Integrative Schule - Lehrpersonen stossen an ihre Grenzen

  • Hier auch Sek I Lehrperson Baselland:

    Laut Bestimmung muss eine Kleinklasse mindestens 6 und darf maximal 13 SuS fassen. An meiner Schule sind es in der Regel so 6-10.Hauptsächlich werden sie von der Klassenlehrperson unterrichtet. Für Spezialfächer wie Hauswirtschaft, Musik oder Werken gibt es auch für die Kleinklasse Fachlehrer (hängt etwas von der Ausbildung der Kleinklassenlehrperson ab), die Stunden werden aber in der Regel von einem Sozialpädagogen begleitet, der die Kinder gut kennt und eine Beziehung zu ihnen hat. (Je nach Bedarf, manchmal ist es auch nicht nötig).

    Zur Allgemeinen Organisation: Ja es gibt drei Leistungsniveaus in derselben Schule + Klein- und Fremdsprachenklasse. Wir sind eine Schule und haben eine gemeinsame Schulleitung (Je nach Schulgrösse sind das mehrere Personen, die Aufgaben werden unterschiedlich verteilt, aber eine spezielle Zuständigkeit für ein Leistungsniveau ist mir aus keiner Schule bekannt.) Es gibt aber eine Zuständigkeit SpezFö (Spezialförderung), dieses Schulleitungsmitglied ist dann dafür zuständig wie Sozialpädagogen, Heilpädagogen und Sozialarbeit eingesetzt werden und hat dementsprechend mehr mit Kleinklasse und Niveau A zu tun.

    Niveau A hat max. 20 SuS pro Klasse, Niveau E und P max. 24. Werken, Textiles Gestalten, Physikpraktikum, Chemiepraktikum und Hauswirtschaftspraxis wird im Halbklassenunterricht unterrichtet mit max. 13. SuS pro Kurs. Niveau A wird standartmässig von einem Heilpädagogen begleitet, ebenso wie die Kleinklasse.

  • So eine hohe Dichte an Lehrpersonen aus dem Kanton Baselland hatten wir noch in keinem Thread. Zum Vergleich: BL hat knapp 300000 Einwohner, NRW hat gute 18 Millionen. Absurd. ^^

  • Die erste gezeigte Klasse ist etwa wie eine Förderschulklasse, der Teiler liegt bei uns auch bei 18. Nur besonders Begabte haben wir keine. Wo der Sinn liegt, dass die normal Beschulbaren dann am Ende auf dem Gang sitzen, damit sie mal in Ruhe was arbeiten können, während die mit Förderbedarf in lauter eigene Gruppen gehen... kann man sich wirklich fragen.


    Edit: ich sehe manchmal Inklusion an Oberschulen, bin kaum noch in der Primarstufe. Da ist es noch abstruser, weil man in 10 Fächern differenzieren muss und an SekI alle SuS mit Förderbedarf, die inklusiv beschult werden sollen, in Oberschulen landen, nur zu geratenen 0.1% in Gymnasien.


    Und ich bewundere die Kolleg*innen im Film für ihre Geduld. Die machen das mit einer Arschruhe, Hut ab!

  • Die erste gezeigte Klasse ist etwa wie eine Förderschulklasse

    Finde ich jetzt eine interessante Einschätzung, ich hätte tatsächlich gedacht, das sei so im Rahmen des Erwartbaren, wenn man eben nicht separiert beschult.



    Wo der Sinn liegt, dass die normal Beschulbaren dann am Ende auf dem Gang sitzen, damit sie mal in Ruhe was arbeiten können, während die mit Förderbedarf in lauter eigene Gruppen gehen... kann man sich wirklich fragen

    Eben, das ist absurd. Ich denke, das ist auch die Botschaft des Films. Da will eigentlich niemand Kinder ausschliessen, nur *so* funktioniert es offensichtlich nicht.

  • Ich finde es insgesamt schwierig.


    Die gezeigte Schule geht einen sehr individuellen Weg, dann muss man am Ball bleiben und für alle Kinder auf ihrem Niveau Aufgaben bereitstellen und ja auch mal etwas erklären. Es ist für mich nicht ersichtlich, wie das gemacht wird - und für mich selbst nicht klar, wie das gehen kann.

    Zwar habe ich schon so unterrichtet: wenn Gruppe A übt, bekommt Gruppe B etwas erklärt,

    aber das erfordert gute Planung, sehr viel Disziplin und geht nicht auf, wenn etwas dazwischen kommt, was leicht geschieht. DAzu sind es ja inzwischen nicht 2 Gruppen oder Niveaus sondern noch mehr ... und dann geht es eben irgendwann nicht mehr.

    Doch auch im gemeinsamen Unterricht habe ich mehrere Kinder, die vor dem Bewältigen der Aufgaben viel zusätzliche Unterstützung benötigen. Manchmal bin ich damit noch nicht fertig, dann haben andere die Aufgabe inzwischen beendet.

    Ich weiß, dass Kolleg:innen das z.B. über Wochenpläne abfedern, aber das, was früher über Pläne gut lief, scheint heute nicht mehr möglich zu sein und auch beim WoPla brauchen dann etliche Kinder Hilfe und Unterstützung.


    Auch frage ich mich: ist dann alles so individuell, dass Gemeinsames nicht mehr möglich ist?

    Wie kompensiert man entwickelnde Unterrichtsgespräche, Diskussionen, wann lässt man etwas erklären oder vorstellen?


    Ich für mich bewege mich zwischen diesen Polen, Unterricht mit der gesamten Klasse kommt vor, dann nahezu zielgleich für alle oder zumindest so, dass alle die gleiche Aufgabe bewältigen können, auch wenn sie es unterschiedlich umsetzen,

    Differenzierung für viele unterschiedliche Niveaustufen gibt es auch, aber nicht ständig und nur.


    Kinder, die gar kein Deutsch können, bekommen anderes Material für Deutsch, damit sie Deutsch lernen und den Anschluss hoffentlich schaffen. Wenn Stunden da sind, gibt es auch zusätzliche Förderung in der Kleingruppe. Man hat dann aber permanent Kinder, die zieldifferent parallel zu den anderen beschult werden (vor allem in D, Ma ... und zum Teil SU).

    Kinder mit Unterstützungsbedarf sind nicht immer zieldifferent, dennoch braucht es bei manchen Unterstützungsbedarfen trotz zielgleicher Beschulung besonderer Hilfsmittel, die man auch bereitstellen muss, also verwalten (Geräte warten/ aufladen) oder erstellen, in jedem Fall aber bedenken und einsetzen und den Einsatz zumindest zu Beginn erklären.

    Wenn mehreres aufeinander trifft, wird es noch schwieriger, auch Kinder ohne Deutschkenntnisse können Unterstützungsbedarf haben.


    Kinder mit Auffälligkeiten, die Logopädie, Physiotherapie, Ergotherapie, Lerntherapie bräuchten, habe ich auch immer dabei, aber das wird in den Schulen nicht angeboten oder aufgefangen. Man muss die Eltern schicken, sie brauchen dann ein Rezept vom Arzt, der die Therapie als notwendig erachtet. Abhängig ist man von Eltern, die sich kümmern, Ärzten, die verordnen und Therapieplätzen, die sehr rar sind.


    Dass Kinder auf dem Flur arbeiten, kommt bei uns auch vor. Hätte die Schule genug Räume oder größere und ganz anders ausgestattete Klassenzimmer, wäre sicher auch anderes möglich, aber oft werden Ecken auf dem Flur mit einbezogen, um die Situation in der Klasse zu entzerren und an einer Stelle ruhigeres oder lauteres Arbeiten zu ermöglichen.

  • Mein bisheriges Fazit: Baselland scheint sehr attraktiv für mich genervte NRWlerin

    Komm zu uns, wir sind integrativ ^^


    Im Ernst: Ich merke immer mehr, im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, im Gespräch mit Leuten aus dem Ausland, wir sind hier so eine Art Insel der Glückseeligen. Wir nörgeln natürlich auch gerne an allem rum, was irgendwie doof ist, aber wenn man schaut, was und wie es anderswo läuft, haben wir es hier verdammt gut. Der Stadtkanton ist progressiv und hat viel Geld. Das hat Vor- und Nachteile. Die KuK müssen alles mögliche über sich ergehen lassen, was man halt mal so probiert, weil man ja die links-liberale Stadt ist. Im Zweifel kann man es mit viel Geld wieder gradebiegen. Der Landkanton ist etwas konservativer aber grad eben nicht "verstaubt". Leider sind wir bildungspolitisch halt ein Zwerg, der nichts zu melden hat.

  • Mein bisheriges Fazit: Baselland scheint sehr attraktiv für mich genervte NRWlerin 😉.

    Lehrermangel gibts auch in der Schweiz, kompetentes Personal ist herzlich willkommen. :)

    Und ganz ernsthaft: Hier läuft definitiv auch nicht alles optimal und wir müssen uns auch immer wieder mal wehren, damit es nicht noch schlimmer wird, weil manche Politiker doch sehr lustige Ideen haben. In Gesprächen mit Kollegen aus anderen Ländern merkt man aber schon, dass wir hier auf hohem Niveau jammern und es insgesamt doch sehr gut haben.

  • Ihr seid wirklich eine Insel der Glücksseligen, vielleicht sollten wir für ein Schuljahr mal die Schule tauschen.😂.

    Aber im Ernst, wir stoßen in NRW nicht nur an die Grenzen, sondern haben diese deutlich überschritten. Dies hat auch deutliche Auswirkungen auf die Kollegen. Viele sind mit Mitte 50 durch. Sie reduzieren ihre Stunden nicht um am Strand zu liegen, sondern um es gesundheitlich überhaupt noch tragen zu können. Eigentlich kommt Frau Feller mit ihrer Teilzeitsperre den Kollegen sehr entgegen. Die machen nämlich jetzt das einzig richtige und beantragen eine Teildienstfähigkeit. Da gibt es zumindest eine kleine finanzielle Entschädigung oben drauf (die Hälfte der Differenz zur Vollzeitstelle) . Leider haben Tarifbeschäftigte Kollegen nicht diese Möglichkeit.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Komm zu uns, wir sind integrativ ^^


    Im Ernst: Ich merke immer mehr, im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, im Gespräch mit Leuten aus dem Ausland, wir sind hier so eine Art Insel der Glückseeligen. Wir nörgeln natürlich auch gerne an allem rum, was irgendwie doof ist, aber wenn man schaut, was und wie es anderswo läuft, haben wir es hier verdammt gut. Der Stadtkanton ist progressiv und hat viel Geld. Das hat Vor- und Nachteile. Die KuK müssen alles mögliche über sich ergehen lassen, was man halt mal so probiert, weil man ja die links-liberale Stadt ist. Im Zweifel kann man es mit viel Geld wieder gradebiegen. Der Landkanton ist etwas konservativer aber grad eben nicht "verstaubt". Leider sind wir bildungspolitisch halt ein Zwerg, der nichts zu melden hat.

    Neulich war ich tatsächlich einmal in einem Schweizer Lehrpersonenforum. Was mir zufällig als erstes in die Hände fiel war ein thread, bei dem sich die Kolleginnen just über die schlechte Umsetzung der Inklusion ausgelassen haben und wie unzufrieden sie sind. Das mag nur anekdotisch sein, aber ich wollte es doch auch einmal einwerfen, dass das wohl nicht alle so sehen.

    Ich habe versucht, das nochmals zu finden, leider weiß ich nicht einmal mehr, welches Forum das war. Es gibt ja viele. Jedenfalls konnte man so mitlesen, ohne Anmeldung. :gruebel:

  • Neulich war ich tatsächlich einmal in einem Schweizer Lehrpersonenforum. Was mir zufällig als erstes in die Hände fiel war ein thread, bei dem sich die Kolleginnen just über die schlechte Umsetzung der Inklusion ausgelassen haben und wie unzufrieden sie sind. Das mag nur anekdotisch sein, aber ich wollte es doch auch einmal einwerfen, dass das wohl nicht alle so sehen.

    Die in der Doku waren auch alles andere als zufrieden. Dass es woanders noch schlechter läuft, ist ja kein Garant dafür, dass man glücklich ist.

  • Antimon und ich haben ja auch beide betont, dass definitiv auch bei uns nicht alles optimal läuft. Ich bin noch nicht so lange dabei, aber gerade die Kollegen und Kolleginnen, die schon länger dabei sind haben natürlich auch schon einige Veränderungen mitgemacht und festgestellt, dass einiges eben schlechter und nicht besser wird. Ich kenne eigentlich auch persönlich niemanden, der mit der Umsetzung der Inklusion wirklich zufrieden ist.

    Einerseits wird hier auf hohem Niveau gejammert, es könnte alles auch wesentlich schlimmer sein. Andererseits finde ich es aber auch wichtig, den Leuten bewusst zu machen, dass nicht jede nette Theorie in den Schulen dann auch praktisch funktioniert. Das mit der Inklusion war eine schöne Idee, aber so wie sie im Moment läuft gehts nicht. Es ist wichtig, dass das geäussert wird, damit hoffentlich Gegensteuer gegeben werden kann, bevor der Karren total im Dreck liegt.

  • Ich denke, das was man in diesem Film sieht, ist definitiv nicht "optimal". Nur scheint das im Vergleich zu dem, was vor allem die KuK aus NRW hier schreiben, dann eben doch noch erträglich zu sein. Der Punkt ist ja, die Kollegin im Film z. B. geht zur Schulleitung und sagt, sie sei überlastet, im nächsten Moment hat sie eine zweite Lehrperson in der Klasse. Die Kinder bekommen alle irgendwelche Förderstunden. Es scheitert nicht an den Ressourcen und am Unwillen der zuständigen Politik. Die Idee an sich ist offenbar absurd. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es in der Stadt einen Richtungswechsel geben wird. Vergesst nicht, wir dürfen hier streiken. Ich hab's schon mal erlebt, dass wir die Mistgabeln gezückt haben und ich weiss, dass die Stimmung in der Stadt richtig geladen ist. Und auch wenn es im Landkanton einiges besser läuft, haben wir natürlich unsere Baustellen. Die sehe ich vor allem in der Ausbildung der Lehrpersonen, aber das ist ein ganz anderes Thema. Und da kann auch der Kanton nichts dafür.

  • Zauberwald Die Kollegen aus der Schweiz sollen mich hauen, wenn es nur meine eigene sprachliche Unfähigkeit ist, aber nach meiner Erfahrung zuckt hier niemand mit der Wimper, wenn man die Begriffe synonym verwendet.

    Du hast schon recht, da wird bei uns formal nicht unterschieden. Ich meine, es heisst meistens "Integration".

  • Förderbeschulung in NRW gibt es so gut wie garnicht mehr

    Auch in NRW ist die Inklusionsquote < 50 Prozent (Quelle). Die Mehrheit der SuS mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht also Förderschulen.

    Sozialpädagoginnen sind in der Praxis nicht vorgesehen und wenn doch ist der Markt leider leer...

    Meinst du Sonderpädagoginnen?

    mehrere Kinder mit diagnostiziertem sonderpädagogischem Förderbedarf in der Klasse (z.B. Hörminderung, Förderbedarf lernen, ADS, ADHS, LRS, Dyskalkulie)

    Hörminderung, ADS, ADHS, LRS und Dyskalkulie stellen als solche keinen sonderpädagogischen Förderbedarf dar. Sie können natürlich im Kontext eines solchen Förderbedarfs auftreten. Aber sie führen nicht automatisch zu einem und es gab natürlich immer schon SuS mit diesen Auffälligkeiten ohne SPF.

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