Was haltet ihr von den Plänen NRWs Wirtschaftsunterricht zu stärken ?

  • Ganz ehrlich, keiner meiner Schüler würde mir 2-4 Stunden dabei zuschauen, wie ich eine Steuererklärung ausfülle. Ich glaube das wären die langweiligsten und nervigsten Stunden des Jahres.

    Ok, ich mache es anders. Als Termin mache ich es immer im März und dann bringe ich eine fiktive Lohnsteuerbescheingung mit und los... oder wahlweise füllen es andere Schülewr auch gleich direkt mit ihrer Lohnsteuerbescheinigung aus. Da kontrolliere ich es dann aber nicht mehr, wenn sie etwas anderes eintragen als bei der fiktiven Lösung. Denn sonst würde ich mich ja der verbotenen Steuerberatung (siehe Steuerberatungsgesetz) schuldig machen.


    Zumeist stellen die SuS erstaunt fest, daß das Formular sexistisch ist, weil "Person A = Ehemann" und "Person B = Ehefrau" bei der Zusammenveranlagung. :ohh:

  • 2-4 Schulstunden bedeutet bei einem einstündigen Fach (und nichts anderes ist Witschaft bei uns in BaWü abgesehen von der Kursstufe), dass ich 2-4 Wochen lang nichts anderes mache mit meinen SuS, als Formblätter zu beackern. Da gibt es dann einfach genügend andere, ebenso lebenspraktische Themen, mit denen meine SuS bereits mehr anfangen können. Gerade Gymnasiatsen haben ja überproportional häufig Akademikereltern zuhause, denen man zutrauen darf, dass sie Einkommensteuererklärungen ausfüllen und Filius oder Filia erklären (so hab ich das auch mit 15 gelernt nach meinem ersten sozialversicherungspflichtigen Ferienjob). Ehrlich, ich wäre sofort bereit das auch noch mit meinen SuS zu machen, aber der Bildungsplan ist auch so schon voll genug in Wirtschaft. Alles kann Schule nunmal nicht leisten. Wenn unser aktueller Bildungsplan mal in 10 angekommen ist und meine 10er mich gezielt nach Steuererklärungen fragen mach ich das aber meinetwegen mit denen nach ihren Prüfungen noch als Vorbereitung auf die Ausbildung.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ok, ich mache es anders. Als Termin mache ich es immer im März und dann bringe ich eine fiktive Lohnsteuerbescheingung mit und los... oder wahlweise füllen es andere Schülewr auch gleich direkt mit ihrer Lohnsteuerbescheinigung aus. Da kontrolliere ich es dann aber nicht mehr, wenn sie etwas anderes eintragen als bei der fiktiven Lösung. Denn sonst würde ich mich ja der verbotenen Steuerberatung (siehe Steuerberatungsgesetz) schuldig machen.
    Zumeist stellen die SuS erstaunt fest, daß das Formular sexistisch ist, weil "Person A = Ehemann" und "Person B = Ehefrau" bei der Zusammenveranlagung. :ohh:

    Wenn du mit ihnen gemeinsam eine ausfüllst und sie ihre auch mit ausfüllen können, dann könnte es noch Sinn machen.
    Aber wie gesagt in meinen 9. Klassen haben die meisten noch keine eigenen Einkünfte und würden sich nur langweilen.

    Gerade in Elternzeit, deshalb fast nur stille Mitleserin :essen:

  • Ich halte es für vollkommen überflüssig, mit den Schülern konkret das Ausfüllen einer Steuererklärung zu üben. Viel wichtiger ist es, grundlegende Kenntnisse über das Steuersystem zu vermitteln und daraus die Erkenntnis zu generieren, dass es für jeden sinnvoll ist, eine Steuererklärung abzugeben (denn eines ist völlig klar: diejenigen, die dazu nicht verpflichtet sind, sind diejenigen, die im Normalfall eine ordentliche Rückzahlung zu erwarten haben. Der Staat ist ja nicht blöd, wenn es darum geht, sich die Taschen vollzumachen!).

  • Unser Staat verlangt von den Bürgern die Steuererklärung

    Tut er das? Ich habe in Deutschland nie eine ausgefüllt. Meine Mutter als Geringverdienerin auch nicht. Hier in der Schweiz müssen tatsächlich *alle* erwerbstätigen Personen eine Steuererklärung abgeben. Ist ne Sache von 15 min, wenn man wie ich keine komplizierten Sachen einzutragen hat. Der Kanton stellt ein Programm zur Verfügung, das einen in aller Ausführlichkeit durchs komplette Formular durchleitet.


    Wer soll den zukünftigen Steuerzahlern denn sonst beibringen, wie man eine Einkommensteuererklärung erstellt?

    Wieso muss einem das "beigebracht" werden? Wichtig ist verstanden zu haben, welche Posten auf so einem Formular auftauchen, also was versteht man unter steuerbarem Einkommen, Berufskosten, etc. Dann nimmste den Stift in die Hand, liest die Weisungen, die mit dem Formular dazu kommen und füllst halt aus.



    Ich habe auch in keinem meiner anderen Fächer so viele zusätzliche Fachfragen von Schülern, die ersichtlich interessiert mit- und weiterdenken und ihr vorhandenes Wissen z.B. über Unternehmen einzuordnen suchen bzw.kritisch hinterfragen.

    Kann ich mir lebhaft vorstellen, auch wenn's mich selbst überhaupt nicht interessiert. Ich mag unsere W-Schüler. Das sind die, die am meisten "nerven" mit Fragen wie "Wofür braucht man das, wozu ist es gut?" ... "Wer bezahlt das, wie wird es organisiert?" und sie sind am dankbarsten, wenn man dann auch wirklich Antworten parat hat. Die W-Schüler sind diejenigen, die tatsächlich auch schon mal die Notenverordnung gelesen haben und wissen, was der Lehrer darf und was er nicht darf. Pech für die Kollegen, die das selber nicht wissen. ;)

  • Ist doch in jedem Fall mal eine sinnvollere Diskussion als die ewig gleiche Debatte über den Religionsunterricht.

  • OT: @maxmuster : Hast du tatsächlich dein Eingangsposting im Thread selbst geliked? Eine gesunde Selbstbestärkung ist ja etwas Schönes, ob Internet-Selbstlikes jetzt so gesund sind weiß ich allerdings nicht. Wirkt jedenfalls kurios.


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    Eine Pflichtveranlagung, also die Verpflichtung eine Steuerklärung zu erstellen und abzugeben besteht z.B. bei eingetragenem Lohnsteuerfreibetrag (der nachgewiesen werden muss), bei einem Wechsel des Arbeitgebers im Veranlagungsjahr bzw.mehreren zeitgleichen Arbetgebern, der Inanspruchnahme bestimmter Pauschbeträge in Kombination mit Trennung/Scheidung, Inanspruchnahme bestimmter Steuerklassen bzw.deren Wegfall beispielsweise infolge von Scheidung oder Verwitwung, Nebeneinkünfte oberhalb von ich meine 410€ im Jahr (z.B.Mieteinnahmen).


    Wer Einkünfte unterhalb des Grundfreibetrags (aktuell rund 9200 €) erzielt muss keine Steuererklärung abgeben da im Regelfall auch keine Steuern abgeführt worden sind (Beispiel: Minijob). Auch wer vollständig von Transferleistungen (ALG II/Grundsicherung) lebt ist von der Abgabe einer Steuererklärung befreit (und wird darüber auch schriftlich vom Finanzamt informiert, wenn die Zahlungen über mehrere Jahre hinweg erfolgen, meist ab dem 2.Folgejahr einmalig schriftlich).
    Wie fossi so richtig schriebt sind gerade diejenigen gut beraten eine Steuererklärung freiwillig abzugeben, die als Geringverdiener Steuern bezahlt haben. Erfahrungsgemäß lässt sich mithilfe eines vernünftigen Steuerprogramms wenigstens 1/3 der bezahlten Lohnsteuer zurückholen (mit Sonderposten wie doppelter Haushaltsführung auch 100% ohne großen Aufwand zu betreiben- wohl gemerkt als Geringverdiener, da sind die entsprechenden Pauschbeträge einfach ratzfatz überschritten).

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Wer erklärt den Kindern denn Sinn von Steuerklassenwechsel wenn nicht wir?
    Wer erklärt den Kindern, dass es sinnvoll sein kann das Elterngeld aufgrund der Progession auf 24 Monate zu legen, wenn nicht wir?
    Wer soll den Kindern denn klarmachen, dass die ESt-Belastung für den Ottonormalbürger gar nicht so schlimm ist wie gerne von der FDP postuliert wird wenn nicht wir?
    Wer soll denn unseren Kindern beibringen, vernünftige Vernögensbildung zu betreiben? Sparkasse? Strukturvertriebe wie MLP?

  • Vielleicht deren Eltern?
    Ich lerne das jedenfalls von meiner Mutter.

    Vielleicht deren Eltern?

    Ich lerne das jedenfalls von meiner Mutter.

    Dann hast du es gut. Die meisten meiner sus lernen es nicht von den Eltern. Und zu sagen "tja Pech gehabt, hast halt leider die falschen Eltern ausgesucht" ist mir ein bisschen zu einfach. Ich jedenfalls wünsche mir, dass aus meinen sus mal selbstständige, gesellschafts- und Arbeitswelttaugliche Leute werden.

  • 4. Generation? Gott, die Armen. Aber Gott, sie haben es schon einmal in die Berufsschule geschafft, das ist schon einmal etwas. Dann hoffen wir mal, dass es keine 5. Generation geben wird (= die Nachfolgegeneration wird einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen).
    Das Argument ist zwar schlüssig, aber dann müsste die Schule alle Aufgaben von Eltern, die versäumt haben, diesen nachzugehen, nachkommen, was nicht geht, da die Curricula jetzt schon gut gefüllt sind - von dem Erziehungsauftrag, den Eltern per Gesetz haben [Artikel 6 (2) GG], mal ganz abgesehen.

    Einmal editiert, zuletzt von Lindbergh ()

  • Aber Gott, sie haben es schon einmal in die Berufsschule geschafft, das ist schon einmal etwas.

    Dir ist aber schon klar, daß in NRW alle zum Berufskolleg gehen, egal ob in Teilzeit als Azubis oder in Vollzeit als Schüler, die bei uns noch ihre Fachhochschulreife machen wollen oder gar das Abitur... oder solche, die bei uns einfach ihre Schulpflicht absitzen, weil sie die Hauptschule im Alter von 16 nach Klasse 6 verlassen haben.



    Das Argument ist zwar schlüssig, aber dann müsste die Schule alle Aufgaben von Eltern, die versäumt haben, diesen nachzugehen, nachkommen, was nicht geht, da die Curricula jetzt schon gut gefühlt sind - von dem Erziehungsauftrag, den Eltern per Gesetz haben [Artikel 6 (2) GG], mal ganz abgesehen.

    Was meinst du denn, was bei uns in den letzterne Klassen, die ich oben aufgezählt habe, abgeht? Da üben wir wie man mit Besteck ißt.
    Erziehungsauftrag der Eltern ist ja schön und gut... und was ist, wenn sie dem nicht nachkommen und Strafen auch nicht einzutreiben sind, weil sie mit Hartz 4 eh schon am nicht mehr pfändbaren Minimum sind? :stumm:

  • Das wusste ich nicht, @plattyplus. Jetzt nimmst du mir gänzlich den Glauben ans Gute. Ich hatte gehofft, dass wenigstens Einer dieser Familien endlich den Hintern hoch bekommt und etwas aus seinem Leben macht...

  • Den Hintern bekommen die hoch, wenn sie von ihren Kumpels, die eine Lehre haben, sehen, daß jeden Monat Geld reinkommt.


    Und was die Steuererklärung angeht, nölen auch erst alle. Aber wenn dann im Mai oder Juni der Steuerbescheid kommt und es 200-300,- € zurück gibt von der Azubi-Vergütung, womit die Leute dann in den Sommerferien eine Woche nach Malle fliegen können, um "Party" zu machen... das spricht sich rum und zieht.

  • Im Idealfall lernt man von den Eltern das Sprechen, Anstand sowie gewisse Kulturtechniken. Meine Mutter hatte keine Ahnung von der Sinnhaftigkeit eines Steuerklassenwechsels, das war nicht Teil ihrer Lebenswelt. Eltern müssen nicht in allem kompetent sein. Mit dem gleichen Argument könnte ich ja auch den kompletten Anfangsunterricht in der Chemie überspringen, die Eltern werden ihren Blagen schon beigebracht haben, was Schmelzen, Verdampfen und Sublimieren ist, sind doch Alltagsphänomene. Ich erwarte noch nicht mal, dass alle wissen, dass Wasser pi mal Daumen bei 100 °C siedet und bei 0 °C gefriert. Noch nicht mal in der gymnasialen Oberstufe erwarte ich das.

  • "Das müssen die von den Eltern lernen." ist ein ziemlich dürftiges Argument, gegen das Behandeln eines Stoffes/Vermitteln einer Kompetenz in der Schule.


    Finanzen/Geldanlage/Steuern: weil jeder Mensch so wie so genau weiß, wie die Wirtschaft funktioniert (wozu gibt es überhaupt Wiwi/BWL/VWL als Studiengänge) und perfekt mit seinem Geld umgeht, müssen die Eltern das vermitteln.
    Lesen und Schreiben: können die Eltern (sogar eher, als eine Steuererklärung), sollen die denen beibringen.
    Geschichte: also jeder weiß doch, dass es die Römer und den Holocaust gab, sollen die Eltern ihren Kindern erklären.
    usw.

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