Leistungsstarke bayerische Abiturientinnen?

  • Na die ursprüngliche Frage von Herr Bernd war ja, wo kommen plötzlich die ganzen 1,0-Abiturs in Bayern her, wo doch die Aufgaben auf dem Papier nicht ganz trivial aussehen. Und dazu würde ich sagen:


    Solche Notendurchschnitte sind nur mit diszipliniertem Training-to-the-Test möglich. Darin war Bayern in Deutschland schon immer führend. Bayern hatte schon immer die transparentesten und öffentlichsten Anforderungen im deutschsprachigem Raum und hat schon immer am systematischsten darauf vorbereitet. Und die Bayern sind auch am wenigsten für Reformen und Änderungen.


    Heute ist mit dem Internet ist alles noch viel transparenter: Lehrpläne kann man runterladen, Lernplattformen haben sie implementiert, Youtube erklärt es von vorne bis hinten, Wikipedia weiß es auch, wenn du's immer noch nicht verstanden hast, frag in einem Forum. Und es ist immer dasselbe, was man wissen muss. Somit ist eine schwere Aufgabe aus dem Jahr 2000 heute - auch wenn sie leicht abgewandelt wurde - für den ehrgeizigen Schüler Standard, den er schon x-mal gesehen hat. Mit dieser hohen Transparenz kann man sich auch in allen kleinen Fächern Überblick über alles was man wissen muss verschaffen und es auswendig lernen - wenn man es für der Mühe wert hält.


    Und da liegt auch ein Unterschied zu meiner Abitur-Zeit (1989):


    Ja, die Anforderungen in Physik, Mathe und Latein sind seither etwas gesunken, dafür sind sie in Englisch und Französisch deutlich gestiegen. Warum hatte bei uns keiner 1,0 (auch wenn es solche Noten in Mathe und Physik natürlich gab und natürlich auch jemand in Englisch oder Latein im Abitur 15 Punkte hatte)?


    Ein Grund ist auch, dass wir es nicht für der Mühe wert gehalten hätten. Keiner wäre auf die Idee gekommen, den Aufwand zu investieren, in jedem Nebenfach eine 1 zu erhalten. Niemand interessiert sich wirklich für alle diese Fächer. Für den Normalmenschen ist es eine Verschwendung von Lebenszeit, überall in jedem Fach eine 1 haben zu wollen. Ein Normalmensch geht lieber zum Sport, spielt im Orchester oder pflegt sonst ein Hobby, bei dem er mindestens eben so viel lernt. Wir brauchten das nicht, nicht um Medizin zu studieren, nicht für sonst irgend was.


    - Und da könnte auch eine Wahrheit für die Schweiz liegen.

  • Anekdotisch: Die beiden Besten meines Abijahrgangs (93) teilten sich eine 1,4. Einer der beiden ist heute Professor und war schonmal auf so einer „the 50 most influential scientists under 50“ oder so ähnlich. Heute wären die beiden an einem durchschnittlichen Gymnasium vielleicht gerade noch unter den besten 10.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Es sollten auch nicht die Faktoren Können und Wollen außer Acht gelassen werden. Es gibt Schüler (m/w/d), die es mit der besten Didaktik nicht hinbekommen, weil ein Sachgegenstand ihren kognitiven Rahmen übersteigt. Sie könnten mit viel Mühe eine genau vorgegebene Anleitung für einen Aufgabentyp auswendig lernen und wiedergeben, aber sie könnten weder genau sagen, was sie da gerade machen, noch wären sie in der Lage, die Aufgabe zu lösen, sobald sich auch nur ein kleines Detail ändert. Lernen ist zudem anstrengend und es ist nicht jeder bereit, sich wirklich solange hinzusetzen, bis man einen Sachgegenstand auch wirklich von A bis Z verstanden hat. Vor allem bei Fächern wie meinen, bei denen man jahrelang am Ball bleiben muss, um nicht den Anschluss zu verlieren.

    Es ist eine Sache, (theoretisch) Zugang zu Wikipedia und The Simple Club zu haben, eine andere, diese Inhalte auch tatsächlich zu nutzen und eine letzte, davon auch in Form von nachhaltigem Wissenszuwachs zu profitieren.

  • Gymshark Das untere Ende fällt natürlich ab: Hauptschüler können weder einem Erklärvideo folgen (wenn sie der Lehrer nicht hindurchführt) noch einer Screenshot-Anweisung. Sie können auch nicht im Ernst irgend etwas bei Google recherchieren. Weder wissen sie eine erfolgversprechende Frage noch haben sie die Lesegeschwindigkeit und das Leseverständnis, die Ergebnisse auszuwerten.


    Bei den besseren Schülern profitieren die, die es eigentlich gut verstanden haben, aber genau wissen, dass in ihrem Verständnis oder ihrer Kenntnis eine Lücke ist - und auch wo diese Lücke ungefähr ist.


    Trotzdem blieb früher diese Lücke und heute kann sie der ehrgeizige Schüler füllen. Das führt jedenfalls am oberen Ende dazu, dass sich Arbeit mehr lohnt und der alte Lateinlehrerspruch gültiger ist denn je: Charakter schlägt Intelligenz.

  • Jetzt bin ich doch neugierig geworden. Wie oft gebt ihr im Schnitt die 13-15 NP in der Oberstufe? Bei mir ist es im Schnitt weniger als ein Schüler pro Klasse, also nicht so oft. Weniger als 5 NP kommt dagegen häufiger vor und zwar circa 2 bis 3 Mal pro Kurs.

    In meinem letzten Q12-Deutschkurs hatte eine Schülerin durchgehend 13 bis 14, im Abitur dann 13. Ein Schüler kam in einer Klausur meine ich auf 13, aber sonst auch im Zweierbereich. Weniger als 5 Punkte: 4 Schüler.

  • Das untere Ende fällt natürlich ab: Hauptschüler können weder einem Erklärvideo folgen (wenn sie der Lehrer nicht hindurchführt) noch einer Screenshot-Anweisung. Sie können auch nicht im Ernst irgend etwas bei Google recherchieren. Weder wissen sie eine erfolgversprechende Frage noch haben sie die Lesegeschwindigkeit und das Leseverständnis, die Ergebnisse auszuwerten.

    Dabei muß ich immer an das Thema Wechselschaltung in der Elektrotechnik denken. Also man schaltet unten im Treppenhaus das Licht an, geht die Treppe hoch und schaltet es oben wieder aus.


    Damals in den frühen 1990ern haben sie uns in der 6. Klasse in Physik am Gymnasium zwei Schalter, eine Lampe, eine Batterie und ein paar Laborkabel in die Hand gedrückt und wir sollten im Schülerversuch ohne weitere Infos selber die Schaltung rausbekommen. Das hat damals sogar funktioniert.


    Heute habe ich die 16-17jährigen im Berufsgrundschuljahr Elektrotechnik, man führt ihnen die Schaltung dreimal vor, entwirft im Plenum den Schaltplan und die Schüler sollen die Schaltung einfach nachbauen. Aus einer ganzen Klasse mit 23 Schülern schafft das exakt einer! :autsch:

  • Das funktioniert auch 2024 noch exakt so, gerade diese Woche mit der Fachmittelschule im Physikpraktikum gemacht. Das ist das Praktikum, das wirklich auch alle "Doofen" noch zuverlässig hinbekommen.

  • Keiner wäre auf die Idee gekommen, den Aufwand zu investieren, in jedem Nebenfach eine 1 zu erhalten. Niemand interessiert sich wirklich für alle diese Fächer

    Es interessiert sich auch heute niemand für alle diese Fächer und ich glaube ehrlich nicht, dass deine Schülerinnen und Schüler mehr Aufwand betreiben als meine. Ich glaube, ihr vergebt einfach die besseren Noten, weil das System einen NC für sehr viele Studienfächer verlangt.

  • Ich glaube, ihr vergebt einfach die besseren Noten, weil das System einen NC für sehr viele Studienfächer verlangt.

    Das denke ich auch.


    Im Studium war es ja auch nicht anders. Die Veranstaltung „Experimentalphysik für E-Techniker und Informatiker“ mit der Note 4,0 zu bestehen war eine Qualitätsaussage, weil das nur 10% geschafft haben.

    Zwei Stunden später saß man dann in der Pädagogik zusammen mit angehenden Grundschullehrern in einer Veranstaltung und es hieß: „Ich brauche eine 1,0, weil man mit 1,3 eh keine Chance auf Referendariat und Planstelle hat.“

    • Offizieller Beitrag

    Es interessiert sich auch heute niemand für alle diese Fächer und ich glaube ehrlich nicht, dass deine Schülerinnen und Schüler mehr Aufwand betreiben als meine. Ich glaube, ihr vergebt einfach die besseren Noten, weil das System einen NC für sehr viele Studienfächer verlangt.

    DANKE DANKE DANKE!!!

  • Der NC sagt doch aber nur, welche Note der*die schlechteste*r Bewerber*in, der*die noch genommen wurde, hatte. Wenn die Noten allgemein schlechter wären, wäre der NC automatisch auch schlechter.

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

  • Damals als WIR noch den Abschluss gemacht haben...

    ... konnte man in Bayern Mathe im Abi abwählen. Dafür bin ich heute noch dankbar, auch wenn ich es aus didaktischen Gründen nicht gutheißen kann.

  • ... konnte man in Bayern Mathe im Abi abwählen. Dafür bin ich heute noch dankbar, auch wenn ich es aus didaktischen Gründen nicht gutheißen kann.

    ... oder eben Deutsch :)

  • ... konnte man in Bayern Mathe im Abi abwählen. Dafür bin ich heute noch dankbar, auch wenn ich es aus didaktischen Gründen nicht gutheißen kann.


    ... oder eben Deutsch :)

    Das ging in Baden-Württemberg 1988 schon nicht mehr.


    Mathe musste jeder schriftlich oder mündlich (Wahl nur im Grundkurs) ablegen, Deutsch jeder schreiben (allerdings konnte man je nach sonstiger Wahl den Abiaufsatz anders abrechnen, ich schrieb ihn zwar mit allen anderen mit, er zählte aber nicht zum Abiblock, da ich noch Englisch-LK hatte, sondern doppelt in 13.2).

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Und zu den Noten 1988 an meinem Gymnasium: Es gab bei 70 Schülern 3 mal 1,0, 2 mal 1,1 und 5 mal 1,2. Mein Englisch-LK hatte einen Schnitt im zentralen schriftlichen Abitur mit 13,6, getoppt vom Physik-LK mit 14,1 (jeweils 15 bzw. 12 Schüler, also keine kleine Kurse). Jeweils der halbe Kurs musste ins mündliche, weil die Abweichung größer als 3,9 Punkte war (im Vergleich zu Durchschnitt 12.1 - 13.1, die Noten an meiner Schule waren also zu streng, meine Deutschlehrerin hat sich bei uns deswegen entschuldigt). 2 Schüler bestanden nicht. Und bei uns wurde bereits damals jede Abiturprüfung dreimal korrigiert (Zweitkorrektur anonym an anonymen Schulen), man sieht als Lehrer nur einen Code auf der Arbeit. Mauscheln und Punktezuschustern ist also nicht möglich.


    Es gab auch schon früher gute Leistungen. (Auch bei uns sorgte der NC für die hohen Schnitte, mehr als 20 meiner Mitabiturienten sind heute Ärzte.)

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  • Joa. Meine Schöfli studieren einfach ohne NC Medizin. Maturprüfungen haben sie alle Deutsch, Französisch, Mathe, Schwerpunktfach, Englisch/Ergänzungsfach, jeweils schriftlich und mündlich. Sie müssen also alle insgesamt 10 x ran. Das Niveau ist deutlich höher als zu meiner Zeit, 1999 in Bayern.

  • Ich durfte sogar Deutsch in der 13 komplett abwählen. Abi 1980 war auch in Mathe echt easy: nur Analysis, nur ganzrationale Funktionen. Früher war wirklich nicht alles schwieriger.

    Die Weisheit des Alters kann uns nicht ersetzen, was wir an Jugendtorheiten versäumt haben. (Bertrand Russell)

  • Ich durfte sogar Deutsch in der 13 komplett abwählen. Abi 1980 war auch in Mathe echt easy: nur Analysis, nur ganzrationale Funktionen. Früher war wirklich nicht alles schwieriger.

    In welchem Bundesland hast du Abi gemacht?


    Dein Beitrag erinnerte mich an eine Chemiekommilitonin aus NRW. Sie sagte, sie dachte sie sei gut in Mathe bevor sie im (baden-württembergischen) Studium erfuhr, dass es nicht nur ganzrationale Funktionen gibt. Wir hatten auch gebrochen-rationale Funktionen. (Ich muss mal selbst nach meiner Abiklausur suchen.)

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