Von Gymnasium zur Gesamtschule

  • Hallo zusammen!

    Ich bin gerade auf den zentralen Zielgeraden meines Refs und habe bisher (Praxissemester, Referendariat) nur an Gymnasien unterrichtet. Jetzt habe ich eine Stelle bei einer Gesamtschule in NRW angenommen (aus Mangel an Gymnasialstellen mit meiner Fächerkombi), kriege so langsam aber Bammel davor, inwiefern ich dazu mangels Erfahrung wirklich qualifiziert bin…

    In der Theorie kenne ich die Besonderheiten der Schulformen natürlich schon, ich wäre aber dankbar, wenn mir Kollegen mit Erfahrungen aus eigener Erfahrung Tipps geben könnten, worauf ich konkret bei meiner Unterrichtsvorbereitung achten muss/ welche Unterschiede es noch gibt, an die man vielleicht nicht direkt denkt.

    Danke im Voraus von einer etwas nervösen bisherigen Gymnasiallehrkraft!

  • chilipaprika

    Hat das Thema freigeschaltet.
    • Offizieller Beitrag

    Es sind Kinder, es sind Schüler*innen, der ganz große Unterschied existiert dabei nicht. Solange du dir selbst Gedanken dazu gemacht hast, was es für deine Fächer bedeutet (werden sie extern differenziert? ab welcher Klasse? unterrichtest du in einem Fächerverbund?) und deinen Unterricht (Arbeitet die Schule mit mehreren Niveaus pro Lerngruppe? Stellst du unterschiedliche Klassenarbeiten her? usw..) und du NICHT den Plan hast, es auszusitzen und so schnell wie möglich das Kapitel Gesamtschule zu verlassen, um dank einer Elternzeit, einem kürzeren Wege, einer neuen Erkrankung zum Gymnasium zu wechseln, wirst du dich an der Schule genauso zurechtfinden müssen, wie an einem anderen Gymnasium.
    Ich habe 5 Gymnasien, 1 Gesamtschule und eine Oberstufenschule kennengelernt (also aktiv als unterrichtende Lehrkraft). Die Unterschiede zwischen den Schulen basieren NICHT nur auf der Schulform. Das Umfeld, die Elternschaft, das Profil, der Träger, soviel hat Einfluss... Lass dich darauf ein, lies die Schulcurricula, die Lehrwerke, aber auch alle Schuldokumente (Elternbriefe, Handreichung für neue Lehrkräfte, ... ).
    Viel Spass!

  • Das kann ich nur bestätigen. Die Unterschiede in der Ausgestaltung der gemeinsamen Zusammenarbeit im Kollegium, im Lernklima in den Klassen usw. sind zwischen Schulen gleicher Schulformen nicht selten größer als zwischen verschiedenen Schulformen ähnlicher Umgebungsbedingungen. Tendentiell musst du an einer Gesamtschule mit einer etwas größeren Heterogenität der Schülerschaft rechnen, wobei man sich nicht der Illusion hingeben sollte, dass es eine solche nicht auch am klassischen Gymnasium gibt. Gute Ansätze für innere Differenzierung und eine grundsätzlich wertschätzende Zugewandtheit zu seinen Schülern sind an beiden Schulformen Bedingungen erfolgreichen Arbeitens. Gleichzeitig sind - zumindest in NDS - die Gesamtschulen teils mit etwas besseren Personalschlüsseln ausgestattet und können sich auch mal Doppelsteckungen erlauben, sodass man sich gegenseitig gut unterstützen kann. Ob das in NRW auch so ist, weiß ich gerade leider nicht.

  • Vermutlich hast du die Stelle an dieser Schule ja angenommen, weil du dort einen guten Eindruck hattest? Insofern gibt es, wie schon geschrieben, doch vermutlich erstmal keinen Grund zur Sorge und du kannst deinem neuen Berufsabschnitt positiv entgegensehen.

    An den Gesamtschulen die ich kenne (HB und NDS) gab es, verglichen mit den Gyms an denen ich arbeite, eine viel stärkere Kultur des Zusammenarbeitens in den einzelnen Fächern. Gerade, weil die Anforderungen an Binnendifferenzierung, Kooperation mit PMs etc. größer sind.

    Wenn dir der Einstieg bevorsteht, würde ich versuchen möglichst schon vor deinem ersten Tag Kontakt zu den Fachkolleg:innen herzustellen und dir Tipps für den Unterricht Bzw. Material zu besorgen. Das wird schon! :)

  • Gleichzeitig sind - zumindest in NDS - die Gesamtschulen teils mit etwas besseren Personalschlüsseln ausgestattet und können sich auch mal Doppelsteckungen erlauben, sodass man sich gegenseitig gut unterstützen kann. Ob das in NRW auch so ist, weiß ich gerade leider nicht.

    Der Personalschlüssel muss ja auch mit entsprechenden Personen besetzt werden, daran hakt es bei uns aktuell. Wir haben aktuell knapp 7% der Stellen nicht besetzt

  • Vielen Dank für eure Meinung und Tipps, das war auf jeden Fall beruhigend! Ich freue mich auch schon wirklich auf die Schule, je näher die Stelle kommt, desto unsicherer wurde ich einfach nur wegen meiner mangelnden Erfahrung an der Gesamtschule.:)

  • Hi,


    ich habe diesen Wechsel in NRW aus Mangel an Alternativen auch gewagt und war in den letzten Sommerferien ebenfalls angespannt vor der neuen Herausforderung. Die ersten zwei Monate empfand ich als sehr hart, zumal die Schülerklientel absolut nicht einfach ist. Mittlerweile ist es schon etwas besser geworden. Mir ist außerdem klar geworden, in welcher Blase ich eigentlich bisher gelebt habe. Das ist wirklich der Querschnitt der Gesellschaft, der da vor einem sitzt.

    Wie die Vorposter schon schreiben: Gib dir selbst Zeit, dich einzufinden! Das dauert und ist auch total abhängig davon, wie du mit den Kollegen zurechtkommst. Was mir positiv aufgefallen ist, ist die Kultur des Austauschs und der Zusammenarbeit. An den vier Gymnasien, an denen ich bisher war, steckte da der Stock schon recht tief im Allerwertesten und eigene Schwächen oder Hilfsgesuche wurden kaum kommuniziert / verbalisiert, denn die Fassade muss ja aufrecht erhalten werden, dass im eigenen Unterricht alles super duper läuft.

    Fachlich solltest du deine Ansprüche an die Schüler stark reduzieren. Man schafft einfach weniger, was aber auch irgendwo normal ist. Ich habe an mir selbst festgestellt, dass ich im Vergleich zum Gymnasium zuhause deutlich weniger vorbereiten muss. Worauf man sich aber - je nach Fachkombination - einstellen sollte, ist fachfremdes Unterrichten. Das ist gewöhnungsbedürftig (man hat seine Fächer ja nicht ohne Grund studiert..), aber irgendwie die Norm.

  • Es variiert von Schule zu Schule. Für mich war der Wechsel mit Folgendem verbunden:

    • Einige Dinge werden lockerer gesehen. Ich verliere mich weniger in Details. Probleme im Unterricht und mit Schülern kann man offen ansprechen und man ist weniger "Einzelkämpfer". So fühlt es sich zumindest an.
    • Man erzieht viel mehr. Ich hab mich mittlerweile ganz gut daran gewöhnt.
    • Ich finde die Schüler nicht schwieriger, wie ich es zuvor vllt. befürchtet habe. Mit den allermeisten kommt man gut zurecht, wie es auch zuvor der Fall war. Es gibt manchmal ein paar äußerst schwierige Fälle, aber das geht den Kollegen dann ebenfalls so.
    • Ich finde, dass die Schüler einem mehr erzählen. Am Gymnasium sah ich da mehr Distanz.
    • Die Schüler sind im Schnitt weniger motiviert und deutlich weniger eigenständig, als ich es zuvor gewohnt war. Man hat häufig den Anspruch, dass ich es ihnen "beibringe", nicht, dass sie es lernen. Ich muss den Schülern also erstmal erklären, dass sie selbst für ihr Handeln verantwortlich sind. Die Eltern sehen es häufig so wie die Schüler und geben die Kinder an der Schule ab... das wird dann schon irgendwie laufen. Mit der Zeit wurde ich da nachsichtiger und akzeptiere, dass einige halt eben nicht bereit sind, mehr zu erreichen. Schule ist einigen halt einfach überhaupt nicht wichtig und das kann man nur zu einem gewissen Grad oder auch gar nicht beeinflussen.
    • Es macht einen großen Unterschied, ob man einzelne Teams hat oder ein großes Lehrerzimmer. Letzteres hat den Vorteil, dass man alle regelmäßig sieht / mit ihnen spricht. Schulen mit Teamstrukturen empfinde ich als "zerstreuter".
    • Es ist wirklich ein Querschnitt der Gesellschaft, wie hier auch schon erwähnt wurde. Das hat irgendwie auch etwas Angenehmes.
    • Das Kollegium ist diverser als am Gymnasium und bildet auch besser die Gesellschaft ab als an einem Gymnasium.


    Wie gesagt: Nur meine persönlichen Eindrücke...

  • Ich war 6 Jahre auch an einer Gesamtschule im Brennpunkt von NRW.


    Ich hab recht schnell festgestellt, dass es nicht meins ist.

    Viele SUS waren absolut unmotiviert.

    Der Querschnitt der Gesellschaft wurde dort definitiv nicht abgebildet.

    Eigentlich war es eine riesige Hauptschule.

    Ich hatte kein Kind mit Gymnasialempfehlung in meiner Klasse.

    Ein kleiner Teil hatte Realschulempfehlungen und die allermeisten Hauptschulempfehlungen.


    Es gab unheimlich viele nervige Freistunden für mich als Lehrer, in denen man kaum sinnvolles machen konnte, da es keine Arbeitsplätze gab.

    Die Versetzung nach 6 Jahren war für mich ein Segen.


    Fairerweise muss ich dazu sagen, dass es 2 weitere Gesamtschulen in der Stadt gab mit besserem Ruf.

    Ob es da wirklich besser war kann ich nicht beurteilen.


    Sicherlich ist vieles eine Typsache, aber die 6 Jahre haben mir gezeigt wie dankbar ich für meine jetzige Schule sein kann.

    Als Erfahrung war es ok, aber nicht bis zur Pension.

  • Damals, man kann es heute kaum glauben, gab es bei uns 80-90 Bewerbungen pro Grundschulausschreibung.

    Da ich keine Lust auf eine Vertretungsstelle hatte, habe ich mich naiv an allen möglichen Schulformen beworben .

    So kam ich dahin. Merkte aber ziemlich schnell, dass es nicht meins war.

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