Schulreform in Hamburg gescheitert

  • Zitat

    Und sooo schlecht ist der Unterricht unserer Sek1-Kollegen nicht, dass man die armen Kinder unbedingt noch 2 Jahre länger in der Grundschule behalten muss. In sich gefestigte. leistungswillige Schüler schaffen den Wechsel sicherlich problemlos nach Klasse 4 und hätte ich für meinen Sohn die Wahl ob 4- oder 6-jährige Grundschule, ich würde mich vermutlich für die 4jährige entscheiden.


    In Hamburg gibt es aber zu viele Kinder aus bildungsfernen Schichten, die eben durch die frühe Trennung in ihrer potenziellen Entwicklung gestört werden. Bildungserfolg ist zu sehr abhängig von der Herkunft.


    Gefestigte und leistungswillige Schüler, gerade um die ging es jetzt mal nicht vorrangig.



    Die GS-Zeit wäre nicht nur verlängert worden. Die Bildungspläne Klasse 4-6 wurden durchaus angepasst. Vielleicht einfach mal genauer in die (ja nun gescheiterte Reform) reinlesen.


    LG Anja

  • Zitat

    dpa/regioline vom 22.07.2010 16:01
    Nach Primarschul-Aus deutlich weniger neue Lehrer
    Hamburg (dpa/lno) - Nach dem Nein der Hamburger zu sechsjährigen Primarschulen wird die Zahl neuer Lehrerstellen deutlich reduziert. Ursprünglich plante die Bildungsbehörde im Zuge der Schulreform 970 zusätzliche Lehrerstellen. Nun seien es nur noch rund 630, sagte Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) am Donnerstag. Die Bürger hatten beim Volksentscheid sechsjährige Primarschulen abgelehnt und den Erhalt vierjähriger Grundschulen verlangt. Somit müssen die Klassen 5 und 6 laut Schulbehörde nicht - wie in der Reform geplant - verkleinert und mit mehr Lehrern ausgestattet werden. Rund 17 Millionen Euro müssten damit in den kommenden Jahren nicht ausgegeben werden.


    http://www.ln-online.de/artike…h_weniger_neue_Lehrer.htm


    Schon komisch. Ich dachte es geht hierbei um Unterrichtsqualität. Aber die hängt ja sowieso nicht von der Klassengröße ab, wie wir alle dank diverser Studien wissen...


    Oder bekommt das Volk jetzt einfach nicht sein Zuckerle, weil es bei der Volksabstimmung nicht artig genug war?


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Zitat

    Schon komisch.


    Nun ja. Eigentlich nicht. Die Reform ist ja in einem zentralen Aspekt abgelehnt worden - damit sind auch die bisherigen Kalkulationen hinfällig. Immerhin gibt es - laut Plan - 630 neue Stellen.

  • Zitat

    Original von Ummon


    Es geht halt nicht darum, einfach mal die Grundschulzeit zwei Jahre zu verlängern und die nachfolgenden Schulformen müssen dann halt sehen, wo sie bleiben.
    Wenn die Schüler erst zur 7. Klasse zum Gymnasium kommen und es fehlen wesentliche Inhalte, Arbeitsformen und Kompetenzen, weil die in den Grundschulmodellen nicht enthalten sind, würden sich die Kollegen nicht unbedingt freuen.


    Die zwei verlängerten Jahre könnten nicht einfach an Klasse 4 drangehängt werden und nach dem "bewährten Schema F" unterrichtet werden, da braucht es durchaus mehr.


    Hm.
    Ich selbst habe vor (vor 20 Jahren) die in Niedersachsen leider abgeschaffte Schulform
    Orientierungsstufe (Klasse 5+6, selbstständige Schulform) besucht und bin dann in die 7. Klasse des Gymnasiums gewechselt. Ich fühlte mich keineswegs schlecht vorbereitet auf den Unterricht des Gymnasiums, obwohl ich dort tatsächlich mit relativ vielen Schülern in eine Klasse ging, die später auf die HS bzw. RS wechselten (zum Gymnasium gingen nur 5 Schüler, ich inklusive -alle haben übrigens eine gutes Abitur ohne Ehrenrunden erreicht).


    Heute arbeite ich an einer HRS, der früher auch eine Orientierungsstufe angegliedert war. Meine Kollegen, die damals auch an der OS unterrichteten, vermissen diesen Schultyp stark.
    Insbesondere Kinder auf HS-Niveau haben- ihrer Meinung nach-damals profitiert. Erstmal aufgrund leistungsstärkerer Mitschüler als Zugpferde, und zweitens (und meiner Meinung nach am schwerwiegendsten) weil das Gefühl, "aussortiert" und als Hauptschüler am untersten Ende der Gesellschaft angekommen zu sein, erst 2 Jahre später eingetreten ist. Unter dem Stichwort Lernmotivation ist das ein wesentlicher Punkt, das merke ich z.B., wenn vor mir in der Klasse HS-5.Klässler sitzen, die als Berufswunsch "Harz 4" angeben (und sich auch dementsprechend im Unterricht verhalten).


    Das Gymnasiasten auf dem Gymnasium optimal gefördert werden können, bezweifle ich ja gar nicht mal (Obwohl ich mir sicher bin, dass das in integrierten Schulformen genausogut möglich wäre). Aber warum wird so wenig über die Hauptschüler gesprochen, die im dreigliedrigen Schulsystem nunmal eindeutig die Verlierer sind?

  • Das Problem ist doch, dass quasi zwei Lager entstanden sind, die beide sehr stark polarisieren. Auf der einen Seite haben wir diejenigen, die den armen, benachteiligten Hauptschülern möglichst langes gemeinsames Lernen und bessere Bildungschancen ermöglichen wollen. Auf der anderen Seite steht die "Gymnasiallobby", die ihre Kinder so gut wie möglich gefördert wissen möchte und in einigen Fällen sicher auch so wenig Kontakt ihrer Kinder wie möglich zur "Unterschicht" möchte.
    Beides unter einen Hut zu bekommen ist sicher nicht einfach, aber langfristig aus verschiedensten Gründen (arbeitsmarkt- und sozialpolitisch) notwendig.

  • Ich möchte den Reformgegnern ausdrücklich zu ihrem Sieg gratulieren.


    Die Reform beruhte größtenteils auf reiner Ideologie und nicht auf Empirie. Ihre Ablehung war richtig.


    Ein guter Tag für die Demokratie in Hamburg.

    Auszug aus Hartmut von Hentigs Sokratischem Eid: "Als Lehrer/in und Erzieher/in verpflichte ich mich, [...] für seine [des Kindes] körperliche und seelische Unversehrtheit einzustehen."


    Hentig im Jahre 2010 über den geständigen Pädophilen Gerold Becker: "Mein Freund bleibt mein Freund."

    Einmal editiert, zuletzt von LehrermitLeib&Seele ()

  • Das überrascht mich von einem Gymnasiallehrer nicht. :D


    PISA forderte längeres gemeinsames Lernen, mehr Chancen für bildungsferne Schichten... Ach ne solche Schüler kennst du ja gar nicht. :D

  • Übrigens war die Wahlbeteiligung (laut Abendblatt) höher als bei der Europawahl...


    Ansonsten bin ich jetzt vor allem gespannt, wie es weitergeht. Ich bin zwra nicht betroffen, aber insbesondere bei Schulen, die fusionierren soll(t)en wird sich ja möglicherweise doch noch wieder einiges ändern.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Anja82
    Das überrascht mich von einem Gymnasiallehrer nicht. :D


    PISA forderte längeres gemeinsames Lernen, mehr Chancen für bildungsferne Schichten... Ach ne solche Schüler kennst du ja gar nicht. :D


    Wer sorgt bitteschön dafür, dass eben solche Schüler ihre Chancen dann auch wahrnehmen? Eine Reform des Schulsystems mag neue oder andere oder meinetwegen auch bessere Chancen schaffen - aber Chancen sind zu Beginn einer Schulkarriere rein theoretisch.
    Es kommt vielmehr darauf an, dass man diese Chancen auch wahrnimmt.


    Gleicht die Gemeinschaftsschule die bildungsferne Herkunft aktiv aus?
    Ist das nicht eher eine Frage der Förderung und Kooperation mit den Eltern als eine Frage der Schulform?


    Und WIE sollen die jetzt wie künftig dann vorhandenen Chancen von diesen Schülern wahrgenommen werden?


    DAS ist m.E. ein viel substantielleres Problem als das Schulsystem an sich.


    Gruß
    Bolzbold


  • Anja - die Weichen stellen sich doch bereits im Elternhaus, was ja auch die PISA-Studie bestätigt. Ich sehe es gerade an meinem Kind,w ieviel schon im jungen Kleinkindalter vermasselt werden kann.
    Seien wir doch mal ehrlich - mit 6 Jahren ist doch für die meisten schon der Zug abgefahren, bevor sie überhaupt ihr Fahrticket gelöst haben.
    Wenn du den armen Hascherln aus der Unterschicht helfen willst, dann am ehesten, indem man die 2 zusätzlichen Grundschuljahre vorverlegt.
    Verpflichtende Vorschule ab 4 Jahre. Dafür hätte es auch sicher eine breitere Zustimmung gegeben.


    Hast du mal an die Kostenersparnis gedacht, wenn Klasse 5+6 mit A12 und 29 Stunden abgedeckt wird statt mit A13 bzw. A12 und 24(?) Stunden? Ein Schelm, wer böses dabei denkt... Ginge es "NUR" um die Kinder, müsste man noch ganz anders reformieren.

  • Anja82:


    "PISA forderte längeres gemeinsames Lernen"


    Ich bitte um Belege.


    "Ach ne solche Schüler kennst du ja gar nicht."


    Erstens begegnet man auch Schülern aus bildungsfernen Schichten im Gymnasium, zweitens wurde ich auch bereits im Haupt- und Realschulbereich eingesetzt.

    Auszug aus Hartmut von Hentigs Sokratischem Eid: "Als Lehrer/in und Erzieher/in verpflichte ich mich, [...] für seine [des Kindes] körperliche und seelische Unversehrtheit einzustehen."


    Hentig im Jahre 2010 über den geständigen Pädophilen Gerold Becker: "Mein Freund bleibt mein Freund."

  • Fordern war vielleicht das falsche Wort, aber sie weisen eindeutig auf die Probleme der frühren Selektion hin.


    Mal zur Nachtlektüre:
    Klick


    Annie: Nur weil die ersten 6 Jahre verloren oder schlecht gelaufen sind, können wir die Kinder doch nicht aufgeben. 6 verlorene Jahre sind immer noch besser als 18.


    Übrigens kriegen HS- und RS-Lehrer hier auch nur A12 soweit ich weiß.


    LG Anja

    • Offizieller Beitrag

    Anja82, dein Link ist zwar höchstinteressant, aber man kann von der GEW, die schon seit Jahren die längere Grundschulzeit fordert, in diesem Zusammenhang keine objektive Berichterstattung erwarten. Mich hätte ein direkter Bericht von der OECD viel mehr interessiert.
    Die eklatanten Unterschiede bei den PISA-Ergebnissen zwischen den "bösen" Bundesländern mit dreigliedrigem Schulsystem (wie Bayern und BW)und Hamburg oder anderen BL mit nicht-dreigliedrigem System werden vermutlich gleich wieder mit dem Argument der ungleichen Anzahl an Schülern mit Migrationshintergrund niedergeschmettert (obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass es in ganz Bayern weniger Schüler mit Migrationshintergrund gibt als in Hamburg).
    Außerdem gebe ich Annie111 recht und auch das hat PISA bzw. die OECD in ihren Untersuchungen bestätigt: Die Weichen werden im Elternhaus gestellt! Und wenn die Eltern ihr Kind nicht fördern können oder wollen (z.B. ausschließlich ihre Landessprache zu Hause sprechen), dann helfen weder Fördern bis zum Umfallen noch eine längere Grundschulzeit was.
    Bist du wirklich der Meinung, dass sämtliche Kinder, die nach vier Jahren Grundschulzeit getrennt werden und dann auf die Hauptschule gehen, verloren sind? Auch hier zeigen beispielsweise die bayerischen Arbeitslosenzahlen was ganz anderes.
    Achja, bevor ich wieder Vorwürfe kriege, dass ich Haupt-und Realschüler als Gymnasiallehrerin gar nicht kennen würde: Ich habe als Jugendleiterin jahrelang Hauptschüler gehabt und war quasi Ersatzmutter. Ich kenne deren Sorgen und Probleme sehr wohl.
    Und ich glaube, dass durch eine Abschaffung der Hauptschule (und darauf wird jetzt im Moment hingearbeitet, auch wenn das Kind noch anders heißt) das gesellschaftliche Problem nur verschoben wird.
    LG Hermine

  • Auszüge aus einem Bericht der OECD:
    [URL=http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,546328,00.html]Bericht[/URL]


    Und direkt dazu der Bericht der OECD von 2008, besonder Seite 8

    Zitat

    ...Um diesen Effekt zu verringern, sollte auf Ebene der Bundesländer erwogen werden, den Zeitpunkt der ersten Aufteilungsentscheidung auf ein späteres Alter als 10 Jahre zu verschieben, dem Alter, in dem diese Entscheidung derzeit in den meisten Bundesländern erfolgt....


    Link zum Bericht

  • Zitat

    Original von Hermine
    vermutlich gleich wieder mit dem Argument der ungleichen Anzahl an Schülern mit Migrationshintergrund niedergeschmettert (obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass es in ganz Bayern weniger Schüler mit Migrationshintergrund gibt als in Hamburg).


    Hm, eine Klasse in Hamburg mit 25 Kinder davon 3 deutsch. Oder eine Klasse in Bayern (ich spekulier mal) eher umgekehrte Verhältnissen.


    Wo werden die Leistungen wohl eher stimmen? ;)


    Die Gesamtmigrantenzahl ist doch total unerheblich, wenn du sie nicht in Relation mit den deutschen Schülern setzt.


    LG Anja

  • Beiuns ist es ganz normal, dass in den Klassen kaum deutsche Kinder sind. Bei mir ist genau eines. Und in den Parallelklassen sieht es nicht anders aus. Deswegen ist diese ganze Vergleicherei wie das berühmte Vergleichen von Äpfeln und Birnen. Übrigens haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht, dass wir keine reinen HS- Klassen mehr haben.
    LG Rotti

  • Dem kann ich mich nur anschließen. Haben so im Durchschnitt 3-4 deutsche Kinder pro Klasse und seit 2 Jahren die HR-Integration. Letzteres hat sich als gut herausgestellt, besonders im Hinblick auf die Leistungen der Schüler.

  • Zitat

    Nur weil die ersten 6 Jahre verloren oder schlecht gelaufen sind, können wir die Kinder doch nicht aufgeben.


    Ich denke, das ist nicht so einfach.
    Wenn man etwas in die Entwicklungspsychologie schaut (da gibts so 'ne dicke "Schwarte": Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter von Siegler,DeLoache, Eisenberg), wird man feststellen, dass in den ersten Lebensjahren viele Dinge laufen, die danach nicht bzw. nahezu nicht mehr nachholbar sind.
    Deshalb sind die verlorenen ersten 6 Jahre kein "nur", sondern eine Katastrophe für die Betroffenen. Dort sollte zu allererst angesetzt werden.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :_o_P


    8_o_) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Dem widerspreche ich auch nicht. Dennoch ist verlängertes Lernen ja nun nicht spontan beschlossen worden. Auch dafür gibt es gute Gründe, die nicht schon wieder aufgedröselt werden müssen.


    LG Anja

  • @ Anja82:


    "Die Gesamtmigrantenzahl ist doch total unerheblich, wenn du sie nicht in Relation mit den deutschen Schülern setzt."


    Es ist natürlich völlig richtig, dass prozentual gesehen der Migrantenanteil in Hamburg größer ist als in Bayern.


    Jedoch reicht dies nicht aus, um das gute Abschneiden Bayerns bei PISA zu erklären.


    Zur Erinnerung: Bayern ist auf Platz 1 gelandet. D. h. es ist besser als alle 15 anderen Bundesländer.


    Unter diesen 15 anderen Bundesländern sind natürlich sowohl solche, die einen höheren Migrantenanteil als Bayern haben, als auch solche, die einen niedrigeren haben.


    Es muss also noch andere Faktoren als den Migrantenanteil für das gute Abschneiden Bayerns bei PISA geben. Und da stellt sich schon die Frage, welche Dinge genaus das bayrische Schulsystem richtig macht.

    Auszug aus Hartmut von Hentigs Sokratischem Eid: "Als Lehrer/in und Erzieher/in verpflichte ich mich, [...] für seine [des Kindes] körperliche und seelische Unversehrtheit einzustehen."


    Hentig im Jahre 2010 über den geständigen Pädophilen Gerold Becker: "Mein Freund bleibt mein Freund."

Werbung