Studierfähigkeit

  • ... Es ist bei vielen ja nicht nötig - oft planen ja auch die Eltern die Freizeittermine, meckern beim Lehrer, wenn die Note nicht passt und kümmern sich um den weiteren Lebensweg samt Uni. Dann fehlt halt irgendwann auch die Notwendigkeit mal selbst was herauszufinden.

    Das ist gut möglich, die Frage bliebe aber, warum das anders ist "als früher". Was bewegt(e) Eltern vor 20 Jahren, bestimmte Aufgaben abzunehmen? Und machen sie es heute wieder anders? (Und bitte ehrlich: hast du dich noch nie bei einem Lehrer über irgendwas beschwert?)

  • na nun. Das Lehrerbild ist nunmal auch im Wandel. Andere Herkunft, aber ähnlicher Wandel: meine Eltern hätten sich nie bei / über einem Lehrer beschwert. Eher wäre ICH schuld gewesen, als ein Lehrer. Der Lehrer war die Respektperson schlechthin.

  • Das ist gut möglich, die Frage bliebe aber, warum das anders ist "als früher". Was bewegt(e) Eltern vor 20 Jahren, bestimmte Aufgaben abzunehmen? Und machen sie es heute wieder anders? (Und bitte ehrlich: hast du dich noch nie bei einem Lehrer über irgendwas beschwert?)

    also früher sind meine Eltern nicht in die Schule gegangen und haben dem Lehrer erzählt, dass die Schulaufgabe viel zu schwer war, die Hefteinträge nicht lange genug an der Tafel stehen und Sohnemann Probleme hat alles abzuschreiben etc. Das haben die Schüler selbst gemacht. Auch meine sind noch selbst zum Lehrer gegangen und haben gefragt, warum bei den mündlichen Noten eine 6 dabei ist (es kam raus - Schüler vertauscht). Da musste ich nicht hin.
    Also früher war das Aufgabe der Schüler selbst und nicht der Eltern.

  • "Die Studierenden erwarten, dass jemand anderes für sie alles Wichtige erledigt. Termine etwa werden nicht ernst genommen, weil sie nur einmal zu Beginn des Semesters publiziert wurden, nicht aber verbal, ausdrücklich und kurzfristig darauf hingewiesen worden ist."


    "Auffällig ist eine deutliche Zunahme an Anträgen zur Einsicht in Prüfungsunterlagen: Korrektururteile wie "falsch" oder "unvollständig" werden als Zumutung empfunden – wie überhaupt eine geringe Frustrationstoleranz zu beobachten ist: Kritik ja, aber behutsam und mit positiven Signalen. Zum ersten Mal in meiner 30jährigen Lehrerfahrung an der Universität wird von Studierenden berichtet, die nach einer (sachlichen) Kritik von einigen Inhalten eines (Gruppen-)Referates in Tränen ausbrachen."


    Genau das kann ich von meinen Erfahrungen von der Oberstufe auch bestätigen. Es fängt damit an, dass ich ein Handout austeile, wie das zu haltende Referat gestaltet werden soll (zeitlicher Rahmen, was inhaltlich erwartet wird, wie bewertet wird, Handout, Organisatorisches). Dann tragen sich die SuS zwar für Referate ein, aber fragen mich dann kurz vorher, wie lang es denn sein soll, wo sie den Artikel herbekommen usw.. Ich frage mich jedes Mal, warum? Wenn ich sie an das Handout erinnere, kommt entweder: Ach, es gab ein Handout dazu? Oder: Ach ja stimmt, aber das finde ich jetzt so schnell nicht. Oder Ähnliches. (Das wäre mir damals peinlich gewesen vor der Lehrkraft, da hätte ich eher eine Mitschülerin gefragt).


    Ich unterrichte jetzt schon viele Jahre hintereinanderweg in der Oberstufe und das, was im zweiten Zitat (s.o.) gesagt wird, wird nach meiner Erfahrung immer schlimmer. Eins meiner ersten Themen hier im Forum hatte auch teilweise damit zu tun und hat mich sozusagen hierher "getrieben". Ich habe immer mehr den Eindruck, es geht nur noch darum, ein notentechnisch möglichst gutes Abitur zu machen (am besten alle eine 1 vor dem Komma), aber nicht darum, sich selbständig Kenntnisse zu erarbeiten, die Kritik/Kommentare der Lehrer anzunehmen und an sich zu arbeiten (stattdessen aber zu schmollen, weil man von dem bösen, strengen Lehrer ja keine 1 bekommen hat oder, noch besser: die Eltern vorzuschicken), selbst daran mitzuwirken, dass man studienfähig wird. Es wird schon gemosert, wenn sie bei Vorträgen, Filmen, Referaten etc. selbst die wichtigsten Punkte mitnotieren sollen ("Können Sie uns die Präsentation bitte auch ausdrucken?" - "Darf ich mir das Tafelbild / Beamerbild abfotografieren?" - sogar die Hausaufgaben fotografieren manche ab...). Das ist schon zu viel verlangt.


    Woran liegt das alles?

  • junge Erwachsene nur noch in "Samthandschuhen ansprechen" zu dürfen

    Dazu passt ja der (vorläufig eher in den angelsächsisch geprägten Kulturen zu beobachtende) Trend, dass Dozenten an der Uni ihre Studierenden vor potentiell"triggernden" Inhalten (und das kann alles von-bis sein!) warnen sollen und in Teufels Küche kommen können, wenn sie es nicht tun. Oder wenn sie es wagen, einen Text eines in Ungnade gefallenen Autors lesen zu lassen oder dergleichen.

    meine Eltern hätten sich nie bei / über einem Lehrer beschwert. Eher wäre ICH schuld gewesen, als ein Lehrer. Der Lehrer war die Respektperson schlechthin.

    Auch nicht besser, aber: Andere Zeiten, andere Kultur. Musstest Du Deine Eltern eigentlich siezen?

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Ich kann nur einen kleinen Teilaspekt beurteilen:

    Vorkurse in Mathematik und den Naturwissenschaften gab es auch schon vor 20 Jahren. Je nach Studiengang waren die auch dringend nötig.

    Ebenso gab hinterher während des Studiums umfangreiche Repetitorien in einigen Studiengängen (Maschinenbau, Jura).

    Da ist also schon länger etwas im Argen.

  • meine Eltern hätten sich nie bei / über einem Lehrer beschwert. Eher wäre ICH schuld gewesen, als ein Lehrer. Der Lehrer war die Respektperson schlechthin.

    Meine auch nicht. Sie waren auch sehr selten in der Schule. Ich kann mich an einen einzigen Elternsprechtag erinnern, an dem sie mal bei den Lehrern waren, bei denen ich notentechnisch mal eine weniger gute Phase hatte. Wenn ich eine schlechte Note hatte, hieß es immer, ich müsse halt mehr tun. Nie wären sie auf die Idee gekommen, dass den Lehrer irgendeine Schuld trifft (obwohl sie auch nie ein wirklich positives Bild vom Lehrerberuf hatten).

  • Ehrlicherweise muss man auch mal über die veränderten Rahmenbedingungen an den Unis sprechen.

    Völlig durchoptimierte verschlankte Studiengänge mit Betreuungsverhältnissen weit über 1:100 und Seminaren, die von prekär beschäftigten, zeitlich befristeten Lehrbeauftragten durchgeführt werden, führen nicht unbedingt zu einer qualitativ hochwertigen Lehr-Lernumgebung.

    Da kann man dann auch von den Studenten nicht so viel erwarten.

  • Ebenso gab hinterher während des Studiums umfangreiche Repetitorien in einigen Studiengängen (Maschinenbau, Jura).

    Da ist also schon länger etwas im Argen.

    Für Jura hat das nichts mit den Studenten ansich zu tun, sondern mit der Struktur des Studiums, die nicht direkt auf das 1.Examen vorbereitet.

  • also früher sind meine Eltern nicht in die Schule gegangen und haben dem Lehrer erzählt, dass die Schulaufgabe viel zu schwer war, die Hefteinträge nicht lange genug an der Tafel stehen und Sohnemann Probleme hat alles abzuschreiben etc. Das haben die Schüler selbst gemacht. Auch meine sind noch selbst zum Lehrer gegangen und haben gefragt, warum bei den mündlichen Noten eine 6 dabei ist (es kam raus - Schüler vertauscht). Da musste ich nicht hin.
    Also früher war das Aufgabe der Schüler selbst und nicht der Eltern.

    Ich fragte, was Eltern antreibt, Probleme für die Kinder zu "klären". Ohne die Motivation zu kennen, kann man doch gar nichts tun. Ein "Ich mache es besser" mag stimmen, ist aber wenig zielführend.


    (Und die zweite Frage war, ob du schon mal bei Lehrern auf der Matte standest. Standest du?)

  • ich hätte es selbst nicht so pointiert und exakt formulieren können

    Ich schätze das ist das relevante Stichwort. Ich musste einfach nur mal wieder die Augen rollen als ich den Text las. Der entscheidende Unterschied zwischen früher und heute ist einfach jener: Als ich anfing zu studieren, lag die bundesdeutsche Abiquote bei ca. 30 %, heute liegt sie bei 56 %. Unter der Annahme, dass das kognitive Leistungsvermögen junger Menschen immer gleich gut bzw. schlecht ist, erklärt allein das schon die Zunahme an scheinbar nicht "studierfähigen" jungen Menschen an deutschen Universitäten. Ich weiss, als Bildungsromantiker liest man das nicht gerne. Und bitte jetzt nicht mit Quoten aus dem Ausland kommen, ich habe während 12 Jahren an einer renommierten deutschen Universität genügend ausländische Studenten erlebt um sicher behaupten zu können, dass die Anforderungen einfach nicht vergleichbar sind. Wir hatten vor 20 Jahren schon spanische Erasmus-Studenten im Labor stehen, denen man im 4. Semester zeigen musste, wie man eine Destillationsapparatur aufbaut. Das lernt in der Schweiz halt schon ein Maturand mit Schwerpunktfach Chemie.


    Oberstufe: Ja, da trifft die Beschreibung sehr gut.

    Ja, sie kommen in diesem Zustand zu uns, unsere Jugendlichen. Aber die Mehrheit verlässt unseren hässlichen grünen Rostkasten dann eben doch in "studierfähig". Es ist doch unsere Aufgabe als Lehrpersonen in der gymnasialen Oberstufe genau das beizubringen, was es für den Start an der Uni braucht. Da liegt meines Erachtens einfach ein Denkfehler vor. Man kann nicht erwarten, dass ein junger Mensch "einfach so" studierfähig wird, wir werden bezahlt dafür sie für die Uni vorzubereiten.


    Ich kann bezüglich der Anforderungen natürlich nur für meine Fächer schreiben. Wenn ich mir den Stark-Abitrainer Chemie von vor 20 Jahren anschaue, dann ist es einfach so, dass die Fragen dazumals für mein Empfinden (!) genau gleich geistlos waren wie sie es heute sind. Früher hat man vielleicht noch nach einer elektrophilen Substitution am Aromaten gefragt, vielleicht macht man das heute nicht mehr, aber das ändert nichts am Anspruch. Ich hatte mal eine Austauschschülerin aus Lausanne in einem Schwerpunktfachkurs. Die erste Prüfung, die sie bei mir schrieb, gab eine 2.5, das Mädchen brach in Tränen aus, sie habe doch in Lausanne immer eine 5.5 gehabt. Ich liess mir dann ihr Heft zeigen, was sie denn bisher so gelernt hat. VSEPR-Modell am Beispiel Xenontetrafluorid und ne ganze Menge Stöchiometrie. Während ich mit meinem Kurs am Beispiel einer Hypervitaminose über Zwischenmolekulare Kräfte diskutierte. Antiquiertes Lehrbuchwissen erscheint auf den ersten Blick häufig fürchterlich kompliziert und erweckt damit den Eindruck besonders anspruchsvoll zu sein. Anspruchsvoll geht aber auch in alltagsbezogen und da sehe ich auch überhaupt kein Problem, wenn ein Schüler oder Student im Jahre 2020 sich eine gewisse Alltagsnähe auch öffentlich wünscht. Was ist denn schlecht daran? Das Mädchen aus Lausanne schloss den Austausch übrigens als Klassenbeste ab und schrieb ihre Maturarbeit mit einer 5.5 auf Deutsch. Meiner Erfahrung nach sind junge Menschen sehr adaptiv, man darf sich ruhig trauen ihnen was zuzumuten. Sie sind einfach diskussionsfreudiger als wir es waren und fragen vielleicht mal nach, ob das denn nun wirklich Not tut mit dem Anspruch. Mei, das muss man als erwachsener Mensch doch aushalten können.

  • Auch nicht besser, aber: Andere Zeiten, andere Kultur. Musstest Du Deine Eltern eigentlich siezen?

    Falls die Frage ernst gemeint war: nein, musste ich nicht. Auch meine Eltern ihre Eltern nicht.

    und ja, tatsächlich ist es nicht nur positiv. Andererseits: doch, meine Eltern haben sich schon über eine Lehrerin beschwert, die wirklich Grenzen überschritten hatte. Da aber alle Kinder des Hauses entweder gute oder faule Schüler*innen, hat das Verhalten gepasst. Wir hatten keinen Nachteil. Aber ja, hätte schief gehen können.

  • ... Sie sind einfach diskussionsfreudiger als wir es waren und fragen vielleicht mal nach, ob das denn nun wirklich Not tut mit dem Anspruch. Mei, das muss man als erwachsener Mensch doch aushalten können.

    Bei Zehntklässlern sicher, bei 25-Jährigen mit Hochschulabschluss... offenbar, muss ich mich dran gewöhnen an den Gedanken.

  • Wozu muss ich das können?


    Meistens reagiere ich mit einer Gegenfrage darauf: Ich weiss nicht... Sagen Sie doch mal was Sie denken wozu.


    Und wenn mir einer nach dem 100. Mal wirklich auf den Keks damit geht verweise ich auf die Freiwilligkeit seines Daseins bei uns. Das kommt aber ehrlich selten vor. Denn meistens hilft es wirklich Jugendliche selbst formulieren zu lassen, wozu das alles gut sein soll. Man darf nur nicht erwarten, dass sie sich für alles interessieren, aber das tue ich ja auch nicht.

  • Woran liegt das alles?

    Ist nur eine Vermutung, aber wie viele Kinder lernen von ihren Eltern "Nein heißt nein!"? Gerade in der deutschen Kleinfamilie ist das Kind ja schon fast der Mittelpunkt des Geschehens, dem man kaum einen Wunsch abschlagen kann. Dass ein Kind dann in der Schule gelegentlich auch mal auf Widerstand stößt - das kann ja gar nicht sein.

  • Wie gesagt, Jugendliche, im Text geht es aber um Erstsemester und bei meiner Arbeit um junge Erwachsene mit 1. StEx. Da nehme ich Dinge persönlich, die ich bei meinen Schülern selbstredend nicht persönlich nehme. Und wie der zitierte Professor das sieht, weiß ich nicht, positiv jefenfalls nicht.

  • Du musst nehmen was Du bekommst, genau wie ich, genau wie der lamentierende Professor. Lerne damit umzugehen, sonst ändert sich nie was.

  • Wiedereinführung eines verpflichtenden Dienstjahrs für alle (Wehr- oder Zivildienst), um für wenigstens ein Minimum an Lebenserfahrung bei den Studierenden zu sorgen

    Ein verpflichtendes Dienstjahr würde unter Zwangsarbeit fallen, das geht nicht aufgrund Art. 4 EMRK. Nur der Wehrdienst und dessen Ersatzdienst ist erlaubt. Satz 4 in diesem Artikel ist zwar etwas ungenau, das bezieht sich in der Regel aber eher auf sowas wie Wahlhelfer, Feuerwehr o.ä.

  • Ein zweites Problem, das natürlich auch junge Erwachsene betrifft, ist mein Lieblingsthema, die Digitalisierung. Wenn junge Leute gewohnt sind, alles mit möglichst wenigen Klicks zu regeln, sind sie schnell in einer Situation überfordert, die sich hierdurch nicht lösen lässt. Das schafft langfristig Unselbständigkeit und Abhängigkeiten. Ich fragte mal eine Bekannte Anfang 20, ob sie freiwillig eine Woche auf ihr Handy verzichten würde. Ihre sinngemäße Antwort: "Ja, wenn es unbedingt sein müsse und es gar nicht anders gehe, würde ich das schon irgendwie hinkriegen.". Es gibt junge Leute, die sich nicht einmal bemühen, eine schriftliche Multiplikation durchzuführen - dafür gibt es ja den Taschenrechner :( .

    Heute hörte ich was von Digitalisierung im Gesundheitswesen, was die Arztbesuche und den Transfer von Daten zwischen den Fachärzten betrifft. Da denke ich mir: Ist wirklich inzwischen alles so abstrengend, dass man den Aufwand nur irgendwie auf ein absolutes Minimum reduzieren muss?

    Wir ziehen uns da eine ganz schwierige Generation heran und da sollte man sich fragen, ob das wirklich das angestrebte Ziel ist.

  • Ich fragte, was Eltern antreibt, Probleme für die Kinder zu "klären". Ohne die Motivation zu kennen, kann man doch gar nichts tun. Ein "Ich mache es besser" mag stimmen, ist aber wenig zielführend.


    (Und die zweite Frage war, ob du schon mal bei Lehrern auf der Matte standest. Standest du?)

    mmmh ich überlege - ja - in der Grundschule bei Großkind, da die Lehrerin sehr speziell war - aber es war nicht so hilfreich. Nach dem Wechsel zur 3. Klasse war es kein Problem mehr, da nur noch zu Sprechtagen, da wurde es aber auch erwartet.
    Also Grundschule danach nur noch zu Sprechtagen oder als Elternsprecherin der Klasse. Im Gymnasium wirklich nur zu den Sprechtagen und das auch nur in den Jahren bis zur. 7. (?) Klasse.

    Hätte es Probleme gegeben, wäre ich hingegangen (die letzten Probleme gab es bei meinem jüngsten Ende der 6. Klasse, weil er nicht merkte, dass man Latein doch lernen sollte).

    Aber sich in die Reihe zu setzen, nur um zu hören, dass es ganz normal läuft?

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