"Schutzhaut" als Lehrer

  • Hallo zusammen.


    Der Titel sagt schon viel, aber noch nicht alles.


    Gelinde gesagt geht es mir darum, wo ihr als Lehrer eure persönlichen Grenzen setzt - im Umgang mit Kollegen und auch insbesondere(!) mit Schülern und Schülerinnen.


    Es gibt ja viele Untersuchungen zum Thema Burnout. In den ersten Jahren habe ich das noch gar nicht so verstanden, ich liebe meinen Beruf und mir bereitet das Unterrichten und teils auch das Drumherum sehr viel Freude. Nun habe ich mit den Jahren aber vieles dazu gelernt, was mir früher einfach noch gar nicht klar war. Etwas radikal ausgedrückt: Ich kann mittlerweile sehr genau "sehen", was in meinen Schützlingen vorgeht, kann viele - auch unangemessene - Verhaltensweisen verstehen, weil ich z.B. das Elternhaus kenne, bin hin und wieder mit dem Jugendamt in Kontakt ...


    Kurzum, ein Teil meiner Arbeit ist weniger das Unterrichten als vielmehr die persönliche (soweit das bei Klassengrößen um die 30 Kinder möglich ist) Betreuung von "problematischen" Jugendlichen, viele Einzelgespräche nach dem Unterricht, viele Einzelgespräche im Kollegium ...


    Einige meiner Kollegen und Kolleginnen laufen auf dem Zahnfleisch. Mich davon zu distanzieren fällt mir leichter, weil es ja "erwachsene" Menschen sind, für die ich keine Verantwortung trage. Trotzdem gibt es auch dort öfter Gespräche, nette Worte ... eben das, was man als Kollege so macht.


    Ich merke: das geht so nicht weiter.


    Ich kann nicht als "Psychologe" arbeiten, wo ich doch "nur" Lehrer bin. Oder anders gesagt: Ich kann sie nicht alle retten. Gerade in den letzten Wochen vor den Ferien habe ich deutlich gespürt, wie viel Energie mir selber fehlte ...


    Daher mal so in die Runde gefragt:


    Wie schafft ihr es, euch (emotional) zu distanzieren? Welche Art von Schutzhaut legt ihr an? Wo zieht ihr Grenzen?

  • Ich fange mal an. Also, ich lasse mich nicht mehr zu Hause anrfufen. Die Eltern haben meine e-mail Adresse und bei Bedarf treffe ich sie nach dem Unterricht zum Elterngespräch.

  • Geht es bei dir jetzt um eine Schutzhaut gegenüber anderen Kollegen oder Schülern/Eltern?


    bzgl. Eltern/Schülern mache ich es genauso wie lamaison2, ich habe eine E-mail Adresse. Die Mails beantworte ich allerdings auch nur in der Schulzeit oder nachmittags. Nie am Wochenende und am Abend. Zudem habe ich eine Sprechstunde und bei Bedarf (falls sie immer arbeiten müssen in der Sprechstunde) hab ich einmal in der Woche Nachmittagsunterricht, da können Sie gerne in der Mittagszeit vorbei kommen.


    bzgl. Kollegen ist es teilweise schwerer sich abzugrenzen. Aber auch hier versuche ich mich in der Schule mit ihnen zu unterhalten, sie aufzumuntern aber mehr auch eher selten. Arbeit abnehmen z.B. nur in Ausnahmefällen. Hatte letztes Jahr z.B. eine Kollegin die immer am Jammern war, wegen allem und jedem. Sie hat es dann langsam aber sicher geschafft, dass sie mich mit ihrem Gejammere auch runtergezogen hat. Da half dann am Ende nur sich in den Pausen einen anderen Platz zu suchen.

    Gerade in Elternzeit, deshalb fast nur stille Mitleserin :essen:

  • Ich bin jetzt niemand, der gut verdrängen kann. Was mich weiterbringt, ist, mich mit Problemen so weit auseinanderzusetzen, bis ich eine Lösung gefunden habe, die mir weiterhilft.


    Meine Distanzbringer:
    Im Umgang mit Erwachsenen - Eltern, Kollegen z.B. - hilft mir der Gedanke, dass jeder seine eigene subjektive Sichtweise hat, die aus seiner persönlichen Geschichte gespeist wird. Dass jemand genauso tickt wie ich ist eher unwahrscheinlich. Wenn die Diskrepanz der Sichtweisen so groß ist, hilft nur das Herstellen einer gesunden Distanz.
    Bei Schülern lernt man mit der Zeit und den Jahren deren Verhaltensweisen zu analysieren, sich zu überlegen, warum sie so reagieren. Das schafft bei mir Distanz. Außerdem habe ich mich von dem Bedürfnis, allen helfen zu wollen, zu verabschiedet. Ich kann pädagogische Impulse setzen, so wie ich es in vielen Fortbildungen gelernt habe. Da gibt es Konzepte, die es lohnt, auszuprobieren.
    Apropos Fortbildungen: Ich nutze viele Angebote, die in Richtung Supervision gehen. Das hat mir im Laufe der Jahre immer mehr Distanz gebracht. An viele Dinge, die mich in früheren Jahren belastet haben, verschwende ich kaum einen Gedanken mehr.
    Allerdings passieren immer wieder neue Herausforderungen, die einem auf dem linken Fuß erwischen, mit denen ich mich dann gezwungenermaßen auseinandersetze. Tröstende Worte von Kolleginnen lindern, bringen aber keine Lösung. Deswegen halte ich es für mich wichtig, professionelle Impulse zu erhalten.
    Und letztendlich halte ich es für wichtig, immer wieder Situationen zu schaffen, wo man gar nichts mit dem Beruf zu tun hat. Der Kopf muss einmal ganz abschalten. Das resetet mich ganz gut.

  • Mit mehr Erfahrung siehst du recht schnell, bei welchen Schülern es sich lohnen wird, sich zu engagieren und bei welchen nicht. Klar, kann man mal daneben liegen... Aber generell habe ich mittlerweile ein gutes Auge dafür.


    Meine Klassen dezimieren sich regelmäßig von 31 auf 20-25 Schüler. (Mathe 13er aktuell 21 und Englisch 13er 23) Das sind dann aber die Schüler, die auch wirklich an einem Abschluss interessiert sind und nicht nur da sind wegen Kindergeld oder Bafög. Und für diese Schüler setze ich mich dann auch sehr gerne ein.


    Bei den Kollegen habe ich einfach die Devise: You gotta pick your battles. Bei den Kollegen die mit mir menschlich und beruflich auf einer Wellenlänge liegen, bin ich sehr kooperativ und mache gerne auch was extra. Bei Leuten die mir blöd kommen, etc. mach ich das, was ich machen muss, mehr nicht. Da lohnt es sich einfach nicht, sich daran aufzureiben.

  • Ich sehe meinen Job gelassen. Der Lehrerberuf ist ein Job, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin Profi und arbeite für Geld; das heißt, dass es professionelle Leistung gibt, aber auch nicht mehr. Abgesehen davon sollte man sich nicht mit utopischen Vorstellungen überladen. So wichtig, wie wir Lehrer und die pädagogisch-didaktische Wissenschaft immer tun, sind wir ganz und gar nicht.

  • Ich schließe mich meinen Vorrednern an; meine Telefonnummern, und zwar Festnetz- und vor allem Handynummer, gebe ich an Schüler und deren Eltern nicht raus. Erreichbar bin ich über eine Emailadressse, die ich jeden Tag abrufe, und mich dann zu gängigen Zeiten melde - also nicht sonntags oder nach 20 Uhr. Ich habe an drei Nachmittagen Unterricht, falls jemand Gesprächsbedarf hat, kommt es zu einem Gespräch in der Schule zzgl. natürlich Elternabende oder -sprechtage.
    In meinen ersten Jahren hatte ich auch ein paar Fälle, die mich auch nach der Schule sehr beschäftigt haben. Allein die Einsicht darüber hat aber gereicht, dass ich mich mittlerweile selbst stoppe, wenn ich privat an Dienstliches denke. Ich sehe es gar nicht mehr ein, dass meine Familie und Freunde negativ von meinem Lehrerdasein beeinflusst werden könnten. Das Leben ist viel zu schön und kostbar. Unser Job ist auch nur ein Job, Punkt.
    Mein Kollegium ist insgesamt echt toll und daher eine Abgrenzung für mich nur selten nötig bzw. meistens empfinde ich Gespräche mit den Kollegen eher als heilsam. Bei ständigen Nörglern halte ich es wie mein Vorredner, nett grüßen und aus dem Weg gehen. Bittet mich jemand um Hilfe, versuche ich Tipps zu geben. Kommen diese nicht an oder artet das aus, vermeide ich den Kontakt ebenso.

  • Danke für eure Beiträge! --- Ich hake jetzt einfach hier und da noch mal nach.

    Ich fange mal an. Also, ich lasse mich nicht mehr zu Hause anrfufen. Die Eltern haben meine e-mail Adresse und bei Bedarf treffe ich sie nach dem Unterricht zum Elterngespräch.

    So handhabe ich das auch - schon immer. Gefühlt werden diese "Einzelgespräche" oder E-Mails leider immer häufiger und intensiver. (Lehrer = Gesellschaftskitt???)


    Geht es bei dir jetzt um eine Schutzhaut gegenüber anderen Kollegen oder Schülern/Eltern?



    bzgl. Kollegen ist es teilweise schwerer sich abzugrenzen. Aber auch hier versuche ich mich in der Schule mit ihnen zu unterhalten, sie aufzumuntern aber mehr auch eher selten. Arbeit abnehmen z.B. nur in Ausnahmefällen. Hatte letztes Jahr z.B. eine Kollegin die immer am Jammern war, wegen allem und jedem. Sie hat es dann langsam aber sicher geschafft, dass sie mich mit ihrem Gejammere auch runtergezogen hat. Da half dann am Ende nur sich in den Pausen einen anderen Platz zu suchen.

    Es geht mir um beide Bereiche. Die Eltern hatte ich jetzt noch gar nicht so im Auge, - die ggf. auch. Aber z.B. ggü. Schülern. Ein Beispiel: Ich darf mich jetzt immer häufiger mit "Reichsbürger"kindern auseinandersetzen. Irgendwo seh ich da schon auch meine gesellschaftfiche Pflicht, die Kiddies wieder auf den rechten Pfad zu führen (Geschichtslehrer) ... aber da kommt man aus dem Psychologisieren nicht mehr raus. Oder auch schön: Konflikte zwischen Reichsbürgerkiddies und Schüler anderer Herkunftsnationalität ... da kommt man aus dem Schlichten nicht mehr raus ...


    Bei bestimmten Kollegen - denke ich - werde ich es ab sofort auch so handhaben, dass ich mir das Gejammer einfach nicht mehr anhöre. Denn: es führt zu nix. Leider.

    Den Ansatz finde ich gut, war lange auch meiner. Nur: Ich nehme viele Probleme wahr, setze mich sehr intensiv damit auseinander ... oder: Ich sehe sehr viel. --- Gelinde gesagt frage ich mich gerade, was ich auch einfach mal ignorieren darf.
    Distanz hört sich gut an. Wie machst du das?
    Supervision? Wo/Was genau? Gerne auch als PN.
    Mit professionellen Impulsen meinst Du die Kollegen? --- Die schätze ich übrigens größtenteils auch sehr für Ihre Kooperation. Andererseits ist es auch ein zweischneidiges Schwert. Weil irgendein Schüler hat immer irgendwas - sodass z.B. in den Pausen kaum mehr Zeit für ein paar ruhige Minuten ist, weil man sich immer gegenseitig berät.
    Letzter Punkt ist sehr wichtig.

    Mit mehr Erfahrung siehst du recht schnell, bei welchen Schülern es sich lohnen wird, sich zu engagieren und bei welchen nicht. Klar, kann man mal daneben liegen... Aber generell habe ich mittlerweile ein gutes Auge dafür.


    Meine Klassen dezimieren sich regelmäßig von 31 auf 20-25 Schüler. (Mathe 13er aktuell 21 und Englisch 13er 23) Das sind dann aber die Schüler, die auch wirklich an einem Abschluss interessiert sind und nicht nur da sind wegen Kindergeld oder Bafög. Und für diese Schüler setze ich mich dann auch sehr gerne ein.


    Bei den Kollegen habe ich einfach die Devise: You gotta pick your battles. Bei den Kollegen die mit mir menschlich und beruflich auf einer Wellenlänge liegen, bin ich sehr kooperativ und mache gerne auch was extra. Bei Leuten die mir blöd kommen, etc. mach ich das, was ich machen muss, mehr nicht. Da lohnt es sich einfach nicht, sich daran aufzureiben.

    Guter Punkt: Gucken, wo sich Engagment "lohnt" (sowohl bei Schülern als auch bei Kollegen). Wann "lohnt" es sich denn Deiner Meinung nach?

    Ich sehe meinen Job gelassen. Der Lehrerberuf ist ein Job, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin Profi und arbeite für Geld; das heißt, dass es professionelle Leistung gibt, aber auch nicht mehr. Abgesehen davon sollte man sich nicht mit utopischen Vorstellungen überladen. So wichtig, wie wir Lehrer und die pädagogisch-didaktische Wissenschaft immer tun, sind wir ganz und gar nicht.

    Auch ein guter, vernünftig-bodenständiger Punkt. --- Ich bin da wahrscheinlich zu idealistisch veranlagt. Idealismus ist aber nicht unbedingt "professionell".
    Danke für die Einsicht.

  • In meinen ersten Jahren hatte ich auch ein paar Fälle, die mich auch nach der Schule sehr beschäftigt haben. Allein die Einsicht darüber hat aber gereicht, dass ich mich mittlerweile selbst stoppe, wenn ich privat an Dienstliches denke. Ich sehe es gar nicht mehr ein, dass meine Familie und Freunde negativ von meinem Lehrerdasein beeinflusst werden könnten. Das Leben ist viel zu schön und kostbar. Unser Job ist auch nur ein Job, Punkt.

    Wie stoppst Du Dich selber?

  • Supervision? Wo/Was genau?

    Das Thema Lehrergesundheit ist bei uns schon seit einigen Jahren ein Thema. In Fortbildungen von Berufsverbänden gibt es Angebote (immer wieder gibt es bei Lehrertagen Angebote in der Richtung) und auch ganz offizielle von den Behörden. Wenn ich bei FIBS (Fortbildung in bayerischen Schulen) "Supervision" eingebe, erhalte ich bayernweit aktuell 148 Treffer.
    https://fibs.alp.dillingen.de/
    (direkt mit Ergebnis kann ich das leider nicht eingeben, muss man selbst machen)


    Mit den professionellen Impulsen meine ich eher die Fortbildungen und meine Teilnahme an einer Supervisionsgruppe, die von einem in der Richtung ausgebildeten Schulpsychologen geleitet wird.

  • @Kaiserhof


    Zum Thema „Lohnen“:


    Ich sage meinen neuen Klassen von Anfang an, dass die Schüler, die gewillt und motiviert sind, Leistung zu bringen, von mir jegliche Unterstützung erhalten werden, die ich in der Lage bin zu leisten! Bei Schüler, die es nicht ernst meinen, hier sind um zu „chillen“, sich die Haare zu kämmen und am Handy zu spielen, habe ich absolut kein Problem, wenn sie vom Zug fallen und auf der Strecke bleiben. Dann sortiert es sich meist von selbst...


    Bei Kollegen ist das etwas schwieriger, da man mit ihnen ja meist länger zusammen arbeitet bzw. arbeiten muss. Da gehe ich grundsätzlich mit jedem freundlich und respektvoll um, ganz egal, was ich persönlich von der Person halte. Ich wüsste jetzt keinen Kollegen mit dem ich nicht (notfalls) zusammenarbeiten könnte.


    Allerdings suche ich mir da, je nachdem was ansteht, entsprechend Kollegen aus, von denen ich weiß, dass es sowohl auf privater als auch auf beruflicher Schiene klappt. Wenn man entsprechend bei der SL auftritt, bekommt man das auch hin. Es stehen zum Beispiel nach Fastnacht mündliche Abiturprüfungen an. Da weiß die SL jetzt schon, wen ich gerne als Beisitzer hätte.


    Mit Kollegen von denen ich nichts bis wenig halte, wird halt nur das Nötigste gesprochen. Generell bin ich aber immer offen, meine Meinung zu revidieren. War aber bisher nicht einmal der Fall, dass ich mich vertan hatte...

  • Danke für eure Beiträge! --- Ich hake jetzt einfach hier und da noch mal nach. Ein Beispiel: Ich darf mich jetzt immer häufiger mit "Reichsbürger"kindern auseinandersetzen. Irgendwo seh ich da schon auch meine gesellschaftfiche Pflicht, die Kiddies wieder auf den rechten Pfad zu führen (Geschichtslehrer) ... aber da kommt man aus dem Psychologisieren nicht mehr raus. Oder auch schön: Konflikte zwischen Reichsbürgerkiddies und Schüler anderer Herkunftsnationalität ... da kommt man aus dem Schlichten nicht mehr raus ...


    ...
    Andererseits ist es auch ein zweischneidiges Schwert. Weil irgendein Schüler hat immer irgendwas - sodass z.B. in den Pausen kaum mehr Zeit für ein paar ruhige Minuten ist, weil man sich immer gegenseitig berät.


    Letzter Punkt ist sehr wichtig.

    Du wirst es kaum schaffen, diese Kinder wieder auf "den rechten Pfad" zu führen. Das musst du dir als erstes klarmachen. Wir können gegen das Elternhaus nur sehr, sehr wenig ausrichten, zumal an der weiterführenden Schule, da haben sie bereits mehrere Jahre Sozialisation hinter sich, wie willst du das als Einzelperson gegen ankommen?
    Das heißt jetzt nicht, dass du da nicht klar agieren solltest als Fachlehrer und als Verteidiger der Demokratie, aber mache dir klar, wie eingeschränkt deine Einflussmöglichkeiten hier tatsächlich sind.
    Wenn das ganze während des Unterrichts und das auch noch regelmäßig passiert: Mache dir bewusst, dass in diesem Kurs nicht nur die ein, zwei Reichsbürgerkinder sitzen, die dir ggf. deinen ganzen Unterricht zerschießen, sondern auch noch jede Menge andere Schüler, die ein Anrecht auf deine Aufmerksamkeit und vor allem ein Anrecht auf einen zielführenden Unterricht haben (so eine Diskussion mag mal hilfreich und spannend sein, aber es bringt den anderen Schülern nur etwas, wenn sie auch Faktenwissen an die Hand bekommen und nicht einfach nur einer Diskussion anderer lauschen - und auch nicht dutzende Male die gleiche Diskutiererei - es ist möglich, dass das beschriebene Szenario auf dich nicht zutrifft, aber wenn, könnte man da mal ansetzen).


    Ich hatte in meiner ersten Klassenleitung vor allem einen Schüler, der unendlich auffällig war, riesige Probleme im Elternhaus hatte und diese halt in Wut umschlug, Wut und Aggression gegen alles und jeden. Das hat sehr viel meiner Aufmerksamkeit gefressen. Mir ist im Verlauf der Klassenleitung aber auch bewusst geworden, dass da noch 24 andere Kinder drin saßen. Teilweise ebenfalls Kinder, bei denen zu Hause ebenfalls viel passierte, die das aber nicht so nach außen abreagierten, aber auch "normale" Kinder, die alle viel weniger meiner Aufmerksamkeit bekamen, was schlicht nicht fair war. Dieses Bewusstsein hat mir geholfen, die Balance zu finden. Man kann nie allen gerecht werden. Und manche Kinder brauchen auch mehr deiner Aufmerksamkeit. Aber das sind nicht (nur) die, die am lautesten danach schreien.


    Und dazu kommt: Ich bin kein Psychologe. Ich habe ein fachwissenschaftliches Studium mit etwas Erziehungswissenschaften studiert und weiß genug, um zu wissen, dass ich mit Alltagspsychologie und meinen persönlichen Erfahrungen im schlimmsten Fall eher etwas kaputt machen als wirklich helfen zu können.
    Man findet zwar gerade überall diese ganzen "life coaches", die meinen, alles und jeden coachen und beraten zu können - aber das ganze ist nicht umsonst ein mehrjähriges, komplexes Studium - eben weil man u.a. auch Strategien lernen muss, wie man seine Distanz bewahrt und auch andere Perspektiven einnimmt usw. usf.
    Ich habe es schon erlebt, dass dieses Lehrer-Helfersyndrom ganz böse nach hinten losging bei einer Schülerin mit großen psychischen Problemen, das ging hin zum Stalking...



    Und du hast das Recht, dir Auszeiten zu nehmen. Zu sagen (ob zu Kollege oder Schüler): Du, ich brauche jetzt gerade eine Pause oder ich Mus x,y,z erledigen, können wir da nachher, morgen, ... drüber sprechen. Wenn die Person nicht gerade heulend vor dir steht (und das wird doch i.d.R. eher selten vorkommen), kann man jeden vertrösten, weil es i.d.R. nicht genau in dieser Sekunde geklärt werden muss.
    (Ich hatte letztens einen Kollegen, der aufgelöst war, weil Schüler mit einer Note nicht einverstanden waren und einen riesigen Terz aufgeführt haben inkl. Kreischen, Heulen... und die jetzt sofort auch mit mir sprechen wollten, denn ich zwar Zweitgutachterin. Nope. Erstens nicht in der Sekunde, in der es den Schülern passt, ich hatte gerade andere Dinge zu tun, und zweitens schon gar nicht in so einer Tonlage/ Stimmung - da war der Kollege auch etwas baff, dass ich nicht sofort "sprang", obwohl die Damen doch so aufgelöst waren. Die Schüler haben ein Anrecht auf Transparenz und Erläuterung. Sie haben kein Anrecht darauf, dass exakt in der Sekunde zu erhalten, in der sie danach fragen. Ich habe es aber auch selten erlebt, dass Schüler/ Eltern/ Kollegen kein Verständnis dafür hatten, wenn ich halt sage, dass ich gerade im Moment dafür keine Zeit habe/ darüber nachdenken muss/ die Unterlagen nicht vorliegen habe...).

    "Et steht übrijens alles im Buch, wat ich saje. ... Nur nit so schön." - Feuerzangenbowle

  • Wie schafft ihr es, euch (emotional) zu distanzieren? Welche Art von Schutzhaut legt ihr an? Wo zieht ihr Grenzen?

    Meine Distanz schaffe ich mir allein schon durch den weiten Arbeitsweg (über 100km einfache Strecke). Da bin ich mir ziemlich sicher, daß mir von den Schülern niemand im Privatleben über den Weg läuft. Ich stelle es mir nämlich ansonsten sehr schwer vor im Sportverein etc. den Leuten mein Leben anzuvertrauen und ihm gleichzeitig im Unterricht eine 5 reindrücken zu müssen.

  • plattyplus: Mein Schulweg ist nicht so weit wie deiner, aber ich lege auch Wert darauf, nicht im Schulort zu wohnen. Vor allem, wenn man selbst Kinder hat, die mit den anderen Schülern befreundet sind, kann man sich da schwer rausziehen sonst.

  • ich mache mir immer wieder sehr schnell klar, dass ich Lehrer bin und kein Psycho-, Familien-, Erziehungs- oder Verhaltenstherapeut.
    Ich arbeite nicht in der Notfallseelsorge und ich habe meinen Schulabschluss gemacht.
    heißt:
    ich bin gerne bereit zu helfen, indem ich Probleme aufgreife, wenn sie erscheinen, und indem ich auf die entsprechenden Profis verweise.


    Ich helfe natürlich gerne bei Konfliktmanagement und selbstverständlich bei fachlichen Fragen,
    aber:


    ich bin -s.o.-- kein Heilsbringer für alle und jeden.


    Meine private Telefonnummer herauszugeben, würde mir im Traum nicht einfallen,
    und dienstliche Mails beantworte ich, wann ICH es für passend erachte. Meist ist das recht zeitnah, aber ich lese am WE z.B. keine dienstlichen Mails.


    Gegen Schüler muss ich mich dank meiner Haltung gar nicht groß abgrenzen, gegen Eltern auch nicht, aber meine SL macht mich da mitunter verrückt!!
    Daran arbeite ich noch. :gruebel:


    Ansonsten sind wir doch selbst schuld, wenn wir meinen, für alles und jeden zuständig zu sein :lach:

  • Bei den Kollegen habe ich einfach die Devise: You gotta pick your battles. Bei den Kollegen die mit mir menschlich und beruflich auf einer Wellenlänge liegen, bin ich sehr kooperativ und mache gerne auch was extra. Bei Leuten die mir blöd kommen, etc. mach ich das, was ich machen muss, mehr nicht. Da lohnt es sich einfach nicht, sich daran aufzureiben.

    Das mache ich auch so, stelle aber gerade fest, dass es Kollegen gibt, bei denen man heftig schlucken muss. Da frage ich mich schon, ob ich was sagen soll oder lieber den Mund halte. Von der SL kam neulich die direkte Anweisung an mich zu Letzterem. Traut sich nämlich selbst nicht.
    Wie geht man damit um?

  • Das mache ich auch so, stelle aber gerade fest, dass es Kollegen gibt, bei denen man heftig schlucken muss. Da frage ich mich schon, ob ich was sagen soll oder lieber den Mund halte. Von der SL kam neulich die direkte Anweisung an mich zu Letzterem. Traut sich nämlich selbst nicht.Wie geht man damit um?

    Wenn es mich nicht direkt betrifft, sage ich in der Regel nichts. Wenn es mich betrifft und sich negativ auswirkt, sage ich sehr wohl was und da lass ich mir auch von der SL nicht den Mund verbieten,

  • Ich habe da eine ganz einfache Maxime... wenn jemand auf der Suche nach Hilfe zu mir kommt, gibt es da vor allem eins: Hilfe zur Selbsthilfe. Das gilt für Kollegen wie auch für Schüler oder deren Eltern, wobei Schüler in meiner Funktion als Vertrauenslehrerin schon öfter mal "anzanzen" - aber meist lässt sich da auch etwas finden, wie sie sich selbst aus den Problemen, die sie haben, herausmanövrieren können, es fehlt oft nur an Ideen und etwas Antrieb.


    Wichtig ist - ich mache nichts, was die selbst können. Wenn sie nicht wissen, was sie tun können, gebe ich ihnen Hinweise oder zeige es ihnen auch einmal, vielleicht auch zweimal, aber dann ist Eigenregie. Ich mache Hilfesuchenden vor allem klar, nicht immer für sie da sein zu können. Damit sie sich eben nicht darauf verlassen. Viele brauchen "nur" einen entsprechenden Schubs, um selber wieder auf die Spur zu finden. Ist der Wagen tiefer im Dreck, ist sowieso idR professionelle Hilfe angesagt. Für entsprechende Fälle habe ich da einen ganz guten Draht zu einer "Tante vom JA" - die ich bei so einer Gelegenheit mal kennengelernt habe, und die gute Kooperation in diesem Fall hat mir ihre Durchwahl beschert. Wenn also mal wirklich was am Dampfen ist... die weiß, ich rufe nicht für Kokolores an, also wird dann auch reagiert (ich weiß leider von vielen anderen Fällen, wo "das Amt" eher schleppend in den Quark kommt...).


    Insofern... komplett "abschotten" kann man sich nicht, ist mMn auch nicht gerade gesund, aber man kann auuch wieder Kraft daraus schöpfen, wenn es wieder "läuft". Klar freue ich mich auch über positive Resonanz. Wenn ich zB erfahre, es läuft wieder besser bei SchülerIn xy, weil... - das freut zu hören.

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Hier schreiben viele, dass sie ihre Telefonnummer nicht rausgeben und das macht mich gerade ziemlich stutzig. In meiner Beratung habe ich auch immer mit den Regelschulkollegen zu tun und fast keiner gibt die Telefonnummer an - nicht mal mir, einem Kollegen! Das macht alles sooo kompliziert zum Teil. Da gehen die E-Mails hin und her, um irgendwelche Pillepalle zu klären:
    "Kann ich am 01.01. zu einer Hospitation und Beratung kommen?" - "Ja." - "Wann ist es am besten an dem Tag?" - / - "Erinnerung: bitte geben Sie mir eine Rückmeldung." - "Entschuldigung. Die Klasse hat ... . Was davon wollen Sie sehen?" - "Das ist am besten. " - "Da kann ich aber nicht dies und jenes." ... :autsch:
    Da vergehen zum Teil Tage für etwas, was ich in 3 Minuten am Telefon hätte verabreden können.


    Ich habe einfach zwei Telefonnummern (eine privat, eine beruflich), was heutzutage jeder megaeinfach einrichten kann. Ich sehe an den Apparaten, auf welcher Leitung ich angerufen werde. Man kann die Nummer zeitlich schalten lassen. Es hält sich mit den Anrufen sehr in Grenzen.
    Da wundert es mich nicht, wenn manche Eltern dann in der Schule auf der Matte stehen, denn dieser schriftliche Kanal macht manches doch recht kompliziert.

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