Der Trend zu Abitur und Studium ebbt ab

  • Hoffe, es passt hierhin, notfalls bitte verschieben @ mods ;) .


    Laut Gillmann sei erstmalig seit Jahren eine leichte Trendwende erkennbar, dass die Abiturquote und der Studentenanteil nicht weiter steigt. Zwar weist sie darauf an, dass gleichzeitig die Zahl der Fachhochschüler und Hochschüler mit Ausbildungshintergrund leicht gestiegen sind, aber ich verbuche es dennoch als Erfolg für die Lehrer, dass deren stetige Arbeit, nämlich der Hinweis, dass bei manchen Schülern das krampfhafte Erreichenmüssen des Abiturs zu ambitioniert ist, dass gute Leute in Handwerksberufen gebraucht werden und dass eine Gesellschaft nicht alleine aus Germanisten und Kulturwissenschaftlern bestehen kann (denn Bachelor ist ja Bachelor, nicht wahr? ;) ), endlich auf fruchtbaren Boden stößt.


    Mit freundlichen Grüßen

  • ... aber ich verbuche es dennoch als Erfolg für die Lehrer, dass deren stetige Arbeit, nämlich der Hinweis, dass bei manchen Schülern das krampfhafte Erreichenmüssen des Abiturs zu ambitioniert ist, dass gute Leute in Handwerksberufen gebraucht werden und dass eine Gesellschaft nicht alleine aus Germanisten und Kulturwissenschaftlern bestehen kann (denn Bachelor ist ja Bachelor, nicht wahr? ;) ), endlich auf fruchtbaren Boden stößt.

    Bist du denn mit gutem Beispiel vorangegangen und hast erst mal eine Lehre gemacht? Oder musste es mit Gewalt das Staatsexamen sein?

  • @Lehramtsstudent, was verwirrt dich an dieser Aussage? Du machst dich über andere Studiengänge lustig und über Leute, die studieren wollen, obwohl sie kein erstklassiges Abi haben. Gleichzeitig kannst du offenbar aber selbst keine Berufserfahrung in einem Ausbildungsberuf vorweisen. Zählst du dich demnach nicht zu denen, die gerne studieren wollten, obwohl Forschung und Lehre nicht ihr erklärtes Ziel war, sondern lediglich Broterwerb? Falls es nur die Liebe zur Pädagogik ist: es werden dringend Erzieher gesucht.


    Ich bin absolut für eine gesellschaftliche Aufwertung des Handwerks. Trotzdem hat Bildung einen Selbstzweck und ich finde es vermessen, über andere zu urteilen, die sich für Kulturwissenschaften interessieren und am Ende prekär beschäftigt sein werden im Gegensatz zu unserem verhältnismäßig pillepalle Studium und bombastischer Bezahlung hinterher. Es hat alles mehr als eine Seite.

  • Ich schrieb dir ja schon einmal, dass ich weniger persönliche Informationen über mich hier im öffentlichen Forum preisgeben möchte, da möchte ich zukünfig konsequenter sein und die Themen allgemeiner kommentieren.

    Schule dient ja irgendwo immer auch als Vorbereitung für die Berufswelt und da gab es diesen Trend der Akademisierung und die Zunahme an Abiturabschlüssen. Du kannst mich da gerne korrigieren, aber ich meine, dass das Seiten der Lehrerschaft nicht immer positiv interpretiert wurde - und da ist es normal, dass man, insbesondere mit Blick auf gesellschaftliche Mangelbereiche, überlegt, wie man das Ganze optimieren kann. Deine Schulform hat zwar andere Schwerpunkte in der Hinsicht, aber vlt. fallen dir ja auch in deinem Bereich Veränderungen auf.

  • @samu "bombastische Bezahlung" für Lehrer? Wo das denn?

    Fängt das wieder an... Verglichen mit vielen anderen Berufsgruppen stimmt das aber. Auch die Arbeitsbelastung ist im Mittel doch eher gering im Vergleich.


    https://de.statista.com/themen/293/durchschnittseinkommen/


    Das durchschnittliche Nettoeinkommen lag bei 1800€. Jede verbeamtet Lehrkraft in Vollzeit liegt das locker drüber.


    *Deckung*

  • Ich kenne die Zahlen nicht aus dem Kopf, aber bei vielen meiner SuS ist das Abitur gefragt wie nie - sehr, sehr, sehr schwache Hauptschüler, die gerade so den Abschluss schaffen, lassen entgegen aller Beratung Ausbildungsverträge platzen um sich am Realschulabschluss zu versuchen, weil man damit ja vielleicht auch das Abi machen kann und Medizin studieren kann. Man kann zwar kaum richtig lesen und schreiben, aber egal, es MUSS das Abitur sein. Wir beraten uns da echt dumm und dämlich und können uns nicht erklären woher dieses Bild kommt, dass das Abitur der einzig angemessene Schulabschluss ist. V.a. auch in den Köpfen geflüchteter SuS. Das ist dermaßen in den Köpfen einzementiert, dass man in Deutschland das Abitur machen muss, komme was wolle, da hilft alle Beratung nichts und selbst ein Zeugnis voller 5er und 6er überzeugt nicht.

  • Auch bei uns gibt es Schülerinnen und Schüler, die sich seit der Unter- und Mittelstufe qäulen und die (bzw. ihre Eltern) beratungsresistent sind und bei uns / am BK [wo es ja leichter sein soll] unbedingt Abi machen wollen. Corona und seine Versetzungsbestimmungen tun dann das Übrige. Man ist ja versetzt ... warum wiederholen oder abgehen?

  • Das durchschnittliche Nettoeinkommen lag bei 1800€. Jede verbeamtet Lehrkraft in Vollzeit liegt das locker drüber.

    Man muss Zahlen auch richtig lesen können und wollen.


    Betrachtet man alle Arbeitnehmer in Deutschland, also auch alle Arbeitnehmer in Teilzeit oder in geringfügiger Beschäftigung, lag das durchschnittliche Gehalt im gleichen Jahr bei rund 2.860 Euro im Monat. Das durchschnittliche Nettoeinkommen aller Arbeitnehmer betrug monatlich 1.890 Euro.


    Die 1890€ (das sind eher 1900€ statt 1800€ nett) sind für alle(!) Arbeitnehmer, auch diejenigen in Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung (ja, das sind die 450€ Kräfte - die geben den Mittelwert sicherlich nicht an). Außerdem handelt sich dabei um eine bunte Mischung von Menschen ohne Ausbildung, Menschen mit Ausbildung, Menschen mit einem Technikerabschluss, Menschen mit Hochschulstudium. Es sollte jedem klar sein, dass ein verbeamteter Lehrer (Abitur, fünf Jahre Studium, 2 Jahre Ref) sich nicht mit einem Fachlageristen (glaube, das sind die mit zwei Jahren Ausbildung, oder?) vergleichen muss, was sein Gehalt angeht. In deinem o.g. Mittelwert tauchen aber beide Einkommen auf.


    "Das durchschnittliche monatliche Bruttogehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in Deutschland lag im Jahr 2017 bei ca. 3.770 Euro."


    Hier sind offenbar all diese Beschäftigtungsformen rausgerechnet. Trotzdem umfasst es den vollzeitarbeitenden Maurer genauso wie den vollzeitarbeitenden Lehrer.


    Äpfel, Birnen und Statisik sind nicht immer für alle wohlbekömmlich.

  • Ich finde es prinzipiell nicht schlecht, wenn die Kids länger in der Schule bleiben. Viele von ihnen werden bis 70 plus arbeiten müssen... Tut es da Not, mit 15 Jahren schon eine Ausbildung anzufangen? Meiner Meinung nach nicht.


    Das wirkliche Problem ist (mMn) dass unser Schulsystem nicht auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert... Wir stecken da noch irgendwo in den 50er Jahren fest. Als es noch wichtig war, den Nachwuchs auf Disziplin, etc. zu trimmen weil man später im Job zehn Stunden am Fließband stand... Ja, jetzt drücken wir den Kids ein Tablet in die Hand, verlangen aber weiterhin, dass sie schön brav in Reih und Glied sitzen und bloß keine Fragen stellen oder gar Widerworte geben...


    Und am Gymnasium vorbereiten aufs Studium tun wir in vielen Fällen schon lange nicht mehr... Wir hatten unser Gästezimmer für die vergangenen zwei Jahre an eine Studentin vermietet. Die Anzahl der Klausuren die sie in dieser Zeit geschrieben hat, ging gegen 0. Stattdessen berichtete sie von richtig interessanten Projekten, Forschungsarbeiten, Gruppenpräsentationen, etc. Und unsere 13er schreiben immer noch 6-stündige Deutsch-Abi-Klausuren...


    Natürlich ist das alles überspitzt gesagt, aber MIR würde es nichts ausmachen, wenn die Kids alle bis 19, 20, 21 in der Schule blieben und wirklich auf das Studium / die Arbeitswelt vorbereitet würden.

  • Natürlich ist das alles überspitzt gesagt, aber MIR würde es nichts ausmachen, wenn die Kids alle bis 19, 20, 21 in der Schule blieben und wirklich auf das Studium / die Arbeitswelt vorbereitet würden.

    Das würde ich so auch unterscheiben. Ich fände es auch prima, wenn meine ganzen "Nix-Checker" auch noch ein paar Jahre Bildung genießen würden, damit sie es leichter im Leben haben. Also besser lesen und schreiben können, sich vernünftig artikulieren, mehr "Alltagskompetenz" entwickeln. Aber genau das passiert ja nicht, wenn sie sich unnötig lange durch das Schulsystem schleusen. Das was sie lernen müssten, lernen sie nicht daruch, dass sie versuchen sich irgendwie ins Gymnasium reinzuschleusen. Das ist in 99,99999 % der Fälle zum Scheitern verurteilt. Viel mehr wünschte ich mir, dass gerade die unteren Bildungsgänge wie Internationale Förderklasse /Ausbildungsvorbereitung in ihrer Dauer deutlich ausgeweitet werden. Was lernt man denn schon groß in einem Jahr? Da darfs gerne etwas mehr sein damit die SuS überhaupt die Zeit haben, sich zu entwickeln. Und zu entwickeln gibt es nichts, wenn sich quasi funktionale Analphabeten mit Texten von Kant herumschlagen, da haben sie nichts von. (Außer jeder Menge Frustration)

  • Ich kenne die Zahlen nicht aus dem Kopf, aber bei vielen meiner SuS ist das Abitur gefragt wie nie - sehr, sehr, sehr schwache Hauptschüler, die gerade so den Abschluss schaffen, lassen entgegen aller Beratung Ausbildungsverträge platzen um sich am Realschulabschluss zu versuchen, weil man damit ja vielleicht auch das Abi machen kann und Medizin studieren kann. Man kann zwar kaum richtig lesen und schreiben, aber egal, es MUSS das Abitur sein. Wir beraten uns da echt dumm und dämlich und können uns nicht erklären woher dieses Bild kommt, dass das Abitur der einzig angemessene Schulabschluss ist. V.a. auch in den Köpfen geflüchteter SuS. Das ist dermaßen in den Köpfen einzementiert, dass man in Deutschland das Abitur machen muss, komme was wolle, da hilft alle Beratung nichts und selbst ein Zeugnis voller 5er und 6er überzeugt nicht.

    Diesen Trend hin zum Abi und Studium sehe ich bei uns nicht unbedingt. Gerade bei den Fachoberschulabsolvent*innen ist mir aufgefallen, dass - im Gegensatz zu früher - mehr als die Hälfte mittlerweile nach ihrem Abschluss kein Studium sondern eine Ausbildung beginnen (kann natürlich sein, dass sie dann später doch noch ins Studium gehen, das weiß ich natürlich nicht). Das liegt aber auch daran, dass wir früher in der FOS12 ausnahmslose SuS mit einer abgeschlossenen Ausbildung (aus dem dualen System oder aus einer BFS, die nach 2 Jahren zu einem Berufsabschluss führt) sitzen hatten und heutzutage 80% der SuS über die Realschule und anschließend die FOS11 oder eine einjährige BFS in die FOS12 gelangen; diese SuS sind also heute nach Abschluss der FOS wesentlich jünger (heute schätzungsweise durchschnittlich 18-19, früher meist schon über 20).

    Auch aus den einjährigen BFS-Klassen gehen die meisten SuS anschließend in eine Ausbildung. Wenn ich da meine eigene Klasse so betrachte: von 20 SuS wollen drei wiederholen, weil sie den Abschluss nicht geschafft haben, neun haben bereits Ausbildungsverträge unterschrieben, einer sucht noch nach einem Ausbildungsplatz, einer geht in die FOS11, eine hat keine Lust mehr auf Schule o.ä. und will "arbeiten gehen", zwei machen ein FSJ und drei gehen in die Klasse 2 um dort ihren Realschulabschluss zu erwerben (allerdings nur, weil sie sich dann bessere Chancen auf Ausbildungsplätze im Büro- und Industriebereich erhoffen bzw. eine Schülerin möchte sozialpädagogische Assistentin werden, wofür sie auch den RSA benötigt).

    Ich stimme Hannelotti aber zu bzgl. des Wunsches vieler "Flüchtlingsschüler*innen": dort habe ich auch oft gehört, dass sie studieren möchten (gerne Medizin), aber diesen Zahn haben wir den meisten schon nach wenigen Monaten ziehen müssen.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • wenn sie sich unnötig lange durch das Schulsystem schleusen

    Corona hat da wunderschön Aufschluss gegeben... Von meiner 25 Schülerinnen und Schülern in der 11. Klasse habe ich von genau sechs Schülerinnen und Schülern regelmäßig gehört. Diese Schülerinnen und Schüler haben auch regelmäßig die Zwischentests bearbeitet... Bei den anderen Schülerinnen und Schülern muss ich daher von Desinteresse ausgehen... Daran, dass sie den Stoff nicht bearbeiten konnten, kann es nicht gelegen haben. Jeder hat ein eigenes iPad. Die Materialien die ich ihnen bereit gestellt habe, sind mehrere Jahre erprobt und auch für durchschnittliche Schüler/innen verständlich. Was machen diese 19 "anderen" Schülerinnen und Schüler auf unserer Schule?! Interessiert an einem Abschluss sind sie offenbar nicht...


    Bei meinen 12ern ein vollkommen anderes Bild. Gute 2/3 der Klasse haben mitgezogen. Das übrige Drittel hatte auch schon vor Corona weitgehend andere Interessen oder ist tatsächlich so schwach, dass sie ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr mit kamen.

    • Offizieller Beitrag

    Ich bin nicht lange genug im Schulsystem, um mir anmaßen zu können, einen Trend zu erkennen. Ich glaube aber zum Beispiel, dass 1) viele "Studiengänge" (sorry für die Anführungszeichen) heute als Studium gelten, die vorher eine Ausbildung waren: die dualen Studiengänge sind sehr wertvoll, keine Frage (ich bin neidisch, der perfekte Mix von Ausbildung und Heranführung an die Hochschule), 2) ich gehe davon aus, dass viele das Studium abbrechen (bitte bitte).

    1) Von meiner Beobachtung sind es genau die Schüler*innen, denen ich es auch empfehlen würde. Die entweder gute Lerner*innen, fleissige Bienchen mit Ehrgeiz, aber noch fehlt es an Selbstständigkeit und eigener Motivation für ein Studium.
    Oder auch mittelgute Schüler*innen, die eben von einer guter Betreuung profitieren werden. Und ehrlicherweise: nach 3 Jahren mit einem reinen Uni-Bachelor hätten diese SuS nichts in der Tasche.


    2) Ich frage jedes Jahr nach den mündlichen Prüfungen oder bei der Abientlassung, was die SuS nun machen. Pauschalisierte anekdotische Evidenz von diesem Jahr (ich hatte sehr viele SuS im Jahrgang)
    - Viele guten bis sehr guten Mädels dieses Jahr machen AuPair oder FSJ. Das stand zum Teil schon fest seit Januar (inklusive Bewerbungen und Stelle).

    - Allgemein gute bis sehr gute Schüler*innen planen ein Studium, die allermeisten wissen aber wirklich gar nicht, was sie wollen (gleichzeitige Bewerbung für Zahnmedizin, Jura und Psychologie...)
    - Durchschnittliche bis (sehr) gute Schüler*innen haben ihren Ausbildungsplatz sicher.
    - tja, und der Rest ... hat noch gar nichts... "ich will was mit Tieren machen, aber Tiermedizin will ich nicht studieren, (sehr gute Entscheidung, schaffst du nie) aber der Probetag für das FSJ auf dem Bauernhof war mir zu anstrengend, ich habe abgesagt"), "ich weiß nicht, ich muss noch Bewerbungen abschicken, ich will Versicherungskauffrau werden" (grandiose Idee, Ende Juni für Anfang August, zumal mit durchgehenden Defiziten in Mathe...), und die allerhäufigste Antwort "ich weiß noch nicht, ich glaube, ich werde Sport / Deutsch / Päda / Englisch auf Lehramt studieren". Natürlich alle auf Gym, natürlich die allerallermeisten noch ohne irgendeine Idee für das zweite Fach...

    -> Bei der letzten Gruppe hoffe ich inständig, dass sie schnell merken, was sie nachholen müssen oder eben ihre (ggf. andere) Berufung finden. Also ja, ich habe 2 Jahre lang in meinen Kursen eine Lanze für FSJ, Ausland und so gesprochen, aber: gefruchtet hat es nicht, weil: das organisiert man nunmal nicht Ende Juni...

    PS: ich hatte dieses Jahr unter meinen Abiturient*innen einen Schüler einer asiatischen Familie (Eltern zugewandert). Er kam von der Realschule, will einen Beruf ergreifen, für den man eine Ausbildung braucht und wo er soooo gut geeignet wäre (und der nebenbei gesagt, einer der Jobs mit garantierter Anstellung ist, mir fallen spontan mindestens aktuell 4 offene Stellen in meiner kleinen Stadt). Aber die Eltern wollten, dass er Abitur macht (sonst würde sich die Familie schämen). Spoiler: die Ausbildung wird er nicht machen, sondern studieren. Was? weiß er nicht. Ist auch egal, er ist zum jetzigen Zeitpunkt für kein Studium geeignet. (und das weiß er). Aber er will nicht die Schande auf die Familie bringen. Sein Cousin macht eine Ausbildung. Seitdem ist er aus jedem Familiengespräch rausradiert, die Tante schämt sich zu sehr.

  • PS: ich hatte dieses Jahr unter meinen Abiturient*innen einen Schüler einer asiatischen Familie (Eltern zugewandert). Er kam von der Realschule, will einen Beruf ergreifen, für den man eine Ausbildung braucht und wo er soooo gut geeignet wäre (und der nebenbei gesagt, einer der Jobs mit garantierter Anstellung ist, mir fallen spontan mindestens aktuell 4 offene Stellen in meiner kleinen Stadt). Aber die Eltern wollten, dass er Abitur macht (sonst würde sich die Familie schämen). Spoiler: die Ausbildung wird er nicht machen, sondern studieren. Was? weiß er nicht. Ist auch egal, er ist zum jetzigen Zeitpunkt für kein Studium geeignet. (und das weiß er). Aber er will nicht die Schande auf die Familie bringen. Sein Cousin macht eine Ausbildung. Seitdem ist er aus jedem Familiengespräch rausradiert, die Tante schämt sich zu sehr.

    Traurig. Was ist an einer Ausbildung so schlecht (v.a. mit garantierten Anschlussjobs?)


    Bei uns gehen nach der Q1 einige Schüler ab (bei denen keine Gefährdung besteht) und haben einen Ausbildungsvertrag in der Tasche (im Übrigen gegen den Willen der Eltern ...). Ich denke mir nur: Wenn diese Schüler glücklich sind, ist's doch besser als wenn sie ein Jahr verlieren und Abi machen, obwohl dieser Abschluss für ihre Ausbildung gar nicht benötigt wird.


    Und wenn dein Schüler erst ne Ausbildung machen würde und nach einigen Jahren vll. doch noch studieren möchte, dann ginge es doch auch noch ...

  • Ich schrieb dir ja schon einmal, dass ich weniger persönliche Informationen über mich hier im öffentlichen Forum preisgeben möchte, da möchte ich zukünfig konsequenter sein und die Themen allgemeiner kommentieren.

    (...)

    Das erklärt zwar manches, was nicht nur mir zuletzt bei immer mehr deiner Beiträge aufgefallen ist, ich persönlich nehme deine Beiträge aber an vielen Stellen als inhaltsleer war, da sie an zentralen Stellen- nämlich dort, wo es konkret um Schule, Schülerschaft, Unterricht geht- so verallgemeinert sind, dass es nichtssagende Oberflächlichkeiten werden und das Gefühl befördern keinen Kollegen auf der anderen Seite sitzen zu haben, da scheinbar keinerlei Detailkenntnis vorhanden ist. Du weißt als Lehrer, dass Authentizität ein relevanter Kommunikationsfaktor ist. Eben dieser beraubst du dich meines Erachtens in eklatanter Weise durch die Entkernung deiner Beiträge. Nachdem du sehr aktiv im Forum bist, möchte ich dir ans Herz legen diese Extremform zu überdenken und ein gesundes Mittelmaß zu finden, damit deine schulbezogenen Beiträge wieder gehaltvoller werden können. Es gibt denke ich sehr viele User hier im Forum die deutlich weniger preisgeben als ich das mache und dennoch klar, ehrlich und authentisch als Lehrkräfte formulieren und schreiben, so dass man sich nicht bei jedem zweiten oder dritten Beitrag zu fragen beginnt, ob tatsächlich ein Lehrer oder eine Lehrerin diese verfasst hat.

    (...) Man kann zwar kaum richtig lesen und schreiben, aber egal, es MUSS das Abitur sein. Wir beraten uns da echt dumm und dämlich und können uns nicht erklären woher dieses Bild kommt, dass das Abitur der einzig angemessene Schulabschluss ist. V.a. auch in den Köpfen geflüchteter SuS. Das ist dermaßen in den Köpfen einzementiert, dass man in Deutschland das Abitur machen muss, komme was wolle, da hilft alle Beratung nichts und selbst ein Zeugnis voller 5er und 6er überzeugt nicht.

    Gerade bei SuS ausländischer Herkunft und teilweise auch denen mit Migrationshintergrund ist das meiner Erfahrung nach in vielen Fällen einer weitreichenden Unkenntnis des deutschen Schulsystems einerseits geschuldet (vor allem das Prinzip der Durchlässigkeit ist nur wenigen bekannt) und andererseits den familiären Erfahrungen in den Herkunftsländern, wo es oft kein Pendant zur dualen Ausbildung gibt, Handwerker deutlich schlechter bezahlt sind als hierzulande und das Medizinstudium symbolisch dafür steht es finanziell und vom gesellschaftlichen Status her geschafft zu haben.

    Ich habe bei meiner früheren Arbeitsstelle unzählige Gespräche mit Eltern geführt, um diesen begreiflich zu machen, dass eine (W)RS-Empfehlung kein Weltuntergang ist, sondern dem Kind genau die Lernzeit und das Lerntempo gestattet die es benötigt um sein Potential zu verwirklichen, dass, wenn das der richtige Weg sein sollte, die beruflichen Gymnasien nach einer guten mittleren Reife auch noch den Weg zum Abitur gestatten, statt womöglich am Ende von Klasse 6 abgeschult zu werden, weil das Lerntempo an Gymnasien deutlich zu hoch ist für die breite Mehrheit der SuS mit (W)RS-Empfehlung und eine Abschulung nur zu vermeidbarer Frustration führt, statt das Gefühl "ich kann etwas" an der richtigen Schulart zu fördern und zu erleben, welches die Basis ist für alle weiteren Ausbildungsschritte, dass eine duale Ausbildung kein schlechterer Weg ist als ein Abitur und Handwerksmeister in vielen Bereichen genauso gut oder besser verdienen als Akademiker (wir Geisteswissenschaftler taugen da durchaus als abschreckendes Beispiel) und ein Medizinstudium geradezu absurde Notendurchschnitte vorraussetzt, die nur eine Minderheit aller Abiturienten erreicht. Es gibt inzwischen hier bei uns im Ort spezielle Informationsprojekte in Kindergärten und Grundschulen, um Eltern ausländischer Herkunft und/oder mit Migrationshintergrund und/oder fehlender/unzureichender Alphabetisierung bzw. eigener Bildung frühzeitig zu erklären, wie das deutsche Bildungssystem funktioniert, wie die Übergänge geregelt sind, welche Schulformen es gibt, dass man von jeder Schulform aus am Ende bei einem Studium ankommen kann (aber nicht muss), wenn dies der für das Kind passende Weg sein sollte, es aber wichtig ist, Kindern ausreichend Lernzeit an der passenden Schulform zu gestatten oder aber auch- gerade im Kindergarten- wie frühkindliche Förderung gestaltet werden kann (gerade der Wert von Spielen als Bildungsfaktor ist vielen Eltern unbekannt, auch Vorlesen wird thematisiert, ebenso wie der positive, wertschätzende Umgang mit innerfamiliärer Mehrsprachigkeit), in Kindergarten und Grundschule werden Elternrechte thematisiert und wie man bei Konflikten mit Lehrkräften Klärung erreichen kann und an den Grundschulen geht es dann wenn ein entsprechender Bedarf besteht auch noch um Dinge wie Ernährung (Frühstück, Pausenbrot, echte Vitamine in Obst und Gemüse statt Süßigkeiten und Vitaminpillen) oder Umgang mit Medien (Kindersicherung am Smartphone, begrenzte Nutzungszeiten für Medien aller Art, keine unbeaufsichtigte Nutzung von Smartphone und Co bei Kindern, etc.). Eine Freundin von mir arbeitet seit dieses Projekt gegründet wurde dort mit, ist jetzt die nächste Ausbaustufe von den Kindergärten in die Grundschulen mit gegangen (sie betreut eine Grundschule, sowie zwei Kindergärten in ihrem Stadtteil, führt dort Schulungen durch und ist, nachdem sie im Stadtteil lebt und gut vernetzt ist, eine niedrigschwellige Ansprechpartnerin für die Eltern auch lange nachdem diese das Projekt durchlaufen haben) und erzählt mir regelmäßigvon ihrer Arbeit und auch welche Fragen sie dort immer wieder hört. Solche Projekte würde es meines Erachtens überall benötigen, um das Verständnis vieler Familien über Bildung, Erziehung und das Bildungssystem auszubauen und diese unsägliche Vorstellung "nur Gymnasium und eigentlich danach nur Medizinstduium", die noch immer in zu vielen Köpfen steckt zugusten von mehr Realität und mehr Sehen des eigenen Kindes zu reduzieren.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich schrieb dir ja schon einmal, dass ich weniger persönliche Informationen über mich hier im öffentlichen Forum preisgeben möchte, da möchte ich zukünfig konsequenter sein und die Themen allgemeiner kommentieren.

    Ob man eine Lehre gemacht hat, ist eine Ja/Nein Antwort und gibt wohl keinerlei Rückschluss auf deine Person.


    Aber ansonsten stimme ich dem Post von CDL zu, was die Einschätzung deiner Posts anbelangt.


    Ich mache immer Werbung für den Werdegang erst Aubildung dann Studium, oder auch erst (Fach-)-Abi nach der Ausbildung.

    Ich sehe zu viele Schüler bei mir mit Abi und abgebrochenem Studium, die dann noch eine Ausbildung machen, zum Teil sogar ne Schulische.

  • Ich finde die grundsätzliche Diskussion über die Abi-Quote ehrlich gesagt zunehmend müssig. Sie ist irgendwie so inhaltsleer. Jungen Menschen muss einfach eine zielführende und möglichst hochstehende Ausbildung zuteil werden. Wenn immer mehr Leute das Gefühl haben, es müsste unbedingt das Gymnasium sein, dann wird dieses Gefühl wohl irgendwo herkommen. Es ist eben ein Mythos, dass am Gefühl all dieser Leute so gar nichts dran ist. Ich habe keine Ahnung davon, wie der Ausbildungsstand eines deutschen Mittelschülers nach der 9. Klasse ist. Was kann der denn? Ist der brauchbar als Auszubildender in irgendeinem Handwerksberuf? Wenn nicht, dann liegt das halt nicht daran, dass Kinder und Jugendliche immer blöder werden, sondern daran dass die Ausbildung zu schlecht ist. Es bringt niemanden weiter, da die Schuld immer nur weg vom Bildungssystem und hin zu den Eltern oder Politikern zu schieben. Davon werden die Jugendlichen nicht schlauer.


    viele "Studiengänge" (sorry für die Anführungszeichen) heute als Studium gelten, die vorher eine Ausbildung waren

    Ja, das ist so, die Anforderungen an diese Berufe haben sich aber auch geändert. Bei uns ist es ja so, dass nur etwa 20 % der Jugendlichen die gymnasiale Maturität ablegen, gleichzeitig bestehen aber weitere ca. 20 % die Fach- bzw. Berufsmaturität. Das was in Deutschland Realschule ist, endet bei uns halt nicht nach der 10. Klasse, sondern schliesst auch erst nach 13 Schuljahren ab wie die gymnasiale Maturität. Daraus ergibt sich automatisch, dass wohl auch mehr Inhalte vermittelt werden. Zudem sind die Strukturen an der Fachmittelschule gar nicht so anders als am Gymnasium, auch die Fachmittelschüler absolvieren Laborpraktika (mehr als die Gymnasiasten), interdisziplinäre Projektarbeiten und haben auch ein Pendant zur Maturarbeit. Einfach alles auf etwas tieferem Niveau, denn die Schülerklientel an der FMS ist sehr heterogen und nicht jedem ist ein gutes Abstraktionsvermögen gegeben. Unsere Fachmaturanden aus dem Berufsfeld Gesundheit z. B. wollen häufig Physiotherapeuten oder Hebammen werden, was hier beides einen Abschluss an der Fachhochschule bzw. Höheren Pflegefachschule erfordert. Ich musste erst kürzlich meine 1. Klasse FMS im Ferunterricht zusammenstauchen nachdem sie zum 3. mal oder so einfach den Aufgabentext nicht richtig gelesen hatten und mir irgendeinen Mist abgegeben hatten, der mich zum Verzweifeln brachte. Ich will keinen Physiotherapeuten, der zu doof dafür ist, ein Rezept richtig zu lesen und mich am Sprunggelenk behandelt obwohl ich ein Problem am Knie habe. Ich will auch keinen Physiotherapeuten, der nicht in der Lage ist, selbständig zu entscheiden, welche Therapieformen zu welchem Krankheitsbild passen. Weil von diesen Leuten eben ein hohes Mass an Selbständigkeit erwartet wird, ist eine halbakademische Ausbildung an einer Fachhochschule auch mehr als angemessen. Gleichzeitig ist ein Abstraktionsvermögen, wie es in einem universitären Studium gefordert ist, aber nicht nötig. Diese zwei Merkmale charakterisieren eben genau den Ausbildungsweg über die Fachhochschulen.


    Wenn ich an meine Zeit an der Berufsschule denke muss ich sagen ... nein, das ist keine adäquate Ausbildung für einen Physiotherapeuten. Ein Laborant bei der Roche muss vor allem in der Lage sein die SOP genau zu lesen und diese strikt zu befolgen. Mit selbständigen Entscheidungen ist da nicht viel. Da solche Berufe aber zunehmend wegfallen bzw. durch automatisierte Lösungen ersetzt werden, wird auch die reine Berufslehre zunehmend an Bedeutung verlieren. Also muss man auch weniger kognitiv begabte Jugendliche irgendwie in halbakademischen Ausbildungswegen unterbringen. "Abi nur für die Schlauen" und "Sollen die Doofen doch alle arbeiten gehen" ist und bleibt halt einfach was für den Stammtisch. Dem durchaus komplexen Problem, dem das Bildungswesen sich da stellen muss, werden solche Parolen nun mal nicht gerecht.

  • Ich sehe zu viele Schüler bei mir mit Abi und abgebrochenem Studium, die dann noch eine Ausbildung machen, zum Teil sogar ne Schulische.

    Wow! Solch einen Fall hatte ich noch nie! Wobei ich sagen muss, dass in unseren Berufsschulklassen im kaufmännischen Bereich i. d. R. größtenteils Haupt- und Realschulabsolvent*innen und z. T. Abiturient*innen oder SuS mit FHR sind (wir haben im Teilzeitbereich"nur" die Azubis aus dem Einzelhandel, Großhandel, Büromanagement, Industriekaufleute und Verwaltungsfachangestellte).

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

Werbung