Musiktheorie in Schulklassen- Sinnvoll?

  • Hallo zusammen!
    Ich erinnere mich oft an meine Schulzeit in der Mittel- und Oberstufe – insbesondere an den Musikunterricht. Ich war schon immer selbst Musiker, habe begeistert mehrere Instrumente gespielt, doch der Unterricht in der Schule hat mir nie wirklich Freude bereitet.

    Rückblickend stellen sich mir einige Fragen zum Curriculum, die ich gerne hier zur Diskussion stellen möchte – in der Hoffnung auf Bestätigung oder vielleicht auch auf eine andere Sichtweise, durch die ich ein besseres Verständnis gewinne.

    Heute bin ich Musiker und beschäftige mich täglich mit Musiktheorie. Ich wende sie regelmäßig an und würde behaupten, dass ich sie – gemessen an ihrer Komplexität – so weit verstanden habe, dass ich insbesondere im Jazz sehr davon profitiere. Trotzdem frage ich mich: Warum sollte ein Schüler oder eine Schülerin in der Mittel- oder Oberstufe überhaupt Musiktheorie lernen?

    Ich erinnere mich an Themen wie Tonarten, Skalen (bzw. Modi), das Erkennen von Pausen und das Hören von Intervallen. Doch welchen konkreten Nutzen zieht ein 16-jähriger Schüler aus dieser Art von Wissen? Wie bringt es ihn oder sie tatsächlich weiter?

    In meiner damaligen Klasse konnten von 25 Schülern vielleicht zwei oder drei ein Instrument so weit beherrschen, dass sie überhaupt eine Verbindung zu diesen Inhalten herstellen konnten. Und vermutlich niemand – mich eingeschlossen – war in der Lage, das Gelernte praktisch anzuwenden.

    Aus meiner heutigen Perspektive als Musiker ergibt es für mich wenig Sinn, Musik als Kunstform für Laien in dieser Weise zu akademisieren. Musiktheorie, insbesondere Harmonielehre und Notenlesen, erscheint mir völlig nutzlos, wenn kein praktischer Bezug besteht.

    Momentan sehe ich also kein überzeugendes Argument, warum Gymnasialklassen überhaupt mit Musiktheorie in Berührung kommen sollten. Natürlich freue ich mich aber über andere Sichtweisen – insbesondere von Musiklehrern –, die mir die pädagogischen oder curriculären Hintergründe dieses Unterrichts näherbringen können.

  • Da kannst du aber mit jedem anderen Fach auch kommen: Sport, Latein, Mathe in der Oberstufe für alle, die später nichts mehr damit zu tun haben, usw...

  • Wenn man das weiter spinnt, kommt Mathe da sogar noch ganz gut weg. Das sind immerhin Grundlagen für ein Naturwissenschaftliches Studium.

    Die Gedichtsanalyse ist da noch weniger alltagsrelevant.

  • Die Frage nach dem konkreten Nutzen aus einem Unterrichtsgegenstand kann man in jedem Fach zu jedem beliebigen Unterrichtsgegenstand stellen und die Situationen so konstruieren, dass man dieses Wissen wahlweise braucht oder nicht braucht.

    Ich erinnere mich an ein Schreiben, das eine ehemalige Schülerin aus der Behörde bekommen hat, als sie tatsächlich dort einmal nachgefragt hatte.
    Sinngemäß: "Das Gymnasium vermittelt eine breite Allgemeinbildung, die es einem ermöglicht, ein Studium gleich welcher Fachrichtung aufzunehmen und die Entscheidung bei Bedarf im Falle einer falschen Wahl auch nachträglich zu revidieren."

    Soviel zur Legitimation von Unterrichtsgegenständen.

    Als Musiklehrer muss einem klar sein, dass man Theorie nie um ihrer selbst willen macht sondern immer, um Phänomene zu beschreiben, zu erklären, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und auf andere Situation zu übertragen etc. oder um selbst entsprechend zu musizieren.
    Aufgrund des Umstands, dass Musiktheorie für immer mehr SchülerInnen aufgrund fehlender aktiver Musikerfahrung ein Abstraktum bleiben wird, tut man sich auch als Lehrkraft keinen Gefallen, seine SchülerInnen damit mehr als unbedingt nötig zu belasten.

    Es fällt mir mitunter schwer, aber auch ich muss mich dieser Realität stellen.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Beitrag von BaldPension (14. November 2025 17:11)

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht (14. November 2025 20:24).
  • Als Nicht-Musiklehrer muss ich zugeben, dass wir jeden Tag (!) von Musik umgeben sind. Alleine deswegen macht es natürlich Sinn, dass Musik auch in der Schule Aufmerksamkeit findet. Aus heutiger Sicht finde ich, dass ab der Mittelstufe meiner eigenen Schulzeit der praktische Teil im Musikunterricht deutlich zu kurz kam - vor allem im Vergleich zu Kunst oder Sport. Eventuell ist das inzwischen besser geworden. Meine Idealvorstellung wäre, dass in diesen drei Fächern Praxis und Theorie eng verzahnt sind: Wir lernen erst etwas über den theoretischen Background einer Sportart, danach machen wir diese Sportart. Wir lernen erst einen Künstler (m/w/d) oder eine Epoche kennen, danach zeichnen/basteln/kreieren wir etwas hierzu. Analog dann zur Musik. Das sollte dann auch möglich sein für Kinder und Jugendliche, die privat kein Instrument spielen.

    Neben musikhistorischem und popkulturellem Wissen gehört zur Musik natürlich auch die eher unbeliebte Theorie wie Notenlehre, etc. Ich sehe hier Analogien zu meinen Fächern. Das abstrakte Symbol "6" steht für eine konkrete Menge, die abstrakte Buchstabenfolge "la maison" steht für einen konkreten Gegenstand. Erst wenn ich diese Zuordnung verstanden habe, kann ich damit auch arbeiten, sonst bleibt es für mich auf Ewigkeit ein komisches Symbol oder eine wirre Anreihung von Buchstaben. Ähnlich sieht es mit Noten aus. Schüler (m/w/d) müssen verstehen, dass sie für eindeutige Töne stehen, die wiederum in einer bestimmten Anreihung Melodien und ganze Lieder ergeben. Es sind die Vokabeln der Musik. Ohne Lernen geht das nicht - Musik ist ein Fach, bei dem die Theorie aufeinander aufbaut, ähnlich wie beim Vokabellernen in den Sprachen oder der Erkundung der Zahlbereiche in Mathematik.

    Theorie wird dann verstanden, wenn sie auch als "sinnvoll" empfunden wird. Sie hilft uns, Dinge zu verallgemeinern und damit für alle zugänglich zu machen. Im Fach Musik macht ein niedrigschwelliger Einstieg hierzu Sinn. Dann kann man sich langsam in die Denkweise hineinfinden und fällt nicht aus den Wolken, wenn Richtung Sek II (wie in vielen anderen Fächern auch) der Unterricht zunehmend komplexer und weniger alltagsferner wird.

  • Da kannst du aber mit jedem anderen Fach auch kommen: Sport, Latein, Mathe in der Oberstufe für alle, die später nichts mehr damit zu tun haben, usw...

    Weder in Kunst und noch weniger in Sport betreibt man dermaßen theorielastigen Unterricht, der Vergleich passt also nicht ganz.

    An anderer Stelle wollten einige das Flötenspiel in der Grundschule abschaffen, weil Eltern nicht beim Üben helfen. Ausgerechnet da hätten die Kinder aber Praxis.

    Notenfuchs , ich bin keine Musiklehrerin, weiß auch nicht, ob hier jemand Musik auf Lehramt studiert hat. Ich fand Musiktheorie immer schwierig, obwohl ich Instrumente gespielt habe. Wichtig wäre m.E. Anwendung der Theorie, auch in höheren Klassen. Wieso nicht improvisieren lernen im Unterricht?

    Ich fürchte, Schule ist generell kein Ort, an dem man gut praktisch lernen kann. Die Gruppen sind dafür zu groß, die Notengebung bindet Kapazitäten.

  • Ich hatte Musik als Didaktikfach. Für mich passte der Anteil Praxis-Theorie im Gym. Kommt ja auch ein wenig auf den Lehrer an. Meine Leidenschaft fürs Musizieren habe ich in Orchestern und Chören ausgelebt.

    Hätten wir mehr musiziert im U, wären sicher einige Mitschüler komplett ausgestiegen.

    Außerdem, wann sonst im Leben begegnet man der Musiktheorie. Ich finde, alles, was mein Gehirn fordert, ist gut.

  • Für mich auch eine schwierige Frage. Ich spiele seit der Grundschulzeit Gitarre, zwischendurch mal sehr intensiv. Aber im Musikunterricht habe ich die Theorie nicht verstanden, die hab ich mir Jahre später selbst beigebracht. Nur schieb ich das jetzt immer noch auf meine damalige Lehrkraft, nicht auf den Musikunterricht oder die Theorie an sich. Hätte ich es verstanden, hätte es mir persönlich genutzt.

    Andererseits ... wir haben viele Fächer, wo ich nach dem Sinn von bestimmten Theorien fragen kann (ich brauchte in meinem Leben z.B. im Prinzip nichts mehr von dem, was wir in Mathe jenseits der 9. Klasse besprochen haben, aber bei einigen meiner Mitschüler und Mitschülerinnen sah das anders aus. Die könnten sich fragen "Wofür Latein?")

    Schule soll einfach ein breites Angebot machen, jenseits des absoluten Grundkonsenses, weil es SuS gibt, die angesprochen werden ... und wenn es pro Klasse dann nur 2 oder 3 sind, die evtl. sagen "Wow, das packt mich jetzt, da hab ich jetzt für mich etwas entdeckt." Ich kenne einige SuS, die ihren Beruf / ihre Berufung tatsächlich an der Schule durch die Inhalte eines Faches entdeckt haben, mit dem sie vorher nicht gerechnet hatten.

    Bleibt noch die Frage, wie umfangreich dieses "Nischenangebot" sein soll. Darüber kann man streiten, aber dass Musiktheorie grundsätzlich einen Platz haben sollte, glaube ich schon.

    Beim Sportunterricht ... Reckturnen ... schaut das aber ganz anders aus, das hätte ich nicht gebraucht ;)

  • Ich sehe das so:

    Musik ist eine Form der kulturellen Kommunikation. Sie spielt in unserem Leben eine relativ große Rolle, sowohl auf individueller Ebene, auf gesellschaftlicher als auch auf interkultureller Ebene. Da Musik in allen menschlichen Gesellschaften gemacht und gehört wird, scheint sie offensichtlich ein fundamentales menschliches Bedürfnis zu befriedigen.

    Damit man sie, ihren Aufbau und ihre Wirkung verstehen kann, braucht man auch das musiktheoretische Hintergrundwissen. Natürlich kann man sich darüber unterhalten, in welcher Tiefe das nötig ist und wie der generelle Stellenwert des Fachs zu anderen wichtigen Dingen sein sollte.

  • Musiktheorie, insbesondere Harmonielehre und Notenlesen, erscheint mir völlig nutzlos, wenn kein praktischer Bezug besteht.

    Ich nehme das einmal raus. Ich schreibe erst einmal für die Grundschule. In der Grundschule werden Notenwerte, Pausen und teilweise Notennamen gelernt, aber immer im praktischen Bezug. Es ist eigentlich auch viel besser, wenn du - wie auch beim Lesen Buchstaben - etwas Geschriebenes in der Hand hast um es umsetzen zu können. Die Notenschrift ist Hilfe um Musik machen zu können, wenn man nicht den umgekehrten Weg nach Gehör verfolgt. Gerade die Notenlehre ist nicht zum Selbstzweck da, sondern als Hilfe zum Musikmachen. Dasselbe gilt für Lautstärkezeichen. Es ist sozusagen die Schrift für die Musik, wie die Buchstaben die Schrift fürs Lesen sind. Die Musikschrift hat sich im Laufe der Jahrhunderte so entwickelt, dass sie immer "leserlicher" und eindeutiger wurde.

    Zu den anderen Gebieten der Musiktheorie: Über Musikhören schafft man auch einen Bezug. Man kann auch ein Stück analytisch hören und es nicht einfach als Klangteppich wahrnehmen. Unterschiedliche Teile in einer Musik kann man auch durch Tanz ausdrücken. Es gibt so viele Möglichkeiten der Verzahnung.

    Ich selbst habe Musik im Rahmen des Lehramtsstudiums für GHS studiert und mir hat das Wissen von der Schule (musischer Zweig am Gymnasium) fürs Studium als kleine Grundlage geholfen. Allerdings waren die Anforderungen im Studium, gerade was die Harmonielehre betraf, schon hoch. Ich empfand die Sachen, die wir da gemacht haben, einer mathematischen Aufgabe ähnlich. Das waren doch oft sehr komplexe Harmonien, die zu verändern oder herzuleiten waren. Ich selbst habe die Harmonielehre eigentlich in der Praxis nur für die Liedbegleitung und das Transponieren von Liedern/Musikstücken gebraucht. Und da ist sie wesentlich einfacher.

    Bezüglich des Unterrichts in der Hauptschule: Früher habe ich dieses Fach in der Hauptschule unterrichtet. Da stand aber jede Musiktheorie nicht im luftleeren Raum, sondern sie war mit der Praxis oder zumindest mit Musikhören verknüpft.

  • Ich empfand die Sachen, die wir da gemacht haben, einer mathematischen Aufgabe ähnlich. Das waren doch oft sehr komplexe Harmonien, die zu verändern oder herzuleiten waren.

    Als jemand der das von beiden Seiten kennt (Musikinstrument und Mathe). Musik ist in gewisser Weise eine Art von intuitiver Mathematik und hat starke Überlappungen zu Teilaspekten davon.

  • Als jemand der das von beiden Seiten kennt (Musikinstrument und Mathe). Musik ist in gewisser Weise eine Art von intuitiver Mathematik und hat starke Überlappungen zu Teilaspekten davon.

    Insbesondere bei serieller Musik oder Aleatorik... ^^

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Ähnlich sieht es mit Noten aus. Schüler (m/w/d) müssen verstehen, dass sie für eindeutige Töne stehen, die wiederum in einer bestimmten Anreihung Melodien und ganze Lieder ergeben.

    *Klugscheißermodus Physik an*

    Und je nach Instrument, mit dem die Note gespielt wird, bekomme ich einen anderen Klang (und keinen eindeutigen Ton). 😀

    *Klugscheißermodus Physik aus*

  • Ich bin da zu wenig in der Materie drin, aber ja, intuitiv kann ich mir vorstellen, dass das Spielen ein und derselben Note beim Klavier leicht anders klingt als bei der Gitarre oder der Geige.

  • Ich bin da zu wenig in der Materie drin, aber ja, intuitiv kann ich mir vorstellen, dass das Spielen ein und derselben Note beim Klavier leicht anders klingt als bei der Gitarre oder der Geige.

    Nach dem Kammerton a werden aber alle Instrumente gestimmt. Oder nicht?

  • Ich bin da zu wenig in der Materie drin, aber ja, intuitiv kann ich mir vorstellen, dass das Spielen ein und derselben Note beim Klavier leicht anders klingt als bei der Gitarre oder der Geige.

    Es soll kein Auslachsmiley sein.

  • Ich bin da zu wenig in der Materie drin, aber ja, intuitiv kann ich mir vorstellen, dass das Spielen ein und derselben Note beim Klavier leicht anders klingt als bei der Gitarre oder der Geige.

    Die ganzen Obertöne sind anders. Daher der unterschiedliche Klang.

    Nach dem Kammerton a werden aber alle Instrumente gestimmt. Oder nicht?

    Ja, aber das Klavier wird temperiert gestimmt. Die Geigen spielen in der Regel in der reinen Stimmung, wenn sie nicht mit einem temperiert gestimmten Instrument zusammenspielen.

    Aber das ist zum Beispiel Spezialwissen, was Schüler meiner Meinung nach nicht unbedingt lernen müssen, auch wenn ich das damals in der Schule noch hatte.

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