Adieu Fremdsprachen? – Macht KI dem Fremdsprachenunterricht wertlos?

  • Guten Morgen liebe Forengemeinde ☀️


    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat vor einigen Tagen ein Thema angesprochen, das mich nun auch seit einiger Zeit beschäftigt: welchen Stellenwert werden die Fremdsprachen (vor allem abseits des Englischen) in der zukünftigen Schule noch haben, da nun die Übersetzungsleistungen von KI-Modellen immer besser und zuverlässiger werden. Die Diskussion um den Fremdsprachenunterricht ist nicht neu, der Generalübersetzer wurde schon immer herbeigeredet, doch mit den großen Sprachmodellen à la ChatGPT und Konsorten sind wir einem starken generativen Übersetzungstool doch deutlich näher gekommen. Zumindest so nahe, dass ich mich frage, ob es wirklich noch sinnvoll ist, jedem Abiturienten eine zweite Fremdsprache abzuverlangen, die er dann in der Regel auf einem nicht einsatzfähigen Niveau erlernt und nach dem Abschluss sofort in die Schublade legt. Ist es da nicht vielleicht sinnvoller, die Unterrichtsstunden anderweitig zu nutzen? Sicherlich vermittelt der Fremdsprachenunterricht mehr als nur Sprachkompetenz, doch die Kompetenzen die vermittelt werden, sind auch Bestandteil in anderen Fächern (sei es dem muttersprachlichen Unterricht oder anderen – geisteswissenschaftlichen – Fächern).


    Ich erlebe es an mir selbst, dass ich das spanische Exposé meines Dissertationsvorhaben zu großen Teilen mit Formulierungshilfen, die mit künstlicher Intelligenz generiert wurden, verfasst habe. Nicht, weil ich des Spanischen nicht ausreichend mächtig wäre, sondern weil ich so effizienter schreiben konnte und auch das (im Vergleich zu einem Muttersprachler immer defizitäre) sprachliche Kapital ausgleichen konnte. Hier hat mir KI nun als Werkzeug gedient und nicht meine Fremdsprachenkenntnisse ersetzt. Aber zugegebenermaßen glaube ich, dass ich so auch ein Exposé auf Sprachen verfassen könnte, die ich kaum spreche. Vielleicht sogar auf einer Sprache, die ich überhaupt nicht beherrsche (nur kann ich da natürlich die Qualität nicht prüfen).


    Wie sind die Meinungen hier? Insbesondere die Sicht der Fremdsprachenkollegen würde mich interessieren.


    https://www.faz.net/aktuell/po…reformieren-19015442.html

  • Finde ich auch ein spannendes Thema. Außer Englisch habe ich meine "Fremdsprachenkenntnisse" nie gebraucht. Mit Übersetzungstools etc. wird es immer weniger notwendig. Ich denke, dass man eine zweite Fremdsprache durchaus noch anbieten sollte. Aber warum soll jemand, der vielleicht eher mathematisch-naturwissenschaftlich orientiert ist zwingend zwei Fremdsprachenlernen. Dann lieber mehr Stunden in Deutsch und Englisch stecken.

  • ...nur kann ich da natürlich die Qualität nicht prüfen).

    Ich denke, damit hast du es selbst auf den Punkt gebracht. Sprache hat doch so unglaublich viele Funktionen, eine perfekte Übersetzung alleine ist keine Sprache.


    Außerdem: dieselbe Diskussion gibt's bei Mathe auch, wer braucht schon Mathe, das kann alles ein Computer. Wer braucht schon Informatik, das wird immer wenigen Interessierten vorbehalten bleiben etc.


    Ich denke mir bei diesen Fragen, welches Fach wie viele Stunden bekommt und ob Schule überhaupt noch eine Rolle spielt: wer hat uns denn am Ende dazu befähigt, überhaupt solche Diskussionen zu führen? Frag mal einen Taliban, der als Kindersoldat im Erziehungslager großgeworden ist, welche Fächer relevant sind. Relevant ist alles, was uns verschiedene Sichtweisen näherbringt, das selbständige informieren und Urteilen ermöglicht und Zugang zu anderen Menschen verschafft. Ob das genau zwei oder drei Fremdsprachen sein müssen halte ich nicht so für bedeutsam wie die Forderung, etwas zu streichen, weil es nicht so wichtig sei und später nach dem Abi sowieso nicht perfekt beherrscht würde. Das trifft dann tatsächlich auf alles zu.

  • Rosa Laune: welche Fächer würdest du denn statt Fremdsprachen eher im Stundenplan deiner Schüler sehen? Vielleicht wäre das mal ein Ansatz, um zu überlegen, ob die Alternativen überhaupt sinnvoller wären.

  • Was hat überhaupt ausgerechnet ChatGPT mit Sprachkompetenzen zu tun. Der Google-Übersetzer ist schon seit vielen Jahren deutlich besser geworden. Wieso machen wir Mathe? Wolfram Alpha ist schon seit fast zwei Jahrzehnten das ChatGPT für Mathestudenten, trotzdem wurde das Fach, mit Recht, nicht abgeschafft.


    Sprache ist doch ein Türöffner in andere Kulturen, und da kann man sich nicht per Google Übersetzer am Handy ernsthaft integrieren. Klar, das entsprechende Niveau wird häufig nicht erreicht, aber auch die zweite Fremdsprache legt da wichtige Grundbausteine. Das "gute Englischniveau" kommt auch nicht aus der Schule allein, dort wird der Grundstein gelegt, der Rest passiert in der Freizeit oder im Beruf.

  • Außerdem: dieselbe Diskussion gibt's bei Mathe auch, wer braucht schon Mathe, das kann alles ein Computer. Wer braucht schon Informatik, das wird immer wenigen Interessierten vorbehalten bleiben etc

    Ne, so einfach ist es nicht. KI kann eben (noch) keine Mathe, in den Fremdsprachen ist sie hingegen von der Maschine "Mensch" nicht zu unterscheiden.

  • Meine russischsprachigen Freunde und Bekannte sagen immer wir gehen "sozialisieren", wenn man einen abend gemeinsam verbringt.

    Dafür ist der Einsatz einer KI m.E. eher hinderlich.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Ne, so einfach ist es nicht. KI kann eben (noch) keine Mathe, in den Fremdsprachen ist sie hingegen von der Maschine "Mensch" nicht zu unterscheiden.

    Magst du hierfür ein Beispiel nennen? Ich hätte nämlich, wenn überhaupt, eher andersherum argumentiert.

  • Es gibt bereits Forschung dazu, ob KI irgendwann tatsächlich auch alltagstauglich wird. In Spitälern, sozialen Einrichtungen etc sind solche Tools schon im Einsatz. Mir kommt das völlig schräg vor, aber offenbar gibt es Leute, die sich mit dem Gedanken anfreunden können. Hatte darüber erst kürzlich ein recht interessantes Gespräch mit einer Sprachwissenschaftlerin der Uni Basel.


    Dass KI in Mathe und den Naturwissenschaften nicht halb so viel kann, ist vorläufig mal eine Tatsache. Das mussten unsere Sprachler an der Schule zähneknirschend anerkennen, dass im Moment einfach sie alleine das Problem haben. Langfristig wird sich in allen Bereichen einiges ändern, es wird auf jeden Fall spannend.

  • Magst du hierfür ein Beispiel nennen? Ich hätte nämlich, wenn überhaupt, eher andersherum argumentiert.

    Es ist ausreichend bekannt, dass du weder verstanden hast, was ChatGPT leisten kann und was nicht und bisher zu faul warst, überhaupt mal selbst damit zu experimentieren.

  • Magst du hierfür ein Beispiel nennen? Ich hätte nämlich, wenn überhaupt, eher andersherum argumentiert.

    Mag ich nicht, nein. Ich habe bereits ein sehr aufschlussreiches Video von Edmund Weitz dazu verlinkt. Man muss sich mit der Sache halt einfach mal befassen, wenn man mitreden will.

  • Am meisten enttäuscht hat mich eigentlich, dass die Aussage von einem baden-württembergischen Ministerpräsidenten kam und speziell auf Französisch gemünzt war. Wie dumm kann man sein?

    Wie dumm kann man sein das Problem nicht zu sehen?

  • Ne, so einfach ist es nicht. KI kann eben (noch) keine Mathe, in den Fremdsprachen ist sie hingegen von der Maschine "Mensch" nicht zu unterscheiden.

    Doch doch, es gibt tatsächlich soziale Aspekte, die eine KI nicht ersetzen kann. Deswegen hat sich auch das Tamagotchi nicht gegenüber dem Hund durchgesetzt:aufgepasst:

  • Es geht auch (noch nicht) darum Sprachen lernen abzuschaffen. Aber die Frage ist doch, muss jeder Abiturient gleich zwei Fremdsprachen können? Wer sprachlich begabt oder interessiert ist, könnte zwei Sprachen lernen. Wer dieses nicht möchte, lernt "nur" Englisch. Am Ende gibt es doch so viele "neue" Dinge, die wir lehren sollten. Alleine der Bereich neue Medien wird aus meiner Sicht viel zu wenig beachtet. Dazu gehören auch gesellschaftliche Themen wie Datenschutz, Fakenews, Gefahren für die Demokratie, ...

  • Ich denke, damit hast du es selbst auf den Punkt gebracht. Sprache hat doch so unglaublich viele Funktionen, eine perfekte Übersetzung alleine ist keine Sprache.

    Nein, das sehe ich nicht. Ich bin immer, wenn ich nicht in der Lage bin einen fremdsprachigen Text zu verstehen, auf die Kompetenz eines Übersetzers angewiesen. Ehrlich gesagt traue ich da Übersetzung mit KI deutlich mehr als so manch einem Dolmetscher, wie ich ihn vor Gericht oder in unseren Willkommensklassen erlebt habe. Und ja, Sprache hat viele Funktionen, aber vor allem Kommunikation. Und die kann KI mittlerweile in einem Umfang leisten, dass ich mir nicht unbedingt die Mühe machen würde, Swahili oder Italienisch zu lernen.

    Außerdem: dieselbe Diskussion gibt's bei Mathe auch, wer braucht schon Mathe, das kann alles ein Computer. Wer braucht schon Informatik, das wird immer wenigen Interessierten vorbehalten bleiben etc

    Ich weiß nicht, inwiefern KI Mathe betreibt. Rechnen kann sie wohl. Aber Mathe ist ein wenig mehr, vor allem braucht es da ja ein tiefergehendes Verständnis der entsprechenden Disziplinen. Eine Gedichtsanalyse schreibt man ja auch nicht einfach mit Sprachkenntnissen (und da würde KI heute auch noch merklich schlechtere Leistungen bringen als jemand, der es wirklich kann).


    Was hat überhaupt ausgerechnet ChatGPT mit Sprachkompetenzen zu tun. Der Google-Übersetzer ist schon seit vielen Jahren deutlich besser geworden. Wieso machen wir Mathe? Wolfram Alpha ist schon seit fast zwei Jahrzehnten das ChatGPT für Mathestudenten, trotzdem wurde das Fach, mit Recht, nicht abgeschafft.


    Sprache ist doch ein Türöffner in andere Kulturen, und da kann man sich nicht per Google Übersetzer am Handy ernsthaft integrieren. Klar, das entsprechende Niveau wird häufig nicht erreicht, aber auch die zweite Fremdsprache legt da wichtige Grundbausteine. Das "gute Englischniveau" kommt auch nicht aus der Schule allein, dort wird der Grundstein gelegt, der Rest passiert in der Freizeit oder im Beruf.

    ChatGPT als Sprachmodell ist in der Lage menschenechten Text zu verfassen. Das ermächtigt ChatGPT auch zu präzisen Übersetzungen, die der Google-Übersetzer nicht leisten kann (aber den nutzt heute eh keiner mehr, dafür gibt es DeepL). Und mit Verlaub, ChatGPT leistet etwas anderes als Wolfram Alpha.


    Wenn es um die Integration in eine Gesellschaft geht, dann hast du Recht. Meine Aufgabe im Spanischunterricht ist es aber nicht, die Schüler auf ein Leben in Spanien, Guatemala oder Chile vorzubereiten. Interkulturelle Kompetenz ist sicher ein Teil des Fremdsprachenunterrichts, aber Integration? Nein, wäre mir neu.

  • Dazu gehören auch gesellschaftliche Themen wie Datenschutz, Fakenews, Gefahren für die Demokratie, ...

    Ist bei uns alles im Lehrplan implementiert.


    Wer sprachlich begabt oder interessiert ist, könnte zwei Sprachen lernen. Wer dieses nicht möchte, lernt "nur" Englisch.

    Das sagt Kretschmann ja auch. Der kann allerdings selbst keine moderne Fremdsprache und ohne Englisch ist es ziemlicher Mist als Politiker auf der Weltbühne.


    Davon abgesehen hat er das auf einem deutsch-französischen Freundschaftstag rausgelassen und Deutschland, vor allem die Anrainerbundesländer wie Baden-Württemberg, tun seit dem Krieg alles dafür, um mit Frankreich in gutem Kontakt zu bleiben. Da stellt man sich nicht hin und sagt, dass Französisch überflüssig ist und die Kinder in 7 oder 9 Jahren Französisch nicht mal lernten, ein Eis zu bestellen.

  • Doch doch, es gibt tatsächlich soziale Aspekte, die eine KI nicht ersetzen kann. Deswegen hat sich auch das Tamagotchi nicht gegenüber dem Hund durchgesetzt:aufgepasst:

    Für dich gilt das gleiche wie für Gymshark: Setz dich mit der Sache auseinander, wenn du mitreden willst. Es gibt seriöse Forschung zu dem Thema, die zu anderen Schlüssen kommt als du mit deinen Kalauern.

  • RosaLaune Wir haben an der Schule bereits angepasste Bewertungskriterien im Zusammenhang mit KI. Für die Fremdsprachen ist es ein riesen Problem bei selbständigen Arbeiten noch die Eigenleistung zu bewerten. Auch die Abschlussprüfungen am Laptop mit freiem Zugang zum Internet sind eine Herausforderung. Es hilft nur ausprobieren und unterwegs anpassen, im Moment ist es einfach mühsam. Mündliche Prüfungen werden im Zukunft eine viel grössere Rolle spielen. Und tatsächlich glaube ich, die zweite Fremdsprache wird mittelfristig in den Wahlpflichtbereich verschoben werden.

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