2,5 (?) gibts sogar direkt die Qali dabei.

  • Geht das, könnte ich ganz ohne Schulabschluss eine Lehre anfangen?


    Und irgendwo hab ich mal gehört, dass man mit Hauptschulabschluss eine Ausbildung machen kann und dann automatisch einen Realschulabschluss hat. Stimmt das so?

    Für Bayern gilt: 2x ja, wobei die Mittlere Reife nach Abschluss der Ausbildung an kleine Hürden gebunden ist: 3,0 im Berufsabschluss und eine 4 in Englisch im Abschlusszeugnis der Mittelschule. Das (Fach-)Abitur erreicht man dann über FOS bzw. BOS.

  • Ich habe gerade wenig Zeit, daher erstmal nur soviel: In NDS erwirbt man automatisch mit dem erfolgreichen Besuch der Berufsschule und der Berufsausbildung den Realschulabschluss (so steht es in der "Bbs-VO": https://voris.wolterskluwer-on…c6-3628-9674-06cd94c35eb0). Und auf demselben Weg kann man auch den Hauptschulabschluss erwerben, wenn man ohne diesen in eine Ausbildung gestartet ist (vgl.

    https://voris.wolterskluwer-on…24-3917-a14c-f87545cd4eb3).

    Dass man ohne HSA eine Berufsausbildung im dualen System beginnen kann, ist meines Wissens bundesweit so.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Was gibt es noch für Wege abseits des klassischen Weges Realschule - > Azubi oder Abitur -> Studium.

    Es gibt sehr vieles. Ich habe mal einen Netzplan für die Möglichkeiten in Hessen gemacht. Mit Kommentaren zu den einzelnen Pfaden. Das kann natürlich an versch. Stellen in anderen Bundesländern etwas anders aussehen.


    flussdiagramm_hessen.pdf

  • Es gibt sehr vieles. Ich habe mal einen Netzplan für die Möglichkeiten in Hessen gemacht. Mit Kommentaren zu den einzelnen Pfaden. Das kann natürlich an versch. Stellen in anderen Bundesländern etwas anders aussehen.


    flussdiagramm_hessen.pdf

    BBS kann (fast) alles. :)


    PS: In RLP sehr ähnlich.

  • Geht das, könnte ich ganz ohne Schulabschluss eine Lehre anfangen?

    Ja, wenn man einen Betrieb findet, der einen im Dualen System ausbildet, kann man dort die Lehre beginnen, egal welchen Schulabschluß man hat oder ob man gar keinen Schulabschluß mitbringt. Nur ohne abschluß wird die Suche natürlich extrem schwer.



    Und irgendwo hab ich mal gehört, dass man mit Hauptschulabschluss eine Ausbildung machen kann und dann automatisch einen Realschulabschluss hat. Stimmt das so?

    Wenn man die Berufsschule mindestens mit einem Notenschnitt von 3,0 abschließt, also das Berufs-SCHUL-Abschlußzeugnis (nicht das Berufs-Abschlußzeugnis = IHK-Zeignis) mindestens den Notendurchschnitt 3,0 aufweicht, hat man den Realschulabschluß. Ist der Notenschnitt unter 3,0 aber mindestens bei 4,0 erhält man automatisch den Hauptschulabschluß.



    Was gibt es noch für Wege abseits des klassischen Weges Realschule - > Azubi oder Abitur -> Studium.

    • Egal welcher Schulabschluß --> Lehre --> Staatlich geprüfter Techniker/Betriebswirt (=Bachelor-Abschluß) --> Master-Studium
    • Egal welcher Schulabschluß --> Lehre --> einjährige Fachoberschule = Fachhochschulreife --> Bachelor-Studium an FHR oder Uni
    • Fachoberschulreife --> 3jährige Assistentenausbildung = Fachhochschulreife + vollschulische Berufsausbildung
    • Fachoberschulreife ohne Q-Vermerk --> einjährige Fachschule = Q-Vermerk --> 2 jährige Berufsfachschule/Höhere Handelsschule = Fachhochschulreife

    Das sind so ganz grob die Wege, die mir aktuell einfallen. Die Assitentenausbildung ist so ein spezielles Ding in NRW. Die gibt es nicht in jedem Bundesland. In meinem Ref. an einer kaufmännischen Schule hatten wir parallel die zweijährige Höhere Handelsschule und die dreijährige kaufmännische Assitentenausbildung. Damals war der Rat immer: "Wenn die Jugendlichen richtig fit sind, schickt sie in die Höhere Handelsschule (bzw. im technischen Bereich Berufsfachschule). Brauchen die jugendlichen etwas länger, schickt sie in die Assitentenausbildung (kaufmännischer Assitent, Informationstechnischer Assistent, ...), weil dort der gleiche Theorie-Stoff auf einen längeren Zeitraum verteilt unterrichtet wird und die Schüler Praxisphasen haben (bei uns einen Tag in der Werkstatt/Woche), so daß es generell langsamer vorwärts geht."

  • Bei uns sind die Assistenten zweijährig und an der Höheren Berufsfachschule angesiedelt.


    (Was früher eine Schule für begabte Realschüler im Anschluss war, zieht heute eher die an, die nach der 10 keine Lehrstelle haben.)

  • Danke euch und wow! Das Flussdiagramm ist ja echt aufwändig gestaltet. Und das System ganz schön ausgeklügelt, so dass jeder, der will noch einen Weg findet.

    Ja das hatte ich mal für einen UB gebastelt. Ich nutze es aber immer noch, wenn ich mit Lerngruppen über Bildungsbiographien rede. Das kommt recht oft vor. Viele sind dann sehr verwundert, was mir zeigt dass es nur sehr unvollständige Aufklärung in den anderen Schulen gab. Eigentlich sollte jede Lehrkraft über die gesamten Bildungsmöglichkeiten und -wege Auskunft und Beratung geben können. Also jetzt kein Vorwurf an die Lehrkräfte, aber denen wurde das ja auch nicht in ihrer Ausbildung nahe gelegt.



    Egal welcher Schulabschluß --> Lehre --> Staatlich geprüfter Techniker/Betriebswirt (=Bachelor-Abschluß) --> Master-Studium

    Nein das geht nicht, es gibt keine Hochschule, die einen Fachschulabschluss als Bachelor anerkennt.


    Fachoberschulreife --> 3jährige Assistentenausbildung = Fachhochschulreife + vollschulische Berufsausbildung

    Auch nicht ganz richtig. während der Assistentenausbildung kann man nur den schulischen Teil der FHR erreichen. Danach muss noch ein Jahrespraktikum oder einschlägige Berufszeit erfolgen. Erst dann erhält man die FHR.


    Fachoberschulreife ohne Q-Vermerk --> einjährige Fachschule = Q-Vermerk --> 2 jährige Berufsfachschule/Höhere Handelsschule = Fachhochschulreife

    Gleiches gilt hier auch.

  • Auch nicht ganz richtig. während der Assistentenausbildung kann man nur den schulischen Teil der FHR erreichen. Danach muss noch ein Jahrespraktikum oder einschlägige Berufszeit erfolgen. Erst dann erhält man die FHR.

    Da gibt's in RLP eine kleine Variation:

    In unserer HBF macht man (wie du auch bei euch schreibst) den/die staatlich geprüften IT/Sozial/...-Assistent/in und den schulischen Teil der FH-Reife. Die 12 Wochen Praktikum in dieser Zeit werden nachher noch um 14 weitere Wochen ergänzt, so dass dann mit insg. 26 Wochen Praktikum die FH-Reihe bescheinigt wird.


    PS: Der Bildungsföderalismus ;) Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen :D

  • Die Unwissenheit scheint mir auch in der Berufsberatung an unseren Oberschulen groß zu sein. Ich kenne inzwischen einige, die nach der 10. Klasse Realschule weiterlernen wollten und allesamt auf das Gymnasium wechselten, um in 3 Jahren das Abi nachzuholen. Die doch recht diversen und teilweise speziellen und nur lokal vorhandenen Möglichkeiten, die es auch in Sachsen gibt, kennt niemand aus dem Bekanntenkreis.

  • Die doch recht diversen und teilweise speziellen und nur lokal vorhandenen Möglichkeiten, die es auch in Sachsen gibt, kennt niemand aus dem Bekanntenkreis.

    Das ist halt schade. Deswegen müssen Schüler/Eltern eigentlich so früh wie möglich über die Möglichkeiten informiert werden. Gerade die vielen Möglichkeiten an beruflichen Schulen sind vielen gar nicht bekannt, weil sie nie auf einer gewesen sind oder dort auch nicht informiert wurden.

  • Das ist halt schade. Deswegen müssen Schüler/Eltern eigentlich so früh wie möglich über die Möglichkeiten informiert werden. Gerade die vielen Möglichkeiten an beruflichen Schulen sind vielen gar nicht bekannt, weil sie nie auf einer gewesen sind oder dort auch nicht informiert wurden.

    Absolut, es würde vielleicht auch die Angst vor der Oberschule bzw. den Gymnasialzwang son bisschen beruhigen.

  • Absolut, es würde vielleicht auch die Angst vor der Oberschule bzw. den Gymnasialzwang son bisschen beruhigen.

    Das wäre wünschenswert! Berufliche Bildung in allen Formen ist keine Sackgasse sondern ein Sprungbrett. Und da haben wir alle Varianten vom Sprung vom Beckenrand, dem 1er, 3er, 5er, 10er. Mit Treppchen dazwischen.


    Und wenn man ein Mal vom 3er gesprungen ist und einen Bauchplatscher hingelegt hat, kann's trotzdem sein, dass später noch mal der elegante Sprung vom 5er-Brett folgt.

  • Das ist halt schade. Deswegen müssen Schüler/Eltern eigentlich so früh wie möglich über die Möglichkeiten informiert werden. Gerade die vielen Möglichkeiten an beruflichen Schulen sind vielen gar nicht bekannt, weil sie nie auf einer gewesen sind oder dort auch nicht informiert wurden.

    Deshalb gibt es bei uns zwei Info-Abende: einen fürs Berufliche Gymnasium mit seinen Schwerpunkten und einen für die restlichen Vollzeitbildungsgänge an unserer BBS.

    Zudem fährt ein Team von vier KuK alljährlich im Herbst an die "abgebenden Schulen" in unserem Landkreis und informiert die Abschlussklassen über unser Bildungsangebot.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Merkwürdig finde ich übrigens, dass der Erwerb des Realschul- und des Hauptschulabschlusses ja in einigen BL an bestimmte Durchschnittsnoten auf dem Abschlusszeugnis der Berufsschule gebunden sind, in NDS aber nicht (siehe mein Beitrag Nr. 4: Hier reicht es, wenn man sowohl die Berufsausbildung gem. Kammerzeugnis als auch die Berufsschule erfolgreich abgeschlossen hat).

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