Ablehnen der Aufsichtspflicht... geht das?

  • Wir haben in der 6. Klasse ein völlig unkontrollierbares Kind. Einerseits hat es immer wieder heftigste Wutausbrüche mit fliegenden Gegenständen, auch Stühlen, es ist schon ein Stuhl durchs die Fensterscheibe geflogen, aggressive Tret-, Kneif-, Boxattacken gegen Mitschüler. Andererseits auch heftige Aggression gegen sich selbst, Schlagen des Kopfs auf den Boden, gegen Tür/Türrahmen, Wand der Klasse, das Kind würgt sich mit den eigenen Händen, mit Schnüren oder Bändern, die in Reichweite sind, ist schon einmal aus vollem Lauf gegen einen Baum auf den Pausenhof gelaufen.


    Als Diagnose ist ADHS bekannt, das Kind bekommt Ritalin. Das unkontrollierbare Verhalten ist bereits aus dem Kindergarten (!) bekannt. Wir sind der Meinung, dass das Kind dringend Hilfe von Spezialisten braucht.


    Die Eltern -höchst unangenehme, sehr wohlhabende Zeitgenossen - stellen sich allen Bemühungen der Schule entgegen, leugnen, dass ihr Kind auffällig sei, beschuldigen ständig die Mitschüler ("Mobbing") und die Schule/ uns als Kollegen ("Verletzung der Aufsichtspflicht") und drohen gleich mit mehreren ihrer "Hausanwälte".


    Der Schulleiter verweigert konsequent eine harte Linie und redet ständig davon, die Eltern müssen '"an Bord geholt werden".


    Wir als unterrichtende Kollegen warten jeden Tag darauf, dass mit dem Kind oder MitschülerInnen eine Katastrophe geschieht, und fühlen uns völlig überfordert, befürchten, aufgrund der Aufsichtspflicht für einen kommenden schrecklichen Vorfall verantwortlich zu sein. Was passiert, wenn sich das KInd z.B. wirklich einmal die Schere in den Hals rammt, wie bereits vielfach "spielerisch" angedeutet..?


    Hat jemand eine ähnliche Situation durchgemacht? Gibt es Möglichkeiten, die Aufsichtspflicht über ein Kind abzulehnen? Wie kann es gegen den Elternwillen weitergehen?

  • Das Kind gehört nach deinen Beschreibungen sobald als möglich in die näcshte Kinder- und Jugendpsychiatrie.


    Die Einweisung kann durch die Eltern erfolgen. Findet eine akute Fremd- oder Eigengefährdung statt obliegt es deiner Schulleitung eine Einweisung zu erzwingen. Hierfür ruft sie im akuten Notfall die Feuerwehr, Notarzt und Polizei (ich glaube, das waren die drei notwendigen Rettungsdienste die alle angerufen werden müssen). Ist die Schulleitung nicht zu erreichen, obliegt dir die Verantwortung. Da dieser Fall sehr extrem ist, solltest du den Fall des Falles, also Verständigung der Hilfe und anschließende Einweisung vorab mit der Schulleitung besprechen.


    Will diese denn warten bis der Extremfall passiert und dann intuitiv entscheiden? Was hat der Schulleiter denn bislang getan, um die Eltern ins Boot zu holen?


    Dir wünsche ich viel Kraft und hoffe sehr, dass nichts passiert!

  • Sir haben solche Kinder auch hin und wieder. Allerdings stand unsere SL meist hinter uns und wir haben dann im Gespräch mit den Eltern die Verantwortung abgelehnt.
    Bei einzelnen haben wir bei jedem einzelnen Ausbruch die Eltern angerufen und das Kind abholen lassen.
    Nach 3-4 Anrufen waren sie bereit gemeinsam zu Lösungen zu suchen.
    Teilweise haben wir eine Kurzbeschulung durchgesetzt und das Kind ging nach 2 Stunden heim.


    Ich würde sofort anfangen mit allen Kollegen ein Protokoll anzufertigen. Mit diesem zum SL und eine Erklärung dazu, dass ihr die Verantwortung ablehnt.
    Weiß er wirklich was abgeht? Hat er das Kind in Rage erlebt? Hat er Gespräche mit den Eltern geführt?
    Viellicht kann er sie ins Boot holen?
    Meiner Meinung nach kann er sich nicht so einfach aus der Situation heraushalten!
    Gruß

  • Wir als unterrichtende Kollegen warten jeden Tag darauf, dass mit dem Kind oder MitschülerInnen eine Katastrophe geschieht, und fühlen uns völlig überfordert, befürchten, aufgrund der Aufsichtspflicht für einen kommenden schrecklichen Vorfall verantwortlich zu sein. [...]


    Hat jemand eine ähnliche Situation durchgemacht? Gibt es Möglichkeiten, die Aufsichtspflicht über ein Kind abzulehnen? [...]


    Was du umgehend schreiben solltest ist eine Überlastungsanzeige:


    http://www.gew-koeln.de/02/web…/ueberlastungsanzeige.htm

    --

    Keine Daten, keine Quellen? Kein Interesse.

  • TwoEdgeWord - das mit der Überlastungsanzeige ist mir ganz neu - vielen Dank! Das werde ich morgen mit den KollegInnen besprechen!


    - die Eltern weigern sich grundsätzlich, das Kind abzuholen. Wir müssen das Kind bis Unterrichtsschluss beschulen bzw. beaufsichtigen. Die würden das Kind auch bei einem Unterrichtsausschluss in der Schule abliefern.


    - das Jugendamt war da, kann aber gegen den Elternwillen nicht tätig werden, wenn keine akute Notsituation vorliegt. Und die hatten wir bis jetzt noch nicht...


    - unser Sozialdienst darf nicht mit dem Kind arbeiten, da die Eltern das untersagen


    - Protokolle schreiben wir seit 1,5 Jahren, die Akte ist bereits ein voller Leitzordner.


    Und was sich die SL so vorstellt, ist für uns alle nicht erkennbar. Eine harte Linie wird jedenfalls rundum abgelehnt, das Kind wird nach jedem Vorfall bekuschelt. Bis irgendwann einmal etwas Trauriges passiert und wir den Rettungsdienst rufen müssen (müssen wirklich alle drei Dienste kontaktiert werden?).

  • Gibt es im Schulgesetz von NRW nicht so etwas wie DIsziplinarmaßnahmen, Ordnungsmaßnahmen o.ä.? Hier in Hessen gibt es diese (z.B. Ausschluss vom Unterricht), Eltern müssen sich an diese halten und haben kein Mitentscheidungsrecht ob ihnen das Ganze nun passt oder nicht.

  • Natürlich gibt es das:

    Tja, und wenn das dann "schriftlich bekannt gegeben" wurde, hat es eben keine "aufschiebende Wirkung". Die Eltern müssen dann damit klar kommen. Manche Schulleiter sind einfach zu "schissig", Konsequenzen durchzuziehen.

  • Mal ganz unbedarft: Vielleicht kann der SL der Ernst der Lage verdeutlicht werden, wenn die Fachlehrer erst eine Überlastungsanzeige stellen und dann remonstrieren, wenn sie alleien Aufsicht führen sollen etc. Formal ist das zwar wohl nicht ganz korrekt, aber es würde ein Zeichen setzen.
    Und, mal ganz abgesehen vom Kind und den Mitschülern, muss man sich auch selber schützen. Die Eltern werden schon wissen, warum sie ihr Kind nach einem Ausraster nicht abholen wollen.

  • Wenn ein Kind zeitweise der Schule verwiesen wird (Teilbeschulung oder abholen wegen auffälligem Verhalten) und die Eltern sich weigern, kannst du das Jugendamt anrufen und die holen das Kind ab. So wird es bei uns gehandhabt. Das machen die Eltern einmal mit, dann nie wieder.
    Dein Schulleiter erfüllt derzeit seine Pflicht nicht. Wie sieht es mit dem Schulpsychologischem Dienst aus?
    Wie reagieren denn die Eltern der Mitschüler?

  • Dagwood, so wie ich das nach erstem Überfliegen lese, ist das recht ähnlich von der Rechtslage wie bei uns. Da hilft nur eines: schreiben, schreiben, schreiben. Und zwar nicht im Stillen für die Schülerakte, sondern stufenweise erst die erzieherischen Einwirkungsmaßnahmen (die könnt ihr unter Garantie ja eh schon per Schlerakte nachweisen) und dann Schritt für Schritt die Ordnungsmaßnahmen beim Schulleiter einfordern, zur Not eben auch schriftlich. Wenn er dann trotz mehrfacher Aufforderung und Gefährdung von Lehrern und anderen Schülern nicht tätig wird, dann muss man eben über weitere Schritte nachdenken...


    Referendarin: Auf dem Dienstweg den Vorgesetzten des Schulleiters informieren. (Ich weiß nicht, welche ebene das in NRW ist)

  • Hallo,
    Ich kenne solche Szenen nur aus der Förderschule, jedoch sind die Kinder dort bereits in der Psychiatrie gewesen. Wenn ein Kind ernsthaft mit Selbstmord droht:

    Schlagen des Kopfs auf den Boden, gegen Tür/Türrahmen, Wand der Klasse, das Kind würgt sich mit den eigenen Händen, mit Schnüren oder Bändern, die in Reichweite sind,

    würde ich sofort den Notarzt holen und erst dann die Schulleitung informieren. Du musst dann zügig handeln, schließlich kannst du die Situation nur persönlich einschätzen und wenn deiner Meinung nach Gefahr im Verzug ist, muss der Notarzt entscheiden, ob das Kind stationär aufgenommen wird.


    "Die Eltern ins Boot holen" wäre schön, allerdings geht das nicht immer, bzw. dein Schulleiter kann das offensichtlich nicht.


    Den Weg über das Jugendamt würde ich nur über die Schulleitung gehen. "Kindeswohlgefährdung ist Chefsache", wurde uns immer gesagt. Dafür gibt es Formulare, man muss sich mit den Eltern treffen und Maßnahmen besprechen. Bei Gefahr im Verzug darf man das Jugendamt natürlich auch sofort anschreiben. Die sind dafür zuständig, zu entscheiden, was als nächster Schritt kommt. Das Familiengericht kann theoretisch Maßnahmen anordnen, das Jugendamt kann das nicht, sie können nur einleiten.


    Das Kind ist ja nicht nur fremdgefährdend sondern massiv selbstgefährdend, ich würde jedenfalls nicht zugucken, egal was die Schulleitung sagt.


    Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind seit Jahren massiv misshandelt oder missbraucht wird ist sehr groß. Es gibt Kinder, die regelrecht gefoltert werden. Leider zählt es erst als Kindeswohlgefährdung, wenn jemand blaue Flecken, Brandwunden etc. beobachtet. Solche Auffälligkeiten weisen zumindest in die Richtung und mir ist nicht klar, auf was noch gewartet werden soll, bevor etwas passiert. Aber klar, wenn die Eltern nicht mit fettigen Haaren daherkommen und Hartz IV beziehen ist es natürlich "ADHS" oder "Autismus".


    Alles Gute dir, das ist wirklich eine krasse Situation, in der du steckst!

  • Zitat

    Was können die betroffenen Lehrer in einer solchen Situation denn tun?

    Bei Tresselt kannst du dich über deine Beschwerdemöglichkeiten einlesen:


    http://www.tresselt.de/beschwerden.htm

  • Wenn ein Kind an unserer Schule so massiv ausrastet und wir es an diesem Tag nach Hause schicken, dann gibt es nur wenige Optionen:
    a) das Kind ist alt und reif genug, den Weg nach Hause alleine zu bestreiten (fällt bei euch in diesem Falle weg)
    b) wir rufen die Eltern an, erklären die Situation und lassen das Kind abholen.
    c) die Eltern wollen ihr Kind nicht abholen und das Kind weigert sich, die Schule zu verlassen: die Schulleitung hat das Hausrecht! Wir rufen die Polizei und lassen das Kind von denen abholen. Die gucken zwar schonmal etwas blöd aus der Wäsche, aber gut.


    Allein das Aufzeigen dieser Option hat schon einige Konflikte bei uns wieder beruhigt.


    Ich wünsche dir jedenfalls viel Kraft und Ausdauer, sowas ist extrem anstrengend!

    Schöne Grüße,
    dzeneriffa



    Am Ende wird alles gut! Wenn´s noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende =)

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