Leistungsdruck an bayrischen Schulen (speziell Gymnasien)

  • Wie man ja unschwer erkennen kann, unterrichte ich an einem bayrischen Gymnasium. Aktuell habe ich die Klassenleitung einer 5. Nun zieht eine Schülerin aus meiner 5. Klasse aus privaten Gründen weg, in ein anderes Bundesland. Ich war nochmal mit den Eltern im Gespräch und im Zusammenhang Schule / Neustart kam von den Eltern die Äußerung, dass sie hoffen, dass es dann weniger Druck in der Schule gebe, denn der Druck sei in Bayern so groß. Das beschäftigt mich seitdem, aber natürlich höre ich das nicht zum ersten Mal.

    Es gab auch schon Umfragen (Presse), wo herauskam, dass bayrische Schüler am meisten Leistungsdruck empfinden. Aber woran genau wird das festgemacht bzw. woran liegt das? An der Zahl der Leistungserhebungen (ich glaube nicht, dass es da so gravierende Unterschiede gibt, hier schreibt man jährlich in Kernfächern 3-4 „Klassenarbeiten“), an den Inhalten/Lehrplänen (mein Englischbuch von 1992, anderes BL, hat mehr Grammatikthemen drin als das Lehrbuch für meine jetzige 5. Klasse), an den Lehrkräften (meine KuK kommen zu 50% aus anderen BL, es gibt auch nicht DIE bayrischen Lehrkräfte…)?

    Ich mache aktuell gerade wieder die Erfahrungen, dass es von einigen SuS schlicht ignoriert wird, wenn ich Vokabeln oder Grammatik zu lernen aufgebe, oft fehlen Hausaufgaben, der Stoff ist am nächsten Tag schon wieder vergessen, weil das neue Grammatik-Thema z.B. nicht zu Hause nochmal wiederholt wurde. Und dann schreibe ich einen Test oder frage ab und dann heißt es: So ein Druck, auch wenn ich genau den Stoff aus der letzten Stunde abfrage. Gestern hieß es als Reaktion auf die schlechte Vokabel-Abfrage: Ich hatte keine Zeit zum Lernen. Aha…


    Als ich vor ein paar Jahrzehnten in der Schule war (ich hatte auch noch samstags Unterricht), gab es auch regelmäßig Klassenarbeiten, Tests, Abfragen und da ging natürlich auch mal was daneben, wenn ich nicht vorbereitet war und dann war mir klar, warum. Heute spricht man dann aber von Druck.


    Auch ist es so, dass hier die Übertrittsquote zum Gymnasium (an meinem Wohnort) sehr hoch ist, weil viele Eltern unbedingt das Gymnasium für ihre Kinder wollen, koste es, was es wolle. Wenn sie dann überfordert sind, weil sie eigentlich an einer anderen Schulart besser aufgehoben wären, heißt es wieder: Immer dieser Druck. Der ist dann aber in vielen Fällen selbst gemacht!? (Selbst jetzt, wo wir wegen der Schulschließungen keine Klassenarbeiten (hier: Schulaufgaben) mehr schreiben, wird gejammert, dass der Druck so groß sei…).


    Die Abiturnoten werden auch in Bayern immer besser, aber ich habe das Gefühl, damit steigt der Druck eigentlich noch mehr, weil ein Abitur mit einer 2 vor dem Komma nichts mehr wert ist. Also möchten alle bitte möglichst nur noch 1er haben und sind bei 2ern "enttäuscht" (gerade wieder erlebt in der Oberstufe, trotz eindeutig erkennbarer Mängel, die keine 1 rechtfertigen).


    Zugegebenermaßen habe ich jetzt nicht die Lehrpläne anderer BL studiert und dort natürlich auch nicht unterrichtet, aber eure Eindrücke oder möglicherweise Vergleiche von denen, die in verschiedenen BL unterrichtet haben, würden mich interessieren. Vielleicht wird dieser Vorwurf mit dem „extremen Druck“ für mich dadurch irgendwie greifbarer.

  • Es gibt grenznahe Gymnasien in BW, deren halbe Schülerschaft aus "Bildungsflüchtlingen" aus Bayern besteht.
    Es scheint also tatsächlich erhebliche Unterschiede im wahrgenommenen Schulalltag zwischen den Gymnasien zu geben.

    Ob dies an formalen Dingen wie Bildungsplänen, Art der Notenbildung oder an "persönlichen" Dingen wie Umgang mit Schülerinnen und Schülern liegt, vermag ich nicht zu beurteilen - vielleicht ist es auch ein weitverbreiteter Irrglaube, dass es in BW schülerzugewandter oder fachlich einfacher sei. Dafür kenne ich das System von drüben zu wenig.

  • Ich habe zwei Töchter am bayerischen Gymnasium und kann das ewige Gejammer über die ach so hohen Anforderungen auch nicht ganz nachvollziehen. Allerdings kenne ich auch nichts anderes aus eigener Anschauung.

    Aber: Der Dünkel, den die Gymnasiallehrer pflegen, ist in Bayern noch einmal ausgeprägter als anderswo - so zumindest meine Erfahrung als Kliniklehrer, der auf die Mithilfe der Kollegen an den Heimatschulen angewiesen ist. Das hat sich aber in den letzten Jahren ganz erheblich verbessert.

    Als Schulleiter kann ich allerdings noch anmerken, dass sich hier in BW der Umgang mit vorgesetzten Stellen im Schnitt wesentlich angenehmer/menschlicher gestaltet als ich das aus Bayern gewohnt bin.

  • Interessant finde ich, dass du schon für alles eine Erklärung gefunden hast, woran es liegen könnte aber auf keinen Fall liegen kann. Hast du die Eltern mal gefragt, wie sie zu ihrer Einschätzung kommen?


    Ich weiß noch aus meiner Schulzeit, dass SuS aus Bayern in Hessen Abi gemacht haben, um bessere Abschlussnoten zu bekommen. Ob das damals schon nur ein Gerücht war, dass das bayerische Abi schwerer ist? Ba-Wü hatte den Ruf des easy Abi damals zumindest nicht.


    Sachsen hat den Ruf der Leistungsorientierung, allerdings finden das viele Eltern richtig und empfinden keinen Druck. Es gibt aber auch eine erkleckliche Zahl an Eltern, die sich um Plätze an Freien Schulen reißt. Das betrifft vor allem Grundschule. Da geht's häufig um mangelnde Differenzierung und psychischen Druck, also Kinder persönlich runtermachen/für Rechtschreibfehler in Mathearbeiten (Klasse 2) Punkte abziehen, Schulen, die nur für 100% eine 1 geben (also wenn ein Neunjähriger bei 45 VP mit 44,5 VP eine 2 bekommt) und dergleichen. Das belastet Eltern und Kinder, mangelnde Wertschätzung, sowas.

  • Vielleicht vertauschen in Bayern manche Lehrkräfte Leistungsorientierung und Druck miteinander. Ich würde auch von mir sagen, dass ich eher leistungsorientiert bin. Ich versuche aber immer möglichst wenig Druck auszuüben.

  • Ihr habt keine Somi Noten. Bei euch werden Noten errechnet statt "pädagogisch großzügig geteilt". Die Inhalte des Lehrplans sind deutlich komplexer.

  • Die Inhalte des Lehrplans sind deutlich komplexer.

    Also zumindest für meine Fächer kann ich im Direktvergleich der Lehrpläne und der Abiturarbeiten keinen signifikanten Niveauunterschied zwischen NDS und BY feststellen. Die Erwartungen sind sowohl in der inhaltlichen Breite wie Tiefe nahezu identisch.

  • Also zumindest für meine Fächer kann ich im Direktvergleich der Lehrpläne und der Abiturarbeiten keinen signifikanten Niveauunterschied zwischen NDS und BY feststellen. Die Erwartungen sind sowohl in der inhaltlichen Breite wie Tiefe nahezu identisch.

    Naja wenn ich alleine die betrachteten Funktionstypen in Mathe betrachte.


    In NRW sind gebrochen rationale raus, Trigonometrie raus , Wurzeln raus.

  • Mein persönliches Empfinden ist aus den Erzählungen der Familie ähnlich. Hoher Leistungsdruck in Bayern. Fall aus der Familie: Halbe Punktzahl ergab eine 6 bei einer Deutsch-Probe. Klasse 5 Gymnasium. Und: Die zweite Fremdsprache setzt auch in G9 weiterhin in Klasse 6 ein.


    Und anschließend Überheblichkeit gegenüber Abiturienten anderer BL. So erlebt es meine Tochter, die in Bayern studiert. Funfact: Sie ist als einzige aus ihrem Studiengang jetzt bei der Bachelorarbeit, obwohl sie ebenfalls als einzige zusätzlich ein Auslandssemester gemacht hat.


    Ist aber wie immer nur anekdotisch.

  • Es ist denke ich beides. Sowohl das was state_of_Trance geschrieben hat, als auch dass zu viele Leute auf dem Gymnasium sind und Leistung bringen müssen mit Druck verwechselt wird. Wenn man mit einem 2, Schnitt zufrieden ist, übt das bayerische Gymnasium finde ich keinen "Druck" aus. Vielleicht auf die, die unbedingt 1,0 wollen. Druck habe ich persönlich erst in der Arbeitswelt erfahren, als Schüler nicht wirklich.

  • Interessant finde ich, dass du schon für alles eine Erklärung gefunden hast, woran es liegen könnte aber auf keinen Fall liegen kann. Hast du die Eltern mal gefragt, wie sie zu ihrer Einschätzung kommen?

    Na ja, ich habe halt meinen Eindruck dazu geschildert. Der ist aber nicht allgemeingültig (ist mir durchaus bewusst ;)), daher fragte ich ja nach anderen Eindrücken.

  • Halbe Punktzahl ergab eine 6 bei einer Deutsch-Probe. Klasse 5 Gymnasium.

    😳 Eine Schulaufgabe oder eine Stegreifaufgabe?

    Das habe ich bei uns noch nicht gehört, da würden die Eltern auf die Barrikaden gehen...


    In meinen Fächern gibt es im Anfangsunterricht immer Diskussionen, weil der Schwellenwert in den Fremdsprachen am Gym. zwischen 50 und 60 % für die Note 4 angesetzt wird (je nach Schweregrad, je höher die Jahrgangsstufe, desto niedriger der Schwellenwert, in der Oberstufe ist er dann bei 40%), während er in Mathe von vornherein viel niedriger ist (ich glaube 40%). Das verstehen Schüler und Eltern immer nicht und werfen uns Sprachenlehrern dann vor, dass wir es übertreiben...

    Die zweite Fremdsprache setzt auch in G9 weiterhin in Klasse 6 ein.

    Das stimmt, das ist wirklich immer eine heikle Phase, wenn sie nach einem Jahr dann eine 2. FS hinzukriegen. Das ist wirklich nicht ohne.

  • Aber das ist jenseits der Grenze ja nicht anders. In BW wird (bis auf Ausnahmen) die zweite Fremdsprache auch in Klasse 6 begonnen. Die Ausnahmen beginnen die zweite Fremdsprachen in Klasse 5.

  • Hier ist bei G8 auch die 2. Fremdsprache in klasse 6 begonnen. Mit G9 ist sie wieder in Klasse 7 gerutscht. Die 2. Fremdsprache in Klasse 6 fand ich bei meiner Großen hart. Der Kleinen konnte sich damit Gottseidank noch ein Jahr Zeit lassen.

    Ist aber - wie gesagt - nur mein persönliches Empfinden, dass das hart ist. Vielleicht sehe ich das nur so.

  • Ich sehe den Unterschied im Grenzgebiet zwischen BY und Hessen - und wir haben auch viele, die aus Hessen zu uns kommen.

    Ruhige Schüler, die sich schriftlich besser ausdrücken können als "labern" fahren in By oft besser als in Hessen. Dorthin zieht es aus meiner Erfahrung solche, die ein sehr gutes Abi machen wollen oder die die eher drumherum reden können und dadurch die mündliche Note verbessern.


    Für meine eigenen wäre es nichts gewesen, die waren mehr der Typ kurz und knackig die Formel hinschreiben.


    Wir haben Orte mit einer recht hohen Übertrittsquote, man merkt aber in der 5. schon relativ schnell, wer anstrengungsbereit ist oder wer sich durchlaviert. Und ich habe nicht das Gefühl, dass so viel mehr verlangt wird als zur Zeit meiner eigenen Kinder - die aber auch schon G8 waren.

  • Ruhige Schüler, die sich schriftlich besser ausdrücken können als "labern" fahren in By oft besser als in Hessen.

    In Bayern wird bei mündlichen Beiträgen zum Unterricht nur die Qualität bewertet, nicht die Quantität (obwohl das natürlich auch etwas zusammenhängt).


    Ich kann mich erinnern, dass bei mir als Schülerin explizit auch die Quantität der Unterrichtsbeiträge bewertet wurde und ich meine sogar in manchen Fächern war das Mündliche höher gewichtet als das Schriftliche (aber das weiß ich nicht mehr genau!), was ich aus heutiger Sicht schwierig finde. Ich war eher eine ruhige Schülerin (ganz im Gegensatz zu meinem Ich als Lehrerin :P) und tat mich schwer, mich häufig zu melden, daher waren meine mündlichen Noten oft nicht so gut. Dieses ständige "Du musst dich mehr melden" empfand ich damals als Druck.

  • Ich kann mich erinnern, dass bei mir als Schülerin explizit auch die Quantität der Unterrichtsbeiträge bewertet wurde und ich meine sogar in manchen Fächern war das Mündliche höher gewichtet als das Schriftliche (aber das weiß ich nicht mehr genau!), was ich aus heutiger Sicht schwierig finde.

    Hier in NRW gibt es nur ganz wenige schriftliche Fächer (D, M, E, 2 FS) und selbst da wird ei mündliche Mitarbeit z.T. mit bis zu 50 % gewertet. Alles andere ist rein mündlich. Selbst ein Test, wenn denn welche geschrieben werden, geht kaum in die Note mit ein.

    • Offizieller Beitrag

    Die "Schulaufgabe" zählen in Bayern deutlich mehr als in anderen Bundesländern. Wer da einen schlechten Tag erwischt, kann das nur mit Mühe wieder ausgleichen.

    In vielen kleineren Fächern werden in der Sek I keine Klassenarbeiten/Schulaufgaben geschrieben. Aber es gibt -- in allen Fächern -- Abfragen. Abfragen in meinem Fach Geschichte z.B kannte ich gar nicht, bevor ich nach Bayern kam. Ich finde das System immer noch befremdlich: es dürfen nur punktuell Noten erhoben werden. Das kannte ich vorher und nachher nicht.


    Persönlicher Eindruck:

    Den Dünkel von Gymnasiallehrern gegenüber ihren Schülern kenne ich aus zwei bayerischen Schulen. Nicht von allen Kollegen. Aber insgesamt waren sehr viele Kollegen der Meinung, Schüler wollen sich nur durchmogeln und ersinnen lauter fiese kleine Mogeleien. Dem galt es entgegenzutreten. Die Kollegen arbeiteten nicht mit den Schülern, sondern bestenfalls neben ihnen her.


    Erstaunlicherweise fand ich in der Sek I den Anspruch der bayerischen Aufgaben eher simpel: viel Auswendiglernen, wenig AF III.


    Vll waren meine Beobachtungen anekdotisch, vll aber auch symptomatisch.

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