Ländlicher Raum: Erhöhte Gefahr von Schulschließungen?

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    Seph: 4 Jahre reichen deiner Meinung nach nicht aus? Ehrlich gesagt konnte ich meist nach mehreren Wochen (z.B. in Praktika) schon relativ sicher einschätzen, auf welchem Niveau sich ein Kind etwa befindet.

    Wer hatte das mit der Hybris geschrieben? Ich ergänze noch um fehlende adäquate Förderung, wenn man schon nach ein paar Wochen einfach nur Schubladen öffnet, einsortiert und dann bei jeder Bewertung (Stichwort "Bewertungsfehler") im Hinterkopf hat, dass Ali und Kevin natürlich klare Hauptschüler sind, Chantalle eine leicht verhaltensauffällige Realschülerin, Fatma eine fleißige Realschülerin (die zwar eigentlich nur Deutsch vollends lernen muss und später promovierte Naturwissenschaftlerin werden könnte, dummerweise hat der Grundschulpraktikant in ihr eine Realschülerin und spätere Absolventin einer dualen Ausbildung erkannt und ihr ganz nachhaltig vermittelt, dass sie dort genau am richtigen Platz wäre und ein Abi nicht ihr Weg sein könnte, so dass sie sich das auch später nicht zutraut ...), Luise und Maximus dagegen (genau wie ihre Akademikereltern- von nix kommt halt nix, gell) glasklare Gymnasiasten und künftige Führungskräfte unserer Gesellschaft sind, die -Studium sei dank- ihre Mitmenschen innerhalb kürzester Zeit in fertige Schubladen stecken können. Entwicklung- pfff, wird überschätzt. Effekte von Fördermaßnahmen oder Bildung- :lach:, bitte, das ist eine Wortblase, womit man Angehörige von Unterschichten ruhig stellt, praktisch kann das natürlich niemand leisten. Obwohl: Förderschulen gäbe es ja noch :gruebel:, vielleicht schickt der Herr Praktikant Ali und Chantalle sicherheitshalber gleichmal dorthin. Da werden sie bestimmt geholfen ...


    Auf welchem Niveau ein Kind sich zu Beginn der Grundschule befindet ist ein Teil der Diagnostik, die - zumindest wenn man als Lehrkraft den gewählten Job ausfüllen will- um entsprechende Förderung ergänzt wird, damit Potentiale entwickelt werden können. Man beachte: "Potential" ungleich "Niveau". "Niveau" = IST-Stand zum Zeitpunkt X. Potential= möglicher SOLL-Stand bei optimaler Förderung, Entwicklung und Nutzung/Aktivierung des Angelegten.

    Natürlich ist das Abitur nicht für alle SuS der richtige oder mögliche Weg. Wie der Weg aber verlaufen kann oder wird, kann man nicht nach ein paar Wochen Grundschule gesichert diagnostizieren. Allzu viel entfaltet sich erst in den Jahren nach der Grundschule, wenn SuS irgendwann für sich entdecken, was sie machen/werden wollen und sich entsprechend anzustrengen bereit sind für ihre Ziele. Gerade im Sek.I-Lehramt (oder auch BBSen nach allem, was man in diesem Forum lesen kann) findet man auffällig viele Lehrkräfte, die irgendwann mal in ihrem Leben selbst an einer Sek.I-Schulart (meist RS, in Einzelfällen aber auch HS) gestartet sind, ehe sie für sich herausgefunden haben, was sie machen möchten und sich dann über ein Abitur (oftmals bereits berufsbegleitend) den Weg ins Studium eröffnet haben. Ein Glück haben die nicht an die Schubladen geglaubt, in denen sie sich befanden, sondern an ihr Potential und ihre Kraft sich entwickeln zu können.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Also ich habe in einer einstelligen Zahl an Dienstjahren schon so viele Verlierer des ersten Bildungsweges zum Abitur gebracht... Da zu sagen nach 4 Jahren Grundschule wäre alles gesagt, naja...

  • Also ich habe in einer einstelligen Zahl an Dienstjahren schon so viele Verlierer des ersten Bildungsweges zum Abitur gebracht... Da zu sagen nach 4 Jahren Grundschule wäre alles gesagt, naja...

    Ich weiß gar nicht mehr welche Schulempfehlung bei mir war. Ich habe meine Bildungsbiografie aber bereits an anderer Stelle beschrieben. Das System der Allgemeinbildenden Schulen war überhaupt nicht meins und es endet mit dem Scheitern in der Oberstufe (hätte eigentlich schon viel früher scheitern müssen).

  • Beide Systeme können funktionieren, das reine Gesamtschulsystem hat für mich irgendwie den Gedanken in sich drin, unterschiedliche Teile der Gesellschaft zusammenzubringen, auch wenn das definitiv nicht funktioniert (dazu muss man sich nur mal Staaten mit Gesamtschulsystem ansehen), aber die Idee ist immer da. Das dreigliedrige System nimmt Aspekte aus dem Sport auf, da ist die Idee, dass man vor allem mit Sportlern mit ähnlichem Leistungsniveau trainieren sollte weit verbreitet und erfolgreich. Die Frage ist doch eine politische: Wo legt man den Schwerpunkt? Fachliche Leistung oder soziales Lernen?


    Und wie die Gesamtschule zum Abitur führt, ist, zumindest für NRW, auch recht leicht rauszubekommen. Man schaut sich die durchschnittlichen Punkte in den Abiturprüfungen (massive Notenunterschiede zugunsten der Gymnasien) und in der Kursphase (kaum Notenunterschiede) an und dann wundert man sich ganz, ganz lange wie das nur passieren kann. Die Zahlen dazu bekommen die Fachvorsitzenden eigentlich jedes Jahr von der Bezirksregierung (zumindest in Mathe, hab keinen anderen Fachvorsitz).

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Je größer die Leistungsheterogenität, desto mehr passt sich das Niveau schleichend nach unten an. Das möchte zwar niemand hören und ist politisch vermutlich nicht korrekt, aber es ist eben eine Illusion, dass in einem hiesigen schulischen Setting Individualisierung von Lernprozessen so prima funktioniert, dass die Unterschiede adäquat abgefangen werden. Ein dreigliedriges Schulsystem mit bestmöglicher Förderung und stärkerer Durchlässigkeit nach oben, wäre imo die nachhaltigste Variante.

  • Und wie die Gesamtschule zum Abitur führt, ist, zumindest für NRW, auch recht leicht rauszubekommen. Man schaut sich die durchschnittlichen Punkte in den Abiturprüfungen (massive Notenunterschiede zugunsten der Gymnasien) und in der Kursphase (kaum Notenunterschiede) an und dann wundert man sich ganz, ganz lange wie das nur passieren kann. Die Zahlen dazu bekommen die Fachvorsitzenden eigentlich jedes Jahr von der Bezirksregierung (zumindest in Mathe, hab keinen anderen Fachvorsitz).

    Der Unterschied kann sich unter anderem durch mündliche Noten erklären (kenne mehrere Beispiele von SuS, die mündlich gute Noten haben, aber in Klausuren aus welchen Gründen auch immer schlechter abschneiden), aber auch an den Nicht-Abifächern liegen. Dadurch wird der Schnitt ordentlich "verzehrt", wenn man im Abi dann nur noch in 4 Fächern geprüft wird.

    Bildung ist die Fähigkeit, fast alles anhören zu können, ohne die Ruhe zu verlieren oder das Selbstvertrauen. (Robert Frost)

    Bildung kann einen sehr glücklich und gelassen machen. (Günther Jauch)

    Was nützt es dem Menschen, wenn er Lesen und Schreiben gelernt hat, aber das Denken anderen überlässt? (Ernst R. Hauschka)




  • Ich hab nur die Noten für Mathe (wie gesagt, nur ein Fachvorsitz) und warum einer deiner Punkte systematisch durch die Schulform moderiert werden sollte (d.h. am Gymnasium wirkt der Effekt anders als an der Gesamtschule) ist mir irgendwie nicht direkt einsichtig.

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  • Ein dreigliedriges Schulsystem mit bestmöglicher Förderung und stärkerer Durchlässigkeit nach oben, wäre imo die nachhaltigste Variante.

    Genau das sehe ich auch so, und finde, dass das Konzept der kooperativen Gesamtschule am besten dafür geeignet ist.

  • Das dreigliedrige System nimmt Aspekte aus dem Sport auf, da ist die Idee, dass man vor allem mit Sportlern mit ähnlichem Leistungsniveau trainieren sollte weit verbreitet und erfolgreich.

    Das ist ja auch das einzig vernünftige System um Leistung zu erzielen. Man stelle sich vor Ronaldo oder Messi würde täglich mit Kreisklassespielern trainieren anstatt mit anderen Top Spielern. Das würde deren fußballerische Fertigkeiten mit Sicherheit ruinieren.

    In der Schule ist es ebenfalls Verschwendung von Potential, wenn man zu viele schwache SuS hat. Das schadet den Leistungsträgern und hemmt deren Vorankommen.

    Die Besten sollten gemeinsam gefördert werden und sich gegenseitig zu großen Leistungen inspirieren.

    Alle in einen Topf zu werfen sorgt für eine Absenkung des Gesamtniveaus.

    Man denke daran, was jeder beim DLRG weiß:"Jemand der schlecht schwimmen kann, zieht ggf. auch einen guten Schwimmer mit sich ins Nasse Grab"

  • Im schulischen Kontext wäre Sport hingegen kein gutes Beispiel, da wohl in kaum einem anderen Fach (evtl. noch Kunst) das Leistungsniveau so stark mit den anderen Fächern divergieren kann.


    Ich will jetzt nicht mit Klischees über Profi-Fußballspieler anfangen.


    Aber Kunst und Sport sind durchaus Fächer, in denen auch ein Gymnasiast oft viel von einem Hauptschüler lernen kann, denke ich.


    Deshalb würde ich in der kooperativen GS mit Bildungsgang-übergreifenden, nach Leistung eingeteilten Kursen in den Fächern Sport und Kunst das Optimum sehen.

  • Wenn man es für zumindest halbwegs realistisch hält, dass der Schulerfolg auch was mit Intelligenz zu tun hat und weiß, wie Intelligenz funktioniert, dann ist die Annahme, dass man Kinder nach Intelligenz verteilt "trainieren" sollte, doch vielleicht nicht so verkehrt. Dazu noch Matthäus-Effekt und die Leistungsschere kann nur weiter auseinandergehen, sie wird nicht geschlossen, so funktionieren Intelligenz und Lernen halt leider nicht, auch wenn das noch so oft behauptet wird. Wie gesagt, ich hätte auch nichts gegen ein DDR System, aber man braucht irgendwo einen Ort, wo die richtig Guten, noch viel viel besser werden können, denn die braucht eine Gesellschaft. Es ist sicherlich auch sinnvoll die 20% Schwächsten nicht völlig abzuhängen, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden, aber die 20% Stärksten sollte man dabei nicht aus dem Auge verlieren, um den Wohlstand nicht zu gefährden. Irgendwer muss ja auch innovative Ideen haben. ;)

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  • Doch, es ist eigentlich ganz genau so einfach. Ich habe die etwa 20 % Besten eines Sek-I-Jahrgangs und die 20 % Zweitbesten eines Sek-I-Jahrgangs bei hervorragender Durchlässigkeit in beide Richtungen. Das klappt prima und alle Beteiligten sind auch alles in allem ziemlich zufrieden. Die Zuteilung auf die beiden Niveaus verläuft zwar fliessend, ist in 90 % aller Fälle aber vollkommen gerechtfertigt. Meine erklärte Lieblingsklasse ist im Moment übrigens definitiv meine FMS Berufsfeld Gesundheit. Ich bin im Niveau ziemlich flexibel und kann trotz meines absolut konservativen Leistungsdenkens all meinen Schafen gerecht werden 😎

  • Irgendwer muss ja auch innovative Ideen haben.

    Ja, aber worin bestätigt sich, dass diese von denen erdacht werden, die in ihrem individuellen schulischen Kontext zu den besten 20% eines Jahrgangs gehört haben sollen?

    Es soll Menschen geben, denen die tollste Karriere oder die besten Einfälle erst nach der Schule mit durchschnittlichem Ergebnis zuteil wurden.


    Man kann gerne die Besseren fördern, man sollte aber auch die anderen bestmöglich fördern, am Ende werden nicht die besten 10% allen anderen die Brötchen bringen.

  • Edit: um vielleicht wieder zur Ausgangsfrage zurückzukommen, mich stört die Vereinfachung auf die Kurzfassung "ich hab die 20% Leistungsstarken, das reicht mir". Wenn alles so super wäre, müsste die TE keine Angst vor der Gesamtschule haben.

    Einmal editiert, zuletzt von UrlaubVomUrlaub ()

  • Am Gymnasium in dieser Form klammern nur die, die davon profitieren. Und zwar nicht der Leistung wegen, die sollte an jeder Schulform möglich sein, sondern des Sozialverhaltens und der Berufsaussichten wegen. In der realen Welt bekommt man keine tollen, gutbezahlten Wunschausbildungsstellen hinterhergeworfen. Und man schreibt auch nicht automatisch herausragende Noten, wenn man durchschnittlich intelligent ist. In der normalen Welt hat man Arschlochklassen, tranige Lehrer und eingehende Handwerksbetriebe, die nicht mehr ausbilden.

  • [...] Allzu viel entfaltet sich erst in den Jahren nach der Grundschule, wenn SuS irgendwann für sich entdecken, was sie machen/werden wollen und sich entsprechend anzustrengen bereit sind für ihre Ziele. Gerade im Sek.I-Lehramt (oder auch BBSen nach allem, was man in diesem Forum lesen kann) findet man auffällig viele Lehrkräfte, die irgendwann mal in ihrem Leben selbst an einer Sek.I-Schulart (meist RS, in Einzelfällen aber auch HS) gestartet sind, ehe sie für sich herausgefunden haben, was sie machen möchten und sich dann über ein Abitur (oftmals bereits berufsbegleitend) den Weg ins Studium eröffnet haben. Ein Glück haben die nicht an die Schubladen geglaubt, in denen sie sich befanden, sondern an ihr Potential und ihre Kraft sich entwickeln zu können.

    Es gibt sicher SuS, die erst nach der Grundschule in den Jahren an der weiterführenden Schule für sich entdecken, was sie machen wollen und sich dann anstrengen.

    1. Das sind dann aber anscheinend SuS, die sich eben anscheinend stark anstrengen müssen, um Leistungen zu erbringen. Für mich eben weiterhin ein Fall für eine andere Schulform.

    2. Wenn man SuS auf Verdacht da könnte ja doch noch irgendwann eine "Entwicklung" stattfinden erstmal auf das Gymnasium schickt, dann ist das Gymnasium voll von schwachen SuS (von denen hier oder da sich eine(r) noch mal entwickelt). Und selbst wenn (!) sich dann jemand in späteren Jahren dort noch entwickelt, hat er oder sie in den ersten Jahren der weiterführenden Schule schon genug andere ausgebremst oder mit ihrer Einstellung (wenn es z.B. wirklich daran lag, dass sie einfach noch keine Lust zu lernen hatten) angesteckt! Sowas gucken sich leider auch die engagierten SuS manchmal ab.
    3. Für mich spricht das Beispiel mit den Sek. I Lehrern dafür, dass man das System durchlässig machen sollte. Also lieber stärker Vorselektieren und verbindliche Grundschulempfehlungen (stärkt nebenbei die Kompetenz der Grundschullehrkräfte) wieder einführen, es aber ermöglichen, dass die wenigen besten eines Jahrgangs eben aufs Gymnasium wechseln dürfen.

    Außerdem gibt es ja für "spätberufene" noch die Möglichkeit das Abitur noch nachzuholen.


    Klar gibt es Grenzfälle, die es auch auf dem Gymnasium geschafft haben. Aber das sind eben einfach keine eindeutig gymnasialen Kinder. Irgendwo muss man die Grenze ziehen und wer nicht ein eindeutiger Fall fürs Gymnasium war, war eben einfach auch keine Granate.

    Ich behaupte, dass die allermeisten derjenigen, die so einen "krummen" Bildungsweg haben dann durch sehr viel Fleiß ihr Abitur machen (und damit extrem am Limit ihres Könnens agieren).

    Dass solche Leute überdurchschnittlich oft Sek. 1 Lehrer werden kann (!) damit zusammenhängen, dass sie anderen SuS diesen Aufstiegsweg ermöglichen wollen und sie fördern wollen. Es kann aber auch, und das halte ich für sehr wahrscheinlich, damit zusammenhängen, dass z.B. ein Sek II Studium in Mathe dann doch über ihren Niveau liegen würde und sie deshalb lieber Sek I studieren.


    Wir haben auch oft SuS, die später zu uns wechseln um es bei uns "probieren". Ja, manche schaffen es zum Abitur, viele aber auch nicht. Aber keiner (!) den ich erlebt habe, war eine Granate. Manche haben ein halbwegs solides Abitur gemacht, oft mit viel Fleiß, aber Leistungsspitzen waren da nie dabei. Es hat schon so einen Grund, warum diese Leute zunächst nicht (!) am Gymnasium waren.

  • Es kann aber auch, und das halte ich für sehr wahrscheinlich, damit zusammenhängen, dass z.B. ein Sek II Studium in Mathe dann doch über ihren Niveau liegen würde und sie deshalb lieber Sek I studieren.

    Genau, weil die Gymnasiallehrer*innen natürlich nicht zusammen mit Oberschul- und Förderschullehrkräften studieren. Und deswegen kotzt du auch so oft über den Schuldienst ab, weil du hochbegabt bist und sich in den einschlägigen Branchen alle um dich gerissen haben, aber du bist zu höherem berufen: SekII.

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