Urteil BVerG zu Legasthenie und Bemerkungen im Abiturzeugnis

  • Welche Relevanz soll denn das defizitäre Schreiben in der Wirtschaft mit Blick auf Programme zur Textverarbeitung mit entsprechenden automatischen Korrekturmechanismen und die Möglichkeit zur Nutzung von KI zur Ausformulierung noch haben?

    Und was ist, wenn die Person mit einem solchen Abitur dann in den Schuldienst geht in Deutsch oder Englisch? Dann kommt man erst durchs Studium und wird ganz am Ende im Referendariat rausgekegelt, weil die Orthographie der Tafelbilder nicht hinreichend ist.

  • Ich bin schockiert, dass solche Gedanken heute noch geäußert werden.

    Du bist schockiert von der Tatsache, daß wir mit unserer Notengebung eine Selektionsfunktion haben und über Lebenswege entscheiden? Werd mal Realist!


    Aufgrund dieser Selektionsfunktion sehe ich den Lehrerberuf eher bei den Beamten als bei den Angestellten, eben weil diese Selektion bei der Vergabe von Abschlüssen dann eben doch ein hoheitlicher Verwaltungsakt ist.

  • Ich finde es schwierig, die Balance zwischen den Rechten Benachteiligter und den Interessen von Arbeitgebern zu finden. Die ganzen Nachteilsausgleiche sind im schulischen Rahmen ja nett und sicherlich angebracht, wenn ich aber einen Betrieb leite, entsteht mir durch die Einstellung eines Menschen mit Beeinträchtigungen ggf. ein Nachteil - das muss ich als Arbeitgeber im Vorfeld zumindest wissen. Ob die Beeinträchtigung dann Relevanz für den Arbeitgeber hat oder ob er beispielsweise LRS als irrelevant einstuft, weil dank KI sowieso niemand mehr eigenständig schreiben können muss, steht ja dann auf einem anderen Blatt. Ich würde als Arbeitgeber aber gerne Transparenz hinsichtlich solcher Faktoren haben und empfinde das auch als legitimes Interesse. Ein Zeugnis, das entscheidene Unterschiede im Zustandekommen der Leistungen nicht ausweist, hat eben nur begrenzte Aussagekraft.

  • Ich finde es schwierig, die Balance zwischen den Rechten Benachteiligter und den Interessen von Arbeitgebern zu finden. Die ganzen Nachteilsausgleiche sind im schulischen Rahmen ja nett und sicherlich angebracht, wenn ich aber einen Betrieb leite, entsteht mir durch die Einstellung eines Menschen mit Beeinträchtigungen ggf. ein Nachteil - das muss ich als Arbeitgeber im Vorfeld zumindest wissen. Ob die Beeinträchtigung dann Relevanz für den Arbeitgeber hat oder ob er beispielsweise LRS als irrelevant einstuft, weil dank KI sowieso niemand mehr eigenständig schreiben können muss, steht ja dann auf einem anderen Blatt. Ich würde als Arbeitgeber aber gerne Transparenz hinsichtlich solcher Faktoren haben und empfinde das auch als legitimes Interesse. Ein Zeugnis, das entscheidene Unterschiede im Zustandekommen der Leistungen nicht ausweist, hat eben nur begrenzte Aussagekraft.

    Und wo machst du da die Grenze? Wenn das für eine Arbeitgeber wichtig ist (was maximal bei einem Ausbildungsplatz zum Tragen kommt, danach sind Schulzeugnisse völlig wurscht), welche Beeinträchtigungen werden denn aufgeführt? Dann müssten es alle sein, also am besten vor dem Abschluss zur amtsärztlichen Untersuchung und beim Psychologen ein allg. Gutachten erstellen lassen und dem Zeugnis beifügen.


    Finde ich überhaupt nicht richtig.

  • Ich finde es schwierig, die Balance zwischen den Rechten Benachteiligter und den Interessen von Arbeitgebern zu finden.

    Ich sehe da noch als dritte Partei die „normalen“ Schüler/Absolventen, die nicht übervorteilt werden dürfen. Die Grenze zwischen einer gewissen Tolpatschigkeit und einer spastischen Lähmung ist ja fließend, ebenso wie die Grenze zwischen einem schlecht Haupt- und einem guten Förderschüler fließend ist. Am Ende hat aber der Förderschüler dank Inklusion und diverser Nachteilsausgleiche und Nichtbewertungen ein Abitur in der Tasche, auf dem dies alles nicht einmal vermerkt ist, wohingegen der „normale“ Schüler nur ein schlechtes Hauptschulzeugnis vorweisen kann. Ist das etwa gegenüber dem Hauptschüler gerecht? Ich denke nicht!


    Gewiß spitze ich die Problemstellung jetzt extrem zu, dies soll jedoch rein der Veranschaulichung des Problems dienen.

  • Und wo machst du da die Grenze? Wenn das für eine Arbeitgeber wichtig ist (was maximal bei einem Ausbildungsplatz zum Tragen kommt, danach sind Schulzeugnisse völlig wurscht), welche Beeinträchtigungen werden denn aufgeführt?

    Es sollen keine Beeinträchtigungen aufs Zeugnis. Aber alle Vergünstigungen, die dem Schüler zuteil wurden, also sämtliche Nichtbewertungen, Schreibzeitverlängerungen etc. müssen ausgewiesen werden.

  • Ich sehe da noch als dritte Partei die „normalen“ Schüler/Absolventen, die nicht übervorteilt werden dürfen. Die Grenze zwischen einer gewissen Tolpatschigkeit und einer spastischen Lähmung ist ja fließend, ebenso wie die Grenze zwischen einem schlecht Haupt- und einem guten Förderschüler fließend ist. Am Ende hat aber der Förderschüler dank Inklusion und diverser Nachteilsausgleiche und Nichtbewertungen ein Abitur in der Tasche, auf dem dies alles nicht einmal vermerkt ist, wohingegen der „normale“ Schüler nur ein schlechtes Hauptschulzeugnis vorweisen kann. Ist das etwa gegenüber dem Hauptschüler gerecht? Ich denke nicht!


    Gewiß spitze ich die Problemstellung jetzt extrem zu, dies soll jedoch rein der Veranschaulichung des Problems dienen.

    Wenn wir uns vormachen, wir könnten mit Klausuren etc. Leistung messen, dann muss die Leistung auch immer gleich gemessen werden. Sonst ist die Messung unnötig.


    Ich gehe auch nicht mit zwei Thermometern raus, eines das Referenzthermometer zeigt 10°C und das andere 22°C an. Weil aber die Sonne scheint sind die 22°C ja gar nicht so weit weg und ich lasse das andere Thermometer als ausreichend genau zu. In der Betriebsanleitung vermerke ich aber, dass die Genauigkeit konstruktionsbedingt nicht gewährleistet wird. Wer wird jetzt verarscht? Das Thermometer oder der Kunde?

  • Die Frage ist doch eigentlich eher, wie man zwischen Nachteilsausgleich und Änderung der Leistungsanforderung unterscheidet.

    Wir hatten mal einen Schüler, der durch einen Unfall seine eigentlich starke Hand verloren hat.
    Der Nachteil der fehlenden Hand wurde durch Technik und eine Assistenz zum Blättern etc. versucht, etwas zu mildern.

    Dies ist aus meiner Sicht ein Nachteilsausgleich. Sowas hat auf einem Zeugnis in meinen Augen nichts verloren.


    Ändert man hingegen, wie in BW in Klasse 5 und 6 vorgesehen, die Leistungsanforderungen ("Notenschutz") wegen mangelnder Rechtschreibleistung, dann ist das eben kein Nachteilsausgleich. Man bietet Schutz, um einen Entwicklungsprozess zu ermöglichen.


    Eine Zeitverlängerung ist jetzt ein Zwischending.
    Rein physikalisch betrachtet, ändert sich die Leistungsanforderung, wenn ich die Bearbeitungszeit für eine gleiche Aufgabe ändere, andererseits kann das natürlich helfen, vorhandene Nachteile abzumildern. Ich bin mir da pauschal nicht sicher, was der richtige Weg ist.


    Nicht repräsentative Anekdote am Rande:

    Wir hatten einen anderen sehr guten Schüler, der völlig problemlos durch Unter- und Mittelstufe kam und dann plötzlich ein Attest bzgl. LRS hatte. In BW ist ein Attest kein Freifahrtschein für einen Nachteilsausgleich, sondern es ist am Ende dennoch eine pädagogische Entscheidung, in der aber extrem schwierig gegen attestierte und im Attest vorgeschlagene Zeitverlängerung zu argumentieren ist.
    Der Schüler hat am Ende jeweils Zeitverlängerung im Abitur bekommen und sprachlich einwandfreie Texte abgeliefert.

  • Nicht repräsentative Anekdote am Rande:

    Wir hatten einen anderen sehr guten Schüler, der völlig problemlos durch Unter- und Mittelstufe kam und dann plötzlich ein Attest bzgl. LRS hatte. In BW ist ein Attest kein Freifahrtschein für einen Nachteilsausgleich, sondern es ist am Ende dennoch eine pädagogische Entscheidung, in der aber extrem schwierig gegen attestierte und im Attest vorgeschlagene Zeitverlängerung zu argumentieren ist.
    Der Schüler hat am Ende jeweils Zeitverlängerung im Abitur bekommen und sprachlich einwandfreie Texte abgeliefert.

    Ich hätte ihn vor die Wahl gestellt:

    „Du hast eine attestierte LRS, kannst also eine Schreibzeitverlängerung bekommen, aber diese Sonderbehandlung wird dann selbstverständlich auf dem Abiturzeugnis vermerkt. Oder du schreibst unter den normalen Bedingungen mit und es erscheint entsprechend kein Vermerkt auf dem Zeugnis. So, jetzt kannst du bzw. deine Eltern entscheiden.“

  • Unser Dezernent ist da ziemlich ungnädig. Wenn in Unter- und Mittelstufe kein NTA für eine LRS gewährt wurde, darf das nicht plötzlich in der Oberstufe passieren.

  • Ich hätte ihn vor die Wahl gestellt:

    „Du hast eine attestierte LRS, kannst also eine Schreibzeitverlängerung bekommen, aber diese Sonderbehandlung wird dann selbstverständlich auf dem Abiturzeugnis vermerkt. Oder du schreibst unter den normalen Bedingungen mit und es erscheint entsprechend kein Vermerkt auf dem Zeugnis. So, jetzt kannst du bzw. deine Eltern entscheiden.“

    Das ist bei uns nicht als Option vorgesehen.

    Unser Dezernent ist da ziemlich ungnädig. Wenn in Unter- und Mittelstufe kein NTA für eine LRS gewährt wurde, darf das nicht plötzlich in der Oberstufe passieren.

    Tja, hängt vermutlich auch damit zusammen, wie viel Sorge vor einem Rechtsstreit mitschwingt.
    Ein Nichteinfordern eines Nachteilsausgleich kann meines Erachtens auch nicht ein Ausschlusskriterium für die Zukunft sein.

    • Offizieller Beitrag

    Zumindest für NRW gilt folgende Richtschnur:
    Ein NTA soll gewährt werden, um eine beeinträchtigte Person dazu in die Lage zu versetzen, ihr vorhandenes Leistungspotenzial auszuschöpfen.

    Ein NTA kann nicht gewährt werden, wenn es sich um eine Beeinträchtigung des Leistungspotenzials an sich handelt.

    Deshalb beispielsweise die unterschiedliche Behandlung von LRS/Legasthenie und AD(H)S.


    So haben auch die (Ober)Verwaltungsgerichte jeweils geurteilt.


    Je nach Bundesland kann das variieren - das Beispiel Bayerns hat es ja gezeigt.

  • plattyplus , willst du nicht mal anfangen, Begriffe zu definieren, mit denen du frei flottierend herumhantierst? Nein, eine spastische Lähmung ist nicht dasselbe wie Ungeschicklichkeit. Es gibt nicht "den Förderschüler" und es ist schlicht und ergreifend falsch, dass man automatisch durch inklusive Beschulung das Abitur bekommen könne, obwohl man einen Förderbedarf im Bereich Lernen hat.


    Dass man das Abitur generell schaffen kann, obwohl man spastische Lähmungen hat, stottert oder im Rollstuhl sitzt, ist aber okay für dich, oder muss man erst laufen oder flüssig reden lernen? Frei nach dem Motto "Tja Steven, ohne PC versteht dich leider keiner. Das reicht dann eben nicht, um Physiker zu werden und einen Lehrstuhl innezuhaben."

  • Und wo machst du da die Grenze? Wenn das für eine Arbeitgeber wichtig ist (was maximal bei einem Ausbildungsplatz zum Tragen kommt, danach sind Schulzeugnisse völlig wurscht), welche Beeinträchtigungen werden denn aufgeführt? Dann müssten es alle sein, also am besten vor dem Abschluss zur amtsärztlichen Untersuchung und beim Psychologen ein allg. Gutachten erstellen lassen und dem Zeugnis beifügen.


    Finde ich überhaupt nicht richtig.

    Es braucht kein Aufführen von Beeinträchtigungen, aber einen entsprechenden Hinweis, wenn bei den Prüfungen oder der Korrektur Sonderregelungen geltend gemacht wurden.

    • Offizieller Beitrag

    Zumindest für NRW gilt folgende Richtschnur:
    Ein NTA soll gewährt werden, um eine beeinträchtigte Person dazu in die Lage zu versetzen, ihr vorhandenes Leistungspotenzial auszuschöpfen.

    Ein NTA kann nicht gewährt werden, wenn es sich um eine Beeinträchtigung des Leistungspotenzials an sich handelt.

    Deshalb beispielsweise die unterschiedliche Behandlung von LRS/Legasthenie und AD(H)S.

    Darf ich peinlicherweise nachfragen, wie es gemeint ist? Dass Kinder mit ADHS kein Anrecht auf eine längere Schreibzeit haben? (Ich dachte, mal gelesen zu haben, dass es bei LRS der Fall sein dürfte. Allerdings sehe ich zwischen den zwei Diagnosen keinen Unterschied in der "Beeinträchtigung des Leistungspotenzials" (oder bezieht sich das auf jemand, der eh schon medikamentös eingestellt ist?)

    • Offizieller Beitrag

    Das muss Dir nicht peinlich sein.

    Nachteilsausgleich bei ADHS - Inklusion - lehrerforen.de - Das Forum für Lehrkräfte


    Da habe ich es seinerzeit erklärt.

    Dazu gibt es auch ein OVG-Urteil, das dies sehr plastisch darlegt. Ich habe hier ein anderes Urteil verlinkt und empfehle die Lektüre der FN 14 und 16.

    OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2021 - 6 B 986/21 - openJur


    Die Begründung des nachstehend verlinkten Urteils verdeutlicht das Ganze auch noch einmal.

    OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.11.2019 - 14 A 2071/16 - openJur

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