Bildungssprache im Schulalltag – eure Einschätzung gefragt

  • Hallo liebe Lehrer*innen,


    ich schreibe derzeit eine Hausarbeit im Lehramtsstudium zum Thema „Bildungssprache im schulischen Kontext – Lehrer*innenperspektiven am Beispiel von Nominalisierungen“.
    Darin untersuche ich, welche sprachlichen Merkmale Lehrkräfte implizit oder explizit als bildungssprachlich wahrnehmen und wie diese in der Bewertung von Schüler*innentexten eine Rolle spielen.

    Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir ein paar Antworten zu folgenden Fragen geben könnten:

    1. Was versteht ihr persönlich unter „bildungssprachlichem Schreiben“?
    Gibt es bestimmte Merkmale, die für euch dazugehören?

    2. Welche Rolle spielt Bildungssprache bei der Bewertung schriftlicher Schülerleistungen?

    3. Was sind sprachliche Merkmale, die ihr in Schülertexten besonders lobt?
    Und gibt es sprachliche Formen, die ihr regelmäßig abwertet oder problematisch findet?

    4. Wie nimmt ihr Nominalisierungen in Schülertexten wahr?
    (z. B. „die Teilnahme an der Diskussion“ statt „sie hat an der Diskussion teilgenommen“)

    5. Spielt für euch die Verwendung (oder Vermeidung) von Nominalisierungen bei der Bewertung von Schülertexten eine Rolle?

    Ich freue mich über jede Rückmeldung, egal ob ausführlich oder nur stichpunktartig. Vielen Dank im Voraus für eure Zeit und eure Perspektiven! :)

  • Hallo!
    Hier meine Antwort in Kürze:


    1. Richtige Verwendung von Rechtschreibung und Grammatik, Herstellung von Bezügen zwischen Informationen (z.B. durch Konjunktionen, Demonstrativpronomen etc.), komplexer Satzbau, bildungssprachliches und fachsprachliches Vokabular, schriftsprachliche Sprachverwndung, Verwendungen von Nominalisierungen und Präpositionen,…

    2. Das ist abhängig vom geforderten Text (bei inneren Monologen bestehe ich auf Alltagssprache, bei Textanalysen auf Bildungssprache, bei Informationstexten für Jugendliche ist eine ausgewogene Mischung okay). und nimmt mit der Klassenstufe zu. Mir ist insbesondere ein angemessenes Vokabular wichtig.

    3. Gut finde ich Fachwörter und angemessene Ausdrucksweisen sowie Verknüpfungen; nicht gut finde ich „ja“/„halt“/… in Texten oder andere Merkmale und Füllwörter aus der gesprochenen Sprache sowie abgehackte oder eintönige Sätze (aber auch Schachtelsätze mag ich nicht besonders).

    4. kommen selten vor, werden aber dann schon eher als höheres Sprachniveau angesehen

    5. Nicht explizit. Wenn Nominalisierungen verwendet werden, fällt das vielleicht eher positiv aus als das das Fehlen solcher als negativ ausgelegt wird. Es geht immer eher um den Gesamteindruck.

  • 1. Ich denke bei korrekter Rechtschreibung, Kommasetzung und Grammatik sind wir uns einig. In den Naturwissenschaften gehört außerdem die Verwendung des Passivs dazu. Und Fachbegriffe müssen natürlich korrekt verwendet werden.

    2. Ich ziehe vor allem dann etwas ab, wenn logische Schlüsse nicht sauber formuliert werden. Wer korrekte einfache Wenn-Dann-Sätze verwendet, bekommt auch ohne Passivverwendung keinen Abzug. Für die offizielle Bewertung des sprachlichen Stils sind die geschriebenen Texte bei mir im Unterricht meist zu kurz und zu wenige.

    3. Positiv ist eine klare logische Struktur. Negativ beurteile ich meist fehlende Fachbegriffe, da die Umschreibung eigentlich immer zu ungenau bleibt. Außerdem mag ich lieber das Verb betragen statt sein (z.B Die Kraft beträgt 5 N.) und reagiere allergisch auf Schüler, die alle Substantive kleinschreiben, weil es ihnen außerhalb des Deutschunterrichts unwichtig erscheint.


    Bei 4. und 5. schließe ich mich meinem Vorschreiber an. Wobei Nominalisierungen oft mit der Passivverwendung einhergehen.

    Gerade wenn Nichtmuttersprachler in der Klasse sind (z.B. auch ukrainische Schüler), ist es schwierig mit komplexer Spracheverwendung gleich im Anfangsunterricht. Passivkonstruktionen werden nicht in Klasse 5 in Deutsch eingeführt.

  • Zu 3:

    Umgangssprachliche Formulierungen sind weniger "schön". Mal kann das passieren. Markiert wird das in der Korrektur. Kommt es häufiger vor, gibt es "Punktabzug".

    Beispiel aus einem Aufsatz 5. Klasse (Thema Märchen): Da war ne Pulle Cola drinnen.

  • Zu 4.: Es muss heißen "Wie nehmt ihr..."

    Evtl ist es ja nur ein Autokorrekturfehler (davon gehe ich eigentlich aus), aber wenn es dir schon um Sprache geht, sollte es richtig da stehen.


    1. Da ich an der Förderschule arbeite, ist Bildungssprache eigentlich gar nicht vorhanden. Nahezu alle meiner Schüler können bis zur 9. Klasse (= Abschlussklasse) nicht mal erkennen, wann ein Satz zuende ist und dann einen Punkt machen.

    2. siehe Punkt 1

    3. Wenn jemand leserlich schreibt und nahezu fehlerfrei 3-Satz-Texte abschreiben kann, freue ich mich. Ansonsten freue ich mich, wenn sich jemand offensichtlich bemüht.

    4. haha, gar nicht

    5. Nein, weil sie ohnehin nicht vorkommen.

    PS Was verstehst du unter "Bildungssprache"? Ist das ein feststehender Begriff? Ich habe jetzt mal gemutmaßt, dass es sich dabei um "gehobenere" Ausdrucksweise handelt, also nicht um Alltagssprache.

  • PS Was verstehst du unter "Bildungssprache"? Ist das ein feststehender Begriff? Ich habe jetzt mal gemutmaßt, dass es sich dabei um "gehobenere" Ausdrucksweise handelt, also nicht um Alltagssprache.

    Hier ist einmal eine PowerPoint der QuaLis in NRW zum Thema "Bildungssprache": https://www.schulentwicklung.nrw.de/materialdatenb…/download/11342

  • Einerseits ist man natürlich gut beraten, im sprachsensiblen Fachunterricht unnötige Nominalisierungen zu vermeiden, weil Verbalstil viel leichter zu verstehen ist als Nominalstil. Andererseits sind das Verstandnis und die flüssige Verwendung von Nominalphrasen, festen Nomen-Verbverbindungen und Funktionsverbgefügen unabdingbar beim Umgang mit und beim Verfassen von logischen und argumentativen Texten. Die schreibaufgabenbezogenen Ausdrucksmittel kann man nicht einfach voraussetzen, sondern muss sie regelrecht trainieren, auch im Deutschen. Natürlich kann man Nominalisierungen fast immer auflösen, es ist aber ab einem bestimmten Sprachniveau nicht unbedingt sinnvoll.

  • Für mich bedeutet Bildungssprache im Fachunterricht, dass ich die Schüler (m/w/d) dazu bewege, mathematische Fachbegriffe im Unterricht zu verwenden. Zum Beispiel "nehmen sie nicht plus", sondern "addieren".

    Im Französischunterricht ist die Herausforderung, Hemmungen gegenüber der Fremdsprache abzubauen, daher ist der bildungssprachliche Aspekt zumindest bei mir in der Sek I eher von untergeordneter Bedeutung. Es geht primär darum, sich in die Sprache und Kultur einzufinden, wobei ich vor allem Richtung Ende der Sek I hin darauf achte, dass nicht nur reine Präsenssätze gebildet werden, sondern die Schüler (m/w/d) sich auch im freien Schreiben/Sprechen an andere Zeit- und Grammatikformen heranwagen. Auch wenn es beim Subjonctif erfahrungsgemäß nicht über ein erstes Anbahnen hinausgeht.

  • Subjonctif am Ende der SEK. I, aber in Mathematik erschöpft die Bildungssprache sich angeblich bereits im korrekten Verwenden von Fachbegriffen? Du solltest deine Phantasien über Schule und Unterricht an Sekundarschulen weniger detailreich gestalten. Es fällt sonst zu sehr auf, wovon du eindeutig keine Ahnung hast. Ich müsste nachschauen, wann der Subjonctif heutzutage im Allgemeinbildenden Gymnasialbereich kommt, an der Realschule wird er definitiv nicht unterrichtet bis Ende Klassenstufe 10, womit er zumindest an den Beruflichen Gymnasien frühestens mal ab Klasse 11 kurz gestreift werden kann. Aktive sprachliche Verwendung wird man aber sehr sicher dann höchstens mal in einem Einzelfall hören, der einen vor Glück heulen lässt, sollte er auch noch korrekt sein. Es gibt auch schlicht wichtigere Themen, denen man Zeit widmen kann und sollte.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Aus Lehrerinnenperspektive kann ich zu meinen SuS nichts beitragen, weil sie erst noch schreiben lernen. Aus Elternsicht möchte ich anmerken, dass das Bewusstsein für "gute" Ausdrucksweise unbedingt bewusst gemacht werden sollte. An welcher Stelle werden in welchem Lehrplan die Merkmale (z.B. Nominalisierung) konkret erwähnt? Kommt damit überhaupt jeder Jugendliche bewusst in Berührung?

    ...

    Darin untersuche ich, ...

    Ich finde das Thema interessant, frage mich aber, wie du die hier getätigten Aussagen in deiner Arbeit verwursten möchtest. Du kannst ja schlecht schreiben "in einem anonymen Forum haben Leute dies und das gesagt." Zudem können hier sowieso nur Kriterien kommen, die dir bereits bekannt sind.

    Vielleicht wäre die bessere Frage hier, woher Lehrkräfte von diesen Kriterien wissen, bzw. wie bewusst sie sich derselben sind? Hat ja nicht jeder Germanistik studiert.

    Oder auch, wie das in der Wertung gewichtet wird bzw. welche Rolle die Kriterien an den jeweiligen Schularten spielen... Also eine Info, die du so nicht in der Literatur findest und anhand derer du weitersuchen und konkreter schreiben könntest.

  • Subjonctif am Ende der SEK. I,

    ... also: SELBST in NRW machen wir den Subjonctif definitiv in der Sek1 am Gym. Selbst an meinem langsamen Gym in der 10 mit dem Band 3 (eigentlich 3. Lernjahr am Ende).
    In der 10 kommt regulär das Conditionnel.

    Das zählt für mich zwar nicht zur Bildungssprache (weil Fremdspracheneinsatz), aber das wollte ich richtig stellen.
    Da Gymshark an der Gesamtschule ist und nicht in NRW, wird er in einem E-Kurs sicher nicht unter unserem Niveau sein.

  • Warum gibt man so einen Text als Präsentation heraus? :angst:

    Die Qualis macht ja u.a. auch Fortbildungen und ich denke, dass die Präsentation dafür ist. Auch zur Weitergabe, damit Schulleiter in einer DB / Konferenz ihr Kollegium oder in einem Elternabend die Eltern informieren können. So haben sie direkt was zum Zeigen an der Hand. Finde ich sinnvoll.

    Die Infos gibt es aber sicherlich auch in anderer Form, aber diese fand ich auf die Schnelle.

  • ... also: SELBST in NRW machen wir den Subjonctif definitiv in der Sek1 am Gym. Selbst an meinem langsamen Gym in der 10 mit dem Band 3 (eigentlich 3. Lernjahr am Ende).
    In der 10 kommt regulär das Conditionnel.

    Das zählt für mich zwar nicht zur Bildungssprache (weil Fremdspracheneinsatz), aber das wollte ich richtig stellen.
    Da Gymshark an der Gesamtschule ist und nicht in NRW, wird er in einem E-Kurs sicher nicht unter unserem Niveau sein.

    Das habe ich ja gar nicht bestritten, dass das am allgemeinbildenden Gymnasium am Ende der SEK.I kommt (auch wenn ich mir nicht sicher war, da ich dort nicht unterrichte). Aber es ist doch etwas unrealistisch, einerseits ausgerechnet den Subjonctif als sprachliches Ziel zu benennen, während andererseits in Mathematik, das auf Deutsch unterrichtet wird, lediglich die korrekte Verwendung von Fachbegriffen als Ziel zu verfolgt wird. Da haben andere hier durchaus anspruchsvollere sprachliche Ziele auch für naturwissenschaftliche Fächer benannt, die dann auch passen würden vom Niveau her.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • CDL: Ich habe ein Beispiel für bildungssprachlichen Einsatz im Mathematikunterricht genannt - nicht, dass sich dieser hierauf beschränkt. Bei gesteigertem Interesse, kann ich hier weitere Beispiele nennen. Gib mir dazu gerne Bescheid!

  • Also: Ich will definitiv Gymshark nicht in Schutz nehmen und wie gesagt, seine Definitiv von Bildungssprache ist nicht meine, erst recht nicht mit dem Vergleich zu Mathe, aber:
    Meine Kids wissen ganz genau, worauf ich abfahre und für ein Subjonctif (oder andere Form) gibt es ein Herzchen (ja, wirklich) im Text, einen kleinen Freudesprung oder Quietscher im Mündlichen. Weil ich sie darauf konditioniere, die "schöne" oder "komplexere" Sprache zu nutzen (die eben in "Ausdrucksvermögen" oder "Grammatik" mehr Punkte gibt (keine volle Punktzahl für perfekt geschriebene Texte, wenn man sich nicht an das bisher erreichte Niveau orientiert).

    Beispiel für meinen Vergleich zu Bildungssprache: Wenn in Deutsch / SoWi / Päda die Kids sich die Mühe machen, nicht mehr, nur "sagen" / "der Autor sagt" zu schreiben, verteile ich auch Herzchen oder andere Verstärker.
    Und ja, das tue ich leider je nach Schüler*in oder Klasse bis in die 12. Klasse hinein. Immer auf dem jeweiligen Niveau.

    und unter "Fachbegriffe" in Mathe und NaWi fällt sicher eine Menge rein, wenn ich mich nur an die Beispiele meines Seminars zu (u.a.) Bildungssprache erinnere: Die Beschreibung von Vorgängen und Experimenten mit den genauen Wörtern für die Gegenstände und Abläufe ist auch etwas, was eingeübt werden soll.

Werbung