Bildungsgerechtigkeit

  • Nein, weil vieles davon für einen Jugendlichen, der intellektuell tatsächlich fürs Gymnasium qualifiziert ist eine arge Unterforderung darstellt.

    Nein, weil viele Abiturienten echte Schluffis sind, die bequeme Wege gehen wollen und körperliche Arbeit vermeiden möchten. So, ich kann auch pauschalisieren. Muss das immer sein?

  • Was ist daran jetzt pauschalisiert? Die Statistik sagt, dass die meisten Berufslernenden ins Kaufmännische gehen und da würde sich ein Gymnasiast, der ans Gymnasium auch wirklich hingehört, grauenvoll langweilen. Ich habe selber mal Chemie- und Pharmatechnologen unterrichtet, auf dem Niveau würden sich auch meine Fachmittelschülerinnen noch grauenvoll langweilen. Den Jungs, die ich da unterrichtet habe, hat die körperliche Arbeit an den Anlagen aber Spass gemacht, die theoretischen Lerninhalte haben sie nicht so wahnsinnig interessiert. Ich weiss nicht recht, was es da gross zu echauffieren gibt.

  • Da stimme ich zu. Ich fand die kaumännische Ausbildung grauenhaft langweilig. Der Tiefpunkt war Deutsch- und Englischunterricht an der Berufsschule, wenn man gerade frisch aus dem LK kommt und dann "at the airport"-Smalltalk-Dialoge schreiben und Einsetzübungen zu korrekten Verbformen im simple present bearbeiten soll usw.

  • Ich weiss nicht recht, was es da gross zu echauffieren gibt.

    Das liegt mir fern. Aber es gibt Ausbildungsberufe, die Anforderungen stellen, die weder dem "durchschnittlichen" noch dem "intellektuell tatsächlich fürs Gymnasium qualifizierten Gymnasiasten" liegen dürften. Und das liegt sicher nicht daran, dass sie langweilig sind.


    Okay, du hast nicht pauschalisiert, da du ja nur von einem Jugendlichen, der intellektuell tatsächlich fürs Gymnasium qualifiziert ist, gesprochen hast...

  • Wer mit 19 Abitur hat, ist im Durchschnitt besser ausgebildet als jemand der mit 19 Realschulabschluss und Lehre hinter sich hat.

    Hoffentlich stimmt das nicht, da Ausbildung ja nicht Ziel des Gymnasiums ist.

    Ausgebildet ist hoffentlich der 19-jährige Realschüler-Geselle besser.


    Bildung ist nicht gleich Ausbildung.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Aber es gibt Ausbildungsberufe, die Anforderungen stellen, die weder dem "durchschnittlichen" noch dem "intellektuell tatsächlich fürs Gymnasium qualifizierten Gymnasiasten" liegen dürften.


    Welche Ausbildungsberufe sind das denn? Intellektuell gefordert wäre ein durchschnittlicher Gymnasiast wohl in den naturwissenschaftlich-technischen Ausbildungsgängen, z. B. Elektroinstallateur oder Chemielaborant. Die stellen aber die Minderheit der Berufslernenden, grob überschlagen etwa 10 %. Das sind auch genau die, die bei uns parallel direkt die Berufsmaturität erwerben.

  • Die durchschnittlichen Besucher der Oberstufe des Gymnasiums sind doch schon Intellektuell überfordert, ihren weiteren Bildungsweg zu planen. Nach erfolgreichem Bestehen der Abiturprüfungen wir oft irgendwas studiert, nur weil man ja studieren darf. Und kennst du etwa keine Studenten (m.w.d. bunt), die das Studium dann Intellektuell langweilt? Diese Art der Diskussion ist müßig und die Arroganz der Ach-so-Gebildeten völlig überflüssig.

  • Hoffentlich stimmt das nicht, da Ausbildung ja nicht Ziel des Gymnasiums ist.

    Jeder wird heute ausgebildet. Das heutige Gymnasium ist aus der Sicht des 19. Jhdts ungeachtet des höheren Anspruchsniveaus eine Realschule.


    Es ist heutzutage schwer, Lerninhalte zu rechtfertigen, die nicht den Marktwert des Lernenden steigern. Es lernen immer noch ein paar Leute Latein, das ist was noch übrig ist.


    Alles andere richtet sich an der Nützlichkeit aus, ist also Ausbildung. So ist in Englisch und Französisch die Literatur zurückgetreten zugunsten von anwendbaren, praktischen Sprachkenntnissen. Verhandlungssicher ist das Ziel, nicht Shakespeare. Das Niveau in Mathematik soll gehalten werden, nicht weil Physik und Mathematik Teil unserer Kultur sind (große Teile unserer Eliten sind sehr gut darin, das zu ignorieren), sondern weil es eine Voraussetzung für die Ingenieurwissenschaften ist und somit dafür, weiterhin tolle Autos, Brücken, Chemiefabriken, Windmühlen usw. zu bauen.

  • Alles andere richtet sich an der Nützlichkeit aus, ist also Ausbildung. So ist in Englisch und Französisch die Literatur zurückgetreten zugunsten von anwendbaren, praktischen Sprachkenntnissen. Verhandlungssicher ist das Ziel, nicht Shakespeare.

    Das mag für die Spracherwerbsphase noch gelten, für die gymnasiale Oberstufe mit Sicherheit nicht mehr. Das gilt jedenfalls dann, wenn man auch zeitgenössische Literatur mit einbezieht.

  • Die sind nicht "intellektuell überfordert". Sie haben oft mehrere Interessen und können sich nicht entscheiden. Eine KV-Lehre ist einfach nicht wahnsinnig anspruchsvoll in Bezug auf die Komplexität der Lerninhalte, genauso wenig eine Ausbildung zum Chemie- und Pharmatechnologen oder zur Dentalassistentin. Es wird auch welche geben, die sich an der Uni langweilen. So ist das Leben.

  • Das heutige Gymnasium ist aus der Sicht des 19. Jhdts ungeachtet des höheren Anspruchsniveaus eine Realschule

    Dass unter Bildung heute nicht mehr Griechisch und Latein verstanden wird ändert nicht grundsätzlich was am intellektuellen Anspruch für den Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife. Zudem bilden wir heute breiter aus denn je. Vieles wird "auf Verdacht" und mitnichten für einen konkreten Zweck gelehrt. Abgesehen davon gäbe es noch den Begriff des Realgymnasiums, wenn das für dich besser passt.

  • Das mag für die Spracherwerbsphase noch gelten, für die gymnasiale Oberstufe mit Sicherheit nicht mehr. Das gilt jedenfalls dann, wenn man auch zeitgenössische Literatur mit einbezieht.

    Naja, zeitgenössische Literatur hat einen fließenden Übergang dazu, dass man eben Bücher, die gerade in Rede sind, auf englisch liest (oder auch nur seine präferierte Netflix-Serie auf englisch ansieht). Und das zielt für mich auf praktische Sprachkenntnisse.


    Da gibt es natürlich keine scharfe Trennung und ich gebe gerne zu, dass der Englisch-Unterricht früher trotz hohem akademischen Anspruch, Shakespeare usw. im Großen und Ganzen schlechter war.

  • Gefühlt magst du da für die Fremdsprachen recht haben. Für die Naturwissenschaften würde ich eher das Gegenteil behaupten. Ich meine, wir fordern von unseren Jugendlichen erheblich mehr Transferleistung als ich selbst zum Abitur abliefern musste. Projektunterricht, selbst Experimente planen, etc. das gab es nicht.

  • Zudem bilden wir heute breiter aus denn je. Vieles wird "auf Verdacht" und mitnichten für einen konkreten Zweck gelehrt. Abgesehen davon gäbe es noch den Begriff des Realgymnasiums, wenn das für dich besser passt.

    Realgymnasium ist natürlich der richtige Begriff.


    Dass etwas "auf Verdacht" gelehrt wird, heißt nicht, dass das betreffende Wissen keinen Marktwert hat. Auch der Arbeitgeber weiß heute nicht, welche Kenntnisse seine Arbeitnehmer morgen brauchen und schätzt somit eine breite Ausbildung.

  • Wenn durch eine Ausbildung Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt beziehungsweise entwickelt werden und ihr Abschluss zur Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit qualifiziert, dann findet sich sowas nicht an allgemeinbildenden Schulen.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Also das was ich so unterrichte hat für die Mehrheit meiner Maturanden keinen konkreten Marktwert. Für einige wird es eine Entlastung im Studium sein aber im Berufsleben werden sie 90 % der Fachinhalte getrost vergessen können.

  • Da stimme ich zu. Ich fand die kaumännische Ausbildung grauenhaft langweilig. Der Tiefpunkt war Deutsch- und Englischunterricht an der Berufsschule, wenn man gerade frisch aus dem LK kommt und dann "at the airport"-Smalltalk-Dialoge schreiben und Einsetzübungen zu korrekten Verbformen im simple present bearbeiten soll usw.

    Jepp Berufsschule war mir auch zu langweilig. Wir hatte aus irgendeinem Grund gar kein Englisch, aber Deutsch war gefühlt wie in der Grundschule. Die Lernfelder gaben inhaltlich wenig her und es ging so gähnend langsam voran.

  • Nicht jeder sieht die persönliche Befriedigung darin, regelmäßig auf möglichst hohem intellektuellen Niveau zu arbeiten. Manch einer wird auch einfach Bäcker oder Konditor, weil er eine Leidenschaft für's Backen hat - auch wenn es vielleicht für eine kognitiv anspruchsvollere Tätigkeit gereicht hätte. Manch einer ist auch ganz pragmatisch und denkt sich "Für's Geldverdienen reicht's. Meinen Interessen gehe ich in meiner Freizeit nach." bei der Berufswahl.

    Erst gestern habe ich auf YouTube eine Reportage über einen jungen Mann gefunden, der ein 1,0er-Abi hatte, wegen seinen Eltern Zahnmedizin zu studieren begann, damit jedoch sehr unglücklich war, sein Studium abbrach und entschied, Förster werden zu wollen. Er ist jetzt mit seinem dualen Studium der Forstwirtschaft fertig und weiterhin sehr glücklich mit seiner Entscheidung. Sein Vater inzwischen auch.

  • Ja, das meine ich doch. Ich verstehe einfach nicht, was man immer gleich so beleidigt tun muss, wenn man feststellt, dass eine kaufmännische Ausbildung halt nicht wahnsinnig intellektuell ist. Wenn man jetzt Ausbildungen oder Berufe nach "Nützlichkeit" einteilt, wird man wohl zum dem Schluss kommen, dass die Kauffrau schlussendlich "nützlicher" ist, als der studierte Kunsthistoriker. Da könnte dann letzterer auch wieder beleidigt sein.


    Dem Maturanden stehen einfach unmittelbar mehr Wege offen als jemandem, der in eine Berufslehre geht. Einige überfordert das und dann wechseln sie halt das Studienfach. Andererseits arbeitet heutzutage auch kaum jemand, der aus der Berufslehre kommt, die nächsten 30 Jahren in exakt *diesem* Beruf.

  • Dass unter Bildung heute nicht mehr Griechisch und Latein verstanden wird ändert nicht grundsätzlich was am intellektuellen Anspruch für den Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife. Zudem bilden wir heute breiter aus denn je. Vieles wird "auf Verdacht" und mitnichten für einen konkreten Zweck gelehrt.

    Es gibt durchaus noch Lateinklassen an deutschen Gymnasien. Wie wird "Bildung" heute d.E. definiert?

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