Bildungspaniktum

  • Aufgrund mehrerer Gespräche mit anderen Kindergarteneltern fiel mir irgendwie dieser Begriff ein: Bildungspaniktum.


    Panik, das Kind könnte in der falschen Schule, der falschen Klasse landen und sämtlicher Bildungschancen beraubt werden. Da wird geplant Wohnsitze zu wechseln, Zweitwohnsitze anzumelden, teure Privatschulen zu bezahlen und aufwendige Anfahrtswege in Kauf genommen. Alles auf der Flucht vor den Kindern, mit denen man momentan noch friedlich im Kindergarten gemeinsam spielt. Wobei ein Teil der Eltern ja auch schon den weiteren Weg zu den "In-Kindergärten" wählt.


    Jetzt habe ich festgestellt, dass mir gar keine Wortneuschöpfung gelungen ist, sondern zumindest die Bildungspanik schon existiert. :D


    http://www.perlentaucher.de/bu…z-bude/bildungspanik.html

  • Ist keine Seltenheit, das kann sogar über Landesgrenzen hinweg gehen, wenn es um die Oberstufe geht. Da wird dann im Nachbarbundesland ein Wohnsitz gewählt, damit das Kind dort sein Abi machen kann, weil es angeblich dort viel einfacher sei und man bessere Noten bekomme.


    À+

  • Von der weiterführenden Schule kenne ich das auch noch, als ich in Aschaffenburg war - da gingen auch manche nach Hessen. Aber dass das in der Grundschule schon so schlimm ist, war mir jetzt nicht klar. Außerdem - wie blöd - wenn einfach alle Sprengelkinder in der Sprengelschule gingen, gäbe das eine wunderbar gut durchmischte Klasse. Aber völlig panisch und ohne die Schule überhaupt angesehen zu haben werden Jahre zuvor schon Alternativpläne geschmiedet. ?( ?( Jetzt fühle ich mich schon fast genötigt, das selbe zu tun, weil ich natürlich nicht mein Kind als einziges übrig lassen will. :cursing:

  • Hmm, will nicht jede(r) das Beste für sein Kind? Was ist so verwerflich daran, nach einer möglichst guten Schule zu suchen, die dem Kind (vermeintlich) die besten Chancen bietet?

  • denkt aber nicht an gute Schulbildung wenn es davon spricht das beste fürs Kind zu wollen. Vielmehr an edle und teure Handys. Unsere Stadtteilschulen und Hauptschulen haben doch noch den Sinn diese Schichten von "guten Schulen" fern zu halten. Die Gymnasiallehrer würden doch auch nicht freiwillig aus sozialer Überzeugung an eine Restschule gehen. Der gesellschaftliche Schnitt geht sogar durchs bundesrepublikanische Lehrerkollegium!

  • Also, ich hatte bei den Gesprächen auch nicht den Eindruck, dass es um Inhalte und Fähigkeiten geht, auch nicht um die Qualität der Lehrkräfte - sondern um die soziale Schicht. Und nachdem hier weder ein "Ghetto" ist, noch Drogenhandel, Gewalt oder sonst noch was an der Tagesordnung sind, finde ich das schon äußerst erschreckend, wie Angst und Realität auseinanderdriften. Außerdem ist in Bayern ja eigentlich Sprengelpflicht, ich kenne das halt noch so, dass du in deine nächste Grundschule gehst. Und wenn da alle Kinder eines Stadtteiles hingehen, hast du auch eine vernünftige Mischung.


    Zudem die hiesige einzige private Grundschule beileibe nicht nur Erfolgsstorys produziert - aber man glaubt halt, dass was kostet auch mehr Wert ist. ?(


    Was ich aus so interessant finde sind die wiederkehrernden Aussagen: "Mein Kind X käme an der Schule Y nicht zurecht." Wieso denn nicht - warum muss X unbedingt vor der Normalgesellschaft gerettet werden? Ist X sozial unfähig, zu schwach, zu anders? Warum kann X nicht in einer Klasse bestehen, die aus verschiedenartigen Kindern besteht? Und warum darf X nicht die Chance bekommen, das zu lernen? Zudem die Inklusion hier nicht so weit fortgeschritten ist und die Förderschulen L und E noch bestehen - also trifft Kind doch überwiegend auf "normgerechte" Gleichaltrige. ?(

  • Ist keine Seltenheit, das kann sogar über Landesgrenzen hinweg gehen, wenn es um die Oberstufe geht. Da wird dann im Nachbarbundesland ein Wohnsitz gewählt, damit das Kind dort sein Abi machen kann, weil es angeblich dort viel einfacher sei und man bessere Noten bekomme.


    À+


    Und das Schizophrene an der Situation:


    Sowohl die Jugendlichen als auch ihre Eltern WOLLEN, dass das Abitur möglichst stressfrei und mit geringem Lernaufwand erreicht wird. Hauptsache auf dem Abi-Zeugnis steht mindestens eine 2 vor dem Komma...


    Und wenn sie dann erst einmal an der Uni gelandet sind, beschweren sie sich, dass sie so wenig gelernt haben. Hätten sich die Lehrer nur etwas bequemen sollen, etwas "Druck" zu machen (bei welchem, sollte sich die Lehrkraft wirklich dazu hinreißen lassen, dieselben Eltern sofort in der Schule aufkreuzen und sich beschweren, dass würde die liebe Kleinen ja völlig überfordern...)


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • Die Gymnasiallehrer würden doch auch nicht freiwillig aus sozialer Überzeugung an eine Restschule gehen.


    Warum auch? Wenn ich hauptsächlich "erziehen" statt "unterrichten" wollte, hätte ich ja auch Sozialarbeiter werden können und nicht Lehrer. Wollte ich aber nicht.


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

  • die ihre Kinder an unserer Stadtteilschule (Gesamtschule) angemeldet haben wollen sie nur einfach in ihrer Nähe haben. Der ganze Rest der ca. 50 Kollegen würde einen Teufel tun es bei uns anzumelden. Weil sie wissen was es bedeutet wenn ihr Kind neben "Kevin" sitzen muss. Und dem Lehrer so gut wie alle Hände gebunden sind um gegen Kevins Dauerstören anzukommen.

  • Warum auch? Wenn ich hauptsächlich "erziehen" statt "unterrichten" wollte, hätte ich ja auch Sozialarbeiter werden können und nicht Lehrer. Wollte ich aber nicht.


    Ja alias. Das war mein größter Fehler. Heute muss ich Sozialarbeiter sein.

  • Außerdem ist in Bayern ja eigentlich Sprengelpflicht, ich kenne das halt noch so, dass du in deine nächste Grundschule gehst. Und wenn da alle Kinder eines Stadtteiles hingehen, hast du auch eine vernünftige Mischung.


    An der Grundschule bei mir um die Ecke bedeutet "alle Kinder des Stadtteils"=65-70% Kinder mit Migrationshintergrund. An meiner ehemaligen Grundschule bedeutet es 80-85% Kinder mit Migrationshintergrund. An der ehemaligen Grundschule meines Mannes sinds sogar schon knapp 90%. In manchen Klassen ist gar kein Kind mehr mit deutscher Muttersprache, weil diese Kinder mindestens zu zweit in eine Klasse kommen, damit sie jemand haben, dessen Sprache sie sprechen. Eine gute Durchmischung gibt es hier in fast keinem Stadtteil.

  • An der Grundschule bei mir um die Ecke bedeutet "alle Kinder des Stadtteils"=65-70% Kinder mit Migrationshintergrund. An meiner ehemaligen Grundschule bedeutet es 80-85% Kinder mit Migrationshintergrund. An der ehemaligen Grundschule meines Mannes sinds sogar schon knapp 90%. In manchen Klassen ist gar kein Kind mehr mit deutscher Muttersprache, weil diese Kinder mindestens zu zweit in eine Klasse kommen, damit sie jemand haben, dessen Sprache sie sprechen. Eine gute Durchmischung gibt es hier in fast keinem Stadtteil.

    In meiner Klasse sind die besten Schüler Migranten.

  • Im Kindergarten haben wir auch 70% Migrationshintergrund - und wenn du ganz genau hinschaust, sind das aber oft Kinder mit nur einem ausländischen Elternteil, die zuhause Deutsch sprechen. Oder Eltern, die schon ganz lange da sind, z.T. beruflich auch recht erfolgreich sind. Mein Kind geht da auch wahnsinnig gerne hin und hat ganz viele positive Kontakte - auch teilweise privat - mir erschließt sich halt überhaupt nicht, warum man sein Kind davor in Sicherheit bringen muss - vor allem, wenn man die Kinder schon kennt. ?(

  • Warum auch? Wenn ich hauptsächlich "erziehen" statt "unterrichten" wollte, hätte ich ja auch Sozialarbeiter werden können und nicht Lehrer. Wollte ich aber nicht.


    Ja alias. Das war mein größter Fehler. Heute muss ich Sozialarbeiter sein.


    barmeliton
    Ist da was an mir vorbeigegangen? Ich hatte in diesem Thread doch noch nichts gepostet... oder hast du im Voraus geahnt, was ich posten wollte??? :bete:
    BTW: Ich bin Lehrer und 'kümmere' mich um meine Schüler. Was ist daran verwerflich oder fehlerhaft?

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Da wird geplant Wohnsitze zu wechseln, Zweitwohnsitze anzumelden, teure Privatschulen zu bezahlen und aufwendige Anfahrtswege in Kauf genommen. Alles auf der Flucht vor den Kindern, mit denen man momentan noch friedlich im Kindergarten gemeinsam spielt. Wobei ein Teil der Eltern ja auch schon den weiteren Weg zu den "In-Kindergärten" wählt.


    ...wie Angst und Realität auseinanderdriften.


    Mündige (Bilungs-)Bürger halt. 8_o_)

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • barmeliton: Ich will damit ja nicht sagen, dass alle Migranten doof sind oder ähnliches. Nur, dass es in manchen Stadtteilen aufgrund der Einwohnerstruktur einfach keine Durchmischung gibt. Auch einige meiner besten Schüler sind Migranten.


    Tina, manche Leute sind wohl einfach so. Verstehen tu ich das auch nicht.

Werbung