Religionsunterricht an staatlichen Schulen?

  • Ist sie nicht, nein. Sie erfüllt ein wichtiges Kriterium der Wissenschaftlichkeit nicht: Sie ist nicht falsifizierbar.

  • Sie erfüllt ein wichtiges Kriterium der Wissenschaftlichkeit nicht: Sie ist nicht falsifizierbar.

    Ich kenne natürlich das Kriterium der Falsifizierbarkeit in Bezug auf die Wissenschaften. Ich frage mich schon länger immer mal wieder, ob dies auch auf Geisteswissenschaften übertragbar ist bzw. auch für Geisteswissenschaften gilt. Während meines Studiums ist es mir der Begriff weder im Bereich der Literaturwissenschaft noch der Linguistik begegnet.

    [EDIT: Ich muss mich verbesser: Natürlich kann man auch in der Literaturwissenschaft und in der Linguistik Thesen falsifizieren; aber es gibt eben doch eigentlich immer und überall Ausnahmen, für alle Begrifflichkeiten, für alle Kategorisierungen etc. Das scheint mir mit dem naturwissenschaftlichen Verständnis von Falsifizierbarkeit, so wie ich es begreife, nicht vereinbar zu sein.]


    Interessant finde ich bei diesem Diskurs um den Wissenschaftsbegriff auch, dass dieses scheinbare Gefälle der Wissenschaftlichkeit zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, das von vielen Naturwissenschaftlern gerne mal süffisant postuliert wird (- in dieser Pauschalität jetzt nicht von dir, Antimon -) sich eigentlich aus der deutschsprachigen Verwendung des Begriffs "Wissenschaft" für beide Bereiche ergibt, der eine Vergleichbarkeit suggeriert. Im Englischen bspw, wo es mit "Science" und "Humanities" zwei grundsätzlich unterschiedliche Begriffe gibt, gibt es diese Überschneidung bzw. diesen Widerspruch nicht.

  • Guck z. B. mal in den bayerischen Lehrplan Kath. Religion Grundschule. Dort stehen Sätze wie "die SuS deuten die Welt als Gabe Gottes" etc. Da werden christliche Grundüberzeugung en in jedem 3. Ziel antizipiert. Es gibt keine offenen Gespräche über den Unterschied von Beschreibung, Deutung oder den Vergleich verschiedener Positionen und wenn es neue Erkenntnisse gibt, wird der Lehrplan überarbeitet. In der Hinsicht ist das Fach wirklich einzigartig.

    Ich denke, es ist gerade für kleine Kinder schwierig, die Religions"wissenschaft" und den eigenen Zugang zum Glauben klar zu trennen. Eigene kreative Zugänge zum Thema "Glauben" sollen gerade in den jüngeren Jahrgängen auf jeden Fall eine Rolle spielen. Gleichzeitig finde ich ein paar grundlegende "Fakten" auch wichtig; z.B. grobe Vorstellung des Leben Jesus, Aufbau der Bibel, ein paar zentrale christliche Symbole, Bedeutung von Weihnachten oder Sankt Martin.

    Ein Ziel wie das von dir zitierte finde ich problematisch, weil das Ziel von Religionsunterricht nicht sein sollte, die Schüler zu genau einer zuvor festgelegten theologischen Sichtweise zu erziehen, sondern dass sie auf Basis der wissenschaftlichen Grundlagen einen eigenen Zugang entwickeln. Ich sehe hier einige Parallelen zum Literatur- oder Politikunterricht.

  • Interessant finde ich bei diesem Diskurs um den Wissenschaftsbegriff auch, dass dieses scheinbare Gefälle der Wissenschaftlichkeit zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, das von vielen Naturwissenschaftlern gerne mal süffisant postuliert wird (- in dieser Pauschalität jetzt nicht von dir, Antimon -) sich eigentlich aus der deutschsprachigen Verwendung des Begriffs "Wissenschaft" für beide Bereiche ergibt, der eine Vergleichbarkeit suggeriert. Im Englischen bspw, wo es mit "Science" und "Humanities" zwei grundsätzlich unterschiedliche Begriffe gibt, gibt es diese Überschneidung bzw. diesen Widerspruch nicht.

    Das ist in der Tat ein interessanter Gedanke, den ich auch schon öfter hatte und ich denke, ja, du hast recht, die beiden grundsätzlichen Fachbereiche Natur- und Geisteswissenschaften sind diesbezüglich gar nicht wirklich vergleichbar. Nehme ich jetzt aber konkret Bezug auf diesen Beitrag ...



    Deutschunterricht ist auch keine Germanistik, Geschichtsunterricht keine Geschichtswissenschaft und Mathematikunterricht keine wissenschaftliche Mathematik.

    Religionsunterricht basiert aber auf Theologie (nicht vergleichenden Religionswissenschaften), so wie Deutschunterricht auf Germanistik basiert und Geschichtsunterricht auf Geschichtswissenschaft. Deshalb haben die entsprechenden Lehrkräfte das in der Regel studiert.

    ... komme ich zu dem Schluss: Geschichte erzählt an der Schule ganz sicher keine Märchen sondern stützt sich auf belegbare Fakten, Mathe erzählt an der Schule ganz sicher keine Märchen sondern stützt sich auf belegbare Fakten. In den Sprachen geht es wohl nicht um Fakten in dem Sinne, wie wir diesen Begriff in den Naturwissenschaften oder auch unter Historikern verstehen, aber insbesondere die Sprachen beanspruchen für sich eben auch absolut keine "Wahrheiten" sondern sind sich ihrer Wandelbarkeit absolut bewusst und leben ja auch genau von dieser. Theologie ist halt was anderes als Religionswissenschaft oder Ethik und der Theologie spreche ich die Wissenschaftlichkeit in egal welchem Sinne grundsätzlich ab da ihr jegliche Rationalität fehlt.

  • Ja, ich wollte jetzt sicherlich hier auch keine Lanze für die Wissenschaftlichkeit der Theologie brechen.

    Oder, um Stephen Hawking in einer zu zitieren:

    Zitat

    A scientific law is not a scientific law if it holds only, when some supernatural being decides not to intervene.

    Er bezieht sich damit auf einen Austausch zwischen Napoleon und Laplace, in dem Laplace auf Napoleons Frage, wie Gott denn in seine Theorie passt, geantwortet haben soll: "Sire, I have not needed that hypothesis."


    Das Thema in seiner allgemeineren Dimension interessiert mich aber schon länger, ohne dass ich es jetzt ernsthaft verfolgt hätte. Deswegen fand ich das eben interessant und habe mich zu dem kleinen Exkurs hinreißen lassen.

  • Gegenfrage, was ist der Gegenstand theologischer Forschung?

    "Die Theologien im Christentum verstehen sich als wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Quellen des Glaubens (Biblische Theologie und Historische Theologie) und der Glaubenspraxis (Praktische Theologie) sowie als systematische Analyse und Darstellung des Glaubens (Systematische Theologie, unter anderem Fundamentaltheologie, Dogmatik und Ethik)."

    Warum ist Zauberei eigentlich keine Wissenschaft?

    Sowohl Zauberkunst/Illusionskunst als auch die Geschichte von und der Glaube an "Zauberei" im Sinne von Magie werden in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erforscht.

  • grobe Vorstellung des Leben Jesus

    Aha. Das Leben von Tom Riddle könnte die jungen Menschen auch interessieren.

    weil das Ziel von Religionsunterricht nicht sein sollte, die Schüler zu genau einer zuvor festgelegten theologischen Sichtweise zu erziehen, sondern dass sie auf Basis der wissenschaftlichen Grundlagen einen eigenen Zugang entwickeln. Ich sehe hier einige Parallelen zum Literatur- oder Politikunterricht.

    Die Religionsgemeinschaften haben einen Anspruch darauf, dass ihre „Sichtweise“ der Dinge im konfessionsbezogenen Religionsunterricht als bare Münze verkauft werden muss. Also so, als wenn die SPD die Wahrheiten für den sozialdemokratischen Politik-Unterricht festlegte. Oder Bastei-Lübbe legte fest, welches die gute Literatur sei.


    sondern dass sie auf Basis der wissenschaftlichen Grundlagen einen eigenen Zugang entwickeln.

    Der Zugang zu Religion auf wissenschaftlicher Grundlage ist einfach: Es wird viel behauptet und nichts ist belegt. Religionen leisten keinen Beitrag zur Erklärung der Welt.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    2 Mal editiert, zuletzt von O. Meier ()

  • Oder ziehst du wirklich in Erwägung, nach Norddeutschland in Palims Schule zu reisen und Gewaltszenen aus der Bibel vorzulesen?

    Zunächst mal war das Angebot, Palim s Kindern aus der Bibel vorzulesen, nicht ihren Schülerinnen. Aber nein, das habe ich nicht tasächlich vor, wie ich bereits erklärt habe. Ich kann kein Kind so sehr verachten, dass ich ihm aus der Bibel vorläse.


    ich empfinde es als drohend und nicht sachlich.


    Was ist das für ein Buch, wenn bereits das Angebot, daraus vorzulesen, als Drohung betrachtet wird? Soll das wirklich für Kinder geeignet sein?


    Palim scheint das Angebot aber nicht als Drohung zu empfinden. Sie sorgt sich lediglich darum, dass es langweilig sein könnte. Sonst sei's wie beim Handelsblatt.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    Einmal editiert, zuletzt von O. Meier ()

  • owohl Zauberkunst/Illusionskunst als auch die Geschichte von und der Glaube an "Zauberei" im Sinne von Magie werden in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erforscht.

    Diese Verwechselung ist ziemlich plump. Dadurch wird doch die Zauberei nicht zur Wissenschaft.


    Man kann sich wissenschaftlich mit Religionen auseinandersetzen. Aber die Reproduktion der Innenansichten ist eben keine Wissenschaft.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

  • also mich hat im - mangels Alternativen für nicht getaufte Kinder 13 Jahre lang besuchten - Reliunterricht (evangelisch) niemand versucht zu missionieren. In der Grundschule haben wir Geschichten (Gleichnisse?) gehört und dann ein Bild dazu gemalt - aber auch projektweise Papyrus hergestellt undso. Im Gymnasium - und hier passt es dann doch irgendwie zum Fredthema Lesekompetenz - haben wir stundenlang Texte gelesen und davon ne Inhaltsangabe machen müssen. ich finde im Nachhinein, dass das ziemlich nützlich war, weil dafür sonst in keinem Unterricht Zeit war. Aber auch hier wurden wir nicht bekehrt - in der Sek I gings viel um so Ethikthemen - wir haben auch uns damit beschäftigt, ob es Jesus wirklich gegeben hat und Zweiquellentheorie für Bibel undso gemacht. In der Sek II viel Religionskritik und ich kann mich an ne sehr tolle Unterrichtsreihe erinnern, in der es um die Rolle der Kirche bei Kriegen ging.


    Religionen leisten keinen Beitrag zur Erklärung der Welt.

    ich bin wirklich gar nicht religiös und unterrichte sogar im Gegenteil Philosophie, aber ich störe mich sehr an diesem Satz. Ich habe leider keine Zeit, hier alles zu schreiben, was mir dazu einfällt, aber die Hochnäsigkeit von NaturwissenschaftlerInnen, die sich quasi religiös an ihren Popper klammern, dessen Theorie ja letztlich auch am Induktionsschluss scheitert und sämtliche wissenschaftssoziologischen Komponenten ignoriert, ist doch zutiefst unhuman, da sie ignoriert, dass es Situationen im Leben gibt, in denen andere Erklärungen gebraucht werden.

  • in denen andere Erklärungen gebraucht werden

    Welche "Erklärungen" sollen das denn sein? Ich vermute, wir verstehen das Wort sehr unterschiedlich. Ich möchte gar nicht behaupten, dass Religionen keine Daseinsberechtigung haben, ich behaupte nur, sie sie erfüllen die Kriterien der Wissenschaftlichkeit nicht.



    aber die Hochnäsigkeit von NaturwissenschaftlerInnen, die sich quasi religiös an ihren Popper klammern

    An den "klammere" ich mich genauso wenig wie an irgendeine Religion. Er hatte allerdings recht mit seiner Aussage, dass der Zustand allgemeiner Einigkeit eine Krise in den Naturwissenschaften darstellt, genau an dem Punkt steht die Grundlagenforschung in der Physik schon seit geraumer Zeit.

  • "Die Theologien im Christentum verstehen sich als wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Quellen des Glaubens (Biblische Theologie und Historische Theologie) und der Glaubenspraxis (Praktische Theologie) sowie als systematische Analyse und Darstellung des Glaubens (Systematische Theologie, unter anderem Fundamentaltheologie, Dogmatik und Ethik)."

    Naja, wenn ich es richtig sehe, hast du halt jeweils die wissenschaftlichen Aspekte (historische Zeugnisse frühen Christentums, Exegese und sowas) und das Reflektieren über Glauben (Gnade, Heiliger Geist), und Letzteres ist nicht wissenschaftlich, weil es in der Schule nicht um Auslegung geht, sondern um vorausgesetzte Annahmen: "Gott hat uns alle erschaffen. Gott ist uns gnädig. Es gibt Gott. Und davon ausgehend wird alles mögliche interpretiert, wie "du bist ausschließlich gut, wenn du dich so und so verhältst", "die Welt muss geschützt werden, weil Gott sie geschaffen hat" und "die Ehe zwischen Mann und Frau ist jenseits von Steuererleichterung was anderes als die Beziehung zwischen zwei Frauen."


    Aber WillG hat sich damit offenbar schon auseinandergesetzt und kann das besser ausdrücken, als ich das vermag.

  • Quittengelee : Eigentlich müssten die Religionslehrer mal etwas hierzu sagen, aber die Reflektion über Glauben ist aus der Didaktik heraus nicht so viel anders als die Reflektion über Konzepte wie Demokratie im Politikunterricht oder Reflektion über die Bedeutung einer Szene eines Dramas im Deutschunterricht. Zu allem gehört das fachwissenschaftliche Fachwissen (z.B. in der Politik die Definition bestimmter Fachbegriffe), auf dessen Basis dann eine bestimmte Fragestellung unter Abwägung von Pro- und Contraargumentationen diskutiert wird. Solange es am Ende auf die Schlüssigkeit der Argumente ankommt und nicht "Schüler hat richtige Meinung = 1 Punkt, Schüler hat falsche Meinung = 0 Punkte", sehe ich da kein Problem.

    Auch wenn ich nicht aus der Theologie komme, habe ich Zweifel, dass in der Grundschule über die Steuererleichterung von Ehe gesprochen wird. Da ist es wahrscheinlich schon wichtig, dass wir uns jetzt einigen, von welcher Altersgruppe wir jetzt sprechen.

  • In der Grundschule haben wir Geschichten (Gleichnisse?) gehört und dann ein Bild dazu gemalt - aber auch projektweise Papyrus hergestellt undso. Im Gymnasium - und hier passt es dann doch irgendwie zum Fredthema Lesekompetenz - haben wir stundenlang Texte gelesen und davon ne Inhaltsangabe machen müssen. ich finde im Nachhinein, dass das ziemlich nützlich war, weil dafür sonst in keinem Unterricht Zeit war. Aber auch hier wurden wir nicht bekehrt - in der Sek I gings viel um so Ethikthemen - wir haben auch uns damit beschäftigt, ob es Jesus wirklich gegeben hat und Zweiquellentheorie für Bibel undso gemacht. In der Sek II viel Religionskritik und ich kann mich an ne sehr tolle Unterrichtsreihe erinnern, in der es um die Rolle der Kirche bei Kriegen ging.

    Ja, fein. Freut mich. Für was davon braucht es denn nun einen konfessionsbezogenen Unterricht?

    aber ich störe mich sehr an diesem Satz. Ich habe leider keine Zeit,

    Letztendlich ist diese Diskussion in einer Online-Nische auch nicht wirklich wichtig. Trotzdem könntest du ja, ganz zeiteffizient, ein Beispiel nennen, in dem eine Relgion etwas zur Erklärung der Welt beiträgt.


    aber die Hochnäsigkeit von NaturwissenschaftlerInnen, die sich quasi religiös an ihren Popper klammern,

    Das ist zunächst ein Vorwurf, der mich nicht trifft. Ich habe keine Naturwissenschaft studiert (obwohl ich an solchen interssiert bin) und Popper kenne ich nur dem Namen nach. Was ich mich aber ernsthaft frage, ist, warum du hier auf einmal auf die Naturwissenschaften abhebst. Bis eben ging es noch um das Verhältnis der Wissenschaften zur Religion, nicht um das nur der Naturwissenschaften.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    Einmal editiert, zuletzt von O. Meier ()

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