Bildungsgerechtigkeit

  • Hier ein paar Links zum Thema "soziale Ungleichheit manifestiert sich an deutschen Schulen überdurchschnittlich im internationalen Vergleich". Sind zwar schon ein paar Jahre alt, aber offenbar immer noch aktuell und der Aufmerksamkeit würdig.


    https://www.boeckler.de/de/boe…0von%20Stufe%20zu%20Stufe.


    Die Laufbahn-Entscheidungen am Ende der Grundschulzeit fallen ins Gewicht, weil das dreigliedrige Schulsystem es nur selten ermöglicht, die einmal gefällte zu niedrige Zuweisung zu korrigieren. Zwar wechseln 14 Prozent der Schüler in der Sekundarstufe noch einmal die Schulform. Ein Aufstieg ist jedoch äußerst selten, er gelingt nur 3 Prozent der Schüler. Die Aufteilung in drei Schultypen erweist sich als wichtiger Verstärker der gesellschaftlichen Ungleichheit.


    Bei der Studie LAU 5 wurde zudem deutlich: Ein Kind, dessen Vater keinen Schulabschluss hat, muss erheblich besser sein als die anderen, um eine Empfehlung für ein Gymnasium zu bekommen. Es muss ein genauso hohes Leistungsniveau aufweisen wie ein Schüler, der eine Klasse überspringen darf. Hat der Vater Abitur, genügt schon eine Leistung unter dem Durchschnitt.


    Oder:

    https://www.bpb.de/themen/bild…n-bildungsungleichheiten/

    Zusammenfassend kann die aktuelle Forschungslage so resümiert werden, dass Kinder aus sozial weniger begünstigten Familien im Vergleich zu Kindern aus sozial privilegierten Elternhäusern

    1. über niedrigere schulische Kompetenzen verfügen,
    2. bei gleichen Leistungen von den Lehrkräften schlechter bewertet werden,
    3. auch bei gleichen Schulleistungen und Noten geringere Chancen auf den Erhalt einer Gymnasialempfehlung haben und
    4. bei gleichen Leistungen seltener auf ein Gymnasium wechseln (Dumont, Maaz, Neumann & Becker, 2014; Maaz & Nagy, 2009).


    Ansätze, dies bereits in der Lehrkräfte-Ausbildung zu berücksichtigen z.B. hier:


    https://www.bertelsmann-stiftu…r-die-aus-und-fortbildung


    Um sozial benachteiligten Schüler:innen lernförderlich zu begegnen, ihre Potenziale zu heben, ihnen Selbstwirksamkeit und soziale Eingebundenheit zu vermitteln, bedarf es der Gestaltung habitussensibler Beziehungen.

  • Ich wollte schon immer mal wissen, wie die herausfinden, dass gleiche Leistungen bei Kindern ohne privilegierte Elternhäuser schlechter bewertet werden. Ich kann ja nur für mich sprechen, aber in der Regel weiß ich überhaupt nicht, was die Eltern beruflich machen. Und vom Erscheinungsbild auf dem Elternsprechtag kann man in keiner Weise auf den Bildungshintergrund schließen. Vor mir saß da schon eine wild Kaugummi, furchtbar kitschig aufgebretzelte Tussi mit mit dümmlich wirkender Ausdrucksweise, die tatsächlich Ärztin war ….

  • Ich glaube, es ist ein Fehler, von der Arzteigenschaft auf hohen Intellekt zu schließen. Man kann die dabei geforderten Leistungen problemlos auch durch großen Fleiß erbringen. „Mit dem Arsch studieren“ sagt man dazu.

  • vom Erscheinungsbild auf dem Elternsprechtag kann man in keiner Weise auf den Bildungshintergrund schließen. Vor mir saß da schon eine wild Kaugummi, furchtbar kitschig aufgebretzelte Tussi mit mit dümmlich wirkender Ausdrucksweise, die tatsächlich ….


    ... Lehrerin war ...


    ... und "mit dem Arsch studiert" haben mag ...

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Ja, gibts auch. Ich hab so eine in der Verwandtschaft.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Ich kann ja nur für mich sprechen, aber in der Regel weiß ich überhaupt nicht, was die Eltern beruflich machen.

    Es ist vor allem an den Primarschulen absolut üblich, dass die Klassenlehrperson das weiss. Ich weiss es selbst als Fachlehrperson in der Sek II. Unsere SuS füllen in der 1. Klasse Biographieblätter aus, die in den Rundlauf gehen. Zudem habe ich in den 4 Jahren so viele Gelegenheiten mit den Jugendlichen zu tratschen, dass ich es allein daher schon weiss. Das gibt's bei uns noch häufig, dass man mal nachfragt, warum jemand ständig müde ist oder morgens zur 1. Lektion chronisch zu spät kommt. Und siehe da, der 16jährige kocht daheim für 3 Geschwister weil die Eltern Vollzeit arbeiten gehen. Dann kannst du dir natürlich grundsätzlich das Einzugsgebiet deiner Schule anschauen, dazu gibt es öffentlich verfügbare Statistiken. Ich habe original schon den Satz von einer italienischstämmigen Mutter gehört: "Am Progymnasium hiess es, das sei halt so, dass die Italiener kein richtiges Deutsch können." Natürlich ist das nur eine Seite der Geschichte, aber wie heisst es so schön ... irgendwas Wahres wird schon auch dran sein. Ich finde es erstaunlich, mit welcher Vehemenz und Empörung manche versuchen, das kleinzureden. Als seien wir alle vollkommen unschuldig an der Situation, die kam so vom Himmel gefallen.

  • Meine Große musste letztes Jahr in Deutsch „Bewerbungen“ schreiben. Also das, was ihre Lehrerin, die in ihrem Leben noch keine richtige Bewerbung geschrieben hat, dafür hält. Ganz wichtig im Lebenslauf: Der Beruf der Eltern. Sie hat dann „Produktionshelfer“ und „Fachkraft in der Systemgastronomie“ reingeschrieben.

  • Ich habe meiner eigenen Klasse empfohlenen die Biographieblätter an diesen Stellen nicht auszufüllen. Ich finde es unverschämt, dass wir pauschal danach fragen. Zeigt aber, wie "wichtig" diese Informationen einigen doch erscheinen.


    Ich habe mich auch ziemlich geärgert, dass ich diese Angaben beim Migrationsamt machen musste. Was waren die Eltern von Beruf, was haben die Brüder gelernt... Freunde, das geht euch einen scheiss an, die Eltern sind tot und die Brüder wollen hier nicht eingebürgert werden. Sagste in der Situation natürlich nicht. :cursing:

  • Anekdote zur Bildungsgerechtigkeit:


    Einer meiner Neffen war Ausbildungsleiter bei einer bei einem bekannten Maschinenbauunternehmen. Er bot mir drei Ausbildungsstellen für Schüler*innen, die nach Sek 1 eine Ausbildung anstrebten. Da es mir widerstrebt, Gymnasiasten unbotmäßig zu motivieren, gab ich dies an die Berufsbildungskoordinatorinnen zweier benachbarter Gesamtschulen.

    Von einer dieser Gesamtschulen kam bei meinem Neffen keine einzige Bewerbung an; von der zweiten erreichten ihn einige, die sich aber nur hinsichtlich der persönlichen Daten unterschieden und keine weiteren Anlagen enthielten (Zeugnisse, Praktikanachweise etc.). Alle Bewerber*innen wurden trotzdem eingeladen. Es erschien nur einer. Dieser hatte keinerlei Unterlagen dabei, obwohl im Einladungsschreiben darauf verwiesen war.

    Im Verlaufe des Gesprächs ergab sich, dass eine Lehrerin sämtliche Bewerbungsschreiben für die interessierten Schüler*innen eigenständig verfasst hatte, dabei immer dieselbe Vorlage benutzt, nur die persönlichen Daten geändert und die Bewerbungen mit Zustimmung und im Namen Schüler*innen per Email versandt hatte.


    frei nach Kant:


    Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, eine Lehrperson, die für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken und zu handeln; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Dass der bei weitem größte Teil der Menschen den Schritt zur Mündigkeit, außer dem dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben.


    Wozu also Bildung, geschweige denn Bildungsgerechtigkeit!

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Ich habe mich auch ziemlich geärgert, dass ich diese Angaben beim Migrationsamt machen musste. Was waren die Eltern von Beruf, was haben die Brüder gelernt... Freunde, das geht euch einen scheiss an, die Eltern sind tot und die Brüder wollen hier nicht eingebürgert werden. Sagste in der Situation natürlich nicht. :cursing:

    Ja, aber vielleicht holst du deine Brüder nach, wenn sie sehen, wie toll es in der Schweiz ist. :aufgepasst:

  • Man kann die dabei geforderten Leistungen problemlos auch durch großen Fleiß erbringen. „Mit dem Arsch studieren“ sagt man dazu.


    Da würde dir wahrscheinlich fast jeder Medizinstudent der Welt widersprechen. Nach dem, was mir bekannt ist, ist ein Medizinstudium quasi ein Vollzeitjob (auf welches andere Studium trifft das sonst zu?). Etliche Stunden Lernen am Tag ist sicherlich nicht einfach zu bewältigen und erfordert gewisse kognitive Fähigkeiten (alleine schon, um das alles unter einen Hut zu bringen, zu koordinieren und zu selektieren). Gut möglich, dass es auch für einen durchschnittlich Begabten mit extrem viel Fließ und Disziplin machbar ist, aber bestimmt nicht problemlos.


    Da wir beide keine Mediziner sind, würde ich vermuten, können wir uns da auch kein abschließendes Urteil erlauben.


    Ich glaube aber, dass ein anderer Punkt zur Erklärung des hier geschilderten Verhaltens deutlich besser taugt: Intelligenz und Sozialisation sind zwei voneinander (weitgehend) unabhängige Größen. Kurz gesagt: Jemand kann sich teilweise wie der letzte Mensch benehmen und dabei trotzdem überdurchschnittlich intelligent sein. Wenn die Person im Rahmen ihrer frühkindlichen Sozialisation dieses Verhalten habitualisiert hat, ist es später sicherlich durchaus schwierig, es komplett wieder abzulegen.

  • Ich wollte schon immer mal wissen, wie die herausfinden, dass gleiche Leistungen bei Kindern ohne privilegierte Elternhäuser schlechter bewertet werden.

    Da gibt es doch so Internetumfragen von Studenten, wo man suggessiv Namen bestimmte Eigenschaften/Lernergebnisse zuordnen muss. Ich bin mir nicht sicher, ob solche Studien astrein sind und einer Wissenschaftlichkeit genügen. Das sind fiktive, unrealistische Situationen, die in ähnlicher Manier abgefragt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier reale Situationen solide analysiert werden.

    Denn die Frage ist doch: Wie wird es in der Realität gemacht? Da sieht man das einzelne Kind als Person, als Schüler bzw. Schülerin und nichts weiter. Bei erbrachter Leistung schaut man die Leistung an.


    Wegen des Datenschutzes wissen wir nicht, was die Eltern machen. Wir haben nur Adresse und Telefnonnummern und Notfalldaten, die die Eltern angegeben haben. Mich wundert, dass man in der Schweiz etwas Ausfführliches ausfüllen muss.

  • Ichbindannmalweg, der weitere verlinkte Artikel schreibt dazu:

    Kinder aus bildungsfernen Familien erhalten bei gleichen Fähigkeiten seltener eine Gymnasialempfehlung von den Lehrkräften als Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern. Verstärkt das die Bildungsungerechtigkeit beim Übergang?

    Hartmut Esser: Diese Tendenz gibt es in der Tat. Deshalb wäre es ratsam, für die Übergangsempfehlung stärker Kriterien heranzuziehen, die die tatsächlichen kognitiven Potenziale abbilden. Diese sind über den gesamten Lebenslauf relativ stabil und weniger abhängig von einer vorübergehenden Verfassung, wie etwa bei den Klausuren oder Noten. Diese zusätzliche Information könnte die Unsicherheit der Lehrkräfte bei den Empfehlungen verringern.


    Es ist also möglich, dass eine Lehrperson nicht weiß, ob der Vater studiert hat, aber aufgrund der Kriterien ihrer Leistungsbewertung diejenigen besser bewertet, die bessere Unterstützung erfahren (Bsp: Hefter-Noten als Leistungskontrolle werten)


    Edit: wir reden hier ja aller Nas' lang über Leistungsbewertung, daher sind wir sehr sensibilisiert dafür, denke ich. Also jedenfalls denke ich auch nach einigen Jährchen im Dienst immer wieder darüber nach, was genau ich da eigentlich bewerte. Komplexes Thema...

  • Da spricht der Geisteswissenschaftler.


    Trifft nicht zu. Allerdings keine zwei MINT-Fächer.


    Kenne aber auch genug Leute mit zwei MINT-Fächern, bei denen das nicht zutrifft.



    Ich meine, klar muss man teilweise viel machen, aber doch keine acht Stunden jeden Tag (außer Wochenende). Dann dürfte auch kein MINT-Student einen Nebenjob während der Vorlesungszeit haben können.

  • Dass fälschlicherweise fremde Leistungen den Kindern zugeschrieben werden, dass glaube ich auch. Das ist in der Tat höchst ungerecht. Dem kann man aber als Lehrkraft doch noch gut entgegen wirken, indem man sicherstellt, dass wichtige Dinge in der Schule angefertigt werden.


    Das ist aber was anderes, als „Gleiche Leistungen schlechter zu bewerten“. Ich kann mir nur vorstellen, dass Eltern in entsprechenden Positionen Druck auf Lehrer ausüben, die dann aus Angst die tendenziell bessere Note ziehen. Ein bisschen Spielraum ist ja meist vorhanden. Einschüchterungsversuche beim Elternsprechtag habe ich schon erlebt („Sie wissen sicherlich wer ich bin“).


    Aber würde man nicht sogar den Schüler, von dem man weiß, dass er die Leistung alleine erbracht hat, nicht sogar gerne die bessere von zwei möglichen Noten geben? Ist das dann nicht auch ungerecht?

  • Wofür ist das gut? Und warum müssen diese Infos an alle?

    Wir haben eine Schülerdatenbank, da kann man benötigte Informationen nachschlagen. Gottseidank ist die Papierzeit, wo man sich diesem Fall im Sekretariat die Akte ausleihen muss, seit mindestens 15 Jahren vorbei. Und auch wenn SchilD in NRW eine unkomfortable Lösung ist, einfacher ist das allemal.

    Es könnte alles so einfach sein - ist es aber nicht.

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