Vorgegebene Lektüren in der Oberstufe

  • Im Zug der Abitur-Annäherung der Bundesländer wird es in Zukunft für die Oberstufe Pflichtlektüren geben, für die ersten drei Jahre Kleist, “Der zerbrochene Krug” und "Heimsuchung” von Jenny Erpenbeck. Es gibt vier Abituraufgabenstellungen, zwei davon greifen in irgendeiner Weise je eine dieser Lektüren auf. (Sicher nicht so plump wie Textstellen daraus zur Interpretation anbieten.) In Bayern (Zentralabitur) gab es das bisher nicht. An meiner Schule haben wir lange darauf hingearbeitet, dass auch in den Klausuren vor dem Abitur nur unbekannte Texte als Aufgabe gestellt wurden und eben *nicht* unbehandelte Auszüge aus der aktuellen Lektüre.


    Mir gefällt das gar nicht. Die einschlägigen Verlage werden Lektürehilfen herausbringen, die Lehrkräfte werden sie verwenden, bei der Abiturthemenstellung werden sie berücksichtigt werden (dass man ja nichts doppelt). Natürlich kann man das machen. Aber mir gefällt es nicht. Wie sind die Erfahrungen aus Hessen oder BW denn so - zumindest diese Länder hatten ja diese Praxis bereits, weiter nördlich weiß ich's nicht. Weiß nur, dass einmal ein ganz furchtbares Buch drankam.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

  • Meine Quelle ist der Kontaktbrief Deutsch, Anfang August 2023: https://www.isb.bayern.de/file…aktbrief_Deutsch_2023.pdf - da werden verschiedene Änderungen für Bayern angekündigt, auf S. 7 unten geht es um "Vorankündigung: Ländergemeinsame Lektüren", mit Link zu IQB: https://www.iqb.hu-berlin.de/a…tsch/D_Inhaltliche_Ve.pdf

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    • Offizieller Beitrag

    Ich kann eine "Erfahrung" aus der anderen Seite des Rheins beisteuern.
    Die Verlage liiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieben diese Pflichtwerke-Orientierung. Komplette Kollektionen leben davon und jedes Jahr im September kommen eben 3-5 neue Bände heraus (ggf. aktualisiert).
    Und ich gebe es zu: ich habe die Bücher als Schülerin verschlungen. Ich habe zwar auch gerne (die Romane, Dramen, etc...) gelesen, aber nie das gesehen, was der Autor wohl angeblich reingeschrieben hatte und ich interpretieren musste. Meinen Zugang zur Literaturinterpretation musste ich mir im Studium tatsächlich hart erkämpfen, in der Schule brauchte ich Startimpulse (also insbesondere für die typische französische "dissertation", argumentativer Aufsatz in drei Schritten zu einem "Satz"/einer "Frage"

    1) Ich hatte durchaus Lehrkräfte, die selbst wohl auch "Starthilfe" brauchten und uns das Buch quasi Wort für Wort diktiert haben... (und als Klausur eine der möglichen Klausuren gestellt haben). (es haben vielleicht nur 1-2 Schüler*innen pro Klasse das Büchlein gekauft)


    2) Die Idee, Literaturunterricht von Pflichtwerken loszulösen, ist charmant, weil sie an Allgemeinwissen zu Epochen, an Kompetenzen usw. anknüpft. Allerdings ist ein gemeinsames Werk, an dem man sich orientieren kann, für die meisten Schüler*innen, die nicht den Zugang finden, hilfreich. (also: den Wechsel haben wir auch in NRW erlebt, von Pflichtwerken zu verhältnismäßig losen Angaben)

    • Offizieller Beitrag

    @HerrRau


    Vielen Dank. Ich bin in Deutsch natürlich nicht "drin". Da in den Vorgaben für die Abiturprüfung in NRW die entsprechenden Werke ebenfalls drinstehen und diese Vereinbarung ja schon eine ganze Weile gilt, dürfte das also so gesehen nichts Neues sein. Und natürlich werden die Verlage entsprechende Lektürehilfen herausbringen - das gab es zu unserer Schulzeit auch schon - beispielsweise von Reclam.

    Das Problem wird in meinen Augen eher dergestalt sein, dass die Aufgaben so allgemein formuliert sein werden, damit ganz gleich, welchen Schwerpunkt man in jedem der 16 Bundesländer bei der jeweiligen Lektüre gesetzt hat, alle SchülerInnen die Chance haben, das Ganze auch zu schaffen. Letztlich senkt das das Niveau.

  • ürfte das also so gesehen nichts Neues sein. Und natürlich werden die Verlage entsprechende Lektürehilfen herausbringen - das gab es zu unserer Schulzeit auch schon - beispielsweise von Reclam.

    Na ja, für *Bayern* ist das eben etwas Neues. Und auch die Rolle der Lektürehilfen ist eine andere; wenn man weiß, dass das im Abitur drankommt, werden noch mehr Lehrkräfte damit arbeiten als sonst, aus Angst, irgendwas zu verpassen oder falsch zu machen.


    Die Aufgaben sind dann - nehme ich an - auch eher peripher: Die Abiturthemen sind meist zweiteilig, und im weniger wichtigen Teil steht dann etwas wie "Vergleichen Sie den Machmissbrauch in Der zerbrochene Krug" oder so. - Mich stört auch, dass ich etwa zwei von drei Jahren (ich habe ja meist Oberstufe) lang ein Buch wie Corpus Delicti lesen muss, das ich schon furchtbar fand, als es herauskam.


    Mich interessiert auch, ob es dafür eine didaktische Begründung gibt. Aus der Uni-Forschung kaum, seit den 1970ern haben die Unis - zumindest in Bayern - ja nur wenig mit Lehrplangestaltung zu tun, das macht das Kultusministerium selber. Also war es halt ein Kompromiss mit den Ländern, die das schon haben und davon nicht lassen wollen.


    Danke, chilipaprika, für die Perspektive.

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  • weitere Perspektive dazu, die mir als Theatergänger auffällt: Ein Blick in die Spielpläne der Schauspielhäuser in NRW ersetzt den in die Fachobligatorik des Ministeriums: pflichtschuldig werden die Lektüren (auch die der Fremdsprachen) ins Programm aufgenommen. Für SchülerInnen sicher klasse, für Nicht-SchülerInnen manchmal etwas ermüdend.

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    weitere Perspektive dazu, die mir als Theatergänger auffällt: Ein Blick in die Spielpläne der Schauspielhäuser in NRW ersetzt den in die Fachobligatorik des Ministeriums: pflichtschuldig werden die Lektüren (auch die der Fremdsprachen) ins Programm aufgenommen. Für SchülerInnen sicher klasse, für Nicht-SchülerInnen manchmal etwas ermüdend.

    Naja, die Theaterhäuser müssen auch von etwas leben. Und wenn ein ganzer Jahrgang an OberstuflerInnen sich Faust oder Woyzeck oder was auch immer ansieht, sagt man dazu doch nicht nein...

  • Mich stört auch, dass ich etwa zwei von drei Jahren (ich habe ja meist Oberstufe) lang ein Buch wie Corpus Delicti lesen muss, das ich schon furchtbar fand, als es herauskam

    Ich habe in solchen Fällen wie jetzt Jenny Erpenbeck oder vor einigen Jahren Peter Stamm in BW (Das von dir erwähnte furchtbare Buch dürfte der schlechte "Stiller"-Abklatsch "Agnes" gewesen sein) immer das Gefühl, dass ein Autor da jemanden im Ministerium kennt.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Wie sind die Erfahrungen aus Hessen oder BW denn so - zumindest diese Länder hatten ja diese Praxis bereits, weiter nördlich weiß ich's nicht.

    Hier im Norden nehmen meines Wissens neben NDS auch HB, HH und SH am Zentralabitur teil.

    Ich kenne es gar nicht anders (von meiner eigenen Schulzeit natürlich abgesehen), denn als an meiner Schule das BG entstand, nahm NDS bereits am Zentralabi teil. Ich persönlich sehe eigentlich keine Nachteile daran, eher den großen Vorteil, dass die Abi-Klausuren nicht in allen Fächern selbst erstellt werden müssen (Zeitaufwand!).

    An meiner Schule haben wir lange darauf hingearbeitet, dass auch in den Klausuren vor dem Abitur nur unbekannte Texte als Aufgabe gestellt wurden und eben *nicht* unbehandelte Auszüge aus der aktuellen Lektüre.

    Für Englisch kann ich dir sagen, dass es sich bei den Abi-Klausuren nicht um Texte bzw. Auszüge aus den im Unterricht gelesenen Pflichtlektüren handelt. Es wird z. B. eine Kurzgeschichte (oder ein Auszug daraus) oder ein Romanauszug vorgelegt, den die SuS nicht kennen und den sie dann in den Aufgaben auf die im Unterricht gelesenen Lektüren - manchmal auch Filme - beziehen sollen.

    Ob das in Deutsch genauso ist, weiß ich nicht; müsste ich mal bei meinen Deutsch-KuK nachfragen.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Humblebee , zu deinem ersten Absatz: Bayern hat auch schon seit hunderttausend Jahren oder so ein Zentralabitur. Es ging Herrn Rau um den Aspekt der vorgegebenen Abiturlektüren, denke ich, nicht um den der zentral gestellten Aufgaben.

    Ok, das wusste ich nicht. In NDS ging mit der Einführung eines Zentralabiturs die Einführung von Pflichtlektüren einher.

    Ich stehe gerade auf dem Schlauch: Wie ist es denn möglich, dass die Aufgaben landesweit dieselben sind, wenn aber in den einzelnen Schulen unterschiedliche Lektüren in der Oberstufe gelesen werden?

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  • Sorry, es gibt leider so viele furchtbare Bücher. „Agnes“ hat mit „Corpus delicti“ nur gemein, dass es in BW jahrelang Pflichtlektüre im Abi war.

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    Ok, das wusste ich nicht. In NDS ging mit der Einführung eines Zentralabiturs die Einführung von Pflichtlektüren einher.

    Ich stehe gerade auf dem Schlauch: Wie ist es denn möglich, dass die Aufgaben landesweit dieselben sind, wenn aber in den einzelnen Schulen unterschiedliche Lektüren in der Oberstufe gelesen werden?

    man kann ja Themenbereiche haben.

    z.B. aus einem anderen Fach, Französisch:
    * Die Frankophonie am Beispiel eines ehemaligen Kolonialstaates: Senegal.

    und am Ende kann IRGENDWAS rauskommen. der Auszug eines Romans (französischsprachiger senegalesischer Autor), eine Rede von einem französischen Präsidenten in Dakar, ein Auszug aus einer Kurzgeschichte (französischsprachiger senegalesischer Autor), ein Sachtext zur Frankophonie, wo man einen Bezug herstellen /Vergleich ziehen muss

    Oder:
    - Drama der Klassik (natürlich lesen die meisten Schulen, zumindest in NRW, ein Drama aus einem Pool aus 2-3 Büchern)

    - Roman des bürgerlichen Realismus
    - Jahrhundertwende...

  • Danke für die Erläuterung chilipaprika !

    In NDS sind die Pflichtlektüren auch bestimmten Themengebieten zugeordnet, z. B. für das Deutsch-Abi 2024 "Woyzek" dem Rahmenthema "Drama und Kommunikation" und dort dem Wahlpflichtmodul "Familie im Drama". Als "verbindlicher Unterrichtsspekt" wird u. a. "Figuren- und Konfliktgestaltung" genannt.

    )n Englisch werden bspw. mit dem Drama "Hamlet" die verbindlichen Unterrichtsaspekte "fate vs. free will", the role(s) of women" und "questions of morality" genannt.

    Siehe hier unter "Hinweise 2024" zu den einzelnen Fächern: 2024: Bildungsportal Niedersachsen (bildungsportal-niedersachsen.de)

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    • Offizieller Beitrag

    Ja, NDS ist da echt das komplett andere "Extrem". Zumindest fürs allgemeinbildende Gymnasium (wo ich mein Ref gemacht habe) weiß ich, dass da sogar bestimmte Lieder, Filme oder Gedichte vorgegeben sind. Es gibt da sogar unterschiedliche Werke, ob "LK", "GK schriftlich", "GK mündlich". (und ich saß in einem jahrgangsübergreifenden Kurs mit LKler*innen, mündlichen GKler*innen und "Abdecker*innen").

    Aber ich gebe es zu: als Lehrkraft fand ich es schön, eine klare Vorgabe zu haben, die mir die Sicherheit gab, nicht an Fantasie-Prüfungen vorbei zu kommen. Denn ehrlich: unter "Frankophonie" kann man 2 Jahre Stoff verstehen und ich habe durchaus einen anderen Schwerpunkt als meine Kollegin. und es kann schief gehen, ohne es darauf anzulegen.

    Was mir aber auch an NDS sehr gefiel: jedes Jahr was Anderes, neue Werke. (und tatsächlich habe ich neben einem Heft von einem Verlag, in welchem ich Tipps zur Videoanalyse, geholt habe, alles selbst produziert. So schnell kamen zum Teil die Verlage nicht hinterher (bzw. mein Fach ist ein Nischenfach?)

  • Es gibt da sogar unterschiedliche Werke, ob "LK", "GK schriftlich", "GK mündlich".

    Vielleicht gab es das mal, mittlerweile wird zumindest keine Unterteilung mehr in "mündlich" und "schriftlich" vorgenommen. Schau' mal in den Link, den ich eben gesetzt habe: In Deutsch wird ist der "Woyzeck" die Pflichtlektüre sowohl im LK/Kurs mit erhöhtem Anforderungsniveau als auch im GK/Kurs mit grundlegendem Anforderungsniveau. allerdings gibt es im LK - da fünfstündig (GK ist nur dreistündig) - noch "Leonce und Lena" als weitere Pflichtlektüre. In Englisch sind im LK und im GK die verbindlichen Materialien bis auf den Film "The Founder" (gilt nur für BG) unterschiedlich, in Französisch größtenteils dieselben, wobei natürlich im LK mehr Materialien vorgegeben sind.

    ich saß in einem jahrgangsübergreifenden Kurs mit LKler*innen, mündlichen GKler*innen und "Abdecker*innen"

    Sowas habe ich bei uns noch nicht erlebt. LK und GK sind grundsätzlich getrennt; im GK können aber sowohl SuS sitzen, die schriftliches oder mündliches Abi in dem jeweiligen Fach machen werden, wie auch reine "Abdecker*innen".

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    • Offizieller Beitrag

    LK und GK sind grundsätzlich getrennt; im GK können aber sowohl SuS sitzen, die schriftliches oder mündliches Abi in dem jeweiligen Fach machen werden, wie auch reine "Abdecker*innen".

    wissen denn die SuS bei Eintritt in die Oberstufe schon, welches Fach sie für die mündliche, welches sie für die schriftliche Prüfungen wählen?
    Und kann man sich schriftlich auch im gA-Kurs prüfen lassen?
    Das wurde in Thüringen abgeschafft.


    Für eA-und gA-Kurse , oder LK und GK kenne ich auch aus NDS die Möglichlkeit der Huckepack-Kurse; gibt es die nicht mehr? Ohne hätten wir z.B. in den zweiten Fremdsprachen nie die Möglichkeit, einen LK anzubieten, weil die Gruppen an unserer kleinen Schule einfach zu klein würden (3 zweite Fremdsprachen bei Zweizügigkeit)

  • (Ja, genau, es ging nicht ums Zentralabitur an sich, sondern zentral vorgegebene Lektüren. Bisher hieß es in der Zusatzaufgabe "Vergleichen Sie das Thema Machtmissbrauch in einem anderen fiktionalen Werk", und man musste als Lehrkraft darauf achten, da halt genug angeboten zu haben - aber mit Faust und Woyzeck allein deckt man schon alles ab. Zugegeben: dieses Vergleichswerk war vielleicht nicht so präsent im Kopf, wie es dann der Kleist sein wird.)

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

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