Religionsunterricht an staatlichen Schulen?

  • WillG

    Ohne Aufgaben kann man die 15 min dann damit verbringen, ruhig ins Buch zu schauen, ab und an eine Seite weiter zu blättern und zu träumen.


    Lesen ist gerade für die Kinder, die es noch nicht können, besonders schwierig und anstrengend,

    da reicht es eben nicht aus, eine Lesezeit auszurufen.


    Und für bestimmte Kinder braucht man jemanden, der mit aufs Blatt guckt und hilft oder korrigiert.

    Wir alphabetisieren auch Kinder mit Schwierigkeiten in der Wahrnehmung, in der Sprache, in der Kognition und in ihrer Zweitsprache.

  • Find ich interessant - an unserer Schule haben wir auch ein großes Problem mit der Lesekompetenz, das sich bis in die Oberstufe zieht. Wie genau sahen diese 15 Minuten aus? Jede Person liest ein Buch der Wahl, ähnlich wie bei WillG? Wie wurde das Konzept aufgenommen?


    Welche anderen Ideen wurden vllt an euren Schulen schon (erfolgreich) etabliert? Ich verzweifle da bei uns echt manchmal…

    Es lief im Prinzip genau so, wie von WillG beschrieben: die Kinder konnten eigene Bücher mitbringen oder etwas aus der Schulbücherei ausleihen. Die Bücher sollten halt altersgerecht sein und keine Comics, andere Vorgaben gab es nicht. Einmal pro Schuljahr sollte jeder Schüler eine kurze Buchvorstellung eines Buches seiner Wahl machen. Ziel war die Verbesserung der Lesekompetenz und generell ein Heranführen ans Medium Buch. Zur Aufnahme des Konzepts kann ich nichts sagen, weil es schon fest etabliert war, als ich an der Schule angefangen habe. Die Schüler haben es durchwachsen angenommen... in Klasse 5/6 klappte es noch recht gut, in Klasse 7 ließ die Bereitschaft, in diesen 15 Minuten tatsächlich zu lesen, merklich ab.


    Mein aufrichtiges Mitgefühl galt immer den Leseratten, die nach 15 Minuten das Buch zuklappen mussten, weil dann halt der Unterricht losging. Mitten im Kapitel aufhören zu müssen, ist schon ein bisschen grausam^^

  • Nun, da deutsche Kinder laut IGLU-Studie schlechter lesen als vor 20 Jahren und -wieder mal- sozial Benachteiligte im internationalen Vergleich in Deutschland schulisch am meisten hinterherhinken, ist es offenbar nicht so selbstverständlich, dass in der Grundschule ausreichend gelesen wird.

    Z.B. Deutschlandfunk: "Deutschland wendet im internationalen Vergleich deutlich weniger Zeit für Leseunterricht auf: im Durchschnitt 141 Minuten pro Woche, während OECD- und EU-Länder im Schnitt etwa 200 Minuten dafür einplanen. England, das beste der europäischen Länder, wendet viel Zeit für das Lesen auf und kümmert sich seit Jahren darum, dass Kinder mit Sprachproblemen schon in der Vorschule stark gefördert werden."

  • An der Stelle sehe ich aber auch die Eltern in der Pflicht. Wenn ich schon weiß, dass mein Kind möglicherweise Probleme beim Lesen haben könnte, sei es, weil es sprachliche oder kognitive Probleme hat, ein familiär sozioökonomisch schwacher Hintergrund besteht, oder ähnliches, hole ich mir entsprechende Hilfe, sodass das Kind nicht bereits im Anfangsstadium des Lesenlernens komplett abgehängt wird. Selbst arbeitslose Eltern und solche mit geringen Deutschkenntnissen finden in der Regel den Weg zu den Behörden, und sei es, um Bürgergeld zu beantragen, da ist es kein Ding der Unmöglichkeit, sich gleichermaßen Hilfe beim Jugendamt zu holen, statt davon auszugehen, dass sich das Problem irgendwie "verwächst".

  • Wir hatten heute eine verpflichtende 2stündige online-Veranstaltung zu dem Thema mit über 2000 Teilnehmerinnen. Habe es mit meiner Kollegin zusammen auf dem Sofa genossen. Am Montag lief sie auch schon mit über 2000 Teilnehmern. (BiSS-Transfer, gemeinsame Initiative von Bund und Ländern)

    Zuerst war der Herr sehr freundlich, aber als dann von Teilnehmenden Fragen aufkamen, wurde er etwas biestig. Kurz gesagt: Verpflichtendes Konzept, die Schule, die es ab September nicht nimmt, muss ein eigenes einreichen, Betreuung des Konzepts notwendig, aber keine Ermäßigungsstunde, 2x20 Minuten Zeit (im Deutschunterricht, keine Extrastunde für Schüler und Lehrer), kein Material (man soll das Rad nicht neu erfinden, sondern nehmen, was man hat und umarbeiten).....

    • Offizieller Beitrag

    Kurz gesagt: Verpflichtendes Konzept, die Schule, die es ab September nicht nimmt, muss ein eigenes einreichen,

    Hm, das ist zumindest mal ein Weg: Gebt uns die verf***ten Konzepte von oben vor. Dann müssen wir sie nicht schreiben, sondern bestenfalls abwandeln.
    Bin mal gespannt, was uns am 12.6. erwartet.

  • Hm, das ist zumindest mal ein Weg: Gebt uns die verf***ten Konzepte von oben vor. Dann müssen wir sie nicht schreiben, sondern bestenfalls abwandeln.
    Bin mal gespannt, was uns am 12.6. erwartet.

    Die emojis, die Teilnehmende als Reaktion am Ende schickten, waren sehr durchwachsen: Viele wütende oder tränende Gesichter, Hasen, die davon rannten, Schildkröten (was die Veranstalter verwirrte), aber auch Herzen und freundliche Gesichter, Daumen hoch, also alles mögliche.

    Das Konzept ist gar nicht neu, sondern es gibt es seit einigen Jahren, zumindest in BaWü und BY.

    Was rennende Hasen und Schildkröten bedeuten sollen...keine Ahnung.

  • An der Stelle sehe ich aber auch die Eltern in der Pflicht. Wenn ich schon weiß, dass mein Kind möglicherweise Probleme beim Lesen haben könnte, sei es, weil es sprachliche oder kognitive Probleme hat, ein familiär sozioökonomisch schwacher Hintergrund besteht, oder ähnliches, hole ich mir entsprechende Hilfe, sodass das Kind nicht bereits im Anfangsstadium des Lesenlernens komplett abgehängt wird. Selbst arbeitslose Eltern und solche mit geringen Deutschkenntnissen finden in der Regel den Weg zu den Behörden, und sei es, um Bürgergeld zu beantragen, da ist es kein Ding der Unmöglichkeit, sich gleichermaßen Hilfe beim Jugendamt zu holen, statt davon auszugehen, dass sich das Problem irgendwie "verwächst".

    So denkt jemand, der selbst gebildet ist und es vorgelebt bekommen hat.


    Aber so einfach ist es eben nicht.


    Nicht,

    - weil man sich ans Jugendamt wenden muss, das auch eine Kontrollfunktion hat,

    - weil man von der Gnade der Mitarbeiter:innen abhängig ist - da gibt es auch „rühr-mich-nicht“,

    - weil man von der Verfügbarkeit von Mitteln abhängig ist, sie reichen einfach nicht für alle, also bekommen eher die gebildeten, hartnäckigen Hilfe,

    - weil man Anträge stellen muss, Dokumente beibringen etc., das überfordert viele eben doch oder beschämt oder besorgt sie,

    - weil man Arztberichte z.T. von Fachärzten benötigt, bei denen es kaum Termine gibt (1 Jahr Wartezeit) und die für manche schlicht nicht erreichbar sind.


    Ich habe immer wieder Kinder, die keine Hilfe bekommen, sehr selten wollen die Eltern wirklich nicht, oft können sie nicht. Sie bräuchten viel niederschwelligere Unterstützung schon bei der Beantragung von Hilfe. Der Weg, bis Hilfe gewährt wird, ist zu kompliziert und zeitlich viel zu lang.


    Eine Schnittstelle Schule-Hilfe gibt es nicht, im Ganztag zumindest HA-Hilfe, aber keine Lernförderung, kein Förderunterricht, keine Therapien etc.


    An einigen Schulen gibt es Lesenester, das ist aber nicht so stark verbreitet, wie man es bräuchte und die Helfenden müssen gefunden und ehrenamtlich sein oder die Finanzierung muss auch geregelt werden. An Schulen ohne Lobby und mit schwierigem Klientel ist auch das schwieriger.


    „Die Eltern müssen doch“ ist genau der Weg, der nicht klappt.

    Dazu hat man schon vor vielen Jahren viel zu viele Eltern verloren und kann sie auch über Elternabende, Elterngespräche, Elternschulen o.a. nicht erreichen.

  • Ohne Aufgaben kann man die 15 min dann damit verbringen, ruhig ins Buch zu schauen, ab und an eine Seite weiter zu blättern und zu träumen.

    Ich kann mich natürlich ausschließlich aus Sekundarstufensicht äußern, also widerspreche ich deiner Grundschulerfahrung in keinster Weise.

    Für meine Schulart (Gymnasium) würde ich sagen: "Dann ist das halt so!". Ich kann im Unterricht ohnehin nur Lernangebote machen, irgendwie müssen die Kinder (am Gymnasium) auch selbst die Bereitschaft haben, sich darauf einzulassen. Das tun nie alle. Und wenn in dieser Zeit, also 15min die Woche - meinetwegen 15min am Tag - ein paar echte Leselust entwickeln und ein paar andere halt nur so tun, so wie so viele Schüler in vielen Phasen nur so tun, dann ist es das aus meiner Sicht (am Gymnasium) wert.

    Aber ich war auch noch nie jemand, der unbedingt 100% effektiv genutzte Unterrichtszeit zur "Stoff"-Vermittlung als den höchsten Wert angesehen hat.

  • Wenn ich mit der Einstellung „dann ist das eben so“ an die Sache heranginge, dann würde sicher die Hälfte gar nichts tun oder lange nicht ausreichend etwas lernen.


    Genau diese Einstellung gehört übrigens immer mit zu der Arbeitszeitdebatte.

    Es ist ein Unterschied, ob ich Angebote mache, die man annehmen kann, wenn man mag … und sonst woanders hingehen kann,

    oder ob man darum bemüht ist, möglichst alle zu erreichen und ihnen über Differenzierung das Lernen zu ermöglichen.


    Und ja, auch das hat Grenzen, aber wenn man schon in Klasse 1 mit „dann ist das eben so“ viele SuS nicht erreicht, dann muss man die nächsten 3 Jahre immer noch mit ihnen arbeiten, denn sie bleiben in der Klasse.


    Übrigens glaube ich, dass die meisten GS-Lehrkräfte sich wirklich um alle bemühen, gerade beim Lesen, und dennoch die Ergebnisse so schlecht sind. Das wiederum liegt an den Grenzen des Machbaren, wenn man in heterogenen oder in Brennpunkt-Klassen, in denen ja viele Kinder mehrsprachig sind und Eltern vom Leben überfordert, unterrichtet.

  • Es fehlt vielen Kindern auch ein lesendes Erwachsenenvorbild. Man ist lieber am Handy. Einige Eltern sprechen sehr schlecht Deutsch und viele Kinder beherrschen keine Sprache richtig, auch nicht ihre Muttersprache. Stelö dir vor, du könntest nicht richtig Deutsch und müsstest eine Fremdsprache lernen.

  • Bei uns ist ab nächsten Schuljahr die Durchführung von besonderen Lesefördermaßnahmen Pflicht.

    Beworben wird hier vor allem "FiLBY". Das geht von Klasse 2-4. In Klasse 2 startet es mit 3 Wochen Lesen einer Klassenlektüre, dann 6 Wochen täglich ca. 20 Minuten Lesetraining mit Sachtexten, danach jede Woche 2-3 mal ca. 20 Minuten Lesen auch wieder vorzugsweise mit Sachtexten. In Klasse 3 liegt der Schwerpunkt auf Lesestrategien und in Klasse 4 auf selbstreguliertem Lesen.

    Prinzipiell finde ich Lesemaßnahmen und das Bewusstmachen, dass Lesen sehr wichtig ist und immer im Unterricht integriert werden muss, sehr gut.

    Aber was wird dafür gestrichen? An meiner Schule wird das Konzept jetzt schon angewendet. Da ich nicht mehr dabei bin, habe ich nur gehört, dass es schwierig ist, auch dieses Konzept noch unterzubringen.

    Normalerweise ist im bayerischen Lehrplan das Lesen stark verankert und die Unterrichtswerke sind darauf abgestimmt. Meine Schule arbeitet mit dem Auer-Konzept. Ich fand es immer super, dass thematisch hier viele Sachen miteinander verbunden waren, auch die Stücke im Lesebuch haben toll zum ganzen Thema gepasst. Da sind sehr viele Textsorten vertreten. Es wurde am selben Wortschatz gearbeitet - egal ob es ums Lesen, Leseverständnis, die Grammatik, das mündliche Sprechen und das Texte verfassen ging. Ich befürchte, dass man dann keine Zeit mehr hat, die in meinen Augen mehrheitlich sehr guten Lesestücke des Lesebuches zu bearbeiten und nicht mehr dynamisch vorgehen kann.

  • An der Stelle sehe ich aber auch die Eltern in der Pflicht.

    Und was wachen wir nun mit dieser Sicht? Die Eltern können und/oder wollen nicht, also muss man eine Lösung finden, wenn man nicht ein Viertel der Bevölkerung abschreiben will.


    Wenn ich mit der Einstellung „dann ist das eben so“ an die Sache heranginge, dann würde sicher die Hälfte gar nichts tun oder lange nicht ausreichend etwas lernen.

    Hast du es denn schon mal ausprobiert mit Lesezeiten? Ich mache das auch und es funktioniert gut. Sie sollen sich dann Notizen in einem extra Heft machen und ich lasse einzelne erzählen, was sie gelesen haben. Es geht ja gerade nicht darum, einen riesen Zinnkber zu betreiben, sondern mehr zu lesen. 60 min weniger pro Woche im Vergleich ist halt schon ne Ansage.


    Und dass viele andere tolle Aktivitäten stattfinden ist sicher unbestritten, es denkt niemand Ernstzunehmendes, dass GS-Lehrkräfte nicht genug machen. Die Frage ist, ob man inhaltlich etwas dagegen steuern sollte (kein Englisch mehr, weniger Projekte mit neuen Medien o.ä.)

  • Und dass viele andere tolle Aktivitäten stattfinden ist sicher unbestritten, es denkt niemand Ernstzunehmendes, dass GS-Lehrkräfte nicht genug machen. Die Frage ist, ob man inhaltlich etwas dagegen steuern sollte (kein Englisch mehr, weniger Projekte mit neuen Medien o.ä.)

    Ich gebe dir recht, dass man sich überlegen sollte, welche Projekte und Wettbewerbe!!! unnötig sind. Leider wird das öfter so gesehen, dass diese Projekte gut für die Außendarstellung sind. Alles nimmt Zeit von der Unterrichtszeit weg.


    Ich schreibe jetzt schwerpunktmäßig von 3/4: Vor 2000 konnte man sich vielleicht besser dem Lesen bzw. der Lesetechnik widmen. Dann kamen folgende notwendige Aspekte dazu:

    Vertiefte Sprachförderung: die Schüler lernen jetzt schon in der Grundschule, wie man Referate vorträgt, wie man sich vor die Klasse stellt und präsentiert, erklären anderen mathematische Zusammenhänge usw. Das kostet Zeit.

    Außerdem trainieren wir seit einigen Jahren das systematische Zuhören ähnlich wie es bei der Vergleicharbeiten verlangt wird. Auch das kam dazu.

    Apropos Zuhören: Es ist die Frage, ob das so gut ist, dass man sich bei einigen digitalen Übungsprogrammen die Aufgaben vorlesen lassen kann.


    Die Erkenntnis, dass zum Lesen nicht nur das Textverständnis gehört, sondern auch auf die Lesetechnik Wert gelegt werden muss, die kam erst wieder im letzten Jahrzehnt zum Vorschein. Ich finde es super, dass mit dem LehrplanPLUS alle Aspekte des Lesens wieder gut berücksichtigt werden.


    Meine Erfahrung mit dem Lesen ab dem 3. Schuljahr ist: Für wen Lesen mühsam ist, der kommt schnell in die Vermeidungshaltung. So hat man dann in der Konsequenz immer mehr Probleme mit dem Lesen.

    Hat das Kind aber einmal über einen steinigen Weg ein gewisses Niveau erreicht, kann das Lesen durchaus Spaß machen. Die Erfahrung machte ich mit einigen Kindern, denen zuerst eine Lesestörung bescheinigt wurde, da sie sehr schlecht lasen. Durch regelmäßige Übungen zuhause ( im Schnitt 10 min pro Tag) konnten sie nach ca. einem Schuljahr so gut wie andere lesen und lasen jetzt auch für sich Bücher.


    Prinzipiell konnte man ab dem 3. Schuljahr bei allen Schülern deutlich beobachten, wie sich Lesefortschritte abhängig von der angepassten Übungshäufigkeit (gute Leser brauchten eben wenig Übung, schlechte Leser regelmäßige) einstellten. Diejenigen, die im 3./4. Schuljahr schon dicke Bücher lasen und wie Erwachsene vorlasen, die brauchten natürlich keine Übung mehr. Ich hatte noch nie ein Kind, das überhaupt nicht lesen lernte.


    Wichtig finde ich beide Arten des Lesens: Das laute, richtige Lesen, wo man den Text bzw. die Sätze mehrmals wiederholt, bis sie flüssig gehen und das leise, gerne auch überfliegende Lesen, wo man sich in Geschichten reinvertieft und im Kopf miterlebt. Diesen Unterschied habe ich öfter Eltern erklärt, denn wenn man sich nur mit lauten Leseübungen quält, findet man keinen Spaß am Lesen.


    In der Schule fand ich die Methode des Tandemlesens für die Lesetechnik am erfolgreichsten. Wer ein gewisses Leseniveau hat, der hat in der Regel auch ein besseres Textverständnis.

    Nicht zu vergessen: In anderen Fächern liest man auch, allerdings nicht methodisch. Aber zumindest geht es um das Textverständnis. Sachkunde kommt dem da am nächsten. (Da bin ich auch mal zum "Chorlesen" übergegangen, damit jeder gezwungen war, laut mitzulesen.)

  • Hast du es denn schon mal ausprobiert mit Lesezeiten? Ich mache das auch und es funktioniert gut.

    Habe ich.

    Früher reichten Lesepässe für zu Hause, im Anschluss gab es eine winzige Belohnung dafür. Damit konnte ich vor 20 Jahren alle erreichen, die Klassen waren aber auch anders zusammengesetzt.

    Wir hatten Lese-Paten, das ist über Corona eingeschlafen und es wird auch schwieriger, dafür jemanden zu finden, weil inzwischen fast alle Eltern am Vormittag arbeiten oder kleine Geschwister zu Hause sind - auch Mangels KiGa-Plätzen (ab 3 Jahren).


    Ich habe es mit Tandem-Lesen versucht, das ging recht gut, aber die Schwachen vermeiden dann auch … und wenn die Vertretungssituation in der Schule so schlecht ist, dass man nicht konsequent dabei bleiben kann, wird es nicht besser. Um zu Hause lesen zu lassen, gab es den neuen Text als HA und die Kinder sollten 3 Fragen zum Text notieren, die sie am Tag danach ihrem Partner oder einer anderen Gruppe stellen konnten. Gut ist auch, dass man den Tandems leicht unterschiedliche Texte geben kann und so eine breite Differenzierung möglich ist.


    Ich habe Lesetagebücher versucht, unterschiedliche, selbst eine Lektüre wählen und nach dem Lesen etwas notieren, buchübergreifende Lesetagebücher, auf Bücher abgestimmte Lesetagebücher, gemeinsame Lektüre … aber man kann sich dennoch immer wieder herausziehen und es reicht nicht.


    Dass man daneben für bestimmte Kinder quer durch alle Klassen einfach mehr Hilfe bräuchte, damit es in den ersten 4 Jahren mit dem Lesen klappen kann, ist dann noch eine weitere Sache.

    Aber zu meinen „die Eltern müssten doch“ klappt genau nicht bei den Analphabeten, bei Eltern aus anderen Ländern, die selbst kaum in der Schule waren, bei Eltern, die nie erfahren haben, dass Schulisches auch zu Hause eine Rolle spielen sollte, bei Eltern, die ihr Familienleben samt Arbeit kaum organisiert bekommen … und das sind eine Menge Eltern und Kinder, die wir schon in der Generation davor nicht ausreichend gefördert haben und mit dem Lehrkräftemangel noch weniger Möglichkeiten haben, da selbst die DaZ-Stunden gestrichen werden für die Vertretung (zum ersten Mal seit bestimmt 10 Jahren habe ich in diesem Schuljahr meine DaZ-Stunden weitestgehend behalten und musste nicht irgendwo Unterricht auffangen - mit der nächsten schwangeren Kollegin wird es wieder anders sein).


    Was mich wirklich nervt:

    Die Kultusminister:innen krümmen keinen Finger für irgendwas, sie setzen jetzt landesweit alle an die Biss-Sachen (ja, ok), aber den Rest sollen die Schulen selbst bewerkstelligen, aus eigenen Mitteln, mit eigenen Kräften.


    Niemand lehnt sich aus dem Fenster und sagt, was wegfallen darf.

    Streiche ich in Deutsch, jammern noch mehr, dass die Schrift und Rechtschreibung so schlecht seien, längere Texte nicht geschrieben werden können,

    Streiche ich in anderen Fächern, fehlen andere Inhalte. Wo denn bitte?

    In Mathe von 5 Std in der Woche 2x 20 min zu lesen, fehlt 1 Stunde Mathe und es wird schwierig, Sachen einzuführen, in 20 min geht das nicht. So ist das in anderen Fächern auch. Übrigens bräuchte ich die gleiche Übungszeit auch für das Training des 1+1 und 1x1, das genauso trainiert werden muss und zu Hause nicht übernommen wird.


    Man hat doch ohnehin schon immer das Gefühl, dass die Lehrpläne überfrachten sind und die Zeit nicht ausreicht, Ich frage mich immer, wer von denen, die sie schreiben, eine realistische Einschätzung zu Inhalten und notwendiger Zeit vornimmt und dabei unterschiedliches Klientel im Blick hat.

    Auch ist G8 wieder zu G9 geworden, die Inhalte, die in die GS-Pläne gestopft wurden, sind aber geblieben.


    Der sinnvolle fächerübergreifende Unterricht ist in NDS immer schwieriger, weil die Vorgaben dagegen arbeiten (Lehrerwechsel, Fachvorgaben), nimmt damit unbemerkt Chancen oder Synergien. Man hat die Lernweise älterer Schüler auf jüngere übertragen und lehrt, dass Fragestellung und Stundenziel wichtig sind. Ja, sind sie manchmal, aber lernen in der GS kann auch ganz anders ablaufen. Inhaltlich hat man in vielen Fächern inzwischen einen viel höheren Anspruch als vor 20 Jahren, weil man weit mehr verknüpft, begründet, argumentiert, präsentiert … und auch das gemeinsam erarbeiten und üben muss.


    Wenn man dann noch weiß, dass die Bundesländer unterschiedliche Stundentafeln haben, die über 4 Jahre zum Teil mehr als 10 Stunden voneinander abweichen, dann ist es doch erstaunlich, dass man gleiche Inhalte in weniger Zeit vermitteln muss.


    Aber das alles kommt gar nicht zur Sprache.

    Die Schulen bekommen die Aufgaben zugeschoben, werden zu FoBi verpflichtet und sollen die Lesezeit zusätzlich zu allem anderen umsetzen.

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