Wozu Gedichte?

  • Heute kam mal wieder die Frage "Wozu machen wir überhaupt Gedichte? Das braucht man später doch eh nicht."
    Und weil die Frage mit Sicherheit jedem Deutschlehrer begegnet (wahrscheinlich sogar bei jeder Klasse), mal eine kleine Sammelrunde:


    Was antwortet ihr darauf?

    • Offizieller Beitrag

    - es gehört zur jeweiligen Kulturgemeinschaft / Epoche genauso wie epische Texte ("braucht" man die später?)
    - Allgemeinbildung
    - es schult das Denken, sich mit Stilmitteln, usw.. zu beschäftigen
    - man braucht nicht DAS Gedicht, es ist immer exemplarisch


    - es steht auf dem Lehrplan / im Kerncurriculum ;)

  • Das Gedicht ist die kürzeste und somit die gehalt- und kunstvollste Gattung innerhalb der Literatur. Kein Wort ist in Bezug auf Bedeutung, Klang oder Stellung im Vers zufällig ausgewählt. Dieses Zusammenspiel mehrerer Ebenen ‒ Laut, Metrum, Rhythmus, Bildlichkeit ‒ macht meiner Meinung nach das Interessante poetischer Texte aus. Die Sprachverdichtung sensibilisiert die Schüle für beispielsweise sprachliche Bilder, Wortspiele und Ironie.
    Ohne sprachliche Bilder können wir uns auch im Alltäglichen kaum ausdrücken, auch wenn uns die Bildlichkeit eines Ausdrucks wie Tischbein oder Bergrücken kaum noch bewusst ist.
    Und letztlich finden sich Gedichte auch in der Lebenswelt der Schüler in Form vom Kinderreimen, Songtexten in der Popmusik etc.
    Und wenn die Schüler es immer noch nicht verstanden haben: Sie müssen Gedichte spätestens im Abitur interpretieren können ;)

  • Herrje, bin ich verkalkt. Ich wusste doch, dass die Frage schon mal aufgeworfen wurde, habe den Thread in der Suchfunktion aber nicht gefunden, jedenfalls nicht in ersten Suchergebnissen.
    Aber dass ich den sogar selbst erstellt hatte... :rotwerd:
    Danke, Meike!

  • "Wozu braucht.." ist für ein Gymnasium der falsche Denkansatz...?!


    (Nur leicht provokative, durchaus nicht unernst gemeinte Antwort auf solche Schülerbemerkungen : )


    "Ein Gymnasium vermittelt ganz definitionsgemäß neben nützlichen "Grundfertigkeiten" auch (die Möglichkeit der) Freude an Kunst und Kultur - also "unnützliche, rein geistige" Inhalte. Wenn man für ein Interesse an solchen Dingen nicht wenigstens offen ist, sollte man eine "realitätsnähere" Schulform in Betracht ziehen."

  • Das hab ich im Teeniealter aber auch ganz anders gesehen. Da ist man eben noch nicht so reflektiert, wie man es heute vielleicht sein mag. Beispielsweise durch das Studium der Germanistik oder einer sonstigen Geisteswissenschaft. Ich finde das auch vollkommen verständlich, dass man in dem Alter nicht unbedingt Spaß daran hat - insbesondere, wenn man immer und immer wieder Gedichte analysieren und interpretieren muss. Die Arbeitsschritte sind immer gleich, die Themen wiederholen sich ... Heute seh ich auch die großen Zusammenhänge und ziehe für mich mehr daraus, als ich es in der Schule konnte. Aber das liegt wohl auch daran, dass in der Uni der Umgang mit Sekundärliteratur viel ausgeprägter ist (oder eher: überhaupt stattfindet), die Zusammenhänge klarer werden und man nicht mehr nur stur nach Schema F vorgeht bei der Analyse. Diese Art der Beschäftigung mit der Materie findet wohl eher in wenigen Klassenzimmern statt - verständlicherweise, denn die Arbeit dort ist zeitlich ja doch eingeschränkt und eben nur ein "Kompromiss". Wir haben es im Deutsch GK (und auch im LK) nun einmal mitnichten mit glühenden Verehrern der deutschen Sprache zu tun.


    Will sagen: die von dir angeführten Gedankengänge, liebe/r Blau, halte ich für wenig praxistauglich und eher realitätsfern. So "kriegst" du keinen Schüler.

    • Offizieller Beitrag

    Will sagen: die von dir angeführten Gedankengänge, liebe/r Blau, halte ich für wenig praxistauglich und eher realitätsfern.


    Einspruch! :D


    Blau hat völlig Recht: wer ausschließlich nach Praxistauglichkeit gehen will, sollte die Hauptschule besuchen.
    Das Gynmnasium vermittelt weitergehende Bildung und führt mit der allgemeinen Hochschulreife zur Studierfähigkeit. (sollte es zumindest :D)

  • Ja, THEORETISCH, ne. PRAKTISCH ists ja aber nun einmal so, dass man heute auch für die praktischen Berufe deutlich bessere Chancen hat, wenn man das Abitur in der Täsch hat. Ich denke, der Anspruch, das Gymnasium bereitet den Übergang an die Uni vor, mag zwar noch in den Lehrerköpfen verankert sein, entspricht aber eben nicht mehr unbedingt der Realität. Wenn ich mir überlege, wer aus meinem Jahrgang dann wirklich ein Studium aufgenommen hat...ich möchte meinen, es war nicht einmal die Hälfte. Und wir waren ein sehr großer Jahrgang.


    Mit meinem Bezug auf die Praxistauglichkeit im Beitrag oben meinte ich eher: Sag das mal den SuS. Das ist denen in dem Alter wurscht.

    Einmal editiert, zuletzt von immergut ()

  • Ich bin ja kein Deutschlehrer, vielleicht ist mein Ansatz deshalb falsch, aber mir geht es - wenn wir denn mal im Englischunterricht einen Song oder ein Gedicht besprechen - darum, dass zumindest ein paar Schüler merken: Hey, das ist ja eigentlich eine Aussage / eine Botschaft, die auch mich ansprechen kann, die auch für Situationen passt, in denen ich mich befinde bzw. befunden habe! (Robert Frost: Two Roads wäre hier ein Beispiel).



    Nicht jeder muss mit jedem Gedicht etwas anfangen können ... und wenn dann die SuS merken, dass sie durch ihre Art der Interpretation dem Gedicht auch einen bestimmten "Zungenschlag", eine bestimmte Aussage, die auf ihr Leben auch passt, geben können und so angesprochen werden, umso besser.

  • ...'neben nützlichen "Grundfertigkeiten" auch (die Möglichkeit der) Freude an Kunst und Kultur...


    Das ist anmaßend! Man kann erwarten , dass Schüler ein Gedicht lesen/auswendig lernen/analysieren usw., aber nicht, dass sie dabei Freude empfinden.


    Das hab ich im Teeniealter aber auch ganz anders gesehen. Da ist man eben noch nicht so reflektiert, wie man es heute vielleicht sein mag.


    Und wenn bei der Reflexion rauskommnt, dass Gedichte akademisch nett sind und ansonsten eher unnütz? Politisch unkorrekt?


    Ja, THEORETISCH, ne. PRAKTISCH ists ja aber nun einmal so, dass man heute auch für die praktischen Berufe deutlich bessere Chancen hat, wenn man das Abitur in der Täsch hat. Ich denke, der Anspruch, das Gymnasium bereitet den Übergang an die Uni vor, mag zwar noch in den Lehrerköpfen verankert sein, entspricht aber eben nicht mehr unbedingt der Realität.


    Das Gymnasium bereitet auf ein Studium vor, alle anderen, die das nicht wollen sollten sich der Realität stellen und nicht aufs Gymnasium gehen. Alles andere ist m.E. Ressourcenverschwendung.


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:


  • Und wenn bei der Reflexion rauskommnt, dass Gedichte akademisch nett sind und ansonsten eher unnütz? Politisch unkorrekt?


    Darauf wird ein Schüler wohl kaum aufgrund der Beschäftigung in der Schule kommen. Das ist doch der Knackpunkt.




    Das Gymnasium bereitet auf ein Studium vor, alle anderen, die das nicht wollen sollten sich der Realität stellen und nicht aufs Gymnasium gehen. Alles andere ist m.E. Ressourcenverschwendung.


    Willkommen in der Realität. Verschließ dich ihr ruhig. :staun: Außerdem weiß man doch schlichtweg noch nicht in Klasse 5/7/10, welchen Beruf man später ausüben will. Was liegt da näher, als sich zunächst alle Wege offen halten zu wollen?

  • Vielleicht würde ich sagen: Nein, später brauchst du die nicht. Die brauchst du jetzt. Du sollst nämlich lernen, sinnentnehmend zu lesen, auch zwischen den Zeilen. Du sollst lernen, dass auch Worte und Sätze einen Rhythmus haben. Und worin der Unterschied zwischen Kunst und sinnlosem Wortgeklingel besteht.


    Ich höre übrigens dieses "brauche ich nicht" sogar von Schülern in technischen Ausbildungsgängen - bezogen auf die Bruchrechnung. Und ja: Die Schüler, die immer so fragen, die bringen es nicht weit. Sie sind schlicht zu ungeduldig und zu wenig neugierig und aufnahmebereit.

  • Außerdem weiß man doch schlichtweg noch nicht in Klasse 5/7/10, welchen Beruf man später ausüben will.


    Deshalb halte ich auch Gymnasium ab 4. Klasse nicht unbedingt für zielführend.


    Du sollst nämlich lernen, sinnentnehmend zu lesen


    Ich halte das eher mit dem verstehenden Lesen, da bleibt der Sinn ent- und erhalten. ;)

    Und worin der Unterschied zwischen Kunst und sinnlosem Wortgeklingel besteht.


    Und das bestimmt wer?


    Grüße
    Steffen

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

  • Zitat von »Piksieben«


    Und das bestimmt wer?


    Der Markt - wie meistens.
    Diese kleine Lihografie (bzw. Collage), die uns Neleabels hier als Beispiel für Wortgeklingel postet, ist eine Gemeinschaftsarbeit der Dadaisten Kurt Schwitters und Theo van Doesburg und wird mit ca. 20.000 € gehandelt (eher noch höher, weil der rote Überdruck "DADA" fehlt) :dollar:


    Falls es sich um den Original-Entwurf handeln sollte, kannst du locker eine Null anhängen.
    Wer also eine derartige Einladungskarte auf dem Dachboden findet - NICHT wegwerfen... Das IST Kunst.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

    • Offizieller Beitrag

    Außerdem weiß man doch schlichtweg noch nicht in Klasse 5/7/10, welchen Beruf man später ausüben will.


    Darum geht es auch gar nicht bei der Wahl der weiterführenden Schule. Sondern darum, welche Art zu lernen für den jeweiligen Schüler passt.

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