Schülerin unterstellt "in den Ausschnitt" gucken

  • Hallo zusammen,

    ich habe seit Freitag quasi nur noch schlaflose Nächte. Ich zu diesem Schuljahr an einen neue Schule gewechselt. Eine gesamtschule. Am Freitag unterrichtete mich ein Kollege, dass eine seiner Schülerinnen der 9. Klasse behauptet hätte, dass ich ihr in den Ausschnitt gucken würde. Ich war völlig fertig. Ich weiß nicht um wem es geht und bin mir auch keinerlei Schuld bewusst. Jedenfalls bin ich seit dem völlig neben mir. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder - Eigenheim. Ich weiß nicht was auf mich zukommen kann. Meine ganze Familie steht auf dem Spiel. ( finanziell) Ich weiß auch gar nicht mehr wie ich mich in der Klasse verhalten soll. Morgen habe ich ein Gespräch mit der Schulleitung. Ich kann nur sagen, dass ich unschuldig bin. Was soll anderes vorweisen? Die 9. Klasse, die ich unterrichte ist sehr schwierig - sehr geringes Leistungsniveau, respektlose SuS usw. - ich vermute es es handelt sich hier um eine Art "Rache". Hat jemand schon ähnliches erlebt?

    Vielen Dank im Voraus, Marcel

    Wenn die Schulleitung hinter dir steht, am Vorwurf nichts dran ist, dann bist du auf der weitestgehend sicheren Seite.


    Wohl dem, der gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann.

    Der Himmel ist nicht mein Limit, ich bin es.

  • Was meine in den Raum geworfene Frage weiter oben wiederum stützen würde: wenn man Ausschnitt und Schal nicht kritisieren soll, weil es einen nichts angeht, sollte man sich ebenfalls ein "ach was für ein schöner Schal!" oder "dieser Ausschnitt Schal steht dir aber gut" abgewöhnen. Selbst wenn man den Schal wirklich total schön findet oder denkt, dass er dem anderen ausgezeichnet steht, zeigt es doch, dass man sich mit dem Aussehen anderer beschäftigt, obwohl es einen nichts angeht.

    Oder ist "Lob" hier wieder mal okay aber "Tadel" muss man für sich behalten?

  • Warum fühlt man sich so wohl? Man sieht seinen Ausschnitt nicht, natürlich hat es was mit sexy-sein-wollen zu tun.

    Der Grund, warum ich so gut wie nie Oberteile mit Ausschnitt trage ist, dass ich -altersunabhängig Seph - von niemandem reingeschaut bekommen möchte, da ich das als prinzipiell respektlos und übergriffig empfinde. Dennoch würde ich gerne einfach Oberteile kaufen und tragen, die mir gefallen und diese tragen ohne mich selbst zu fragen, ob das ein Tag ist, an dem ich es zumindest aushalten kann, dass diverse Menschen sich einbilden, ich wolle, dass sie meine Brüste ansprechen oder mir in den Ausschnitt starren.

    Ich will nicht sexy sein, denn das hat etwas mit der Wahrnehmung von außen zu tun, sondern den Raum haben, ich selbst zu sein ohne mich dafür erst verhüllen zu müssen. Das habe ich lange genug gemacht und finde einfach nicht, dass es in Ordnung ist, dass andere Menschen konstant meinen Lebensraum beschneiden mit Worten und Taten (die IMMER folgen, wenn ich nur den Hauch eines Ausschnitts trage) und sich auch noch einbilden dürfen, ich wolle das schließlich so oder sei selbst schuld qua Bekleidung.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich finde die Fragestellung wirklich spannend, weil so schwierig (für mich) zu beantworten.
    Ich finde den Spagat echt schwer und bin froh, mir dazu in der Kindererziehung keine Gedanken machen zu müssen/dürfen.

    Ich fände es ein bisschen strange, aber objektiv okay, wenn mir jemand, der mich ein bisschen kennt, zur Seite nimmt und sagt "Chili, dein Schal passt nicht zum Rest, mir ist aufgefallen, du scheinst Probleme mit Farbkombination zu haben" aber nicht, wenn man mir sagt "Warum trägst du einen Schal, versteckst du dich?". Die Frage darf jemand meinetwegen stellen, der mir sehr nah steht, oder den ich dafür bezahle, um mein Gehirn zu analysiere.
    (Analog zum Ausschnitt würde ich es genauso eingrenzen).

    Oder ist "Lob" hier wieder mal okay aber "Tadel" muss man für sich behalten?

    Naja, grundsätzlich kann man sich auch fragen, ob es nicht generell netter ist, nette Sachen zu äußern, statt negative. Also, was das Ziel von einer geäußerten Kritik sein soll.


    Was meine in den Raum geworfene Frage weiter oben wiederum stützen würde: wenn man Ausschnitt und Schal nicht kritisieren soll, weil es einen nichts angeht, sollte man sich ebenfalls ein "ach was für ein schöner Schal!" oder "dieser Ausschnitt Schal steht dir aber gut" abgewöhnen. Selbst wenn man den Schal wirklich total schön findet oder denkt, dass er dem anderen ausgezeichnet steht, zeigt es doch, dass man sich mit dem Aussehen anderer beschäftigt, obwohl es einen nichts angeht.


    Da bleibe ich ebenfalls wie oben: Aussehen ist nicht gleich Aussehen.
    Und zu sagen "ich mag deinen Schal", "Diese Bluse steht dir gut", "Die Farbe passt zu deinen Augen" ist für mich was Anderes als die Reduktion zum rein körperlichen Aussehen.
    Und wie so oft hängt es auch von der Person, dem Kontext und der Beziehung ab.
    Jemand musste / hätte dem Praktikanten sagen müssen, dass man sich nicht so kleidet (halb geschnittenes Shirt mit Ausschnitt bis zum Bauchnabel), allgemein darauf hinzuweisen, bei der Kleidungswahl zu bedenken, in welchen Positionen man regelmäßig ist (gebückt am Tisch zum Beispiel), ...

  • merkwürdig:

    ich (nicht mehr die Jüngste) trage, was ich gerne möchte. Noch nie, wirklich noch nie, hat jemand meinen Körper kommentiert.
    (doch: meine Mutter, als ich in der Pubertät war:grimmig:).

    Ich bekomme durchaus Komplimente für einzelne Kleidungsstücke à la "coole Bluse", aber damit werden nur die Kleidungsstücke angesprochen. Tipps, wie ich mich besser kleiden könnte, fände ich tatsächlich als übergriffig, egal, ob es um einen Schal, einen Mininrock oder um einen Mantel ginge. Was ist das für ein Miteinander, wenn Kolleg:Innen das tun?


    zu den Schülerinnen:

    ich bin der Meinung, dass sich Teenager ausprobieren müssen, auch hinsichtlich ihrer Kleidung. Dazu gehört auch, auszutesten, wie sexy (definiere das!) mag ich mich fühlen, welche Reaktionen Anderer kann ich gut hinnehmen, wo erlebe ich dann für mich doch Probleme?

    Dazu gehört natürlich auch trial and error.

    Ein kurzer Blick auf einen tiefen Ausschnitt (auf, nicht in) lässt sich wie schon angesprochen oft gar nicht vermeiden. Starren wäre übergriffig.

    Interessant fand ich die Beobachtung, dass es einen Unterschied mache, ob der coole Typ zwei Klassen über mir guckt oder der Deutschleherer mittleren Alters. Da ist vermutlich was dran.

  • Ich habe die Macht, dir in den Ausschnitt zu gucken, länger, als ein vorbeihuschender Blick es wäre...

    Und ich habe die Macht, dein Anstehen zu ruinieren, in den ich genau das behaupte...

    (Wobei letzteres im Verhältnis sowas von deutlich seltener vorkommt, dass es hier eigentlich ausgeklammert werden sollte nach Erwähnung.)

  • Ich hab es interessanterweise noch nie so empfunden, dass der Starrende "Macht" hat, sondern eher umgekehrt.. Frau hat die "Macht", Männer gucken zu lassen, wenn sie will und entsprechend auftritt. Zumindest zwischen Teenager und Mitte 30 😄 Das ist natürlich auch bescheuert und letztlich gehts wahrscheinlich um Bestätigung, aber im Prinzip entscheidet und steuert doch die Frau die Reaktionen durch ihre Kleidung und ihr Auftreten und hat somit die Kontrolle. Im normalen Shirt passiert einem sowas ja eher nicht.

    Der Starrende signalisiert dagegen doch eher Bedürftigkeit.

  • Ich hatte gestern eine Situation, bei der ich an diesen Thread denken musste.
    Vertretungsstunde in einer 10. Klasse, die Schüler*innen kenne mich also nur so vom Sehen. Wir haben eine Übung mit Wörterbüchern gehabt, eine Schülerin hat etwas im Dictionary nicht gefunden und ich habe ihr erklärt, wie sie vorgehen soll. Als sie das umgesetzt hat, bin ich vor ihrem Tisch stehen geblieben und habe zugesehen, ob sie alles richtig macht. Nach vielleicht 1-2 Minuten ist mir erst aufgefallen, dass mein Blick zwar auf das Wörterbuch gerichtet war, dass das aber durchaus auch eine Position und eine Kopfhaltung ist, die man von außen als Blick in den Ausschnitt der Schülerin interpretieren könnte. Die Schülerun hatte ein normales Top an mit einem normalen V-Ausschnitt, aber man ist ja vor der Wahrnehmung anderer nicht gefeit. Nur zur Klarstellung: Weder vor der Erkenntnis noch danach habe ich in ihren Ausschnitt geblickt, es ist eine 16/17-Jährige und ich gehe steil auf die 50 zu, das würde ich selbst mehr als befremdlich finden, wenn mein Blick dorthin wandern würde. Aber von der Seite hätte es evtl. so aussehen können.
    Ich bin dann wieder vor zum Pult. Es kam natürlich nichts, aber im Zweifelsfall hätte diese Schülerin, die mich als Person ja auch nicht einschätzen können, vielleicht ein komisches Gefühl gehabt und die Mitschüler hätten es vielleicht sogar bestätigt.

  • Wer sich mit einem bestimmten Outfit in der Öffentlichkeit bewegt, will m.E. auch so gesehen werden.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Bei einem Gespräch mit der Schulleitung auf jeden Fall einen Personalvertreter mitnehmen! Schriftlich und in aller Schärfe die Anschuldigungen zurückweisen! Ggf. darauf hinweisen, dass du dir rechtliche Schritte vorbehälst! Anzeige wegen Verleumdung, auch ohne die Schulleitung mit einzubeziehen!

    Hier musst du ganz klar zeigen, dass du so nicht mit dir umgehen lässt. Schweigen oder zögerliches Verhalten kann als Eingeständnis gewertet werden.

  • Ich habe mir angewöhnt, dass ich es vermeide mit einer Schülerin allein in einem Raum zu sein. Sollte es sich dennoch mal nicht vermeiden lassen, ist die Tür weit offen.

    Allerdings bin ich mittlerweile Ende 40. Insofern gibt es da kaum noch irgendwelche Anflüge von den Schülerinnen.

  • Hallo,

    mir ist ein solcher Fall aus dem privaten Umfeld auch bekannt. Das kann sehr problematisch und extrem belastend sein.

    Wie ging es weiter?
    Ich hoffe, die Vorwürfe wurden fallen gelassen.

    Der TE war zum letzten Mal am 12. Juli im Forum aktiv, wird also mutmaßlich nicht antworten.

    Du bist ebenfalls Lehrkraft?

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Es ist ja nichts passiert, und es ist auch nicht verboten, irgendwohin zu gucken. Andererseits kann ich auch jemanden nur ansehen, und derjenige fühlt sich davon provoziert, es kann passieren. Ich weiß noch, in meiner eigenen Schulzeit gab es einen (sehr guten) Sport- und Biologielehrer, dem gerüchteweise unterstellt wurde, Mädchen in den Ausschnitt geguckt zu haben. Ich fand das schon als Mädchen nicht okay, etwas einfach so zu behaupten oder schlecht über jemanden zu reden. Da kann man nichts machen, und ich würde es vielleicht als eine Aufforderung zur Kommunikation verstehen, egal auf welche Art und Weise. Nicht zurücktreten, verbalen Schlagabtausch wagen, auf andere Themen übergehen, die sie kognitiv herausfordern.

    „Um unersetzbar zu sein, muss man stets anders sein.“ (Coco Chanel)

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