Eure Erfahrungen- Grundschullehramt ja oder nein?

  • Hallo Ihr Lieben😊


    Ich bin aktuell fast mit dem Bachelor fertig und stehe vor einer schweren Entscheidung. Schon seit relativ langer Zeit habe ich Zweifel, ob Grundschullehramt wirklich das Richtige für mich ist.

    Natürlich habe ich auch schon einige Praktika gemacht, aber im Nachhinein gesehen, habe ich dort nie einen richtigen Eindruck bekommen, da diese immer direkt vor den Sommerferien oder während Corona waren.

    Sorgen bereitet mit dabei vor allem...

    - die wachsende Heterogenität und damit verbunden die zunehmende Differenzierungsarbeit

    - die Ungewissheit, wo man später eine Stelle bekommt bzw. dass man später z.B. evtl. an eine Brennpunktschule kommt

    - das Referendariat, wovon man immer hört, dass es sehr hart und anstrengend sein soll

    - dass man womöglich nie abschalten kann, da man keine festen Arbeitszeiten hat und theoretisch immer noch mehr für die Schule machen könnte

    - ...


    Ich würde mich freuen, wenn einige mal von Ihren Erfahrungen berichten könnten und vielleicht auch sagen könnten, ob sie sich heute immer noch für den Beruf entscheiden würden oder eher nicht.


    Es fällt mir sehr schwer und hat mich schon viele Tränen gekostet, eine Entscheidung zu treffen, ob ich das Studium nach dem Bachelor fortsetze oder eine andere Ausbildung o.Ä. anfange😕


    Ich erhoffe mir, dass mir die Erfahrungsberichte einiger Lehrkräfte bzw. der Austausch hier, mir die Entscheidung eventuell erleichtern kann.



    Schonmal im Voraus vielen Dank für jede Antwort😇


    LG Anka

  • Dann lass es. Wie hier schon öfter von mir erwähnt: Ich würde nicht mehr Lehrer werden, und ich würde meinen Kindern kein Lehramtsstudium finanzieren.

    Das System muss erst vollends gegen die Wand fahren, ehe sich vielleicht etwas ändert.

  • Wer gute Alternativen hat, sollte diese wählen. Deine Sorgen sind berechtigt. Ich habe es nie bereut, Grundschullehrer zu sein, würde mir aber heute - unter diesen Bedingungen - einen anderen Beruf suchen.

  • Ich liebe meinen Beruf immer noch und würde ihn immer wieder wählen.

    Du schreibst:


    "die wachsende Heterogenität und damit verbunden die zunehmende Differenzierungsarbeit". --> natürlich ändern sich die Bedingungen,
    aber was macht es dir sicher, dass sich
    auch in deinem Ausbildungsberuf nicht viel ändert? Es
    könnte ja auch besser werden oder du findest eine Schule, die zu dir passt



    - die Ungewissheit, wo man später eine Stelle bekommt bzw. dass man später z.B. evtl. an eine Brennpunktschule kommt => nie gab es
    bessere Chancen auf eine Stelle

    und deren Auswahl

    , wer sagt dir, dass es nicht gut ist, an einer Brennpunktschule zu arbeiten?

    Jedes Einzugsgebiet ist anders - es gibt Vor- und Nachteile.


    - das Referendariat, wovon man immer hört, dass es sehr hart und anstrengend sein soll => Prüfungszeiten sind immer hart - aber man
    muss einfach da durch. Ich bin /war kein
    Prüfungsmensch - aber ich habe auch nie vergessen, dass mir das nicht liegt - auch
    meine SchülerInnen müssen zahlreiche Prüfungen bestehen - ich kann sie stark
    dafür machen - und sie ihn ihr=> in fast jeder Ausbildung muss man sich bewähren



    - dass man womöglich nie abschalten kann, da man keine festen Arbeitszeiten hat und theoretisch immer noch mehr für die Schule machen könnte => manchmal wünsche ich mir auch feste Arbeitszeiten, aber es hat auch Vorteile, sich einen Teil
    der Arbeit so legen zu können, wie man möchte. Wenn man ein Mensch ist, der schwer von der
    Arbeit abschalten kann, wird man auch in anderen Arbeitsfeldern an sich arbeiten müssen, um
    nicht einen Burnout zu bekommen.



    Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben und du wirst deinen Weg finden, wenn nicht, wirst du Alternativen im Nachhinein finden - noch nie war es leichter, eine Ausbildung zu finden. Die meisten von euch sind so jung, dass man auch nach de Studium etwas anderes aufsatteln kann.


    Was mir fehlt an deinen Überlegungen: Findest du einen Draht zu Kindern? Hast du schon (auch außerhalb der Schule) Erfahrungen im Umgang?


    flip

  • Ich rate, wie viele im Forum wissen, jedem Mann dringend ab, Grundschullehrer zu werden. Aber auch Frauen kann ich es nicht empfehlen, allgemein der Bedingungen wegen, der Arbeitsmenge im Verhältnis zur Besoldung, des Ansehens, (der Ungerechtigkeit) des Systems wegen, der Schülereltern wegen und, ja, auch der heutigen Kinder. Die Verbeamtung bringt meinem Empfinden nach mehr Fesseln als Privilegien (das einzige für mich die Familienteilzeit), ohne Verbeamtung aber ist die Bezahlung noch schlechter.


    nie gab es bessere Chancen auf eine Stelle und deren Auswahl


    Erstaunlicherweise gilt im Beamtentum (zumindest im bayerischen Beamtentum) nicht das Prinzip der freien Marktwirtschaft von Angebot und Nachfrage. Der Lehrermangel führt dazu, dass die vorhandenen Lehrer noch mehr ausgepresst werden, Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt, Grundschulkräfte zu Klassleitungen in weit unterhälftiger Teilzeit gedrängt oder in die Mittelschule abgeordnet werden, und damit auch bewusst Druck vom Schulamt ausgeübt wird.

  • Als altes Zirkuspferd reizt es mich schon, über dein Stöckchen zu springen. Ich würde aber nur alten Wein in neuen Schläuchen präsentieren, vielleicht mit ein paar aktuellen Beispielen aus dem letzten Schuljahr, in denen mich besonders die (zum Teil auch positive) Diskriminierung gestört hat.


    Ziemlich viel steht aber in diesem Thread:


    Männer im Grundschullehramt

    • Offizieller Beitrag

    Vorweg (wie gerade schon geschrieben): ich liebe meinen Beruf und würde um nichts in der Welt etwas anderes machen wollen.

    Aber in Bezug auf deine Befürchtungen, will ich ehrlich sein:

    - die wachsende Heterogenität und damit verbunden die zunehmende Differenzierungsarbeit

    Ja, keine Frage. Die ist da. Die war in der Grundschule schon immer da, die Schere ist aber inzwischen auch breiter geworden.

    Auf der "Haben"-Seite: das hat die Politik auch erkannt. Daher gibt es inzwischen Alltagshelfer, Sozialpädagogoiche Fachkräfte (in der Schuleingangsphase), (zu wenig) I-Helfer, manchmal auch die "I-Helfer-Pools" an den Schulen. Die Multi-Professionellen-Teams sind da eine gute Hilfe .... falls das Personal nicht nur auf dem Papier existiert.

    Zitat

    - die Ungewissheit, wo man später eine Stelle bekommt bzw. dass man später z.B. evtl. an eine Brennpunktschule kommt

    Grundsätzlich würde ich sagen "In der Grundschule kann man sich die Stellen aussuchen". Aber in NRW (ich weiß nicht, wo du bist) ist es schon so, dass der östliche Teil des Bundeslandes derzeit weniger Stellen ausschreiben darf als der Rest des Landes.

    Es kann also gut sein, dass du nur die Wahl hast zwischen Vertretungsverträgen (bei denen Vollerfüller immer bevorzugt werden müssen) oder einer Planstelle an einer nicht bevorzugten Gegend. Die Befürchtung kann ich dir nicht nehmen.

    Zitat

    - das Referendariat, wovon man immer hört, dass es sehr hart und anstrengend sein soll

    Ja, ist es sicherlich. Hängt aber auch ein wenig von der Schule, den Kollegen, dem Seminar und dem Referendaren ab.

    Zitat

    - dass man womöglich nie abschalten kann, da man keine festen Arbeitszeiten hat und theoretisch immer noch mehr für die Schule machen könnte

    Ja. Kann passieren. Das hängt IMHO auch von der Person ab. Wobei: es hängt auch von der eigenen Person ab, ob man die nicht festen Arbeitszeiten als Belastung empfindet und wie gut man Abschalten kann. Ich bin im Kopf viel in der Schule (okay, liegt auch daran, dass ich Schulleiter bin), aber mache mich dabei nicht nervös und bin nicht gestresst, wenn ich beim Radfahren im Kopf den nächsten Elternbrief oder ein Elterngespräch formuliere.



    Also: generell kann ich dir die Befürchtungen nicht nehmen. Sie sind alle realistisch, keine Frage. Aber sie müssen nicht eintreffen und sie müssen einen auch nicht über Gebühr belasten.

    Trotzdem, auf deine Frage:

    Zitat

    Ich würde mich freuen, wenn einige mal von Ihren Erfahrungen berichten könnten und vielleicht auch sagen könnten, ob sie sich heute immer noch für den Beruf entscheiden würden oder eher nicht.

    Ja, ein ganz klares ja. Immer wieder.


    Mir gefällt ...

    ... die relative Freiheit,

    ... die Arbeit mit den Menschen: Eltern, Kindern, Kollegen,

    ... das Gefühl, eine wichtige Aufgabe zu haben und nicht irgendwelchen Computer-Code zusammen zu stellen, oder das twitter-Logo in ein X umzuwandeln, weil mein neuer Chef das von mir will

    ... das Wieder-Zusammentreffen mit den Kindern, nachdem sie die Schule verlassen haben,

    ... das Formen, Entwickeln in der Schule.


    Das wiegt den Stress, der manchmal entsteht auf.

    (Aber ich muss dazu sagen: ich arbeite auch im Paradies und nicht im Brennpunkt. Ob ich es dort anders sehen würde? Ich weiß es nicht.)



    Ich wünsche dir einen kühlen Kopf und eine gute Entscheidung.

    Aber wie auch immer du dich entscheidest: es ist die richtige Entscheidung.

    • Offizieller Beitrag

    Als altes Zirkuspferd reizt es mich schon, über dein Stöckchen zu springen.

    War kein Stöckchen. Aber wenn du hier (in einem neuen Thread) so eine Stinkbombe platzierst, solltest du auch schreiben, warum. Danke für den Link auf deinen letzten Thread.

    Hier ist einmal ein Link auf meine Antwortauf einen deiner dortigen Beiträge.

  • Ausnahmsweise schließe ich mich in diesem Thread gerne dem Mainstream an und möchte dir, Anka00, vom Grundschullehramt abraten! Aber wie denn?... was kann denn gegen "den schönsten Beruf der Welt" (O-Ton eines Schulamtsvertreters bei der feierlichen Inauguration der 'Junglehrer') sprechen?

    In deinem Eingangspost hast du ja bereits einige Aspekte genannt, die ich selbst auch als bedenkenswert einordnen würde. Bin aktuell selbst in einer Phase, in der ich Für und Wider abwäge, um zu einer (Neu-) Positionierung hinsichtlich meiner weiteren beruflichen Laufbahn zu gelangen.

    Was stört mich eigentlich - jenseits der hinlänglich bekannten "Problemfelder" Arbeitsbelastung, Konflikte mit Eltern, Schwierigkeiten "abzuschalten" - im Kern (systemimmanent) am Lehrerdasein? In den letzten Tagen sind mir einige (vielleicht eher überraschende) Antworten dazu gekommen...

    Die weitere Darlegung der 33

  • Naja, wenn homogene, leistungsstarke Klassen zu unterrichten dein Ziel ist, kann dir niemand dazu raten, diese Garantie gibt es nicht.


    Wird aber wahrscheinlicher (bzw. es wird unwahrscheinlicher, dass man an einer Brennpunktschule oder einer sonstigen GS mit eher schwieriger Klientel landet), wenn man gesuchte Fächer oder sehr gute Noten hat. Frage mich z.B., warum nicht viel mehr GSL-Studierende Englisch als Fach belegen. Klar, für sowas wie Kunst, Musik oder Sport bracht man halbwegs Talent bzw. körperliche Voraussetzungen, aber Englisch, das sollte doch irgendwie machbar sein.


    Trotzdem haben von den GSL-Studierenden, mit denen ich bisher in Kontakt gekommen bin, etwa 90% Sachunterricht als wählbares Fach; damit sticht man später dann halt nicht heraus, außer man hat sehr gute Noten.


    PS: In Hessen sind Mathe und Deutsch verpflichtend.

  • Ok, jetzt also die Fortsetzung von meinem Beitrag #14, der wg. eines akuten Energieengpasses abbrach.

    Was also macht (für mich) den Job des Lehrers und - im gegebenen Zusammenhang - vor allem den des Grundschullehrers belastend und bisweilen komplett zermürbend?

    (1.) Die Aussicht, über lange Jahre hinweg immer wieder den in etwa gleich alten SuS gegenüberzustehen (seien sie nun 8, 9 oder 12 Jahre alt) und dabei selbst fortwährend älter, grauer und lethargischer zu werden, finde ich quälend und widerwärtig! Ja, es soll auch bei anderen Tätigkeiten vorkommen, dass man altert, aber in (fast allen) anderen Jobs altern die Kollegen und das sonstige Umfeld mit.

    Im Hinblick auf systemimmanente Spezifika, die das Arbeitsfeld Schule unattraktiv machen, ist dieser Aspekt jedenfalls mein persönlicher TOP 1.

    Aber es gibt ja noch 32 weitere unangenehme Besonderheiten...

  • TOP 2 folgt sogleich:

    Als Lehrer ist man - zumindest im Rahmen des Unterrichts - komplett fremdbestimnt. Nicht inhaltliche Erfordernisse oder spezifische Bedürfnisse der SuS besimmen die Arbeitsabläufe, sondern IMMER ist es das Stundenklingeln, das die Arbeitsphasen vorgibt und taktet.

    Das ist eine Form der Entfremdung, die es so starr ansonsten nur in großen Industriebetrieben gibt.

    Diese unnatürliche Taktung torpediert nicht nur Lern- und Arbeitsabläufe, sie macht auch die so wichtige kommunikative Interaktion mit den KuK fast unmöglich. Die strikte Einteilung des Unterrichts in 45-Minuten-Einheiten versklavt Lehrer und Schüler gleichermaßen!

  • Gestern habe ich bei 4teachers einen thread von 2005 gelesen. Da wird seitenweise beklagt, wie heterogen die Kinder doch geworden sind, wie umfangreicher die Aufgaben der Lehrkräfte geworden sind, wie schwierig der Umgang mit den Eltern, wie hoch die Arbeitsbelastung und wie man sich am besten in die Frühpensionierung flüchten könnte. Ich musste innerlich schmunzeln und hab noch mal nachgeschaut, ob das wirklich von 2005 oder doch von 2023 ist. Früher war alles besser? Wohl auch nicht.

    • Offizieller Beitrag

    TOP 2 folgt sogleich:

    Als Lehrer ist man - zumindest im Rahmen des Unterrichts - komplett fremdbestimnt. Nicht inhaltliche Erfordernisse oder spezifische Bedürfnisse der SuS besimmen die Arbeitsabläufe, sondern IMMER ist es das Stundenklingeln, das die Arbeitsphasen vorgibt und taktet.

    Das ist eine Form der Entfremdung, die es so starr ansonsten nur in großen Industriebetrieben gibt.

    Diese unnatürliche Taktung torpediert nicht nur Lern- und Arbeitsabläufe, sie macht auch die so wichtige kommunikative Interaktion mit den KuK fast unmöglich. Die strikte Einteilung des Unterrichts in 45-Minuten-Einheiten versklavt Lehrer und Schüler gleichermaßen!

    Hm, als Klassenlehrer mit 5 - 6 Fächern in der Klasse muss ich dem explizit widersprechen. Da interessieren mich die 45 - Minuten - Blöcke nicht, wenn ich 3 - 4 Stunden am Tag in der Klasse bin.

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