Studierfähigkeit

  • Interessant finde ich den Zusammenhang Kompetenzorientierung und Studierfähigkeit, der von raindrop aufgebracht wurde. Kann man sagen, dass die Kompetenzorientierung die damaligen Defizite, die zu ihrer Einführung führten, langfristig behob?

    Um die geht's die ganze Zeit. Man sollte den Titel in "Kompetenzorientierung?" umbenennen, vielleicht ist ein Schaf oder Frosch so nett, ich kann ihn nicht mehr ändern...

  • Du hast von einigen Stimmen in diesem Thema Gegenwind bekommen und hast nicht besonders gut abgeschnitten

    Übrigens: Tatsächlich hat sich für das Thema bisher kaum irgendjemand interessiert, Corona ist irgendwie viel cooler. Zumal die Threaderstellerin selbst offenbar gar nicht so genau weiss worüber sie eigentlich diskutieren will.

  • Echt? Kannst Du das sagen ohne den Grund für den Studienabbruch zu kennen?

    Es gibt natürlich noch andere Gründe, warum ein Studium abgebrochen wird (Studium ist zu unpraktisch, falsche Vorstellungen vom Studium, Finanzierung des Studiums, etc.). Es bleiben trotzdem 30-50 % übrig, die das Studium abbrechen, da die Anforderungen aus ihrer Perspektive zu hoch sind oder sie sich nicht mit dem Studienfach identifizieren können.


    Ich denke auch nicht, dass die Schule hier das Hauptproblem ist. Schulen bereiten natürlich unterschiedlich auf das Studium vor. Bei der Bandbreite an Wünschen der verschiedenen Fakultäten, was Schülerinnen können müssen, ist es auch schwierig, alles abzudecken. Wenn man hier ansetzen würde, müsste man massiv in den Mathekursen differenzieren (mehr Stochastik/ Statistik für die eine Gruppe, mehr Analysis/ Differenzialgleichungen für die andere Gruppe, mehr Beweiswerkzeuge und grundsätzliche mathematische Gedankengebäude für die dritte Gruppe und so weiter).


    Ich vermute auch stark, dass Abiturienten heutzutage nicht weniger wissen als frühere Generationen. Das Wissen an sich hat sich geändert. Abiturienten heute könnten bestimmt nicht die Abituraufgaben von vor 30 Jahren lösen, umgekehrt wird das auch so sein. Ob das Teil des Problems ist, weil sich die Unis nicht weiterbewegt haben oder Schulcurricula nicht angepasst wurden?


    Meine Erfahrungen als ehemaliger Tutor und Dozent an der Uni sind, dass viele Studenten an den überfrachteten Erwartungen der Mathematikvorlesungen und Tutorien scheitern. Es gibt auch noch zu viele Professoren die knallhart aussieben, ohne Blick auf die Fähigkeiten der ankommenden Studentinnen. Wie du auch festgestellt hast, ist die Diskrepanz zwischen Mathematik in der Schule und der Uni immens groß. Ob es besser wäre auch schon mehr Abstraktheit und vertiefende Gedankengebäude in die Schule zu bringen? Ich bezweifele es.

    Auch Vorkurse, die oft nur 4 Wochen dauern, können nicht alle gewünschten Defizite aufholen. Es wäre wünschenswert längere Eingewöhnungsphasen an der Uni einzubauen, in denen man die Kluft zwischen Schulmathematik und Unimathematik überbrücken könnte.

  • Übrigens: Tatsächlich hat sich für das Thema bisher kaum irgendjemand interessiert, Corona ist irgendwie viel cooler. Zumal die Threaderstellerin selbst offenbar gar nicht so genau weiss worüber sie eigentlich diskutieren will.

    Hä? Du bist offenbar nur zu sehr mit dir selbst beschäftigt, um richtig zuzuhören. Alle anderen konnten sich tatsächlich mal am Gespräch beteiligen, ohne andere anzugreifen.

  • Zum Thema: Ich las im letzten Katapultmagazin über die Problematik der Nachrichtenkompetenz (als Teil der Medienkompetenz) im Unterricht. Es ging u.a. darum, wie viele Lehrer*innen Vertrauen in unsere Medien haben, oder auch nicht (v.a. in Ostdeutschland). In wie vielen Lehrplänen für Dutsch und GRW-Fächer Nachrichtenkompetenz überhaupt vorkommt, in Deutsch sind es nach wie vor regelmäßig die Textgattungen "Bericht", "Reportage" usw. Aber nicht der Aspekt, nachzuschauen, wo eine Quelle herkommt. Zunehmend vertrauen Menschen eher dem, der die Nachricht teilt, als herauszufinden, wer sie erstellt hat usw.


    Auch gibt es Unterschiede im Medienkonsum von Lehrenden und Lernenden, LuL lesen zum Großteil Zeitung, Jugendliche informieren sich schwerpunktmäßig übers Internet. (Übrigens informieren sich mehr Jugendliche tagesaktuell, als ihre Lehrer denken...) Auch deswegen fällt die Problematik zu oft hinten runter. Dass auch Deutsch- und Gesellschaftskundekolleg*innen sachliches Wissen fehlt, kommt noch dazu.


    Die KMK hat versucht, darauf zu reagieren und es wurden Kompetenzen in die Lehrpläne eingestreut, allerdings zu unkonkret. Solange Kolleg*innen nicht wissen, wann sie dafür Zeit haben, diese Aspekte in den Unterricht zu integrieren, fallen sie zu oft hinten runter.


    Das spricht für die Ausarbeitung von Curricula mit konkreten Zwischenzielen, Zeitrichtlinien und Inhalten und gegen die Kompetenzformulierung.

  • Früher nannte sich der "Kram einfach" Grob-, Richtziele, etc. .

    Um diese Zusammenhänge geht's, denke ich. Zumindest das, was Schule überhaupt ändern kann, "zu viel Handy" "die Eltern nehmen den Kindern zu viel ab" usw. können wir als Schule nicht oder kaum beeinflussen.


    Der Artikel des Profs beschreibt ja zunächst nur die Defizite, die er wahrnimmt. Ob sich das Problem verstärkt hat, können wir nicht einfach so sagen, ich verstehe ihn jedoch so, dass ihm Unterschiede zu früher auffallen.

    Dann sind es verschiedene Aspekte, die er anspricht, mangelnde Abstraktionsfähigkeit, Textkompetenz usw. Aber auch Selbsteinschätzung, Umgang mit Fehlern u.a.


    Wenn sich also etwas geändert haben sollte, ist die Frage interessant, was sich in der Schule geändert hat und was sie ändern könnte.

    "Aus Raider wird Twix, sonst änder sich nix!"

    Bedeutet das für dich, dass du dir keine Gedanken um die Lehrpläne, aktuelle Schulentwicklung und Didaktik machst, weil ist ja alles nur Wortklauberei und am Ende wissen die Lehrer schon von alleine, wie sie unterrichten müssen? Das brächte uns in der Reflexion nicht weiter.

  • Ich vermute auch stark, dass Abiturienten heutzutage nicht weniger wissen als frühere Generationen.

    Das denke ich auch. Ich habe den Eindruck, dass die Art des Lernens und die Schwerpunktsetzung auf best. Skills sich geändert hat und dass die Welt "drumherum" sich sehr geändert hat und ihren Einfluss hat. Man sagt der Generation Z ja nach, dass deren Aufmerksamkeitsspanne geringer ist, vielleicht auch aufgrund des täglichen "Overloads" an Informationen durch die schnellen, digitalen Medien. Sie sind multi-tasking-fähiger, aber bewegen sich gleichzeitig weniger (so wird die Generation Z in meinem Englisch-Lehrbuch für die Oberstufe beschrieben). Sie sind einerseits digital natives, andererseits (meine Interpretation/Erfahrungen) wirken sie überfordert mit der "analogen" Art, zu arbeiten, sich Texte zu erschließen, das Wesentliche herauszuarbeiten und sich bei der Bearbeitung auf die eigentliche Aufgabenstellung zu konzentrieren oder auch einfach mal etwas auswendig zu lernen. Letzteres hat sogar neulich eine Mutter im Gespräch zu mir gesagt, dass ihr das auffällt, dass manche einfach nicht mehr in der Lage sind, Vokabeln oder grammatische Formen (Verbendungen) einfach auswendig zu lernen (und hier bin ich der Meinung, dass es ohne stures Auswendiglernen nicht geht). Und da kann man endlos Skills wie Lese- und Hörverstehen und Texte verfassen einüben, die Verbendungen werden sie immer noch nicht können, ohne sie zumindest einmal richtig auswendig gelernt zu haben.


    In meinem Oberstufenkurs habe ich mich neulich gewundert, dass nicht nur ein S., sondern mehrere SuS nicht in der Lage waren, einen Text in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Sie haben unwichtige Details genannt, aber waren z.T. nicht in der Lage, den Kern des Textes wiederzugeben.


    (Aber das sind natürlich nur meine persönlichen Eindrücke.)

  • Sie sind einerseits digital natives

    Man kann es nicht oft genug sagen: sind sie nicht. Sie können bei Instagram Filter auswählen und sehr schnell auf dem Handy tippen. Sie können oft Dateien nicht umbenennen, haben oft keine Ahnung von Ordnerstrukturen, sie können (bis mindestens Eintritt in die Oberstufe) oft keine Anhänge an Emails hängen und haben generell keinerlei Grundverständnis davon, wie ein Computer arbeitet. Auch wissen sie nicht, dass ihre Handys Computer sind.

    In NRW gibt es jetzt in der Unterstufe Informatik. Was ich da mit den SuS machen muss ist keine Informatik, sondern "wie bediene ich mein iPad" (wir haben iPad klassen, ohne die wäre es halt "wie bediene ich einen PC").
    Die SuS verstehen auch nach einem halben Jahr Unterricht z.T. noch nicht den Unterschied zwischen einem Screenshot und einem bearbeitbaren Dokument. Das Problem und noch viele mehr gibt es in allen drei fünften Klassen, jede Klasse hat eine andere Informatiklehrer*in, es kann also nicht an mir persönlich liegen.

    In der Jahrgangsstufe 8 ist so ziemlich das erste, was ich mit SuS in WP IF machen muss, Dateien abspeichern, umbennen, Ordner erstellen, zip Dateien öffnen etc. Das müssten "digital natives" aus meiner Sicht alles können.

    Die Geschichte vom "digital native" ist eine urbane Legende. Darauf müssen wir uns auch einstellen und den SuS die entsprechenden Fähigkeiten beibringen. Das wäre deutlich einfacher, wenn ihnen nicht immer erzählt würde, dass sie sich ja "mit Technik auskennen" und "fit mit digitalen Medien sind". Sie hören nämlich oft nicht zu, weil sie meinen sie könnte alles und melden sich dann, weil sie im Screenshot des Pagesdokumentes keinen Text markieren können. Dann ist aus ihrer Sicht übrigens das iPad kaputt.

    Das ist alles im Prinzip auch gar nicht schlimm. Es KANN ihnen in der Schule beigebracht werden. Aber man darf halt nicht erzählen, dass sie schon alles können.


    (Natürlich gibt es auch Kinder und Jugendliche, die absolut fit sind, aber das ist der deutlich kleinere Anteil).

  • Ich bezog mich mit "digital native" eher darauf, dass sie damit aufgewachsen sind (weniger, dass sie automatisch Spezialisten darin sind) und in Hinblick auf die Veränderung der medialen Welt.

    Was du beschreibst, ist natürlich extrem. Solche Erfahrungen habe ich bisher mit meinen SuS noch nicht gemacht (mit den KuK sehr wohl), zumindest nicht in dem Ausmaß.

  • Die Geschichte vom "digital native" ist eine urbane Legende.

    Das würde ich nicht sagen. Es gibt „digital natives“, aber die sind eher zwischen 30 und 50 (womit ich nicht sagen möchte, dass die in dem Bereich automatisch gut sind). Die, die mit C64 und Co. aufgewachsen sind.

    Es ist sozusagen die zweite (dritte?) Generation, die nicht hinter die Vorgänge blicken muss, weil die Rechner heute so leistungsfähig sind, dass sie ein gewisses Maß an Ordnerstruktur selbst erzeugen (alle Bilder landen automatisch im Bilderordner), Bedienungsfehler kompensieren und absturzsicherer sind.

  • Wenn ich mir die letzten paar Beiträge so durchlese bestätigt mich das total in meiner Ansicht, dass mit unseren Erwartungen an die Kinder/Jugendlichen einfach was falsch ist. Die werden schon irgendwie medienkompetent sein, die werden schon irgendwie digitalkompetent sein, die können mit 13 sicher auch schon grosse "Forschungsfragen" beantworten, es reicht ja wenn sie das interessiert, wo die Grundlagen dafür herkommen, das ist egal, Hauptsache sie werden so schnell wie möglich "studierfähig". Die Lehrpläne und Stundentafeln sind auf allen Stufen hoffnungslos überfrachtet. Ich störe mich bei uns vor allem an der Mittelstufe, aber das mag wirklich schweizspezifisch sein dass ich in der Sek II dann einfach mehr die Möglichkeit habe nach meinem Dafürhalten auszudünnen weil vor allem in den Grundlagenfächern sich kaum irgendjemand dafür interessiert, was wir wirklich im Unterricht machen.


    Mir fiel gestern ein, dass ich hier vor einiger Zeit schon mal meinen persönlichen "Jammer-Thread" erstellt habe, da ging es um die Evaluation der Grundkompetenzen bei Primar- und Sek-I-Schülern in der Schweiz. Besonders viele Kommentare gab es dazu ja nicht, logisch wenn man das System nicht wirklich kennt, aber ich hab's mir noch mal durchgelesen und sehe da schon ein paar brauchbare Ansätze. Bildung ist in der Unter- und Mittelstufe einfach kein reiner Selbstzweck im Sinne der "Studierfähigkeit", es geht sehr wohl um die Frage wozu man das vermittelte Wissen und die vermittelten Fähigkeiten ganz unmittelbar gebrauchen kann. Wenn man das mal einsähe, dann würde man in der Nordwestschweiz dass gottverdammte Frühfranzösisch ab der 3. Klasse Primar einfach ersatzlos streichen, die Kinder wollen nicht und sie brauchen es auch nicht. Unsere Jugendlichen aus dem benachbarten Aargau starten mit Französisch viel später weshalb uns als Schule der Kanton exklusiv einen "Stützkurs" für extra Förderstunden im Französisch zahlt. Da dürfen sich aber auch die Baselbieter anmelden und tatsächlich ist es so, dass viel mehr von denen das Angebot in Anspruch nehmen als von den Fricktalern. Sowieso kommen am Ende der 4 Jahre bis zur Matura alle mit dem gleichen Ergebnis im Französisch raus, das Gekaspere in der Primarschule bringt einfach sowas von gar nichts.


    Die grösste Baustelle ist und bleibt aber einfach nachweislich Mathe. Bitte, klickt noch mal auf den verlinkten Thread und schaut euch die Ergebnisse an. Gesamtschweizerisch können die Erwartungen in der Mathe am Ende der Sek I (!!) nur zu etwas mehr als 60 % erfüllt werden, besonders schlecht schneidet hier wieder die Nordwestschweiz ab. Also sind entweder die Erwartungen viel zu hoch oder es wird wirklich schlecht unterrichtet. Die Kinder sind nicht dümmer als vor 20 Jahren, über Handys und schlechte Erziehung will ich nichts hören und nichts lesen, wir als System Schule müssen das besser machen. Die Reaktion im Baselland geht dezent in die richtige Richtung, es gibt jetzt eine Lektion "Mensch und Natur" weniger in der Sek I, dafür eine Lektion Mathe mehr. Ja bitte, streicht endlich das pesudo-interdisziplinäre nichts Halbes und nichts Ganzes Zeug zusammen, ein gutes Grundverständnis für Mathe ist einfach wirklich, wirklich wichtig für ganz viele andere Fachbereiche in denen man ohne solide Grundlagen in der Mathe überhaupt nicht interdisziplinär und projektartig arbeiten *kann*.


    Gleichzeitig geht es aber an anderer Stelle weiter mit der Überfrachtung der Stundentafeln. Das Grundlagenfach Informatik kommt ab dem nächsten Schuljahr in der Sek II einfach verpflichtend für alle obendrauf. Nix wird gestrichen oder gekürzt, nein, es kommt einfach ein neues Fach dazu. Bis anhin unterrichten unsere Mathematiker das in der 2. Klasse ein Semester im Halbklassenunterricht, jetzt wird es einfach zu einem eigenständigen Fach aufgeblasen. Alles ist wichtig, alles muss man können, sonst ist man nicht studierfähig. Und natürlich machen wir noch einen auf digital und Laptop, die Jugendlichen sind ja eben "digital natives" und können das eh schon alles. Nein, können sie nicht und woher denn auch, wenn die Sek I ja auch schon davon ausgeht, dass die das "einfach so" können und nichts Konkretes beibringt in dem Bereich. Ich habe jetzt eine Laptop-Klasse in Physik mit denen ich hin und wieder Daten im Excel auswerte. Am Anfang kräht die halbe Mannschaft natürlich "das haben wir alles schon mal gemacht", können tun sie es aber nicht. Unter "haben wir schon mal gemacht" verstehen sie, dass sie Excel schon mal geöffnet haben und den Rest haben sie wieder vergessen. Unterdessen schaffen es die meisten aus zwei Zahlenkolonnen ein Diagramm zu erstellen und eine Trendlinie anzupassen. Nur das, mehr will ich gar nicht für den Moment. Keep it simple. Ja, man muss zuerst einmal lernen, Dateien richtig zu benennen und abzuspeichern, Ordnung auf dem Gerät zu halten, all das, das können Kinder nicht "einfach so", man muss es ihnen wirklich zeigen wie es geht.


    In meinem Oberstufenkurs habe ich mich neulich gewundert, dass nicht nur ein S., sondern mehrere SuS nicht in der Lage waren, einen Text in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Sie haben unwichtige Details genannt, aber waren z.T. nicht in der Lage, den Kern des Textes wiederzugeben.

    Wunder Dich nicht, bring ihnen bei, wie es geht. Wahrscheinlich haben sich ein paar Kollegen vor Dir auch nur gewundert und befunden "das können die doch einfach so". Zumal werden die Inhalte in der Oberstufe ja hoffentlich komplexer und dann muss man eben am Komplexeren weiter üben das Wichtige zu erkennen und zu benennen. Unsere Jugendlichen kommen aus der Sek I immer mit der Erwartungshaltung, man muss ihnen vor jeder Prüfung eine Liste mit Lernzielen abgeben. Nein, muss man nicht. Ich lasse sie dann gerne mal selbst ihre Lernziel-Listen schreiben um zu sehen, was sie für wichtig halten. Natürlich denken sie vor allem ans Faktenwissen, was man einfach auswendig lernen kann. So kennen sie es aus der Sek I denn man fängt in Fächern wie Chemie oder Physik eben bei den einfachen Phänomenen an, da gibt es noch nicht viel zu verstehen. Dann lernt man halt Wörtli auswendig. *Ich* erwarte an der Stelle auch gar nichts anderes, genau deswegen hätte ich ja so gerne, dass man in meinen Fächern in der Sek I die Inhalte ganz radikal zusammenstreicht und sich auf ein paar wesentliche Punkte konzentriert. Man muss die Zusammenhänge in der Oberstufe transparent machen, sonst werden sie nicht erkannt. Jugendliche sehen das nicht "einfach so", auch wir haben das vor 20 Jahren nicht "einfach so" gesehen. Es stimmt auch einfach nicht, dass die Prüfungsfragen früher schwieriger waren, ich habe für meine Fächer die Stark Abitrainer doch hier im Regal stehen. Es sind einfach nur noch mehr Fakten abgefragt worden aber kaum Zusammenhänge. Heute erwartet man die grossen Zusammenhänge, hat aber leider vergessen diese auch zu unterrichten. Oder so ähnlich.

  • Anfang der 80er hörte ich aus der ersten Etage eine mir bekannte Soundfolge und die Stimme meiner damals dreijährigen Tochter: "Bitte konzentrieren!"


    Verwundert schlich ich nach oben und machte sie in meinem Arbeitszimmer aus, im Chefsessel an meinem Rechner sitzend und "Tipp-Test" spielend:


    Auf dem schwarzen Bildschirm erschien in bronzefarbener Schrift die Aufforderung, in möglichst schneller Folge eine Anzahl kurz angezeigter Buchstaben auf der Tastatur zu bestätigen. Bei Richtigkeit erfolgte zur Belohnung die kleine Soundausgabe und anschließend die oben zitierte, nur SCHRIFTLICHE Einleitung zur nächsten Aufgabe.


    Sie hatte es sich wohl bei mir abgeschaut, das Gerät alleine eingeschaltet, das Spiel - fragt mich nicht mehr wie - initialisiert und war voll konzentriert dabei, die erscheinenden Buchstaben nachzutippen.


    Da bekam ich Angst, erinnernd der Worte meines Vaters "Vom Comicleser zum Mörder!", baute die komplette Anlage ab, transportierte sie zum Jugendheim und gab dort fortan Computerkurse, mindestens zwei große Firmen sind daraus erwachsen.


    Wie bekloppt ich damals war!


    Wenn ich dann sehe, was mein zweijähriger Enkel heute so an meinem Laptop fabriziert, kann ich "Digital Natives" nicht mehr als Urban Legend abtun.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Um diese Zusammenhänge geht's, denke ich. Zumindest das, was Schule überhaupt ändern kann, "zu viel Handy" "die Eltern nehmen den Kindern zu viel ab" usw. können wir als Schule nicht oder kaum beeinflussen.

    Beeinflussen kann man das nur schwer, das stimmt.

    Aber man muss es dennoch mit einbeziehen, da man jaKinder bekommt, die eben zu viel am Handy oder an anderen digitalen Spielerlebniswelten kleben, denen sehr viel abgenommen wird.

    Das bedeutet, dass man sich im Unterricht darauf einstellen muss und auch, dass man Zeit verwenden muss

    a) darauf, den Kindern mehr Selbstständigkeit zu vermitteln und sie dahingegend zu erziehen (passt zu dem Beitrag, dass Kinder erwarten, dass ANDERE für sie aufstehen um etwas zu holen ...),

    b) darauf, dass Kinder durch die Spielerlebniswelten auf schnelle Erfolge konditioniert sind UND bestimmte Fertigkeiten zu Beginn nicht mitbringen, sodass man diese erst trainieren muss,

    c) darauf, dass Kinder bei verfügbaren Endgeräten zwar einzelne Apps nutzen, das System an sich dahinter aber nicht verstehen ... das ist aber schon länger so, viele sind Anwender und wenige schauen hinter die Strukturen.


    Gleichzeitig wird aber Höher, Schneller, Besser erwartet,

    digitale Endgeräte lassen erwarten, dass man damit umgeht,

    mehr Möglichkeiten der Information lassen erwarten, dass man diese nutzt oder sogar nutzen muss.

    Das ist alles im Prinzip auch gar nicht schlimm. Es KANN ihnen in der Schule beigebracht werden. Aber man darf halt nicht erzählen, dass sie schon alles können.


    Was du beschreibst, ist natürlich extrem. Solche Erfahrungen habe ich bisher mit meinen SuS noch nicht gemacht (mit den KuK sehr wohl), zumindest nicht in dem Ausmaß.

    Mit den Eltern habe ich in den letzten Monaten auch solche Erfahrungen gemacht.

    Es wird nicht ausreichen, Geräte zu verteilen.

    Das Anmelden auf einer Plattform oder in einer Lern-App, das Schicken einer E-Mail scheinen für manche unüberwindbare Hürden zu sein ... leider ist die Hürde, die angebotene Hilfe in Anspruch zu nehmen, offenbar auch zu hoch.

    Dabei lernen Kinder: Wenn ich etwas nicht kann, muss ich mich selbst nicht kümmern. Es ist normal, etwas nicht zu wissen und nicht zu können und ohne Information und Ergebnis darzustehen.

  • Gut, dann ist es eben die Frage, was ein "digital native" ist. So wie es in den Medien beschrieben wird bzw. so wie ich die Beschreibung und Darstellung der "digital natives" verstehe, beinhaltet das einen kompetenten Umgang mit Computern. Den haben Schüler*innen aus meiner Sicht eben nicht von alleine.

    Hier stimme ich @Wollsocken80 zu: Die Erwartungen, an das was die SuS können sind zu hoch bzw. zu viele. Ich finde es auch überhaupt nicht schlimm, wenn ein Fünftklässer nicht weiß, wie man eine Datei vernünftig benennt. Woher soll er das auch wissen? Ich habe kein Problem damit, das zu unterrichten. Nur sollten wir uns nicht immer vormachen, dass die SuS das alles können. Und wir sollten es ihnen halt auch nicht erzählen.


    Unsere Schule hat übrigens eine digitale Lernplatform, in der sich die SuS unter unserer Aufsicht zum ersten Mal einloggen müssen. Ich habe bisher wenig Fünftklässler gesehen, die in der Lage waren, ein mehrstelliges Passwort beim ersten oder zweiten Mal richtig einzugeben. Oder den Nutzernamen, welcher aus ihrem Vor- und Nachnamen besteht.

  • Es gibt „digital natives“, aber die sind eher zwischen 30 und 50 (womit ich nicht sagen möchte, dass die in dem Bereich automatisch gut sind). Die, die mit C64 und Co. aufgewachsen sind.

    Das stimmt sicher. Aber das sind nicht die "digital natives", die gemeint sind, wenn von heutigen Teenagern gesprochen wird.

  • Das würde ich nicht sagen. Es gibt „digital natives“, aber die sind eher zwischen 30 und 50 (womit ich nicht sagen möchte, dass die in dem Bereich automatisch gut sind). Die, die mit C64 und Co. aufgewachsen sind.

    Es ist sozusagen die zweite (dritte?) Generation, die nicht hinter die Vorgänge blicken muss, weil die Rechner heute so leistungsfähig sind, dass sie ein gewisses Maß an Ordnerstruktur selbst erzeugen (alle Bilder landen automatisch im Bilderordner), Bedienungsfehler kompensieren und absturzsicherer sind.

    Das halte ich auch für einen Denkfehler. Klar sind wir die Generation, die noch die Gelegenheit hatte sich den Rechner selbst zusammenzubasteln, das Betriebssystem selbst einzurichten, etc. aber faktisch haben das nur ein paar wenige von uns auch wirklich gemacht. Ich musste während der Promotion noch Kollegen aus der Arbeitsgruppe (Physikalische Chemie wohlgemerkt) zeigen, wie man in Word ein sich selbst aktualisierendes Inhaltsverzeichnis erstellt. Ich hörte auch schon von Kollegen an der Schule den Spruch "Du kannst das ja, Du bist ja noch jünger als ich" um dann festzustellen, dass die Person selbst Jahrgang 1977 ist. Wow, ja, die 3 Jahre werden es ausmachen. Wir haben auch heute an der Schule Jugendliche, die mal eben zum Spass irgendwelche Apps programmieren oder sich ne Drohne bauen, das kann ich gar nicht. Das ist aber ebenso eine kleine Minderheit wie es das früher schon war.

  • ...

    Dabei lernen Kinder: Wenn ich etwas nicht kann, muss ich mich selbst nicht kümmern. Es ist normal, etwas nicht zu wissen und nicht zu können und ohne Information und Ergebnis darzustehen.

    Das ist ja schon fast eine politische Frage: gibt's auch künftig nur Aufgaben in Papierform für sozial Schwache, weil viele halt kein Internet haben? Gymnasien gehen schlicht davon aus, dass sich die Familien kümmern. Wir an der Brennpunktschule gehen davon aus, dass sie es nicht tun und kopieren. Zu sagen "es wird Zeit, sich W-LAN zu besorgen", wird allein leider nicht reichen. Das Bedürfnis hatte ich aber durchaus, auch wenn mich Kollegen ob dieses Wunsches herzlos fanden. Ich hab mich schon gefragt, warum unsere Klientel damit immer durchkommt. Klar, sie sind benachteiligt, aber ein 21. Jahrhundert ohne Internet ist praktisch undenkbar- um Essen und Klamotten müssen sie sich ja auch kümmern.

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