psychische Krankheiten im Lehrerberuf

  • Zitat

    Original von Melosine
    Fern ab der Praxis kann man über die Jahre die tollsten Ideen entwickeln, wie Schule, wie Lehrer sein sollten. Umsetzbar ist das oft nicht.


    Nun ist es aber die Aufgabe der Universität, die tollsten Ideen zu entwickeln. Es ist nicht ihre Aufgabe, die Umsetzbarkeit hinzubekommen. Da spielen zu viele andere Faktoren mit hinein. So ist es die Aufgabe der Lehrenden, die universitären Ideen zu prüfen, auszuwählen und ihre Anwendbarkeit zu testen. Und was nicht geht, geht dann nicht. Daran ist aber nicht allein die Uni schuld. Sie kann sich nicht darauf beschränken, nur praxisgängige Lösungen vorzuschlagen. Sie muss auch das Wünschenswerte, die Utopie denken und entwerfen können. Damit kann sie eine Richtung vorgeben, wo es hingehen soll.


    Es ist ein Problem der universitären Bildung, dass das Studium mit Ausbildung verwechselt wird und die Studenten annehmen, sie würden hier (ausschließlich) ihr Handwerkszeug lernen. So ist es aber nicht und so ist es auch nicht gedacht. Sie lernen das wissenschaftliche Arbeiten und das Reflektieren der Schulpraxis. Das ist Aufgabe und Handlungslogik des Systems Universität / Wissenschaft. Die Ausbildung kommt im Referendariat und im Beruf. So ist das nun mal.

  • Zitat

    Original von Melosine
    ....Und ich stimme nele zu: frag mal nach, ob die Dozenten mal als Lehrer gearbeitet haben. Da gab es bei uns wenige. Viele haben direkt nach dem Ref eine Stelle an der Uni bekommen. Fern ab der Praxis kann man über die Jahre die tollsten Ideen entwickeln, wie Schule, wie Lehrer sein sollten. Umsetzbar ist das oft nicht......


    Bestes Beispiel: Hilbert Meyer : 3 Jahre Schulpraxis, aber Schulpraxis-Papst :respekt:
    siehe:
    http://www.member.uni-oldenburg.de/hilbert.meyer/5410.html


    Back to topic:


    Nur wer als Lehrer richtig "brennt", kann auch ein äqivalentes "burn-out" entwickeln. Sparflammen funzeln länger :D

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

    • Offizieller Beitrag

    @CRK: Ich habe ja geschrieben, dass es durchaus wünschenswert ist, mit Idealismus an die Sache heranzugehen. Ich sehe die Universitäre Ausbildung unter ähnlichen Gesichtspunkten. Es muss einem nur klar sein, dass die Utopien nicht immer 1:1 umzusetzen sind und dass man möglicherweise in der Realität auf ganz andere, möglicherweise widrige Bedingungen stößt.
    Mein Posting wollte sich nicht mit dem Studium an sich auseinandersetzen (worum es ja auch nicht ging), sondern war an die Threadstarterin gerichtet, die sich möglicherweise (verklärte) Vorstellungen vom Schulalltag macht.


    Melo

  • Zitat

    Original von CKR
    Nun ist es aber die Aufgabe der Universität, die tollsten Ideen zu entwickeln. Es ist nicht ihre Aufgabe, die Umsetzbarkeit hinzubekommen. Da spielen zu viele andere Faktoren mit hinein. So ist es die Aufgabe der Lehrenden, die universitären Ideen zu prüfen, auszuwählen und ihre Anwendbarkeit zu testen. Und was nicht geht, geht dann nicht. Daran ist aber nicht allein die Uni schuld.


    Entschuldige bitte, aber das ist vom Standpunkt der Wissenschaft her Quatsch. Wer eine Theorie oder eine Methode entwickelt, ist in der Verantwortung, die Validität der Theorie oder Methode zu überprüfen und zu belegen, bzw. sie zumindest modellhaft experimentell zu überprüfen. Ich kann mir doch nicht spekulativ irgendwas ausdenken und sagen "kann funktionieren oder nicht, ist doch nicht mein Bier"! :rolleyes: Das hätte doch mit Wissenschaft nichts zu tun - wer die These aufstellt ist in der Bringschuld für Falsifizierbarkeit und Beweis, das ist wissenschaftspropädeutisches Grundwissen...


    Oder folgt die universitäre Pädagogik und Didaktik nicht zumindest elementaren wissenschaftlichen Qualitätsforderungen?


    Zitat

    Sie kann sich nicht darauf beschränken, nur praxisgängige Lösungen vorzuschlagen. Sie muss auch das Wünschenswerte, die Utopie denken und entwerfen können. Damit kann sie eine Richtung vorgeben, wo es hingehen soll.


    Ich denke mal, das Wünschen überlassen wir dem Wunschkonzert und die Utopien den Utopisten. In der Wissenschaft soll man sich gefälligst auf den kritischen Rationalismus und vernünftige Empirie beschränken. Für Spinnereien sind die Lehrstühle zu teuer.


    Nele


    P.S. Die bizarre Vorstellung, das Universität nichts mit Ausbildung zu tun hat, teilt man übrigens nur in einer sehr sehr kleinen Provinz von Akademia, nämlich in den deutschen Geisteswissenschaften. Unseliges Erbe des deutschen Idealismus im 19. Jh. den man mal allmählich überwunden haben sollte.

    2 Mal editiert, zuletzt von neleabels ()

  • Zitat

    Original von unter uns
    Und wenn ich Studien lese, die enttäuschten und frustrierten Kollegen ernsthaft vorwerfen, sie hätten "nie gebrannt" und seien daher an allem Unglück selbst schuld, frage ich mich immer, mit Bezug auf welch anderen Beruf solche Formulierungen jemals gewählt werden würden.


    Das ist doch die (politisch sanktionierte) Strategie "die Lehrer und Lehrerinnen sind selber schuld". Man braucht halt Sündenböcke. In Deutschland haben wir als Lehrer und Lehrerinnen halt das Pech, dass wir die Sündenböcke für gesellschaftliches und politisches Versagen sind.Die neue Mantra heißt halt "Bildungsgerechtigkeit". Und wenn sich dann trotz Einheitsschule und "Abitur für alle" nichts zum besseren wendet: Wer hat wohl wieder Schuld?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Aber das ist doch genau eines der Hauptprobleme: Die Uni bildet nicht aus. WER bildet denn dann aus? Das Referendariat leider auch nicht. Da wird das Können erwartet: Sie haben doch studiert...
    Und dann steht man plötzlich nach dem zweiten Examen vor einem hoch anspruchsvollen Elternklientel, soll top Fachunterricht machen und hat vielleicht während des Studiums ein Seminar besucht, das mal wirklich was mit Praxis zu tun hatte und im Referendariat ausgerechnet die beiden anderen Fächer belegt.
    Dumm gelaufen. Ins Fettnäpfchen getreten - und wer hat schuld daran? Der Lehrer natürlich wieder, weil Lehrer immer schuld haben.
    Und sowas ist es doch, was den Frust verursacht. Man lässt Berufsanfänger über die Klinge springen - im Vollgas - weil man Ihnen nichtmal das nötigste Handwerkszeug vermittelt.
    Bei mir scheiterte es zunächst an den banalsten Dingen, z.B. der Frage, wie ausführlich ein Lehrbericht verfasst werden muss . Auch an der jeweiligen Schule gibt es seltenst eine Art Checkliste für Neukollegen. Es wird immer irgendwie erwartet, dass es läuft, weil man ja immer irgendwie die entsprechenden Infos doch noch von irgendwem bekommt.
    Und das ist genau das, was ich einige Posts vorher mit Chaosverwaltung gemeint habe.
    Man verlangt von uns professionelles Arbeiten auf höchstem Niveau, bildet uns aber nciht aus und stellt die nötigen Mittel nicht zur Verfügung, um die hohen Vorgaben erfüllen zu können. Stattdessen verheizt man BAT-Kräfte aufs Übelste und bekommt den psychisch stabillsten Junglehrer irgendwann zum labilen Wrack, der zynisch wird oder selbstaggressiv...
    Ich merke schon, ich klinge wieder sehr frustriert, aber nach meiner Elternzeit-Auszeit und mit der nötigen Distanz empfindet man manche Dinge als noch kränker als jemals zuvor...
    Ich weiss jedenfalls, dass ich nicht brennen werde, bis ich verbrannt bin.

  • Zitat

    Original von Friesin
    das Referendariat hat schon ausgebildet. Für viele war es sogar DER Praxisschock X(


    Und das darf eben nicht sein, nicht nach einem mehrjährigen Studium! Aber zum Glück kommen die ersten Schulministerien ja dahinter und man beginnt, die Studienordnungen praxistauglicher zu machen, was ja ohnehin gut in den Bologna-Prozess passt.


    Aber, um das Thema auf den Ausgangsbeitrag zurückzuführen, das Dilemma ist eben, das junge Leute schlimmstenfalls Jahre ihres Lebens auf eine utopische Vorstellung verschwenden, ohne eine realistische Chance zu bekommen, herauszufinden, ob dieser Beruf tatsächlich das richtige für sie ist. Und besonders sind dann die Primarstufen- und Hauptschulkollegen ohne vollwissenschaftliche Ausbildung in den Arsch gekniffen, die dann auch noch sehr oft in einer beruflichen Sackgasse stecken.


    Das muss einfach anders werden.


    Nele

  • Zitat

    Original von neleabels
    Aber, um das Thema auf den Ausgangsbeitrag zurückzuführen, das Dilemma ist eben, das junge Leute schlimmstenfalls Jahre ihres Lebens auf eine utopische Vorstellung verschwenden, ohne eine realistische Chance zu bekommen, herauszufinden, ob dieser Beruf tatsächlich das richtige für sie ist. Und besonders sind dann die Primarstufen- und Hauptschulkollegen ohne vollwissenschaftliche Ausbildung in den Arsch gekniffen, die dann auch noch sehr oft in einer beruflichen Sackgasse stecken.


    Ob jedoch die Primarlehrerin, die merkt, dass schulisches Unterrichten doch nicht so "ihr Ding" ist, an einer Uni besser aufgehoben ist ( Nele, so habe ich das oben kursiv Gerückte interpretiert, oder meinst Du generell die Tatsache, dass ein "vollwissenschaftliches Studium" ein breiteres Tätigkeitsspektrum erschliesst?), weiss ich nicht. Die meisten Primarstudierenden (zumindest bei uns am Institut) wollen doch gern "Hauptsache, was mit Kindern machen".


    Berufliche Neuorientierung soll ja eigentlich nach bzw. mit Bologna (ist es nicht inzwischen Lissabon?) anders werden - für den Fall, dass jemand während seiner schulischen Lehrtätigkeit merkt, dafür keine Energie, darauf keine Lust oder was auch immer zu haben, sollten mithilfe eines 3-semestrigen Masters andere Berufsfelder erschliessbar sein. Die Crux daran ist nur, dass, bis man diese Ungeeignetheit o.ä. feststellt oder sich eingesteht, immer noch eine viel zu lange Ausbildungsdauer hinter sich hat (denn die KMK hat nicht wirklich eine Lösung gefunden, die Lehrerausbildung mit ihren bisher 2, künftig 3 Phasen zu kürzen).


    LG, das_kaddl.

  • Ich bin eine der "Glücklichen", die ein Bachelor- und ein anschließendes Masterstudium absolviert hat. Es ist vollgepackt bis zum geht nicht mehr - Studierbar oder nicht, das interessiert eh keinen.
    Der Bachelor ist weitesgehend fachlich orientiert, was ich so auch von anderen Fächern mitbekomme. Ich denke, durch mein Fach "Grundschulpädagogik" bin ich die Einzige, die schon im Bachelor auch etwas von Didaktik und Methodik gehört hat. Ansonsten ist der Bachelor ein hochwissenschaftliches Studium, ich habe es in meinem zweiten Fach Mathematik erlebt: durchgekaut, von Analysis und Algebra über Elementargeometrie, Stochastik und Zahlentheorie... - sicherlich, ich habe eine sehr gute theoretische Fundierung, aber was davon brauche ich für die Grundschule?
    Der Bachelor bildet nicht für den Lehrerberuf aus, denn mit einem Bachelor-Abschluss könnte ich auch in die freie Wirtschaft gehen und man studiere nicht mehr "Lehramt", sondern "mit Lehramtsoption". Somit ist in der Regel auch nur 1 Orientierungspraktikum im bachelor vorgesehen - also 4 Wochen mal reinschnuppern und schauen, ob der Lehrerberuf das Richtige sein KÖNNTE.
    Im Master erhält dann endlich mal die Erziehungswissenschaft Einzug und auch Didaktik ist zu sehen. Da kommen die zwei "richtigen" Unterrichtspraktika - aber dann habe ich auch schon 3 Jahre studiert und stelle vielleicht fest - oh, in einer Klasse habe ich ja so viele Schüler vor mir!


    Praxisrelevante Dinge habe ich einzig und allein in den Seminaren zur Vorbereitung der Praktika gelernt - in unserem Institut für Mathematik läuft sogar ein Austauschprogramm: Lehrer an die Uni, Dozenten an die Schule - das finde ich eine gute Idee.


    Ansonsten: Studium = Wissenschaft = Theorie. Und ich muss meine Vorredner LEIDER bestätigen: wenn ich mir so die Lebensläufe einige meiner Dozenten anschaue, sind die nicht übers Referendariat hinausgekommen, oft gleich an der Uni geblieben.


    Aber wo findet denn nun der Brückenschlag statt? Ich dachte immer, dass dafür das Referendariat zuständig ist? Oder ist es doch eine nicht existente Grauzone?? Der eine schiebt es dem anderen zu, das gibt es ja öfter *seufz*


    So viel aus "Noch-Studierenden-Sicht"


    Schalhevet

    Nichts ist unmenschlicher als die gleiche Behandlung von Ungleichen.

  • Hallo,


    als ganz so dramatisch habe ich das Ref nicht erlebt. Ich fand in meinem Fall schon, dass man anfangs herangeführt wurde. Klar, die Anforderungen wuchsen rasch, aber so ein bisschen kaltes Wasser hat noch niemanden umgebracht. So viel zum Ref... Über das Studium möchte ich mich nicht auslassen, dass ist schon zur Genüge geschehen. Auch ich, liebe Schalhevet, habe im meinem SoPäd-Studium all die netten Mathematischen Bereiche wie Zahlentheorie etc. lernen dürfen...! Kann jedenfalls meinen Vorrednern zustimmen und würde mir wünschen, dass die Wissenschaft die in der Praxis gegebenen Realitäten ein kleinwenig in ihr Blickfeld rücken würde...


    Andi

  • Zitat

    Original von Schalhevet
    Ich bin eine der "Glücklichen", die ein Bachelor- und ein anschließendes Masterstudium absolviert hat. Es ist vollgepackt bis zum geht nicht mehr - Studierbar oder nicht, das interessiert eh keinen.
    Der Bachelor ist weitesgehend fachlich orientiert, was ich so auch von anderen Fächern mitbekomme. Ich denke, durch mein Fach "Grundschulpädagogik" bin ich die Einzige, die schon im Bachelor auch etwas von Didaktik und Methodik gehört hat. Ansonsten ist der Bachelor ein hochwissenschaftliches Studium...


    Das liegt aber am Bundesland und der Verwurstung des normalen 1.Staatsexamen-Studiums in neue BA/MA-Ordnungen durch die Universität. Ich habe in Erfurt, wo ich studiert habe, als studentische Vertreterin im Gremium gesessen, in welchem ebenjener Prozess der Neukonzeption der Studiengänge stattfand. Herausgekommen ist ein BA, dessen Hauptstudienrichtung "Pädagogik der Kindheit" heisst. Jemand, der später in einer Schule lehren möchte, muss eine "schulfachrelevante Studienrichtung" als Nebenstudienrichtung kombinieren. Ich verzichte darauf, die Studieninhalte hier einzeln aufzuzählen und verlinke einfach mal eine Broschüre mit Auflistung der Studieninhalte auf S. 2.


    Das "hochwissenschaftliche" Mathematikstudium hatten wir übrigens auch im Staatsexamensstudium. Soweit ich das durch diese Infobroschüre und Gespräche mit Studierenden und Dozierenden mitbekomme, ist da wesentlich zurückgefahren worden... Sicherlich kommt es auch auf Vergleichsmöglichkeiten und persönliche Vorlieben an. Wir haben die 3 Veranstaltungen Mathematik, die fachwissenschaftlich sehr vertiefend waren, immer in einer Lerngruppe zu viert bestanden (danke Mareike S. aus ehemals Potsdam, jetzt Ratzeburg :) ).


    Was mich hier im Thread stört (weil es mich indirekt auch betrifft): wieso wird so viel daran gekrittelt, dass Dozierende an einer Uni nach dem Ref direkt an die Uni gegangen sind? Wann soll man denn Eurer Meinung nach eine Dissertation beginnen - mit 40? Ich war Ende 20 nach 1. Staatsex., EZW-Dipl. und 2. Staatsexamen fertig ausgebildet - wie lange sollte ich denn in einer Schule arbeiten, um eine "gute Dozentin" zu werden? Egal, wie lange, irgendeiner "Zielgruppe" würde ich sowieso nicht genügen - die einen würden sagen "wie, 5 Jahre an einer Primarschule und jetzt an die Uni? Was ist denn da vorgefallen, dass Sie jetzt so plötzlich an die Uni wollen?", die anderen würden sagen "5 Jahre? warum sind Sie denn nicht an der Schule geblieben? die bieten Ihnen doch grössere Arbeitsplatzsicherheit und -perspektive als wir hier an der Uni", die dritten würden sagen "5 Jahre? das ist aber wenig, das reicht ü-ber-haupt nicht, um die Schulrealität beurteilen zu können" usw. usf.


    Hier in der Schweiz hat das Primar-Lehrerausbildungssystem (man beschränkt sich übrigens darauf, die Studies nur mit einem BA auf die Primarschüler loszulassen - und es klappt scheinbar) ja eine andere Geschichte; teilweise habe ich Dozierenden-Kollegen, die nicht mal studiert haben, sondern "nur" die seminaristische Lehrerausbildung plus Schulerfahrung haben (also im Prinzip das, was hier im Thread angedeutet bwz. erwünscht wird). An den Schweizer Hochschulen, die Lehrer ausbilden, geht aber der Trend eindeutig in Richtung Anstellung wissenschaftlicher Dozierender - wer keine Diss hat, kommt nicht rein.


    LG, das_kaddl.


    EDIT: Wir sind aber ganz schön weit vom Ausgangsthema entfernt... Sollte der Thread langsam mal geteilt werden?

  • das_kaddl:
    Ich kann zwar nicht beurteilen, wie es in der Schweiz ist, und ich glaube auch nicht, dass sich die Kritik der meisten hier NUR dagegen richtet, dass diverse Didaktiker und Fachwissenschaftler zu wenig Praxiserfahrung haben, ABER:


    Es ist in Deutschland leider mittlerweile üblich, das JEDER meint, beim Themenfeld "Schule" mitreden zu können. Und es redet auch jeder mit: In diversen Expertengruppen, Bildungskommissionen, Talkrunden usw. sitzt mittlerweile praktische jede Berufsgruppe bis auf diejenigen, die wirklich Ahnung von der Praxis haben. Da werden Bildungsreformen von Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern, Politikern und Journalisten diskutiert und beschlossen, und man hat das Gefühl, dass Praxiserfahrung dafür völlig irrelevant ist. Mittlerweile ist wohl das Image der Lehrer und Lehrerinnen in der Öffentlichkeit in Deutschland dermaßen mies, dass man es nicht mal für nötig hält, sie bei diesen Themen direkt zu befragen.
    Eine systematische Beteiligung der "Basis" findet in Deutschland im Bildungswesen de facto nicht statt. Ob die Reformen nun "eigenverantwortliche Schule", "U-Plus", "6-jährige Grundschule" oder wie auch immer heißen: Die Ergebnisse des bildungspolitischen "Diskurses" werden den Lehrerinnen und Lehrern vor die Füße gekippt und dann heißt es: "Nun macht mal schön".
    Und wenn diese "Reformen" dann wieder scheitern, ist auch klar, wer hier in Deutschland daran die Schuld trägt...
    Ich glaube, dass ist es was die meisten daran nervt.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Zitat

    Original von Bolzbold
    ...
    Das kann man durchaus auf die allgemeine Politik erweitern - und selbst da sind die Lehrer schuld, weil ja angeblich so überdurchschnittlich viele von ihnen in unserem Parlament sitzen.
    ....


    Aber das wird sich ja eventuell ändern. In Ba-Wü wollten Oettinger&Consorten eine Änderung der Landesverfassung durchsetzen, in der mit dieser Begründung Beamten das passive Wahlrecht entzogen werden soll....


    Andererseits: Man hat nun schon einige Wochen von dieser Idee nichts mehr gehört. Scheinbar hat hat jemand Oettinger und Co mal ein Päckchen mit Landesverfassung und ein Grundgesetz zukommen lassen... :hammer:

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    2 Mal editiert, zuletzt von alias ()

  • Zitat

    Original von alias
    Aber das wird sich ja eventuell ändern. In Ba-Wü wollten Oettinger&Consorten eine Änderung der Landesverfassung durchsetzen, in der mit dieser Begründung Beamten das passive Wahlrecht entzogen werden soll....


    Dann wären wir ja wieder (fast) vollends im antiken Rom:


    Öffentlich Bediensteter = öffentlicher "Sklave"


    Zitat


    Sklaven im öffentlichen Dienst kümmerten sich um die Stadt – sie bauten Straßen und Gebäude, pflegten diese und arbeiteten im Hafen. Viele Sklaven arbeiteten auch in Bergwerken und Münzprägereien. Besonders die Arbeit in Bergwerken war körperlich extrem anstrengend und die Arbeitsbedingungen oft unmenschlich. Aufgrund der schlimmen Verhältnisse überlebten die meisten Sklaven, die in einem Bergwerk arbeiteten, nicht einmal die ersten zehn Monate. In der Verwaltung tätige Sklaven arbeiteten, wenn sie die Gunst des Kaisers genossen, in dessen Hofstaat oder in der Verwaltung.


    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/S…n_und_Klassen_von_Sklaven


    Aber wenn es soweit ist, wandere ich aus. Versprochen! Das ist dann mein Beitrag zum "Brain Drain". Sollen sie dann doch was weiß ich wen die Kinder unterrichten lassen.


    Gruß !


    ps: Ja, ich kenne den Unterschied zwischem aktiven und passiven Wahlrecht.

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    2 Mal editiert, zuletzt von Mikael ()

    • Offizieller Beitrag

    Ohhh, schicke Diskussion....


    Schalhevet
    Ich habe im gleichen Bundesland studiert wie du, Mathematik war mein Zweitfach im Studium für Kl. 7 bis 13, bin aber irgendwann in ein Grundschulstudium gewechselt. Nein, von den Mathematiksachen kann ich nichts mehr anwenden - mein Kopf hat den Platz, der damit gefüllt war, sehr schnell freigegeben.


    Zitat

    Original von Schalhevet
    Ja entschuldige, aber genau DAS, also die Empathie und Sensibilität wird im Lehrerstudium ganz GROSS geschrieben. Zumindest in meinem Grundschulpädagogikstudium. Ich möchte behaupten, dass wir die menschliche Kompetente und die unterrichtende Kompetente in ihrer Bedeutung gleichsetzen.


    Genau das habe ich in meinem Grundschulstudium auch erlebt. Ich hatte es bisher als eine Besonderheit meiner damaligen Uni angesehen und mich hinterher tierisch drüber aufgeregt.



    Als Unterrichtende brauchst du einen gewissen "Führungsstil", konsequentes Setzen von Grenzen, Überblick über die gesamte Klasse gleichzeitig, schnelle Entscheidungsfähigkeit. Du musst eben auch mal "eintrichtern" und mal völlig unindividuell mit der ganzen Klasse was machen. Mit "mal" meine ich mindestens 1/3 der Unterrichtszeit, wenn du SEHR sehr gut organisiert bist und SEHR sehr viel Geld und Zeit für differenzierte Unterrichtsmatieralien hast und die Zusammensetzung der Klasse es zulässt (Fähigkeiten zum selbstständigen Arbeiten, Akzeptieren von Regeln etc.), passt da was nicht, wird es eher mehr.
    Als Mensch kannst du Verständnis dafür haben, dass Fritzchen unter dem Tisch liegt und bockt, weil Mama ihn nie anlächelt und die 3 Papas sich die Klinke in die Hand geben. Als Unterrichtende kannst du sagen "Achtet mal nicht auf Fritzchen!" oder "Fritzchen, wenns dir besser geht, setzt du dich wieder hin!", aber du kannst in dem Moment nicht auf Fritzchen eingehen, weil sonst sehr schnell Sofiechen und Antonchen daneben liegen. Und wenn die Kinder selbstständig arbeiten und du landest nicht grad in Zehlendorf, dann kannst du auch in Wochenplan/Freiarbeitsphasen nicht viel Zeit für Fritzchen aufwenden, weil dich nämlich mindestens die Hälfte der Kinder gleichzeitig für sich zum Erledigen seiner Aufgaben, dem Erzählen seiner Erlebnisse oder zum Ausfechten von Kämpfen, die es zu Hause nicht ausfechten kann, benötigt. Und du musst in derartigen Arbeitsphasen dafür sorgen, dass die Kinder auch ruhig arbeiten können. Wenn dann einer pfeifend auf dem Tisch liegt und 2 Einkriegezeck spielen, dann musst du die zur Ruhe bringen - egal, ob sie am Wochenende stetig am Computer saßen oder irgendwo gedrillt wurden, mit netten Ansprachen erreichst du dann wenig.


    Das Ideal, welches auch ich im Studium und im Referendariat kennen gelernt habe, war: "In der Wochenplanarbeit/Werkstattarbeit/etc. arbeiten die Kinder selbstständig an individuell erstellten Arbeitsmaterialien, nach individuellen vorgaben. Die Lehrerin wendet sich nach und nach verschiedenen Kinder(gruppe)n zu, um mit diesen Aufgaben zu lösen, etwas zu wiederholen etc."
    Eine der härtesten Lektionen meines Berufslebens war es zu lernen, dass das nicht funktioniert. Zumindest nicht in dem Stadtteil, in dem ich unterrichte. Ich habe in diesem Thread das Wort "Dompteur" gelesen. Ja, so fühle ich mich. Ich bin froh, wenn ich mich mal eine Minute mit einem Kind beschäftigen kann. Lehrersein ist keine individuelle oder Kleingruppenarbeit. Du stehst immer der Großgruppe gegenüber. Und du kannst nicht neben 5 Kindern mit ausreichender Verwurzelung und vernünftiger Erziehung noch 10 Kinder, welche zu Hause keine Grenzen erfahren, 5 verhaltensauffällige und 5 (sozial/emotional) vernachlässigte Kinder erziehen und therapieren.



    Kurz: So wie du als Therapeutin auf die Kinder eingehen könntest, kannst du es als Lehrerin nicht.


    Wenn du mit den von dir beschriebenen Idealen an den Beruf herantrittst, wirst du Abstriche machen müssen - und zwar gewaltige.
    Dabei wird dir vermutlich keiner zur Seite stehen - im Gegenteil. Seminarleiter, andere Ausbilder und Eltern werden meinen, du müsstest genauso individuell und differenziert auf die Kinder eingehen, wie du das in der Uni lernst. Genauso sensibel und empathisch und gleichzeitig konsequent mit dem oben beschriebenen Führungsstil. Das ist ein Drahtseilakt, du wirst es nie allen recht machen können. Du wirst alleine für dich entscheiden müssen, an welcher Stelle du Abstriche machst und wie du dafür sorgst, deine physische und psychische Gesundheit zu erhalten.


    Was ich auch lernen musste: Auch wenn Dozenten und Seminarleiter das anders sehen: Man kann nicht für jede Stunde differenzierte Arbeitsmaterialien vorbereiten, zumindest nicht mit voller Stelle. Und nicht alle Kinder können mit differenzierten Materialien umgehen. Manche kommen damit gar nicht klar, weil sie zum Lernen generell eine 1:1-Betreuung benötigen würden, die du ihnen in den nächsten Jahren (solange das Klonen von Lehrern noch verboten ist) nicht bieten kannst.



    Nach all dem, was ich geschrieben habe, möchte ich dir noch mit auf den Weg geben:


    Probiere es aus. Mach deinen Vorbereitungsdienst, schau wie du klar kommst.
    Du kannst in dem Beruf auch deine Menschlichkeit zeigen. Kinder spüren es, wenn du sie magst und sie ernst nimmst.
    Gerade jüngere Grundschüler vertrauen dir und die meisten werden dich als Klassenlehrerin lieben.
    Gerade in den nächsten Jahren hast du noch den Vorteil, dass Kinder es toll finden, wenn es junge Lehrerinnen gibt.


    Und ich würde dir empfehlen, deine psychischen Probleme nicht vor Kollegen / Seminarleitern zu artikulieren. Wenn du Glück hast, zeigen sie Verständnis. Wenn du Pech hast, hast du einen Stempel weg, den du nie wieder los wirst (egal wie gut du deine Arbeit machst) und der dir eventuell die Zeit des Vorbereitungsdienstes vergällt und die Examensnote versaut.


    Viele Grüße,
    Conni

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