Ordnungsmaßnahmen Grundschule

  • Ich selbst unterrichte nicht an einer Grundschule sondern einer weiterführenden Schule. Wenn ein Schüler bei uns sich gar nicht benehmen kann, entlassen wir ihn nach einem gestuften Verfahren (Zielvereinbarungen, Verweise, Androhung Ausschluss, Ausschluss). Aber was macht man mit einem Kind? An alle Berliner Grundschullehrkräfte: Was macht ihr mit Schülern die extrem auffällig sind? In der ersten Klasse meines Kindes ist ein Junge, der oft alle terrorisiert. Er haut anderen mit Gegenständen auf den Kopf, hält Mädchen fest und berührt sie im Intimbereich, haut und klaut und ist immer irgendwie auffällig. Kleckern in Kunst, Essen werfen in der Pause, Schlägereien im Hort usw. Das Kind erzählt, er hätte schon zwei Tadel. Natürlich sind mir die Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen nach dem Berliner Schulgesetz vertraut, aber was macht ihr bei einem Erstklässler? Kann man da einen Antrag auf besondere Förderung stellen o.Ä.? Die Klassenlehrerin meint, im Grunde müsste jemand permanent auf den Schüler aufpassen, was natürlich nicht zu machen ist. Die Familie ist nicht ökonomisch schwach, scheint dem Jungen aber keine Grenzen zu setzen. Kann man da als Lehrerin eine Erziehungshilfe über das Jugendamt erwirken? Kann man als Lehrer versuchen ihn bei einem Fördertentrum für den Förderschwerpunkt emotionale Entwicklung unterzubringen? Wie läuft das alles genau ab? Kann man als Eltern eines von der Gewalt betroffenen Kindes irgendetwas tun? Als Eltern mit den Eltern reden, hat leider nichts gebracht. Fragen über Fragen...Vielleicht kann jemand aus einer Brennpunktschule mal berichten, wie ihr damit umgeht?

  • Ich komme nicht aus Berlin, schon mal vorneweg.

    Unabhängig von den Eskalationsstufen im Schulsystem braucht das Kind Hilfe.

    Wichtig wären Gespräch mit Eltern und ihnen nahezulegen, sich Unterstützung beim Jugendamt zu holen. Man sollte ihnen auch eine Frist setzen. Wenn das nicht passiert, dann sollte die Lehrkraft selbst eine Meldung auf Kindeswohlgefährdung machen. Dann muss das Jugendamt nämlich selbst aktiv werden. In meinem Bundesland könnte das Jugendamt dann als eine Maßnahme auch eine andere Beschulung initiieren.

    Andere Eltern könnten sich an die Dchulsozialarbeit wenden, sofern vorhanden. Wenn gar nichts hilft, kann jede*r Bürger*in eine Meldung beim Jugendamt machen.

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

    • Offizieller Beitrag

    1. Kann man da einen Antrag auf besondere Förderung stellen o.Ä.?

    2. Kann man da als Lehrerin eine Erziehungshilfe über das Jugendamt erwirken?

    3. Kann man als Lehrer versuchen ihn bei einem Fördertentrum für den Förderschwerpunkt emotionale Entwicklung unterzubringen?

    1. Nein. Förderstunden gibt es, wenn ein festgestellter Förderbedarf da ist. Und zwar 1,5 pro Woche bei emotional-sozialem Förderbedarf.

    2. Nein. Hilfe über das Jugendamt gibt es auf Antrag der Eltern. Diese Hilfe ist für zu Hause zuständig, nicht für die Schule. Auch Schulhelfer gibt es nur, wenn bereits ein Förderbedarf feststeht, siehe Punkt 3.

    3. Nein. Der Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung wurde bisher erst ab Klasse 3 vergeben in Berlin. Dann gab es ein paar wenige Plätze in einem Förderzentrum "Lernen", die nahmen Kinder mit Förderbedarf "Lernen", die auch vom Verhalten her auffällig waren. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt noch emotional-soziale Entwicklung als Förderzentrum gibt. Seit diesem Schuljahr heißt es, dass emotional-soziale Entwicklung erst ab Klasse 5 möglich ist. Ob das alle Bezirke so machen oder nur unserer, weiß ich nicht.


    An meiner ehemaligen Schule (Brennpunkt) und der jetzigen gibt es folgende Möglichkeiten:

    - Kurzbeschulung, z.B. 2 Stunden, weil dem Kind (und allen anderen) mehr nicht zuzumuten ist. Funktioniert nur, wenn man die Eltern überzeugt.

    - Betreuung einzeln oder in Kleingruppe über Förderstunden der Schule. D.h. die Schule muss bereit sein, Förderstunden, die z.B. Kindern mit Förderbedarf oder allgemein den Klassen zustehen, zu bündeln und dem einen Kind zukommen zu lassen. Ob dafür die Kapazitäten da sind, ist fraglich. Die Brennpunktschule, an der ich früher war, lief schon vor 5 Jahren nur noch dadurch, dass Student:innen Klassenleitungen übernommen haben.

    Wir hatten allerdings gute Sonderpädagog:innen, die gut beraten haben. Auch sie waren nur ein "Tropfen auf den heißen Stein" (ca. 50 Unterrichtsstunden auf 65 Kinder mit Förderbedarf) und zwei Schulsozialarbeiter:innen. Diese haben sich letztlich auch um diese Kinder gekümmert.


    Kindeswohlgefährdung lag in meinem alten Bezirk erst dann vor, wenn Kinder von Gewalt zu Hause berichteten und Gewaltmale vorweisen konnten. Alle anderen Fälle wurden nicht bearbeitet.


    Ansonsten das, was ISD schreibt: Schulsozialarbeit und Jugendamt darfst du selbst einschalten. Jugendamt kannst du als Privatperson anonym informieren.

  • Humblebee

    Das habe ich im Nachhinein ergänzt, da es offensichtlich zu einem (lesetechnischen?) Missverständnis kam.

    Ah, ok, das war nicht ersichtlich (EDIT: seltsam übrigens... Sonst steht doch immer dabei, wenn Beiträge geändert wurden!?). Dann lösche ich meinen Post wieder!

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Ich weiß leider nicht wie es in anderen Bundesländern aussieht, aber in NRW geht bei "Eigen- und Fremdgefährdung" schon eher was. Ich hatte schon mal einen Fall, bei dem das häufiger vorkam und man kann (sogar sollte) das Kind nach solchen Vorfällen direkt von den Eltern abholen lassen. Das ggf. mehrfach in der Woche bis die Eltern einsehen, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt. Schließlich ist man als Lehrkraft auch für die Sicherheit der anderen Kinder mit verantwortlich!

    Dann folgen Ordnungsmaßnahmen wie z. B tageweise Suspendierung vom Unterricht. Dann verstehen (besonders berufstätige) Eltern oft erst, dass sie dich dringend Hilfe suchen müssen.

    Ein Schulbegleiter kann dann eine gute Hilfe sein, aber das dauert natürlich mehrere Monate bis das bewilligt ist und muss von den Eltern selbst beantragt werden.

    Bei ganz heftigen Ausrastern kann man auch den Notarzt rufen.

    Zumindest hier können Kinder auch recht zügig auf die Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung wechseln, sofern die Eltern einverstanden sind und bei "Eigen- und Fremdgefährdung" ggf auch ohne das Einverständnis der Eltern. Geht das in Berlin tatsächlich nicht? Das kann ich kaum glauben.

  • Ein Schulbegleiter kann dann eine gute Hilfe sein, aber das dauert natürlich mehrere Monate bis das bewilligt ist und muss von den Eltern selbst beantragt werden.

    Dafür braucht es allerdings eine Diagnostik mit einer bescheinigten seelischen Behinderung.

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

  • Dafür braucht es allerdings eine Diagnostik mit einer bescheinigten seelischen Behinderung.

    Nicht unbedingt. Ich habe es schon erlebt, dass bei besonderer Eigen- und/oder Fremdgefährdung ohne eine besondere Diagnostik eine Schulbegleitung bewilligt wurde. Muss allerdings von den Eltern beantragt werden. Und die Kinder befanden sich in benannten Fällen bereits in psychologischer Behandlung.

    • Offizieller Beitrag

    Ich muss kurz was loswerden: Ich habe gerade Bauchschmerzen mit diesem Thread, gebe ich zu.


    Warum? Dies ist ein Forum für Lehrer.


    a) Ich habe immer etwas Bauchschmerzen, wenn eingesessene User in die Eltern-Rolle wechseln und Fragen zur Beschulung ihrer Kinder stellen. Aber immerhin sind es alteingesessene User.

    b) Ich habe noch mehr Bauchschmerzen, wenn Neu-User zwar schreiben, dass sie Lehrer sind aber direkt in der Elternrolle starten und Fragen zur Beschulung ihrer Kinder stellen.

    c) Ich habe ziemliche Bauchschmerzen, wenn User (ob alteingesessen oder nicht) in die Elternrolle wechseln und Fragen zur schulischen Situation etc. von nicht-eigenen Kindern stellen.


    Just my two cents.

  • Ich muss kurz was loswerden: Ich habe gerade Bauchschmerzen mit diesem Thread, gebe ich zu.

    Das kann ich absolut nachvollziehen!!!

    Allerdings ist das Problem hier ein sehr grundsätzliches, das ja auch viele Lehrer sehr umtreibt und verzweifeln lässt. Insofern finde ich den Austausch darüber wirklich wichtig. Wichtig fände ich an dieser Stelle aber, nicht weiter auf den geschilderten Fall einzugehen, sondern das Thema ganz grundsätzlich zu besprechen. Das war ja bislang zum Glück auch der Fall


    Ich habe an meiner jetzigen Schule so einen Fall zum Glück nicht mehr gehabt, aber an meiner vorigen Schule war das Alltag und ich war wirklich entsetzt, wie allein man mit diesem Thema gelassen wurde... Wie kann es sein, dass bei so massiven Schwierigkeiten keine etablierten Möglichkeiten bestehen, die schnell dazu führen, dass sowohl dem betroffenen Kind geholfen wird, als auch dafür sorgen, dass die anderen Kindern (und zum Teil auch die Lehrer) geschützt werden?


    Immerhin: ich hatte letztens eine Fortbildung zum Thema Kinderschutz und habe dort gelernt, dass es Beratungsstellen gibt, bei denen man sich mit dafür ausgebildeten Menschen (dafür gab es auch einen Fachbegriff, der fällt mir gerade nicht mehr ein) darüber austauschen kann, wie das beste Vorgehen bei einer vermuteten Kindeswohlgefährdung ist. (wen kontaktiert man in welcher Reihenfolge, wie geht man mit den Eltern um etc.) Das wäre für mich (neben dem Austausch mit der Schulleitung) jetzt immer mein erster Schritt. Anlaufstellen findet man in dem Handlungsleitfaden Kinderschutz, den man sich hier runterladen kann:

    https://www.berlin.de/sen/bild…/kinderschutz-an-schulen/

  • Nicht unbedingt. Ich habe es schon erlebt, dass bei besonderer Eigen- und/oder Fremdgefährdung ohne eine besondere Diagnostik eine Schulbegleitung bewilligt wurde. Muss allerdings von den Eltern beantragt werden. Und die Kinder befanden sich in benannten Fällen bereits in psychologischer Behandlung.

    Bei uns hat mal ein Busfahrer einen Erstklässler nicht mehr mitgenommen, weil er während der Fahrt andere Kinder attackiert und gebissen hat und er da natürlich nicht dazwischen gehen konnte. Es war auch schon viel passiert, auch für das Kind selbst gab es genug leidvolle Erfahrungen (niemand lud es ein usw....), bis die Eltern sich mal auf den Weg machten. Erst in der 3. Klasse gab es eine Schulbegleitung und das war ein Segen. Sie musste auch mit in die Pausen, weil er da sehr oft andere Kinder ohne Grund angriff.


    Es dauert oft viel zu lange, bis Eltern bereit sind, sich Hilfe zu holen. Da hat das Kind schon längst seinen Ruf weg und es wird für seine Entwicklung wertvolle Zeit verplempert. Ich habe in meiner 3. mehrere auffällige Kinder sitzen, bei denen die Eltern die Probleme seit der ersten Klasse ignorieren trotz vieler Gespräche mit der Lehrerin in Klasse 1/2 und auch mir. Nur wenn ich diesen gemeinen Satz "Ich weiß gar nicht, in welche weiterführende Schule ich ihr Kind guten Gewissens empfehlen kann," fallen lasse, fangen die Räder an zu rattern. Bei uns erhalten die Kinder die Grundschulempfehlung mit dem Halbjahreszeugnis in Klasse 4, also nach dreieinhalb Jahren. Wenn man dann plötzlich aufwacht, um Hilfe zu finden, muss man feststellen, dass die Wartezeiten an den entsprechenden Stellen hier angeblich bis zu einem Jahr sind. Dann ist in meiner Klasse die Grundschulzeit fast vorbei, Kind und MitschülerInnen, sowie alle Lehrpersonen hätten eine schönere Grundschulzeit gehabt, wenn man beizeiten bereit gewesen wäre, sich professionelle Hilfe zu holen. Wobei ich da nicht automatisch die Gabe von Ritalin meine, was aber auch tatsächlich Wunder bewirken kann.

  • Immerhin: ich hatte letztens eine Fortbildung zum Thema Kinderschutz und habe dort gelernt, dass es Beratungsstellen gibt, bei denen man sich mit dafür ausgebildeten Menschen (dafür gab es auch einen Fachbegriff, der fällt mir gerade nicht mehr ein)

    Meinst du eine InsoFa Beratung? Die gibt es bundesweit, glaube ich. Da geht es dann tatsächlich um Kindeswohlgefährdung.

    Bei uns wäre es so, dass man alles mobilisiert, was das multiprofessionelles Team und und in Schule hergibt. Schulsozialarbeit, Förderschullehrkraft, Schulbegleitung läuft hier etwas anders ab, aber Diagnose oder Wege müssen dafür auch eingehalten werden. Regionalberatung, Kreisfachberatung, Schulpsychologe - aber es geht kaum, ohne die Eltern im Boot zu haben. Da müsste man in jedem Fall ansetzen.

  • Ich habe es zuerst auch gedacht, aber es ging ja im weiteren Verlauf nicht mehr um den persönlichen Fall, sondern man hat gleich eigene SchülerInnen im Kopf und der Austausch über dieses Thema ist - finde ich - sehr wichtig. Oft fühlt man sich ja einfach hilflos, weil man wenig machen kann, wenn Eltern nicht am gleichen Strang ziehen.

  • Und besonders hilft es ja auch nicht weiter, wenn die Mutter, die uns sagt, sie sei auch Lehrerin, jetzt weiß, was für Ordnungsmaßnahmen es an Berliner Grundschulen gibt. Oder wird sie mit einem Ausdruck dieses Chatverlaufs zur Klassenlehrerin gehen, ihr den vorlegen, und die bedankt sich dann recht herzlich und leitet all die Maßnahmen ein, von denen sie vorher nichts wusste, aber dank des Forums jetzt schon? Wohl eher nicht.

    Ich gehe stark davon aus, dass sowohl Klassenlehrkraft als auch Schulleitung die Vorgehensweise bei solchen Fällen kennen und pädagogisch sinnvoll (im Sinne des Kindes und im Sinne der Klasse) handeln.


    Ein Tipp an die TE: geh zur Lehrkraft und besprich deine Sorgen mit ihr.

  • Meinst du eine InsoFa Beratung? Die gibt es bundesweit, glaube ich. Da geht es dann tatsächlich um Kindeswohlgefährdung.

    Bei uns wäre es so, dass man alles mobilisiert, was das multiprofessionelles Team und und in Schule hergibt. Schulsozialarbeit, Förderschullehrkraft, Schulbegleitung läuft hier etwas anders ab, aber Diagnose oder Wege müssen dafür auch eingehalten werden. Regionalberatung, Kreisfachberatung, Schulpsychologe - aber es geht kaum, ohne die Eltern im Boot zu haben. Da müsste man in jedem Fall ansetzen.

    Es gibt ja nicht nur aggressive Kinder, sondern Kinder mit anderen Problemen (ADS oder nicht diagnostizierter Autismus zum Beispiel), die nur mit sehr viel Unterstützung zurecht kommen. Da denkt man schon, wie soll der /die in der weiterführenden Schule seine Sachen finden, die Hausaufgaben und Klassenarbeitstermine notieren? So total verpeilte Kinder, auf die dann auch wohl niemand warten kann. Als Klassenlehrerin, die viele Stunden am Tag in der Klasse ist, kann man da besser unterstützen, als in weiterführenden Schulen, bei denen doch ein häufiger Lehrerwechsel stattfindet oder man gar den Raum wechseln muss. Bis da meine Speziellen die Sachen eingepackt und den Raum gefunden haben, ist die halbe Stunde schon vorbei. ;(Weiß jemand, ob es dafür eine Schule gibt? Also für verpeilte, langsame Träumer?

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