Sitzenbleiben / Klasse wiederholen in der Grundschule

  • Hallo alle zusammen,

    welche Erfahrungen habt ihr in der Grundschule gemacht, wenn ein Kind eine Klasse wiederholen muss?

    Es gibt ja Bundesländer (z.B. Bremen), in denen die Kinder nur eine Klasse wiederholen, wenn die Eltern einen Antrag stellen. Es kann also sein, das Eltern nach einer Beratung mit den Lehrkräften keinen Antrag stellen und das Kind wird dann versetzt. Es könnte in Bremen aber auch genauso passieren, dass Eltern einen Antrag auf Wiederholung der Klasse stellen und die Schule den Antrag dann ablehnt ...

    Würdet ihr lieber in einem Bundesland arbeiten, indem Wiederholungen der Klasse nur dann möglich sind, wenn die Eltern einen Antrag stellen? Oder würdet ihr lieber in einem Bundesland arbeiten, indem spätestens Ende der zweiten Klasse die Lehrer / die Klassenkonferenz entscheiden, ob die Leistungen eines Kindes ausreichen und es wiederholen muss?

    Vorteile, wenn ein Kind wiederholt:

    - Chance für das Kind, den Lernstoff noch einmal gemeinsam mit anderen Kindern zu wiederholen und zu üben und zu festigen.

    - Für Lehrkräfte gibt es durch das Wiederholen eine Grenze, bis zu welchem Grad sie differenzieren müssen. Es ist also eine Entlastung für Lehrkräfte, da sie naturgemäß auch nur eine begrenzte Ressource für individuelle Förderungen haben.


    Vorteile, wenn ein Kind nicht wiederholt:

    - Das Kind bleibt in seiner gewohnten Lernumgebung.

    - Das Kind wird (idealerweise, aber ist das realistisch?) in seiner gewohnten Lernumgebung individuell gefördert und gefordert.


    Nachteile, wenn ein Kind wiederholt:

    - Das Kind wird aus seiner gewohnten Lernumgebung gerissen.

    - Das Kind wird stigmatisiert.

    - Das Kind langweilt sich in den Fächern, die es schon konnte.

    - Das Kind ist frustriert und wieder blockiert, um zu lernen.


    Nachteile, wenn das Kind nicht wiederholt:

    - Das Kind ist überfordert.

    - Die Lehrkraft ist überfordert, weil sie auch nur begrenzte Ressourcen hat und das Kind nicht so individuell fördern kann, wie sie es sich wünschen würde.


    Gerne könnt ihr weitere Vor- und Nachteile sammeln und auch über Erafhrungen berichten. Ich würde mich freuen!


    Ich habe aktuell das Gefühl, das z.B. bei Instagram und in anderen Medien so viel über das Schulsystem kritisiert wird, z.B. auch mit Blick auf die Leistungsbewertung und daraus resultierende Themen wie das Wiederholen einer Klasse. Hierbei wird immer die Sichtweise der Kinder und deren Familien in den Fokus genommen. Es wird nie beleuchtet, warum das Schulsysthem so ist, wie es ist. Und was auch von Lehrkräften im aktuellen System realistisch leistbar ist. Es wird in den Diskussionen nie die Balance beleuchtet, was wünschenwert wäre und was realistisch umsetzbar ist.

  • Bei uns gibt es alles und wird individuell entschieden.

    Wenn die Eltern den Antrag stellen, ist es keine Anmeldung zur Wiederholung, sondern wird von der Klassenkonferenz entschieden.

    Wenn absehbar ist, dass das Kind generell eine zieldifferente Beschulung benötigt, das Land aber die Begutachtung verweigert, dann überlegen wir dennoch, ob dem Kind eine Wiederholung nutzt oder wir zieldifferent beschulen (ja, das ist eine Grauzone, die das Land nicht berücksichtigt, weil es die Begutachtung einschränken will). Sollten die Vorgaben sehen, dass diese Kinder wiederholen müssen, müssen wir das umsetzen und würden es genau so kommunizieren.

    Ich finde, gerade in der Grundschule braucht es flexible Möglichkeiten. Noch besser wäre es, wenn es Stützkurse oder weit mehr Fördermöglichkeiten und ggf. auch Therapiestunden geben könnte, sodass man den Kindern eher gerecht wird. Sicher könnten dann manche Kinder etwas aufholen, bei anderen würde es weiterhin auf die zieldifferente Beschulung hinauslaufen.

  • Es wird nie beleuchtet, warum das Schulsysthem so ist, wie es ist. Und was auch von Lehrkräften im aktuellen System realistisch leistbar ist.

    Da habe ich den Eindruck, dass Inklusion und anderes schlecht kommuniziert wird und gerne für jedes Kind einzeln erwartet wird, dass sich die Lehrkraft allein mit diesem Kind und seinen Bedürfnissen beschäftigt.

    Schule ist eine Veranstaltung in größeren Gruppen. Das Verhalten in Gruppen wird aber wenig eingeübt.
    Auch dass manche Kinder unentwegt eng betreut werden und nicht selbst sein, ausprobieren oder eigene Versuche unternehmen dürfen, hilft wenig, sondern führt bei immer mehr Kindern zu einer Erwartungshaltung, dass Erwachsene alles abnehmen, sobald das Kind es wünscht.

  • Bei uns gibt es alles und wird individuell entschieden.

    Wenn die Eltern den Antrag stellen, ist es keine Anmeldung zur Wiederholung, sondern wird von der Klassenkonferenz entschieden.

    Wenn absehbar ist, dass das Kind generell eine zieldifferente Beschulung benötigt, das Land aber die Begutachtung verweigert, dann überlegen wir dennoch, ob dem Kind eine Wiederholung nutzt oder wir zieldifferent beschulen (ja, das ist eine Grauzone, die das Land nicht berücksichtigt, weil es die Begutachtung einschränken will). Sollten die Vorgaben sehen, dass diese Kinder wiederholen müssen, müssen wir das umsetzen und würden es genau so kommunizieren.

    Ich finde, gerade in der Grundschule braucht es flexible Möglichkeiten. Noch besser wäre es, wenn es Stützkurse oder weit mehr Fördermöglichkeiten und ggf. auch Therapiestunden geben könnte, sodass man den Kindern eher gerecht wird. Sicher könnten dann manche Kinder etwas aufholen, bei anderen würde es weiterhin auf die zieldifferente Beschulung hinauslaufen.

    Danke für diesen Beitrag. Ich stimme dir voll zu! In der Grundschule brauchen wir flexible Möglichkeiten, z.B. auch die flexible Schuleingangsphase mit kleinen Klassen und genug Personal, wo es die Möglichkeit gibt, den Unterrichtsstoff der ersten beiden Schuljahre in 1-3 Jahren zu absolvieren.

    Da es in der der Grundschule immer mehr inklusive Kinder gibt, haben auch die zieldifferenten Beschulungen zugenommen. Zieldifferente Beschulung heißt erst einmal, dass das Klassenziel am Ende des Schuljahrs nicht erreicht wird und dennoch das Kind in die nächsthöhere Klasse kommt, was bezüglich eines Schulabschlusses bei Grenzfällen auch problematisch werden kann. Ein durch Noten erzwungenes Wiederholen ist in der Grundschule (in Bayern) fast unmöglich, da man in den Hauptfächern D, M, HSU 2x5 und 1x6 haben muss und das ist fast ausgeschlossen.

    Als wir noch insgesamt strenger benotet haben und fast nur die schriftlichen Ergebnisse zählten (vor dem kompetenzorientierten Lehrplan), hatte ich in meiner Laufbahn in Bayern nur einen einzigen Fall mit erzwungener Wiederholung. Heute denke ich, dass das eventuell eine nicht erkannte Dyskalkulie und Legasthenie war. Leider war ich früher noch nicht in der Richtung sensibiliert bzw. war das noch gar nicht so bekannt. Auch die Hilfeangebote von multiprofessionellen Teams waren wenig ausgeprägt. So weit ich weiß, hatte sich das Kind dann stabilisiert, dennoch waren die Noten nicht so gut, wie man es erhofft hatte.

    So denke ich, dass man bezüglich Unterstützung professionell abklären lassen muss (in Bayern haben wir Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen) , wo man am sinnvollsten beim Kind ansetzen kann. Und da kann es mehrere Lösungen geben, von Unterstützung angefangen bis hin zum freiwilligen Wiederholen. Den Eltern muss klar sein, dass man mit ihnen zusammen die beste Lösung für das Kind sucht. Ich würde das Ganze also nie so schwarz- weiß sehen, wie es im Ausgangsbeitrag anklingt.

  • Bei uns wird auch individuell entschieden. Man kann nicht so pauschal für alle festlegen, was die Vor - und Nachteile sind. Wir überlegen und besprechen das zuerst im Kollegium sehr genau und beziehen dann die Eltern mit ein. Es geht um das einzelne Kind und nicht um Zahlen.

    Manchmal spielen auch solche Dinge eine Rolle wie: In welche Klasse kommt das Kind, wenn es wiederholt? Wenn da schon von 29 Schülern 10 verhaltensauffällige SuS sitzen, macht es wohl kaum Sinn, da noch ein Kind hineinzupacken, das viel Unterstützung und eine ruhige Lernumgebung braucht. Wenn dagegen der Wechsel in eine kleine ruhige Klasse möglich ist, kann man eher einen Neuanfang wagen.

  • Ein durch Noten erzwungenes Wiederholen ist in der Grundschule (in Bayern) fast unmöglich, da man in den Hauptfächern D, M, HSU 2x5 und 1x6 haben muss und das ist fast ausgeschlossen.

    Ich habe dazu gefunden:

    Zitat

    In den Jahrgangsstufen 3 und 4 liegen die Voraussetzungen für das Nichtvorrücken in die nächst höhere Jahrgangsstufe in der Regel vor, wenn die Schülerin oder der Schüler

    1. im Fach Deutsch oder im Fach Mathematik die Note 6 und in dem anderen dieser Fächer oder im Fach Heimat- und Sachunterricht keine bessere Note als 5 erhält oder

    2. in den Fächern Deutsch und Mathematik die Note 5 und im Fach Heimat- und Sachunterricht die Note 6 erhält.

    https://www.km.bayern.de/lernen/ubertri…und-wiederholen


    Das verstehe ich so, dass man bereits bei einer 6 und einer 5 sitzenbleibt, wenn die 6 in Deutsch oder Mathematik erteilt wird (und die fünf im anderen dieser Fächer oder HSU).

    Trotzdem hast du natürlich recht, dass das sicher selten vorkommt. Und es wundert mich auch, gerade für Bayern. Mit drei 5ern in diesen Fächern würde man versetzt ...

    In BW wird man mit einer 6 oder mit zweimal 5 in diesen drei Fächern in Klasse 3 oder 4 bereits nicht versetzt.

  • Ich habe ein Kind in der Klasse, das ein Schuljahr übersprungen hat, also von Mitte 1 in Mitte 2 und eins, das wiederholt. Beide fühlen sich wohl und schreiben gute Noten. Also, sie passen gut dazu und bei der Wiederholerin hat sich doch einiges verbessert.

    Das ist aber nicht automatisch so. Ich kenne auch einige Kinder, da hat das Wiederholen gar nichts gebracht. Daher sollte man ja bei jedem Kind neu schauen, wie man es einschätzt und dann gemeinsam entscheiden. Auch mit dem Kind.

  • Ehrlich gesagt ist mir die Frage viel zu einheitlich gestellt.

    Es gibt jahrgangsgemischte Klassen, da sind dann die Vorteile plötzlich Nachteile und andersrum, es gibt bei uns eine längere Verweildauer auch nur mit Zustimmung der Eltern, aber die gibt es zumeist, wenn man sich das gut überlegt hat.
    Sitzenbleiben gibt es bei uns gar nicht mehr, aber bis mindestens Klasse 3 auch keinerlei Noten, sondern andere Punkte an denen man ein Verweilen festmacht usw.

    Und die Frage ist ja auch immer, wie geht es dann nach der Entscheidung weiter.

  • Ja, Eltern wissen immer am allerbesten, was andere Eltern und insbesondere Lehrkräfte alles falsch machen. Am besten gleich dran gewöhnen und keinen Muttis auch noch zusätzlich auf Insta folgen.

    Bei deinen Pro- und Contras solltest du auch überlegen, was statistisch gesehen Kindern nutzt. Aber natürlich auch, was es individuell bedeuten kann. Kann das Kind die Rückstände durch Wiederholung wahrscheinlich aufarbeiten? Oder verschiebt man nur das Problem zur nächsten Klassenlehrerin? Wenn jemand das erste Schuljahr nicht packt, hat er wahrscheinlich doch umfassende Probleme, wenn der Rückstand nicht gerade auf einen 5-monatigen Klinikaufenthalt zurückzuführen ist.

    Hallo alle zusammen,

    ...

    Ich habe aktuell das Gefühl, das z.B. bei Instagram und in anderen Medien so viel über das Schulsystem kritisiert wird, z.B. auch mit Blick auf die Leistungsbewertung und daraus resultierende Themen wie das Wiederholen einer Klasse. Hierbei wird immer die Sichtweise der Kinder und deren Familien in den Fokus genommen. Es wird nie beleuchtet, warum das Schulsysthem so ist, wie es ist. Und was auch von Lehrkräften im aktuellen System realistisch leistbar ist.

  • Aus meiner eigenen und vor allem Sekundarstufenperspektive: Ich sehe die Gefahr, wenn nicht wiederholt wird, obwohl die Mindestleistung insbesondere in den Hauptfächern nicht erreicht wurde, dass sich Wissenslücken eher vergrößern statt schließen. Im schlechtesten Fall sitzen dann Schüler in der Sek I, und die Kollegen führen in Mathematik neue Zahlbereiche ein (Ich mache in Mathematik fast nur Sek II, aber wir sprechen natürlich in der Fachschaft auch über die Erfahrungen in der Sek I.), merken aber, dass einige Schüler noch gar nicht sicher im Bereich der natürlichen Zahlen operieren können, was du an dem Punkt eigentlich kaum noch wirklich aufholen kannst.

  • Plattenspieler

    Stimmt, du hast recht. Ich hatte das Problem mit einer sechs in Mathematik nur einmal, wie ich oben schilderte. Wahrscheinlich war dann HSU oder D oder beides eine fünf.

    Vielleicht könnte die nicht so strenge Wiederholungsregelung damit zu tun haben, dass wir ein gut aufgestelltes Schulberatungssystem haben. Da kann man externe Schulpsychologen, Beratungslehrer und den MSD zur Beratung heranziehen. Die testen in Zusammenarbeit mit den Eltern die Schüler.

    Erzwungene Wiederholungen gibt es kaum, eher freiwillige auf Antrag der Eltern, in der Regel nach Beratung mit der Klassenlehrkraft. Bei nicht flexiblen Eingangsklassen eher die ersten beiden Jahre, selten nach dem 3. Schuljahr. Im vierten Schuljahr gehen manchmal Anträge von Eltern ein, die sich eine bessere Übertrittsnote erhoffen. Diese Anträge werden aber meistens abgelehnt. Das Gremium, das über die Anträge beschließt, ist die GLK.

  • Okay, dann halt nach Klasse 2, es ging ja ums Sitzenbleiben, Euphemismen inbegriffen. Ich vermute, dass schon im Kindergarten/bei der Vorschuluntersuchung auffällig war, wer in der Schuleingangsphase Probleme hat- bei der Diagnostik im Förderbedarf Lernen sieht man es jedenfalls bereits an den Amtsarztberichten.

  • Ich beobachte auch immer öfter Anträge auf Rückstellungen von Eltern, die Sorge haben, dass es keine Gymnasialempfehlung wird. Dann lieber Wiederholen, damit die Noten ( zeitweise) besser werden und es dann zum Gymnasium gehen kann.

    In der Regel geben wir diesen nicht statt. Aber es macht Arbeit.....

  • Heute denke ich, dass das eventuell eine nicht erkannte Dyskalkulie und Legasthenie war. Leider war ich früher noch nicht in der Richtung sensibiliert

    Das ist ein springender Punkt:

    Es hat sich in den letzten Jahren viel entwickelt, aber die Unterstützungssysteme sind nicht überall gut aufgestellt. In NDS kann man zur Testung in bestimmten Aspekten mobile Förderschullehrkräfte zur Beratung beantragen, wieder eine Hürde, die nicht notwendig sein sollte.

    Es wäre gut, in jedem Kollegium eine erfahrene (und geschulte) Kollegin zu haben, die sich mit Beeinträchtigungen und Begabungen auskennt, die Vorschläge zur Beschulung unterbreiten kann, die Elterngespräche begleitet und dies zur Routine werden lassen kann. Das fehlt bei uns.
    Die Förderschullehrkräfte, die in der Inklusion sind, können diese Aufgaben nur teilweise übernehmen, häufig sind die wenigen gewährten Stunden nicht voll besetzt und reichen ohnehin nie aus.

  • Früher durfte man hier aus dem Grund die vierte Klasse nicht freiwillig wiederholen (bis auf eng gefasste Ausnahmefälle). Da war die Grundschulempfehlung aber noch verpflichtend.

    Gut, jetzt wird sie ja auch wieder "verpflichtender" ...

    Aber in NRW ist sie doch auch nicht (mehr) verpflichtend? Eltern können ihre Kinder auch mit Haupt- oder Realschulempfehlung am Gymnasium anmelden?!

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