Lehrprobe/UB-Vorbereitung mit ADHS

  • Hallo zusammen,


    ich absolviere mein Ref in Hessen mit zwei MINT Fächern und habe ADHS. Das habe ich schon mein ganzes Leben lang, bin mir also über die Besonderheiten im klaren. Warum wende ich mich an das Forum?


    Das Problem: Ich habe eine sehr ineffiziente UB-Lehrprobenvorbereitung. Ich habe häufige Gedankensprünge, was gerade in Anbetracht der langen Vorbereitungszeit von UBs problematisch ist. Konkret fehlt mir eine Struktur mit einem Zeitplan, welche Punkte von einem Unterrichtsbesuch wann abgearbeitet sein sollten.


    Gibt es hier weitere LiV mit oder ohne ADHS die das Problem kennen und ein System entwickelt haben, was bei der Vorbereitung hilft? Der restliche Unterricht ist davon im geringeren Maße betroffen, da nicht in so einer Genauigkeit wie bei den UBs geplant wird.


    VG

  • BlackandGold hatte in der Vergangenheit im Forum geschrieben selbst ADHS zu haben und kann dir bestimmt aus eigener Erfahrung gute Hinweise geben.


    Ich habe selbst kein offiziell diagnostiziertes ADHS (Teildiagnostik als Erwachsene wies darauf hin, dass ich das wohl hätte, war aber ich relevant für mich, das abzuschließen) kenne das Thema Gedankensprünge aber vor allem aus Hochstressphasen bei mir (wie eben UB- Besuchen).

    Ich habe mir immer mit ausreichendem Vorlauf eine Liste geschrieben, was ich bearbeiten muss (samt ungefährer Zeitangaben, sowie dem spätesten Endzeitpunkt, wann das abgeschlossen sein muss) und mich an dieser auch bewusst orientiert in der Vorbereitung. Dazu habe ich mir selbst bewusste Gedankenstopps eingebaut, um die inneren Sprünge zu begrenzen, indem ich dort, wo ich diese wahrgenommen habe bewusst innegehalten und mich gezwungen habe wieder einen Schritt zurück zu machen. Mir persönlich hat dabei Bewegung sehr geholfen, also je gestresster ich war, je mehr Gedankensprünge sich aufdrängen wollten, desto mehr gezielte Bewegung, damit ich die Energie in körperliche Bewegung umleite und gedanklich fokussierte bleiben kann.


    Wenn du eine ganz genaue Zeitplanung benötigst vorab, dann erstellen dir diese in einer Phase, in der du gerade keinen UB vorbereitest, damit du ein Grundgerüst hast, dass zu dir passt und an dem du dich entlanghangeln kannst.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich kenne das Problem und würde dir daher eher raten, dir von den Menschen Tips zu holen, die es nicht kennen. Die haben nämlich Strategien entwickelt... Listen sind bei mir auch nur ein kläglicher Versuch. Inzwischen habe ich ein Smartphone, das mich an bestimmte Termine erinnert, das gab's damals noch nicht.


    (Meine Strategie war, bis kurz vor knapp zu warten und dann die Nächte durchzumachen. Besonders toll ist es, dabei einen Speichervorgang am PC zu vergessen, weil man so im Workflow ist und dann 3h Arbeit in den Sand zu setzen. Bitte nicht nachmachen :hammer:)

  • Das kommt mir so bekannt vor. Habe im ersten Staatsexamen die Prüfungsrbeit wiederholen müssen. Hab erst eine Woche vorher angefangen zu tippen. Ich hatte alles auf Zettel. Jeden, den ich abgetippt hatte, verbrannte ich mit Vergnügen. Ich wollte zwei Tage vor Abgabetermin die Arbeit ausdrucken und binden lassen. Hab sie aus Versehen gelöscht (inklusive Papierkorb usw).

    Bin oft voll der Chaosmensch. Hatte als Kind und als Jugendliche auch die Diagnose ADHS.

    Ich würde dir auch empfehlen, dir Tipps von gut strukturierten Menschen zu holen.

    Habe mittlerweile selbst eine gute Struktur. In meinem Klassenraum ist zum Beispiel jede Lade und Fach usw beschriftet (teils mit Symbolen). Ich habe auch eine Pinnwand in der Klasse mit den wichtigsten Infos, Terminen usw.

    Listen führen habe ich aufgegeben. Ich verliere sie eh oder vergesse, dass ich eine habe. Manchmal existieren mehrere Listen parallel. Ich nutze das Handy als Organiser und habe eine sehr geduldige Chefin (zum Glück). Hab auch lernen müssen, mit meinen Konzentrationslöchern zu leben.

    Kinder mit ADHS bzw Autismus kommen bei mir gut zurecht. Mach dir deine Stärken bewusst. ADHS hat nicht nur Nachteile.

  • Kein ADHS, aber ADS. Bei mir herrscht auch chronisches Chaos, es ist alles grundsätzlich immer erst auf den letzten Drücker fertig, die UPP- Entwürfe und Materialien in der Nacht vor der Prüfung um kurz nach 4h morgens. Meine betreuenden Lehrer konnten leider keinen einzigen UB oder UPP Entwurf im Vorfeld gegenlesen, weil mein Kopf nicht arbeitet, solange theoretisch noch Zeitpuffer vorhanden ist. Was mir geholfen hat: entspannte Leute um mich herum, die mich einfach machen lassen haben und das Vertrauen hatten, dass zum Zeitpunkt x schon alles irgendwie verlässlich da ist 😊 Ist es auch.


    Falls du dich an Arbeitspläne halten kannst (ich kann das nicht), könnte man sich vielleicht "einfach" vorgezogene Deadlines setzen. Bei den meisten meiner Ref-Kollegen stand z.B. eine Woche vor dem UB bereits die Grobplanung oder zumindest das Stundenthema, der Verlaufsplan und das Material waren 2-3 Tage vorher fertig und dann fehlte nur noch der Entwurf usw.

  • Listen sind bei mir auch nur ein kläglicher Versuch.

    Was redet mir meine Frau immer zu, mir Wichtiges aufzuschreiben... und wie vergeblich versuche ich ihr immer klarzumachen, dass ich dann schlicht vergessen würde, etwas aufgeschrieben zu haben! Ich habe manchmal den Eindruck, es geht nicht nur mir so. Tröstlich.

  • Hallo zusammen,


    ich bin total beeindruckt wie viele sich die Zeit genommen haben mir zu antworten. Vielen Dank einmal dafür. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich meine Frage etwas präzisieren hätte sollen:


    Tatsächlich war ich nie der Typ der etwas aufgeschoben hat. Unter Zeitdruck arbeite ich schlecht (noch schlechter als sonst) und meine Symptome verstärken sich. Das Versuche ich unbedingt zu vermeiden.


    Mein Problem ist eher, dass ich früh genug anfange, aber mich dann an einigen Sachen aufhalte. Ob es dann die Sachanalyse ist für die ich 20 Paper lese, drei Verkaufspläne erstelle, da ich beim nächsten Schub wieder alles total blöd finde und und und... Leider habe ich gemerkt, das noch früheres Anfangen keinen Erfolg. Deswegen meine Frage in dem Forum.


    LG

  • Hallo,

    vielleicht nochmal an dieser Stelle generell die Frage, ob ihr den Eindruck hattet das ADHS ein großes Problem für eure Ausbildung war?


    Meine Stärken liegen definitiv im diagnostischen Bereich und meiner Art wie ich meine Fächer vermittel. Ich nehme meinen S*S die Angst vor Physik (Aussage meiner Ausbilderin). Soweit, so positiv. ADHS hat auch Stärken, wie Frechdachs es ja auch gesagt hat.


    Über eure Erfahrungsberichte würde ich mich außerordentlich freuen!

    VG

  • Ich bin selbst nicht betroffen, sondern meine Schwester. Sie ist keine Lehrerin, aber Pädagogin. Ihr ADS wurde leider erst relativ spät diagnostiziert (mit Mitte 20). In der Schule war sie immer ganz gut, hat aber teilweise wahnsinnig lange für Hausaufgaben gebraucht oder sie nur gemacht, wenn jemand daneben saß und sie zum Lernen angehalten hat.

    Später in der Ausbildung ging es ähnlich weiter. Insgesamt sehr gute oder gute Noten, aber Konzepte und Co. hat sie oft erst kurz vor Abgabe entwickelt und war dann wahnsinnig gestresst.

    Inzwischen macht sie es so, dass sie viel mit Notizzetteln, handschriftlichen Plänen und Erinnerungsapps arbeitet. Das klappt wohl ganz gut 😊

    Dem Thread-Eröffner alles Gute und viel Erfolg!

  • ADHS hat nicht nur Nachteile.

    Du meinst es natürlich gut und es soll aufbauend sein. Ich kann mit dieser aktuellen "neurodivers"-Haltung der Öffentlichkeit allerdings wenig anfangen. Die Gesellschaft richtet sich nach der Mehrheit und solange man zu einer Minderheit mit bestimmten Problemen gehört, muss man Strategien entwickeln, in dieser zurechtzukommen und erfährt permanent (soziale) Nachteile. Ich würde auch niemandem sagen "Depressionen haben auch was Gutes, sei dankbar dafür". Man muss halt damit leben lernen.


    Ich meine das nicht als Angriff, mich ganz persönlich beruhigen solche Aussagen jedoch nicht. Mir ist zum Beispiel bewusst, dass gerade Kinder mit ähnlichen Problemen eine besonders gefestigte Struktur brauchen, um die ich jedoch selbst kämpfen muss. Ob das Verständnis, das ich vielleicht dadurch mehr habe, das ausgleicht? Und muss man nicht auch genauso Verständnis für jede andere Problematik haben, auch wenn man sie nicht selbst erlebt hat?


    Aber ich lasse mich auch eines Besseren belehren, wenn jemandem wirklich Vorteile einfallen, die man durch dieses Störungsbild hat.

  • Du meinst es natürlich gut und es soll aufbauend sein. Ich kann mit dieser aktuellen "neurodivers"-Haltung der Öffentlichkeit allerdings wenig anfangen. Die Gesellschaft richtet sich nach der Mehrheit und solange man zu einer Minderheit mit bestimmten Problemen gehört, muss man Strategien entwickeln, in dieser zurechtzukommen und erfährt permanent (soziale) Nachteile. Ich würde auch niemandem sagen "Depressionen haben auch was Gutes, sei dankbar dafür". Man muss halt damit leben lernen.

    Es heißt Depression und nicht Depressionen. ADS oder ähnliches kannst du damit aber überhaupt nicht vergleichen. Ich kenne jetzt die genauen Mechanismen nicht bei ADS, aber hier funktioniert die Chemie im Gehirn etwas anders. Nicht schlechter, aber halt anders und man kann damit wunderbar funktionieren. Eben halt anders.


    Genauso könntest du sagen, du kannst mit Genderdiversität nichts anfangen, weil die Gesellschaft sich nach der Mehrheit richtet.

  • "Genderdiversität" ist kein in der ICD 10 kodiertes Störungsbild, hoffe ich.


    Hyperkinetische Störungen zählen aber zu den "Psychischen und Verhaltensstörungen" :

    Diese Gruppe von Störungen ist charakterisiert durch einen frühen Beginn, meist in den ersten fünf Lebensjahren, einen Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, die kognitiven Einsatz verlangen, und eine Tendenz, von einer Tätigkeit zu einer anderen zu wechseln, ohne etwas zu Ende zu bringen; hinzu kommt eine desorganisierte, mangelhaft regulierte und überschießende Aktivität. Verschiedene andere Auffälligkeiten können zusätzlich vorliegen. Hyperkinetische Kinder sind oft achtlos und impulsiv, neigen zu Unfällen und werden oft bestraft, weil sie eher aus Unachtsamkeit als vorsätzlich Regeln verletzen. Ihre Beziehung zu Erwachsenen ist oft von einer Distanzstörung und einem Mangel an normaler Vorsicht und Zurückhaltung geprägt. Bei anderen Kindern sind sie unbeliebt und können isoliert sein. Beeinträchtigung kognitiver Funktionen ist häufig, spezifische Verzögerungen der motorischen und sprachlichen Entwicklung kommen überproportional oft vor. Sekundäre Komplikationen sind dissoziales Verhalten und niedriges Selbstwertgefühl.


    Klingt negativ? Ist es auch. Eine Diagnose ist eine Auflistung von Symptomen. Eine "Generalisierte Angststörung" beispielsweise ist von realen Bedrohungen abgekoppelt. Da würde auch niemand auf die Idee kommen zu sagen "Schwitzen, Zittern und Panik, dass Angehörige erkranken hat auch sein Gutes, da lebt man vorsichtiger" o.ä.

  • Du meinst es natürlich gut und es soll aufbauend sein. Ich kann mit dieser aktuellen "neurodivers"-Haltung der Öffentlichkeit allerdings wenig anfangen. Die Gesellschaft richtet sich nach der Mehrheit und solange man zu einer Minderheit mit bestimmten Problemen gehört, muss man Strategien entwickeln, in dieser zurechtzukommen und erfährt permanent (soziale) Nachteile. Ich würde auch niemandem sagen "Depressionen haben auch was Gutes, sei dankbar dafür". Man muss halt damit leben lernen.


    Ich meine das nicht als Angriff, mich ganz persönlich beruhigen solche Aussagen jedoch nicht. Mir ist zum Beispiel bewusst, dass gerade Kinder mit ähnlichen Problemen eine besonders gefestigte Struktur brauchen, um die ich jedoch selbst kämpfen muss. Ob das Verständnis, das ich vielleicht dadurch mehr habe, das ausgleicht? Und muss man nicht auch genauso Verständnis für jede andere Problematik haben, auch wenn man sie nicht selbst erlebt hat?


    Aber ich lasse mich auch eines Besseren belehren, wenn jemandem wirklich Vorteile einfallen, die man durch dieses Störungsbild hat.

    Als Angriff verstehe ich deinen Beitrag gar nicht :rose:, sondern teile sogar viele deiner Argumente. Ich muss natürlich meinen Job als Lehrerin gewissenhaft usw erfüllen.

    Positiv bei mir ist zum Beispiel: Ich bin zwar ein totaler Chaot (im ersten Moment negativ, insbesondere dann, wenn andere Nachteile haben. Solange es nur mich betrifft, kann es anderen wurscht sein), wenn ich aber eine Struktur aufgebaut und verinnerlicht habe, erschüttert sie nichts mehr. Aus dem Nachteil wird ein Vorteil. Kollegen erkennen die Vorteile dieser Strukturen und übernehmen sie (bim letzten Mal Zeitersparnis für alle). Ich habe auch sehr viel Energie, die nicht einfach im Laufe des Tages nachlässt. Kann für Kollegen anstrengend sein, hat aber auch Vorteile (übernehme zum Beispiel mal für ein paar Stunden ein schwieriges Kind, sodass erschöpftere Kollegen mal durchatmen können). Usw

  • Ja, ich sehe durchaus auch Vorteile. Wenn es darum geht, "auf den letzten Drücker" (der manchmal auch der erste sein kann - sprich: einfach dann, wenn es schnell gehen muss) Handlungskonzepte für irgendeine Situation zu entwickeln, bin ich ziemlich gut. In anderen Worten: Dann werfe ich eine Handvoll Scherben in die Luft, und eine Blumenvase fällt runter.

    Insgesamt ist eine Aufmerksamkeitsstörung aber in einem System, das auf Regeln, Absprachen und Terminen basiert, eher kein Vorteil. Wie oft ich Menschen faktisch anlügen muss, um zu vertuschen, dass ich es war, der mal wieder was versemmelt hat, geht auf keine Kuhhaut. Schön ist das nicht.

  • Ich glaube auch, dass die oben genannten Vorteile (Scherben -> Vase) kein Symptom des ADHS sind, sondern ein vom ADHS unabhängiges persönliches Talent oder durch Training entstandene Kompensation.
    Andere ohne dieses spezielle Talent können den Prozess vielleicht nur andersherum (Vase -> Scherben).

    Jemand ohne Sehkraft kann ja auch nicht per se besser hören als andere.

  • Insgesamt ist eine Aufmerksamkeitsstörung aber in einem System, das auf Regeln, Absprachen und Terminen basiert, eher kein Vorteil. Wie oft ich Menschen faktisch anlügen muss, um zu vertuschen, dass ich es war, der mal wieder was versemmelt hat, geht auf keine Kuhhaut. Schön ist das nicht.

    Ich gebe sowas offen zu. Habe bisher immer gute Erfahrungen gemacht.

  • Ich glaube auch, dass die oben genannten Vorteile (Scherben -> Vase) kein Symptom des ADHS sind, sondern ein vom ADHS unabhängiges persönliches Talent oder durch Training entstandene Kompensation.
    Andere ohne dieses spezielle Talent können den Prozess vielleicht nur andersherum (Vase -> Scherben).

    Jemand ohne Sehkraft kann ja auch nicht per se besser hören als andere.

    Interessanter Gedanke, vielleicht wäre es aber auch an der Zeit, "positiv bewertete Symptome" mit aufzunehmen? ADHS hat, wer in stressigen Zeiten schnell denken kann oder so ^^


    Danke für die spannende Diskussion...

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