Lesen durch Schreiben - Top oder Flop?

  • Erst letzten Montag gab es bei ‚Planetopia’ einen Bericht zu ‚Lesen durch Schreiben’. Darin gab es auch die Einschätzung einer Freiburger Professorin für sprachlichen Anfangsunterricht, Christa Röber, zu diesem Konzept. Schau Dir das Video an: mit Einblicken in den Unterricht, mit den Befunden einer Mutter.


    http://www.planetopia.de/magazin.html .


    Sehr interessant!


    Eine Bekannte meinte, dass Martenstein sich in seinem Text wohl auf einen Artikel zu ‚Lesen durch Schreiben’/Statement einer Rektorin in 'Welt am Sonntag' vom 9. Oktober 2011 bezog. Kriegt man auch irgendwo im Internet.

  • Auch interessant:
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    http://www.br.de/fernsehen/br-…ist-und-gehirn/index.html
    Manfred Spitzer erklärt das Gehirn.


    Er benutzt das Beispiel von den "Spuren im Schnee" - je öfter eine Spur gegangen wird, desto mehr verfestigt sie sich.


    http://www.br.de/fernsehen/br-…r-gehirnforschung224.html
    Welche Auswirkung haben Stimmungen auf das Lernen?

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

    • Offizieller Beitrag

    Flop, würde ich sagen.


    Lesen durch Schreiben ist IMHO dafür verantwortlich, dass Kürzlich gefragt wurde, was die Grundschulen im Sprachunterricht machen.


    Während meiner Sek1-Zeit konnte ich anhand der RS eine klare Grenze durch die Klasse ziehen. Nachfragen bei den Eltern nach der in der Grundschule verwendeten Methode erklärten dann diese Grenze.


    Wobei die Methode dann funktionieren kann, wenn man es mit dem Nicht-Korrigieren nicht so eng sieht.


    kleiner gruener Frosch

  • @ kleiner gruener frosch:


    Wir haben in der Schule und im Austausch mit den weiterführenden Schulen die gleichen Erfahrungen gemacht.


    Konntest du irgendwelche Vorteile der Methode erkennen?



    Bibo

  • Hier ein Link zu einer Zusammenfassung einer Vergleichsstudie von 2006.


    Zwei Zitate aus den Befunden:


    Zitat

    Beide Studien zeigen, dass bei vergleichbaren, guten Ausgangsbedingungen mit den untersuchten Rechtschreib-Lese-Didaktiken insgesamt vergleichbare Lernerfolge er-zielt werden. Das systematische Vermitteln von Regelwissen durch den Lehrer nach einem Fibelansatz führt zu ähnlichen Ergebnissen wie das selbstständige Erarbeiten der Rechtschreib- und Lesekompetenz nach dem Spracherfahrungsansatz in einem vom Lehrer vorbereiteten Rahmen. Allerdings bot der entwicklungsorientierte Unterricht mehr Raum für Verschlechterungen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass in unseren Studien die kognitiven Leistungen und die Konzentrationsfähigkeit der Kinder im mittleren bis oberen Durchschnittsbereich lagen und sie aus Elternhäusern kamen, die als bildungsnah einzustufen sind. Die Schüler lernten insgesamt also unter günstigen Voraussetzungen.


    Zitat

    Eine weitere Untersuchung bei Kindern mit unterdurchschnittlichen kognitiven Voraussetzungen zeigte, dass diese deutlich geringere Lernfortschritte bei einem offenen Unterricht als bei einer lehrgangsgestützten Einführung in die Schriftsprache machten (Poerschke 1999). Diese Ergebnisse entsprechen denen, die in verschiedenen Studien in den USA gefunden wurden (Walter 2002). Die Schlussfolgerung aus diesen Befunden ist eindeutig: Bei Risikokindern sind Analyse-Synthese-Übungen zum phonologischen Wissen unter Einbeziehung von Buchstaben die effizienteste Methode, um ihre Lese-Rechtschreib-Kenntisse gezielt zu fördern.


    Der Tenor des Artikels ist: "Keine Vor- oder Nachteile des "Lesen-Durch-Schreiben" bei Lernern in einer privilegierten Bildungssituation. Spürbare Nachteile für Lerner in einer problematischen Bildungssituation."


    Das spricht m.E. nicht unbedingt für diese Methode.


    Nele

  • Und trotzdem sind die Kultusministerien - zumindest unseres - ganz scharf auf möglichst viele Lesen-durch-Schreiben-Klassen. Es gibt FoBis, die angepriesen werden über die Schulämter wie sauer Bier. Denn es gibt zweifellos Vorteile: Da arbeiten alle Kinder lange selbstständig, und die Klassenlehrerin kann locker im Bedarfsfall noch eine zweite Klasse mitbetreuen. Oder die Schulleitungen können die ersten Klassen wieder größer machen. Das rechnet sich dann schon...


    venti 8)

    • Offizieller Beitrag

    Ich bin ja eine Vetreterin des reflektierten Einsatzes dieser Methode. Meine Klassen, die ich nach dieser Methode (zugegeben nicht in Reinform) unterrichtet habe, konnten deutlich früher eigenständig lesen als andere Klassen!


    M.E. werden hier zwei Denkfehler gemacht:


    1. Es wird bei Untersuchungen über den Erfog dieser Methode nach der Rechtschreibleistung der Kinder geguckt. Das hat aber nichts miteinander zu tun! Für mich ist diese Methode eine Möglichkeit, lesen zu lernen und eine positive Einstellung zur Schrifsprache zu bekommen.
    2. Gehen viele Lehrer (durch Gehirnwäsche im Studium und danach) davon aus, dass sie nichts mehr korrigieren dürfen oder ein zusätzlicher Rechtschreibunterricht überflüssig ist.


    Meine persönlichen Erfahrungen an ganz unterschiedlichen Schulen sind jedenfalls, dass jede Methode mit einer kritischen Aufbereitung durch die jeweilige Lehrperson steht oder fällt.
    Und Klassen, die reinen Fibelunterricht erhielten, sind meiner Beobachtung nach in ihrer Leseleistung und ihrer Schreibmotivation hinter den Klassen zurück, die zumindest ansatzweise freies Schreiben und Lesen durch Schreiben praktiziert haben!
    Vielleicht relativiert sich das irgendwann, aber deswegen eine rbestimmten Methode die Schuld zu geben, halte ich für weit hergeholt. Letztlich könnte man solche Ergebnisse sicher auch für die "klassische" Leselernmethode finden, wenn man denn seinen Finger gezielt auf die richtigen Stellen legt.

  • "Lesen durch Schreiben" wird heute in Reinform ja eigentlich nirgendwo mehr verwendet. Eine Anlauttabelle findet sich hingegen in so gut wie jedem Erstlese-Werk, unabhängig von der sonstigen Konzeption. Weiterentwicklungen des L.d.S. wie der Spracherfahrungsansatz sind meines Erachtens durchaus sinnvoll, gerade für Kinder mit Sprach- oder Lernschwierigkeiten, weil sie sehr individualisiertes Arbeiten ermöglichen und Schriftspracherwerb konsequent mit dem Spracherwerb verbinden (vgl. den anglo-amerikanischen Whole-Language-Approach).


    Die Frage ist ja auch immer: Welches didaktisch-methodische Konzept ist denn nach Erachten der vehementen Kritiker (seitens der Eltern oder - erschreckenderweise - auch in diesem Forum) konkret sinnvoller?


  • "Lesen durch Schreiben" wird heute in Reinform ja eigentlich nirgendwo mehr verwendet.


    Doch, wir haben im ersten Schuljahr mit LARA gearbeitet. Und da haste nix...kein Buchstabenlehrgang (nur sogenannte "Elternberuhiger" - ABs, auf denen die Kinder dann 5 x ohne Lineatur das "b" schreiben). Ich war an Ostern mit LARA durch, hab parallel brav Buchstaben eingeführt und - zum Entsetzen meiner Kollegin - in Lineatur schreiben geübt. Für meine (zugegeben starke) 1 war das einfach viel zu wenig! Lesen gelernt haben sie zwar gut, aber das hätten sie auch mit einer Mischform hinbekommen. In der 2 sind wir jetzt auf den Tinto-Zug aufgesprungen und das Niveau ist echt um einiges höher. Mein Fazit nach einem jahr LARA: Viele gute Ideen (das logische Denken wird im Material ungemein gefördert), aber mir zu wischi-waschi. Nicht nochmal!





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    Edit: Sorry fürs Bearbeiten. habe nur das Zitat lesbar gemacht. kleiner gruener Frosch , Moderator.

  • Ich persönlich bin ein großer Fan des Spracherfahrungsansatzes und des freien Schreibens bzw. Lesen lernen durch Schreiben. Vieles wurde hier schon angesprochen: Viele korrigieren gar nichts mehr! Das Kind hört am Anfang des Wortes den falschen Laut? Kein Problem, dann ist das halt so, das Kind ist noch nicht so weit. Das ist natürlich Blödsinn! Das phonetische Bewusstsein der Kinder wird deutlich und dadurch wird dem Lehrer bewusst, was gefördert werden muss. Rechtschreibregeln müssen natürlich auch eingeführt werden. Wenn erst in der 3. Klasse begonnen wird simple Sachen, wie z.B. Namen etc., groß zu schreiben, sträuben sich mir die Haare. Einfach Dinge wie: Im Wort ist höchstens der erste Buchstabe groß geschrieben, müssen früh angesprochen werden.


    Ich arbeite momentan in einem 3. Schuljahr mit der Lessmann Kartei und bekomme von ca. 3-4 Schülern (keine LRS´ler) Diktate zurück, in denen große Buchstaben mitten im Wort auftauchen. Da fällt mir alles aus dem Gesicht! Im ersten Schuljahr kläre ich zumindest diese Sache und gehe auf die Endung -er ein. Schreiben wie man es hört, bedeutet ja nicht, zu schreiben wie man will und alles damit abzutun: Das Kind hört es halt nicht! Sobald ich bemerke, die Kinder wollen unbedingt lernen, wie es richtig geschrieben wird und kämpfen sich nicht mehr damit ab, überhaupt ein Wort irgendwie zu schreiben, werden grundlegende Rechtschreibregeln vermittelt oder Tipps bei Lernwörtern gegeben.

  • Zitat Melosine: „Und Klassen, die reinen Fibelunterricht erhielten, sind meiner Beobachtung nach in ihrer Leseleistung und ihrer Schreibmotivation hinter den Klassen zurück, die zumindest ansatzweise freies Schreiben und Lesen durch Schreiben praktiziert haben!“


    Du teilst uns leider nicht mit, ob du über noch umfassendere und längere Erfahrungen aus wissenschaftlichem Umgang mit neueren/traditionellen Unterrichtsmethoden verfügst als jene Frau Prof. Röber, die sich in dem Planetopia-Film zu „Lesen durch Schreiben“ äußerte.


    Im Internet wird derzeit die sog. Hattie-Studie vorgestellt, die in 800 „Metaanalysen“ auf 50.000 Studien zurückgriff.


    http://www.treasury.govt.nz/pu…ures/pdfs/tgls-hattie.pdf


    Gemessen wurden u. a. auch die Wirksamkeiten von whole language* (Spracherfahrungsansatz/fast deckungsgleich mit Lesen durch Schreiben), von phonics instruction (entspricht mit Abstrichen der traditionellen Lese- und Schreibdidaktik im Anfangsunterricht bei uns), des selbstbestimmten Lernens, des offenen Unterrichts sowie des lehrergesteuerten Unterrichts (direct instruction). "Wirksamkeit" bedeutet bei Hattie die messbaren Leistungen bei Schülerinnen und Schülern. Hattie hat 138 Einflussfaktoren untersucht, Rang 1 hat die Effektstärke von d = 1,44, Rang 138 eine Effektstärke von nur d = - 0,34.


    Hatties Erkenntnisse: Spracherfahrungsansatz: Rang 129/Effektstärke d = 0,06; phonics instruction: Rang 27/Effektstärke d = 0,58; selbstbestimmtes Lernen: Rang 132/Effektstärke d = 0,04; offener Unterricht: Rang 133/Effektstärke d = 0,01; direct instruction: Rang 25/Effektstärke d = 0,59.



    Die Ergebnisse aus der Hattie-Studie werden sich m. E. auch auf den Unterricht an deutschen Schulen auswirken.

  • Ich bin Klassenlehrerin einer inzwischen 6. Klasse an einer Gesamtschule, in deren Einzugsgebiet sehr gerne nach "Lesen durch Schreiben" unterrichtet wird - und das in Reinform. Das heißt, vor der 3. Klasse (frühestens) wird kein Rechtschreibfehler korrigiert. Eine Kollegin von mir hatte eine Tochter an einer der betreffenden Grundschulen und hat sich dort regelmäßig mit der Klassenlehrerin angelegt, da diese ihr wirklich verboten hat, zu Hause die Fehler zu korrigieren oder ihre Tochter zumindest auf die richtige Schreibweise hinzuweisen.
    Ein meiner Meinung nach großes Problem ist nicht nur diese Methode alleine, sondern auch in diesem Zusammenhang viel zu früh durchgeführte LRS-Diagnosetests. In meiner Klasse haben wir 30%(!) Kinder mit LRS! Meiner Meinung nach ist das nicht mehr normal. Die LRS-Tests wurden teilweise schon Mitte/Ende der 3. Klasse durchgeführt, kurz nachdem überhaupt erst begonnen wurde, die Rechtschreibung zu korrigieren. Die entsprechenden Kinder schreiben teils wirklich unleserlich, da sie genau wissen, dass die Rechtschreibung bei ihnen ohnehin nicht mehr in die Wertung eingeht. Und obendrein sind sich einige Schüler/innen auch scheinbar nicht darüber bewusst, dass es nunmal für alles eine richtige Schreibweise gibt, die IMMER gilt, weil sie das ja auch nicht von Anfang an so gelernt haben. Neulich hatte ich im Mathematikunterricht eine Diskussion über die Schreibweise eines Wortes, in der die Kinder argumentiert haben, sie seien doch gerade in Mathe und nicht im Deutschunterricht. :whistling:

    "I propose we leave math to the machines and go play outside."
    (Calvin and Hobbes, Bill Waterson)

    • Offizieller Beitrag

    Endine, wenn ich betone, dass es sich um meine Erfahrungen handelt, meine ich damit sicher nicht, dass ich eine wissenschaftliche Studie durchgeführt habe. Bei solchen Studien ist für mich immer das Problem, wer was mit welchen Mitteln testet. Oft gibt es gleichwertige Studien, die zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aber selbst wenn ich annehme, dass das Ergebnis allgemeingültig ist, kann ich doch schreiben, dass ich eben andere Erfahrungen gemacht habe.


    Insgesamt 3x habe ich eine 3. bzw. 2. Klasse übernommen, die vorher klassischen Fibel- und Rechtschreibunterricht hatte. Diese Klassen waren alle deutlich schwächer im Lesen und Schreiben als meine Klassen, die ich von Klasse 1 an unterrichtet habe! Kann Zufall sein, da ich natürlich nicht 50.000 Vergleichsklassen hatte. Allerdings waren die Einzugsgebiete und der Background der Kinder ganz unterschiedlich, da es sich um verschiedene Schulen handelte. Meine jetzige Klasse war besonders extrem. Ich habe sie zu Beginn der 2. Klasse übernommen und 4 Kinder konnten überhaupt nicht lesen! Vorher hatten sie traditionellen Unterricht.


    Ich bleibe dabei, dass es bei jedem Konzept darauf ankommt, was man daraus macht.
    Mir gefällt allerdings auch nicht, dass LdS an den Unis immer noch als heilige Kuh behandelt wird. Man sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, verschiedene Wege kennen zu lernen, um dann seinen eigenen auswählen bzw. zusammenstellen zu können.

  • Zitat Melosine: "Mir gefällt allerdings auch nicht, dass LdS an den Unis immer noch als heilige Kuh behandelt wird. Man sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, verschiedene Wege kennen zu lernen, um dann seinen eigenen auswählen bzw. zusammenstellen zu können."


    Völlig einverstanden - das müsste die neue Richtung sein! Es wird aber nicht so kommen: Keiner der einseitigig dozierenden und schreibenden Profs wird je seine aus schmalem Denken hervorgebrachten Lehrwerke zu Altpapier erklären wollen.

  • Du teilst uns leider nicht mit, ob du über noch umfassendere und längere Erfahrungen aus wissenschaftlichem Umgang mit neueren/traditionellen Unterrichtsmethoden verfügst als jene Frau Prof. Röber, die sich in dem Planetopia-Film zu „Lesen durch Schreiben“ äußerte.

    Frau Röber macht meiner Meinung nach allerdings den gleichen Fehler wie viele andere Wissenschaftler, um sich zu profilieren schüttet sie gleich das Kind mit dem Bade aus.
    Es bringt auch nichts die Methode "Lesen durch Schreiben" jetzt völlig zu verteufeln. Neleabels hat die entsprechende Vergleichstudie ja schon verlinkt, die besagt, das beide Ansätze zu guten Ergebnissen führen, sofern die Lehrkräfte wissen, was sie da tun.
    Auch und meiner Meinung nach die wichtigere Erkenntnis der Hattie Studie, es kommt auf die Lehrkraft an wie sie unterrichtet und ob sie gut ausgebildet ist.
    Ich finde den Ansatz von Melosine gut. Die Methode bietet viele gute, sinnvolle und im Sinne der Lernforschung wichtige Ansätze. Aber sie muss auch kritisch hinterfragt und angewendet werden. Vor allem sollte die Lehrkraft, die diesen Ansatz verwendet, gute Diagnosefähigkeiten mitbringen, um angemessen auf die Lernwege der Kinder zu reagieren.

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