Stottern und Lehramt

  • Hallo zusammen,


    ich wende mich mit einer gewiss recht ungewöhnlich anmutenden Konstellation an euch, nämlich der Tatsache, eine Sprechbehinderung in Form des Stotterns zu haben verbunden mit dem großen Wunsch, Lehrer zu werden.


    Ich bin 24 Jahre alt und schließe im Sommer dieses Jahres ein Studium des Wirtschaftsrechts erfolgreich ab. Auf dem altsprachlichen Gymnasium in Bayern hatte ich den Latein-Leistungskurs mit weit überdurchschnittlichen Leistungen absolviert und erteile seit der zehnten Klasse bis zum heutigen Tage private Nachhilfe im Fach Latein. Dabei verbesserte sich bislang jeder meiner Schüler um mehrere Notenstufen, wobei die Eltern durchwegs hellauf begeistert von meinen didaktischen Fähigkeiten und meinem Engagement waren.


    Bereits nach dem Abitur trug ich mich mit dem Gedanken, Gymnasiallehramt für die Fächer Latein und Deutsch zu studieren. Das Lehren bereitete mir stets große Freude und stellt im Grunde meinen Wunschberuf dar. Allerdings habe ich eine Behinderung, die - zumindest auf den ersten Blick - im Widerspruch zu dieser Tätigkeit steht: Ich stottere und das merklich. Vorausschicken möchte ich an dieser Stelle, dass Stottern eine ungemein komplexe Sprechstörung ist und sämtliche Therapien - wie bei etlichen anderen Betroffenen - erfolglos blieben. Indes gehe ich mit meiner Behinderung sehr offen, selbstbewusst und teils auch selbstironisch um, so dass dieses Handicap bislang für keinen Nachhilfe-Schüler oder die Eltern ein Problem darstellte. Auch im Alltag bin ich allseits akzeptiert und erleide durch meinen Umgang eigentlich keine Nachteile.


    Nichtsdestoweniger wurde mir nach dem Abitur vom Lehrerberuf abgeraten, weswegen ich das ungeliebte Studium des Wirtschaftsrechts aufnahm. Zusehends merke ich, dass der alte Wunsch, Lehrer zu werden, nach wie vor vorhanden ist, ja sogar intensiver geworden ist. Erfolge mit meinen Nachhilfe-Schülern bestärken mich darin. Daher habe ich die Überlegung, ab diesem WS ein Lehramtsstudium in Frankfurt am Main zu beginnen.



    Vorausschicken möchte ich noch, dass ich mir darüber im Klaren bin, dass Schüler mitunter "grausam" sind und manchmal Schwächen des Lehrers gezielt ausnutzen wollen. Ich meine jedoch, mit Mobbingversuchen oder Spott souverän umgehen zu können und habe mir in diesem Bereich bereits psychologisches Wissen angelesen, das ich im Alltag auch umsetzen kann. Auch habe ich durch Recherchen schon von stotternden Gymnasiallehrern gehört, die wohl durch eine Mischung aus Selbstironie und Selbstbewusstsein ihren Beruf gut meistern. In diesem Zusammenhang bin ich übrigens auf einen, wie ich finde, äußerst interessanten Artikel über blinde Lehrer gestoßen: http://www.zeit.de/2011/02/C-Blinde-Lehrer


    Mein Anliegen ist nun, dass ich von euch, die ihr ja meist (erfahrene) Lehrkräfte seid, eine ehrliche Meinung in Anbetracht meiner Ausführungen gerne hören würde. Ich bitte darum, so schonungslos wie möglich zu sein ;)


    Ich danke im Voraus.

    • Offizieller Beitrag

    Ich fände es grundsätzlich gut, wenn sich unsere Gesellschaft dran gewöhnen würde, Menschen mit Behinderung ernster zu nehmen und das könnte passieren, wenn die eben auch mehr an zentralen Positionen arbeiten würden. Kinder wären mit sicherheit toleranter, wenn sie mehr behinderten, offen homosexuellen und anderweitig nicht durchschnittsdeutschen Lehrern täglich begegnen würden und dies als Normalität empfänden. Vielleicht verschwänden dann sogar die widerwärtigen Schimpfworte "schwul" und "Spasti".


    Leicht wird es den behinderten Mitmenschen aber nicht gemacht - und ob ich dir wirklich raten soll, deinen Kopf in den kalten Wind zu hängen um den Pfad zu bereiten... ich weiß es nicht. Aus dem Schulalltag und auch den Referendariatserfahrungen kann ich dir sagen, dass es kein Kindergeburtstag wird.


    Wie wäre es mit Erwachsenenbildung?

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Gibt es dann an deiner Uni Sprecherziehungskurse?
    Die könnten dir nämlich wirklich zum Hindernis werden...
    Ich studiere in Erfurt GS-Lehramt und hier muss jeder Lehramtstudent im Laufe des Bachelors an einem Seminar zur Sprecherziehung teilnehmen.
    Daran ist ein Einzelgespräch mit den Dozenten gekoppelt und ein Großteil unseres Jahrgangs wurde während des Seminars zum Logopäden oder Phoniater geschickt und erhielt erst mit erfolgreich abgeschlossener Therapie oder ähnlichem den notwendigen Schein.
    Aus diesem Grund würde ich mir Gedanken machen, ob dir da nicht vielleicht schon von Seiten der Uni Steine in den Weg gelegt werden...

  • Ich unterrichte an einem Gymnasium und habe einen Kollegen, der stottert. Seine Behinderung ist nicht stark, aber man merkt es. Ansosnten habe ich noch keinen gehört -weder Schüler noch Lehrer-, der darüber irgendein Wort verloren hat. Der Kollege ist anerkannt und kompetent und überzeugt durch sein humorvolles Wesen.
    Sicherlich muss man sich ein dickes Fell anschaffen, aber das muss man im Lehrerberuf sowieso. Wenn das dein Traumberuf ist und dir dein Umfeld signalisiert, dass dein pädagogisches Talent verschleudert wäre, dann probier es.
    Nicht in jedem Bundesland muss man übrigens diese Scheine zur Sprecherziehung machen, vielleicht schaust du mal in den verschiedene Prüfungsordnungen nach.

  • Danke für eure Antworten!


    @ Meike: Ich arbeite wirklich sehr gerne mit Kindern und Jugendlichen. Aktuell ist beispielsweise der Fall, dass ich den Eltern eines Schülers mitgeteilt habe, dass meines Erachtens kein Bedarf mehr für Nachhilfe bestehe, da sich der Schüler nicht nur auf eine 1 verbesserte, sondern auch ein ausgeprägtes Verständnis für die Systematik und Logik der Sprache entwickelt hat. Der Schüler ist in Tränen ausgebrochen und hat gemeint, er wolle weiter Unterricht nehmen, weil ich so viel "besser" als seine Lateinlehrer sei. Das soll mich jetzt nicht selbst beweihräuchern und vermutlich ist das für Nachhilfe nicht ungewöhnlich, aber ich denke schon, dass ich zu Kindern und Jugendlichen einen guten Draht habe.


    @ Lisa: Ich habe mich bereits erkundigt, im Studium können mir schon rein rechtlich gesehen keine Steine in den Weg gelegt werden. Stottern ist eine rechtlich anerkannte Behinderung, daher müsste ich im Rahmen des sog. Nachteilsausgleichs keinen Sprecherziehungskurs besuchen, zumal es so etwas an meiner Wunsch-Uni meines Wissens gar nicht gibt.


    @ inixx: Du hast eine PN.

  • Ich denke auch, dass es nicht grundsätzlich ein Problem ist, solange das Stottern kein Problem für dich ist. Wenn du - was das Stottern angeht - verletzlich bist, kann es schon passieren, dass SChüler das ausnutzen, wenn sie dich nicht mögen (da hängt dann viel von der Lehrerpersönlichkeit ab). Manche werden es vielleicht auch einfach lustig finden und darüber lächeln. Da musst du dann halt durch. Einfach ignorieren und (so du das glaubhaft schaffst) es hat sich irgendwann erledigt. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Habe eine partielle Gesichtslähmung und spreche deshalb etwas schief. Besonders die Kleinen fanden das anfangs einfach lustig (aber auch manche Oberstufenschüler). Irgendwann waren sie dann nur noch neugierig, ich habs ihnen erklärt und es ist Ruhe.

  • Erstmal finde ich es super, wenn du so offen mit deiner Behinderung umgehen kannst. :) Die Tatsache, dass man im Schuldienst ein extrem dickes Fell brauchst, wird dir trotzdem das Leben schwer machen. Ich denke, du musst leider damit rechnen, dass manche SchülerInnen am Anfang lachen. Irgendwann werden sie sich bestimmt daran gewöhnen, dass du "ein bißchen anders klingt". Es kann leider auch sein, dass Kollegen denken, mit so einer Behinderung ist der Lehrerberuf nicht gerade die beste Wahl. Da wäre meine erste Reaktion, keiner ist perfekt. Außerdem habe ich zwar keine Kollegen, die stottern, aber dennoch vom Charakter her wahrscheinlich nicht unbedingt für den Lehrerberuf geeignet. :thumbdown:


    Was mir mehr Sorgen bereiten würde, wäre das Referendariat. Ich habe es mehrfach erlebt, dass manche Referendaren einfach ausgeekelt wurden, weil sie nicht im Schema der Ausbilder passten (haben gelispelt, hatten sichtbare Hautkrankheiten usw.). Es war leider so, dass egal wieviele Mühe der Referendar sich gab, war der Fachleiter nie zufrieden (ja, auch wenn die LP richtig gut waren). Vielleicht hast du Glück (was ich dir wünsche) und triffst verständnisvolle Ausbilder, die merken, dass du andere Stärke hast. Ich würde es mir trotzdem ganz genau überlegen und, auch wenn du dich für das Lehramt entscheidest, vorsichtshalber nach einem Plan B suchen.



    Viel Glück bei der Entscheidung.

  • Ich hoffe, es kommt nicht zynisch rüber, wenn ich sage, dass ich im Bereich Fremdsprachen meine Bedenken habe. Vielleicht ist es bei Latein wegen der eher einfachen Aussprache ja nicht so "krass" wie in den modernen Fremdsprachen, aber Du müsstest Dir in meinen Augen zumindest einmal überlegen, wie das mit dem Stottern in der Klasse sein könnte, denn das ist ja eine andere Situation als im Nachhilfeunterricht.


    Ansonsten würde ich Dich aber auf jeden Fall ermutigen wollen (wie meine Vorredner).


    Hamilkar

  • Hallo zusammen,

    ich wende mich mit einer gewiss recht ungewöhnlich anmutenden Konstellation an euch, nämlich der Tatsache, eine Sprechbehinderung in Form des Stotterns zu haben verbunden mit dem großen Wunsch, Lehrer zu werden.

    Hallo Deus_ex_machina,

    ich habe einen Schüler, er ebenfalls stottert und den Wunsch hat, Lehrer zu werden.


    Dieses Thema wurde vor 10 Jahren gestartet und ich habe die Hoffnung, dass Du vielleicht davon berichten kannst ob es mit Deiner Lehrerkarriere geklappt hat und welche Erfahrungen Du gemacht hast.


    Danke und viele Grüße

    Phili

  • Ich würde abraten. Der Beruf ist so irre sprechlastig, man tut sich und den SuS keinen Gefallen, sorry. Aber vielleicht meldet sich ja eine*r der es gewagt und gute Erfahrungen gemacht hat.

  • der antwortet nicht mehr

    Das hindert uns ja Gottseidank nicht am Diskutieren :aufgepasst:.


    Mich würde es durchaus interessieren, ob es Lehrer gibt - d.h. es gibt sie wohl sicher, bei der Menge an Lehrkräften -, die sich trotz Stottern in den Schuldienst gewagt haben.

    Immerhin gab es mal einen bekannten Showmaster, der nach einem Verschüttungstrauma schlimm gestottert hat, das aber in seiner beruflichen Rolle gut im Griff hatte. Und wir spielen vor der Klasse ja auch eine Rolle.

  • Meine Bekannte ist Chemikerin und hat den Quereinstieg im Gymnasium versucht. Wegen ihres Stotterns hatte sie es sehr schwer und hat es nach kurzer Zeit aufgegeben. Sicherlich schade..... Aber bei ihr ist es seeehr ausgeprägt. Jedes kurze Telefonat ist zum Beispiel eine Geduldsprobe für mich, obwohl ich durch den Beruf ja schon trainiert bin.

  • Ich würde das Stottern auch eher als Ausschlusskriterium betrachten. Der Beruf ist sicherlich ausführbar, aber man macht ihn sich damit sicherlich ungleich schwerer, siehe auch die Bekannte von Zauberwald.


    Es kann nicht jeder jeden Beruf ausüben, es gibt auch andere Berufe. Ich hätte nicht Pilot werden können, obwohl ich nicht mal schlechte Augen habe (Brille brauche ich keine).

  • Gareth Gates war ein britischer Sänger (=sprachlastiger Beruf), der stotterte, aber nicht während des Singens. Ihm gelang es irgendwie, das Stottern während des Singens zu unterdrücken. Vlt. ist es in einzelnen Fällen auch analog im Lehrerberuf möglich. Auf dieser Annahme ein mehrjähriges Studium + Referendariat aufzunehmen, fände ich jedoch gewagt.

  • Auf dieser Annahme ein mehrjähriges Studium + Referendariat aufzunehmen, fände ich jedoch gewagt.

    Vor allem weil Stress ja Stottern häufig auch verstärken kann und Ref bedeutet oftmals Stress.


    Als Zweitversuch / Quereinstieg oder Vertretung ja. Beim Studium würde ich auch eher sagen - lieber nicht.

  • Also mit guter Logopädie kann man schon viel machen. Aber wenn das Stottern immer noch sehr präsent ist, würde ich auch stark davon abraten.

    Vor allem, da - wie Kiggie sagt - Stress das Stottern verstärken kann.


    Stottern wirkt einfach unsouverän und erschwert die Informationsaufnahme bei den Rezipienten. Bei Nachrichtensprechern noch mehr als bei Lehrern. Aber auch da ist Sprechen eben ein sehr zentraler Bestandteil des Berufs.

  • Ich stelle es mir auch für die Lehrkraft selbst sehr anstrengend vor. Klar kann man den Redeanteil bewusst reduzieren, mit Symbolen arbeiten. Aber man redet eben trotzdem den ganzen Tag.


    Wir hatten eine Studienkollegin, die eine Stimmstörung hat. In der Sprecherziehung wurde sie darauf hingewiesen, dass sie es sich gut überlegen soll, ob Lehrerin etwas für sie ist, weil das Problem unbehandelt mit hoher Wahrscheinlichkeit schlimmer werden wird. Sie tat mir echt leid, sowas will man im 7. Semester nicht hören.


    Aber sowas klärt man vermutlich besser mit einer Expert*in für Sprech- und Stimmstörungen.

  • Ich hatte einen Deutschlehrer mit Schetismus. Wenn er Englisch sprach ( „Shakespeare - Macbeth“) lagen wir pubertätsbedingt lachend unter den Tischen. Ansonsten hat uns das nicht weiter gestört. Er war halt ein Lehrer wie alle anderen auch.

    Ich würde mich von Logopäden / Stimmtrainern beraten lassen.

    Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

  • Ich frage mich gerade, ob es nicht reichlich bevormundend ist (gibt bestimmt irgendeinen schicken "-ism" dafür!), wenn "wir" als nichtstotternde Menschen stotternden Menschen Ratschläge zu ihrer Berufswahl geben wollen.

    Ich meine, ob jemand unter Stress zum Stottern neigt oder nicht, sollten doch die Betroffenen selbst am besten wissen.

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