Lehramtsstudium in Hessen

  • Liebe Lehrer-Community,


    ich möchte Lehramt studieren und würde mich über Erfahrungswerte freuen!


    Zu mir: Ich (M,25) habe meinen BA in Rechtswissenschaften abgeschlossen. Allerdings erfüllt mich die Juristerei nicht und ich könnte mir das Lehren von Kindern und jungen Erwachsenen sehr gut als Lebensaufgabe vorstellen.


    Schulform: Ich könnte mir Mittelstufe oder Grundschule vorstellen.


    Fächer: Deutsch, Politik und Wirtschaft, Geschichte, Geographie oder Chemie


    Fragen die ich mir vor dem Studium stelle:


    1. Meine größte Sorge ist, dass mir mein höheres Alter bei Berufsantritt (nach Studium 30+) negativ angerechnet wird. Genauso soll mich keiner als „gescheiterten Anwalt“ sehen, da ich mein Erststudium erfolgreich abgeschlossen habe, es mir aber einfach keine Lebensfreude bereitet hat. Denkt ihr das Erststudium wird ein Negativaspekt oder eher eine Chance sein herauszustechen?


    2. Wie schätzt ihr meine Berufsaussichten (2030+) ein, mit den oben genannten Fächern? Welche Kombination würde am meisten Sinn machen ? Ich lese oft, Lehrermangel gibt es nur bei MINT, der Rest muss schauen wo man bleibt. Natürlich habe ich mir schon die Bedarfsprognosen der Bundesländer angeschaut. Eigentlich hat jedes Bundesland seine ganz eigenen Mängel. In NRW z.B. hat man mit Deutsch laut Prognose gute Aussichten, in Hessen dann wiederum nicht. Ich wäre eigentlich bereit in ganz Westdeutschland und Süddeutschland zu arbeiten. Norden und Osten eher weniger, da kein Bezug.


    3. Welche der Fächer sind am Anspruchsvollsten (im Studium und auch im Beruf)? Ich denke, dass ich viel Druck und hohe Schwierigkeitsgrade aus Jura gewöhnt bin. Zumindest mehr als ein Abiturient.


    4. Gibt es schon während dem Studium viele Möglichkeiten Geld zu verdienen oder wenigstens Erfahrung zu sammeln? Ab welchem Semester nimmt eine Schule einen überhaupt als „Werkstudent“ auf?


    5. An die etwas „jüngeren“ Lehrer, welche die oben genannten Fächer unterrichten: Wie lange habt ihr auf eine Lehrerstelle warten müssen und was hättet ihr im Nachhinein anders gemacht, um schneller eine Stelle zu finden?



    Vielen Dank schonmal an alle, die sich die Mühe machen zu antworten! :aufgepasst:

  • 1. Nein, 30+ spielt keine Rolle. Dein vorhergehendes Studium könnte nur dann positiv ins Gewicht fallen, wenn du im Bereich der Beruflichen Schulen etwas machen würdest (was offenbar aber nicht intendiert ist von dir), wo dieses relevant sein könnte für die von dir unterrichteten Ausbildungsberufe, ansonsten wird das halt zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Oder inwiefern denkst du, könntest du an einer Mittelschule oder Grundschule positiv herausstechen dank deines Jurastudiums?


    2. Chemie dürfte von den von dir genannten Fächern eindeutig das mit den besten Einstellungsvoraussetzungen sein. Es wäre also sicherlich hilfreich, wenn das, solltest du dich für die Sek.I entscheiden, eines deiner beiden Fächer wäre, um später auch etwas mehr Auswahl bei den Stellen zu haben. Geschichte wird das Fach sein wegen dem man dich höchstens trotzdem einstellen würde, weil man entweder Fach 2 oder gar Fach 3 dringend benötigt oder der generelle Mangel groß genug ist.


    Generell gibt es in der Sek.I, wie auch an den Grundschulen aktuell einen massiven Lehrkräftemangel, der dazu führt, dass jede: r, der örtlich ausreichend flexibel ist, eine Stelle bekommt, gleich mit welchen Fächern. Bis du fertig bist kann sich das aber durchaus verschoben haben im einen oder anderen Bereich, hin zu Lücken in bestimmten Fächern. Mit Chemie als Teil deiner Kombi hilfst du dir also sicherlich- vorausgesetzt das Fach ist nicht nur dein Studien- und Einstellungsnotnagel, sondern du studierst es aus echtem Interesse heraus. Ein Hauptfach als Ergänzung ist im Hinblick auf die spätere Berufspraxis dann sinnvoll, egal ob du zwei oder drei Fächer studierst.


    3. Am anspruchsvollsten sind die Fächer für dich, von denen du null Ahnung hast bzw. für die du dich null begeistern kannst, so dass es dir weder möglich ist, deinen SuS deine Begeisterung fürs Fach zu vermitteln, noch diese selbst zu nutzen, wenn du dich einarbeitest in neue Bereiche nach dem Studium oder dein Wissen aktuell hältst (was insbesondere in Wirtschaft und Politik eine tägliche Aufgabe ist).

    Von den von dir genannten Fächern kenne ich lediglich Politik und Wirtschaftslehre aus eigener Erfahrung. Beides waren Fächer, die nicht jeder Trottel im Studium mit links geschafft hat, der ein bisserl schwätzen konnte und die auch mehr erfordert haben, als nur Sitzfleisch und Lernwillen, weil man komplexe Zusammenhänge erkennen können musste samt ihrer nicht minder komplexen Konsequenzen. Das hat einige aus diesen Fächern rausgekegelt und viele andere diese gerade so bestehen lassen. Vor allem Politik wurde von zu vielen deutlich unterschätzt als Studienfach, ist aber auch das Fach, das die meiste Arbeit erfordert dabei auf dem Laufenden zu blieben später, weil unser Themenbereich sich täglich verändert, weiterentwickelt und eingeordnet werden muss in bestehende Schemata.


    Ich habe selbst erfolgreich ein Jura- Grundstudium absolviert, ehe ich zu Politikwissenschaft gewechselt habe. Vieles aus einem Jurastudiums kann man als Politiklehrkraft verwenden sei es im Studium oder eben auch später im Beruf, wo Rechtskunde ein wichtiger Teil des Lehrplans ist von Gemeinschaftskunde, wie das Fach hier ein BW heißt. Manche Starrheiten, auf die man im Jurastudiums getrimmt wird muss man aber loslassen können, um „out of the box“ denken zu können. Nachdem diese „Starrheiten“ mir immer etwas fremd geblieben sind, bot mir Politik im Vergleich genau den freien Raum, den ich gebraucht habe, um ich sein zu können. Je nachdem, wie du persönlich tickst, kann das für dich aber ganz anders sein und Politik dann möglicherweise das falsche Fach sein. Wirtschaftslehre ist deutlich formalisierter im Vergleich. Zu Fächern, die ich nicht studiert habe und auch nicht unterrichte will ich mich nicht äußern, weil ich diese nicht aus eigener Erfahrung bewerten kann.


    4. Wenn es dir bei der Frage nach den Verdienstmöglichkeiten spezifisch um solche an Schulen und als Lehrkraft gehen sollte, dann gibt es inzwischen wohl in allen Bundesländern ab dem Bachelor Möglichkeiten als Vertretungskraft tätig zu werden bei entsprechendem Bedarf. Damit bist du dann kein „Werksstudent“, sondern eben Student einerseits und Vertretungslehrer andererseits. Die genauen rechtlichen Vorgaben, ab wann man sich als Student bewerben darf unterscheiden sich dann je nach Bundesland etwas.


    5. Ich bin zwar bereits über 40, aber auch erst seit 5 Jahren im Schuldienst. Auf eine Stelle warten musste ich allerdings überhaupt nicht, da der erwähnte Lehrkräftemangel in der SEK.I einerseits aktuell gewaltig ist und ich andererseits neben guten Noten auch ein Mangelfach im Angebot habe und auch örtlich zumindest ein klein wenig flexibel war.


    6. Mach erst einmal Praktika im Primar- und Sekundarbereich, um herauszufinden, mit welchen Altersgruppen du tatsächlich langfristig zusammenarbeiten kannst und möchtest. Das sollte noch vor deiner Entscheidung für irgendwelche Fächer stehen.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

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  • Vielen Dank, dass du deine Erfahrungen mit mir teilst CDL!

    Zu:


    1. Ich dachte mehr daran, dass meine Lebenserfahrung und das "out of the box" Denken einen Vorteil bringen könnte. Viele Lehrer kennen nur die Schule und den Lehramtsberuf. Ich habe noch ein anderes Fach studiert und in Kanzleien gearbeitet. Ich könnte auch Schule, Schüler und Lehrer rechtlich beraten. Aber vielleicht hast du Recht und das ist zu weit gedacht. Solange es mir keine Nachteile bringt, ist es in Ordnung. Die Bildung hab ich dann für mich genossen.


    2. Chemie wäre tatsächlich ein Fach, dass ich aus strategischen Gründen wählen würde. Ich war immer gut in Chemie, aber es wäre nicht mein Traumfach. Da würde mich Politik, Deutsch und Geographie mehr interessieren. Aber ich möchte auch nicht arbeitslos enden. In den Prognosen für Hessen, NRW, BW und BY wird bis 2030 eigentlich vorausgesagt, dass nahezu jeder eine Stelle findet. Eventuell mache ich mir ja da zu viele Sorgen? Und wenn ich GS-Lehramt mache, hat sich die Frage der Fächer sowieso geklärt. Und Westdeutschland und Süddeutschland Bereitschaft finde ich sehr flexibel :D.


    3. Am wenigsten Vorahnung habe ich in Chemie und Geographie. Politik und Wirtschaft ist ein Fach in Hessen. Ich traue mir das aber nach erfolgreichem Jurastudium zu. Und die ständige Aktualität empfinde ich als was positives, wenn auch Mehrarbeit. Allerdings gibt es dieses Fach so nicht überall. In NRW gibt es beispielsweise Hauswirtschaft oder Sozialkunde. Es stellt sich die Frage ob man sich das anrechnen lassen kann. Ich denke aber auch, dass Jura in vielen Bereichen des Fachs helfen kann. Vielleicht nicht unbedingt die Materie, aber viele Herangehensweisen.


    4. Mir geht es darum neben dem Studium schon Erfahrung zu sammeln und Geld zu verdienen. In Hessen gibt es nur Staatsexamen.


    5. Welches ist dein Mangelfach?


    6. Vielen Dank für den Tipp :)

  • In BW ist Französisch in der SEK.I Mangelfach, das habe ich studiert, unterrichte aber tatsächlich immer nur eine Klasse pro Schuljahr, weil der bedeutend größere Mangel das Fach Ethik betrifft, welches ich aufgrund des enormen Lehrkräftebedarfs inzwischen fast ausschließlich unterrichte, obwohl ich das fachfremd mache. Vielleicht wäre das Fach ja auch etwas für dich als Ergänzung zu Politik/ Wirtschaft und Deutsch. Passt gut zu deiner gesellschaftswissenschaftlichen Neigung, aber durchaus auch zu deinem Jurastudiums, hat große Schnittmengen mit Politik gerade auch in der Fachdidaktik und zumindest hier in BW gibt es einen immensen Lehrkräftebedarf dafür, seit das Fach inzwischen bis in die 5. Klasse runtergewandert ist und auch an manchen Grundschulen angeboten wird.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • 1. Nein, 30+ spielt keine Rolle. Dein vorhergehendes Studium könnte nur dann positiv ins Gewicht fallen, wenn du im Bereich der Beruflichen Schulen etwas machen würdest (was offenbar aber nicht intendiert ist von dir), wo dieses relevant sein könnte für die von dir unterrichteten Ausbildungsberufe, ansonsten wird das halt zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Oder insofern denkst du, könntest du an einer Mittelschule oder Grundschule positiv herausstechen dank deines Jurastudiums?

    Nicht nur dort. Auch in der Verwaltung oder der Schulleitung ist das Studium von Vorteil.

  • Nicht nur dort. Auch in der Verwaltung oder der Schulleitung ist das Studium von Vorteil.

    Klar, aber der TE wird wohl mutmaßlich nicht deshalb als Jurist noch ein Lehramtsstudium draufpacken, weil die Verwaltung ihn lockt und der Weg in die Schulleitung ist so ohne Studium, Ref, Berufserfahrung selbst wenn das der richtige Weg für ihn/ sie wäre, noch wenigstens 12-15 Jahre (oder mehr) entfernt.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • In der GS sind außer Deutsch alle genannten Fächer anteilig im Sachunterricht gesetzt. Aber ist es das, was du dir vorstellst?


    Warum hat noch niemand aus der BBS-Fraktion geschrieben? Kann man da Verwaltung und Jura nicht unterbringen?

  • Warum hat noch niemand aus der BBS-Fraktion geschrieben? Kann man da Verwaltung und Jura nicht unterbringen?

    Das ließe sich sicherlich einiges anerkennen. Der TE hat aber kein Interesse an den Schulformen geäußert, auch wenn es natürlich das non-plus-ultra ist.

  • Warum hat noch niemand aus der BBS-Fraktion geschrieben? Kann man da Verwaltung und Jura nicht unterbringen?

    Na ja, zum einen schrieb der/die TE ja, dass er/sie sich am ehesten vorstellen könne, in der Grundschule oder "Mittelstufe" (Sek I, nehme ich an) zu unterrichten. Mal davon abgesehen, dass ich mich als Niedersächsin gerade eh nicht angesprochen fühle, da Leeramt später nicht nach Nord- oder Ostdeutschland umziehen möchte, wäre es m. E. zumindest hier in NDS nicht möglich, sich einen Bachelor in Rechtswissenschaften für das Lehramt an BBS anrechnen zu lassen (ggf. zwar einige "Scheine", aber eine solche berufliche Fachrichtung gibt es hier für das Lehramt BBS nicht).

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

    Einmal editiert, zuletzt von Humblebee ()

  • aber eine solche berufliche Fachrichtung gibt es hier für das Lehramt BBS nicht

    In Hessen auch nicht, allerdings gehe ich davon aus, dass man sich für WiVe doch einiges anerkennen lassen kann. Aber das müsste mit der jeweiligen Uni abgeklärt werden.

  • Wobei WiVe in Hessen nicht besonders gesucht ist. Chemietechnik wird demnächst auch nicht mehr als Quereinstieg an beruflichen Schulen angeboten. Offenbar ist da der Bedarf zwischenzeitlich gedeckt. Ich nehme also an, dass das auch als grundständig studiertes Fach wohl nicht mehr besonders nachgefragt sein wird.

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

  • Bedeutet "nicht mehr als Quereinstieg angeboten" nicht eher, dass davon ausgegangen wird, dass der Bedarf jetzt wieder durch regulär ausgebildete Lehrkräfte gedeckt werden kann? Ansonsten wäre es ja ein Schritt vom einen Extrem zum Anderen.

  • Danke für die vielen Antworten!


    An Berufsschule habe ich kein Interesse. Ethik wäre auch ein Fach was mich sehr interessieren würde, kann mir gar nicht erklären, wieso das so wenige in anderen Bundesländern machen? Ich kann leider kein Ethik als Fach nehmen an meiner Universität (Goethe Frankfurt). Es wird schlichtweg nicht angeboten.


    Interessant wäre es zu wissen, ob ich mir in Politik und Wirtschaft scheine anerkennen lassen könnte aus Jura. Andenfalls wie gesagt, extra Bildung hat noch nie jemandem geschadet. Höchstens meinem Bluthochdruck.


    Und eventuell kann man Ja Politik und Wirtschaft in NRW z.B. als Sozialkunde und Hauswirtschaft anrechnen lassen?


    Es hat sich jetzt aber glaube ich noch keiner aus der Fraktion Grundschule gemeldet. Würde auch da gerne Erfahrungsberichte hören, vor allem von Männern wäre das super hilfreich :).


    Aber die Antworten haben mir jetzt schon bei der Entscheidungsfindung geholfen!

  • Ethik wäre auch ein Fach was mich sehr interessieren würde, kann mir gar nicht erklären, wieso das so wenige in anderen Bundesländern machen?

    Na ja, Ethik (in anderen Bundesländern: "Philosophie" oder auch "Werte und Normen", wie es in NDS heißt) wird halt - je nach BL - nur von einem recht kleinen Prozentsatz von SuS gewählt und außerdem besteht meines Wissens in den meisten BL erst ab Klasse 5 die Möglichkeit den Religionsunterricht "abzuwählen".

    Und eventuell kann man Ja Politik und Wirtschaft in NRW z.B. als Sozialkunde und Hauswirtschaft anrechnen lassen?

    Für das Fach "Hauswirtschaft" ziemlich sicher nicht; das käme mir seltsam vor, denn das ist ja etwas völlig anderes als das Fach "Politik - Wirtschaft".

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • außerdem besteht meines Wissens in den meisten BL erst ab Klasse 5 die Möglichkeit den Religionsunterricht "abzuwählen"

    Nö, dich vom Religionsunterricht abmelden kannst du - bzw. deine Eltern für dich, wenn du noch nicht (voll) religionsmündig bist - jederzeit. Unabhängig davon, ob ein Ersatzunterricht eingerichtet ist oder nicht.

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