Falsche Motivation, Lehramt zu studieren? Hilfreiche Ratschläge gesucht!

  • Hallo liebe Community,


    ich bin 20 und Anglistik/Philosophie Student im 3. Semester (Bachelor). Allerdings fühle ich mich mit meinem Studium wie in einer Sackgasse. Ich habe schon in der Oberstufe darüber nachgedacht, Lehrer zu werden, aber das liegt hauptsächlich daran, dass ich mit einigen meiner Lehrer damals gut befreundet war. Ich vermute, dass ich aufgrund meiner introvertierten Art und meinem eher winzigen sozialen Kreis, aber auch meinem Interesse an Fächern wie Kunst, Ethik und Englisch irgendwie sympathisch auf meine Lehrer gewirkt habe. Zumindest sind wir auch heute noch befreundet. Mir wurde auch oft vorgeschlagen, LA zu studieren. Dazu waren meine Lehrer zu einem gewissen Grad auch persönliche Vorbilder für mich. Früher dachte ich, es würde mich an eine Kunsthochschule verschlagen (ich war auch rein vom "Handwerk" her sehr gut in Kunst, aber würde jetzt aus mehreren Gründen - darunter Berufsperspektiven - kein Studium in freier Kunst anstreben wollen). Mein Abi habe ich mit bloß 2,1 abgeschlossen, weil ich für den Großteil meiner Schulkarriere furchtbar ehrgeizlos war und während der Schulzeit sehr mit Depressionen zu kämpfen hatte. Das ist aber keine Ausrede, denn bereue ich es sehr, dass ich heutzutage so orientierungslos bin.


    Wenn ich auf Gymnasiallehramt umsteigen würde, würde ich entweder Philosophie bzw. Ethik/Englisch oder Phil., bzw. Ethik/Kunst machen. Ich bin mir nicht sicher, wie der Bedarf zur Zeit aussieht, aber ich rechne mir die Chancen zumindest minimal höher als mit Deutsch/Geschichte aus. Ebenso bin ich sehr gut in diesen Fächern. Dazu kommt, dass ich in Bayern aufgewachsen bin und hier zur Zeit studiere, wenn ich Ethik unterrichten wollte, müsste ich in ein anderes Bundesland und womöglich ein Studium von 0 auf aufnehmen, oder?


    So oder so ist meine größte Angst, dass ich mich als Lehrer nicht durchsetzen kann. Ich habe Sorge, dass ich am Ende oft bitter oder unbewusst passiv aggressiv bin, weil ich meine eigene Schulzeit als negativ empfunden habe. Oder dass ich vor der Klasse nicht selbstbewusst genug auftreten kann. Ganz zu schweigen von Schülern, die es einem schwer machen, weil das Fach sie nicht interessiert. Ich dachte, dass ich mich als Person während des LA Studiums zumindest genug entwickeln könnte, um in den Beruf quasi hineinzuwachsen, aber das ist naiv. Oder was denkt ihr? Lehrer, die mehr oder minder notgedrungen den Beruf ausüben, brauchen wir nicht wirklich, oder? Und genau dann denk ich mir wieder, dass ich es gern besser machen würde, als die schlechten Lehrer, die ich hatte. Aber ob ich Freude daran hätte, Lehrer zu sein, kann ich überhaupt nicht einschätzen.

  • Du bist erst 20, da entwickelt man sich noch sooo sehr. Vielleicht könntest du mal ein Praktikum mit eigenen Unterrichtsversuchen an einer Schule der Schulform deiner Wahl machen, wenn das coronabedingt wieder möglich ist.

  • Guten Abend:wink2:,


    Wow viele Fragen auf einmal.


    Hast du denn schon mal ein Praktikum an einer Schule gemacht? Dann könntes du in den Beruf reinschauen und würdest mehr Eindrücke bekommen. Sinnvoll wäre es, wenn du nicht deine alte Schule nimmst, damit du nicht nur an deine Erinnerungen anknüpfst.


    An welche Schulart hattest du gedacht? Ethik gibt es in Bayern oft als Drittfach. Da müsstest du dich erkundigen.


    Zu deiner Persönlichkeit kann ich wenig sagen, introvertierte Lehrer gibt es viele.

    Hier würde ich wieder zum Praktikum raten und dann schau einfach ob es dir Spaß macht und welche Rückmeldungen du bekommst.


    Noch kurz zum Thema Depressionen, ich bin kein Experte aber du solltest für dich prüfen, ob du den Belastungen des Jobs gewachsen bist.

    Zudem kann es evtl zu Problemen bei Verbeamtung und privater Krankenkasse führen.

    Gerade in Elternzeit, deshalb fast nur stille Mitleserin :essen:

  • Guten Abend (:


    Kann man denn ohne ein LA Studium angefangen zu haben ein Praktikum machen?

    Ich dachte an Gymnasiallehramt.


    Danke, du sprichst da was ganz Wichtiges an. Das Ding ist, denke ich, dass ich solange ich nicht die Gründe aus dem Weg räume, die hauptsächlich für die Depressionen verantwortlich sind, ich für wirklich kaum irgendeinen Beruf geeignet wäre. Ich bin auch nicht manisch depressiv, ich leide ansonsten unter keinen psychischen Problemen. Wenn ich gesagt habe, dass ich introvertiert bin, dann würde ich auch nicht sagen, dass es irgendwie krankhaft ist oder so. Nur hab ich mir irgendwie durch mein eigenbrötlerisches Dasein schon als Jugendlicher mir mein eigenes Grab gegraben, woraus es gerade recht schwer ist, wieder rauszukommen. Und gerade deshalb bin ich skeptisch, ob ich aus Überzeugung Lehrer werden würde oder nur, damit ich irgendetwas habe, auf das ich hinarbeiten kann.


    So oder so, deinen Rat, ein Praktikum zu absolvieren, merke ich mir. Danke :)

  • Was den reinen Bedarf angeht: Kunst ist in fast allen Schulformen Mangelfach. Mit Englisch als Hauptfach sicher nicht schlecht in der Kombi. Wenn du deine Aussichten verbessern möchtest, könntest du auch in Richtung Haupt- und Realschullehramt nachdenken ;) .

  • Aber ob ich Freude daran hätte, Lehrer zu sein, kann ich überhaupt nicht einschätzen.

    Warum denkst du denn überhaupt darüber nach? Weil Philosophie brotlose Kunst ist? Ich sage gleich dazu: ich rate generell niemandem zum Lehramt. Und zwar aus folgendem Grund: ich kenne die Nachteile so wie die Vorteile. Wenn einer also nicht weiß, warum er Lehrer werden sollte (keine Vorteile sieht) sag ich lieber 'Hände weg', denn ein Job nur mit Nachteilen würde ich keinem anraten.

  • Weil du aber besorgt und reflektiert bist,

    kannst du dir schon vorstellen, was wir dir jetzt antworten, oder?


    Der einzige gute Rat wäre, ein Praktikum zu absolvieren,

    danach dann eine Entscheidung zu treffen und dabei die Studienberatung in Anspruch zu nehmen.

  • Was hältst du anfangs von ner Handwerkslehre?

    Da lernst du dich neu kennen, ein ganz anderes Metier und je nach Werkstatt den kreativen Umgang auch mit KuKuK (Kolleginnen und Kollegen und Kunden).


    Wenn du dann immer noch studieren willst, steht dir inklusive Lehramt alles offen - mit ganz neuem Blick auf dich und die Welt.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Ach ja: Und du sammelst so Wartesemester für dein dann angestrebtes Studium.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Tatsächlich ja. Ist das so verwerflich?

    Verwerflich is goanix, du musst nur mit dem Resultat leben. Ich saß Sonntagabend und hab an einer Stationenarbeit gebastelt, einfach weil ich Bock hatte, in dieser schrägen Coronazeit mit den mir Anvertrauten was Sinnvolles und ästhetisch Ansprechendes zu machen. Wäre gar nicht nötig gewesen, aber mir macht das tatsächlich nach über 10 Jahren immer noch Spaß. Und wenn einer von ihnen im Praktikum gelobt wird, freue ich mich mehr als die Eltern :zahnluecke: das ist saugeil.


    Aber wenn du Aufstiegschancen oder intellektuelle Herausforderung suchst- naja, dann halt nicht Lehramt.


    Irgend eine Vorstellung musst du doch haben, so richtig erkenne ich deine im Titel angesprochene Motivation noch nicht- kann also auch nichts falsch oder richtig finden.

  • Eigentlich kann man bei Thread-Titeln á la "Weiß nicht, ob Lehrer was für mich ist" pauschal mit "Hast du schon mal ein Praktikum gemacht?" antworten, ohne den Rest überhaupt zu lesen.

    Einerseits, weil das tatsächlich immer am meisten bringt - ob man Tätigkeit XY gut kann, merkt man halt am ehesten, wenn man Tätigkeit XY mal probeweise eine Weile lang ausführt.

    Andererseits, weil wir von außen schlecht sagen können, wie sehr z.B. eine Introversion da tatsächlich auswirkt und nur von ein paar geschriebenen Zeilen schlecht auf eine Lehrerpersönlichkeit schließen können.

    Tatsächlich ja. Ist das so verwerflich? Ich hab da ehrlich gesagt Angst, will das aber irgendwie ändern.

    Ob es verwerflich ist, dass du aus Angst vor der Privatwirtschaft Lehrer werden willst?

    Sorry für die Ehrlichkeit:

    JA.

  • Warum fühlst du dich denn in einer Sackgasse? Und warum fällt dir außer "Lehrer" nichts ein, was du aus deinen fachlichen Interessen machen könntest?

    Ich finde ein Praktikum für den Moment überflüssig. Du bist ja gerade aus der Schule raus. Auch wenn die Perspektive als Schüler eine andere ist: Den Laden "Schule" kennst du. Und du weißt selbst: Die Schülerinnen und Schüler werden deine Interessen eher selten teilen, und das wird dich frustrieren.


    Viel wichtiger fände ich, herauszufinden, was man bei dieser Interessenlage sonst noch so machen könnte. Ich kann dir dazu keinen Tipp geben, aber da sollte es doch einiges geben. Da würde ich mal die Fühler ausstrecken statt nach Verlegenheitslösungen zu suchen. So wie du schreibst, hört es sich nicht an, als sei Lehrer dein Traumberuf. Auch in anderen Bereichen kann man Praktika machen. Dass man im Studium mal Tiefpunkte hat, ist normal. Als Motivation, Lehrer zu werden, ist das ungeeignet.

  • viele Abiturienten mit geisteswissenschaftlichen Interessen studieren Lehramt, weil sie das als Beruf "kennen".


    Eine ausführliche Berufsberatung wäre sinnvoll.


    Oder vll eine Ausbildung, z.B. im öffentlichen Dienst, Bibliothek, Buchhandel?

  • wenn ich Ethik unterrichten wollte, müsste ich in ein anderes Bundesland und womöglich ein Studium von 0 auf aufnehmen, oder?

    Wie kommst du darauf? Gerade in Bayern werden in den nächsten Jahren verstärkt Ethik Lehrkräfte gesucht , weil Ethik hier bislang keine große Rolle gespielt hat. Das ändert sich aber gerade grundlegend. In Zukunft sollen in Bayern nur noch Lehrkräfte mit entsprechender Fakultas Ethik unterrichten dürfen. Es besteht hier also durchaus Bedarf, weil Ethik in den vergangenen Jahren hauptsächlich fachfremd unterrichtet wurde. das bislang mögliche drittstudium ohne Scheinerwerb gibt es so auch nicht mehr, sodass grundständig ausgebildete Ethik Lehrkräfte in Zukunft zumindest nicht ganz schlechte Chancen haben dürften. Dennoch sind die Chancen natürlich gerade am Gymnasium mit geisteswissenschaftlichen Fächern nicht gerade berauschend. Das sollte man auch nicht beschönigen.

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Wer von sich aus keine Freude daran hat, junge Menschen zu unterrichten, anzuleiten, mit ihnen zu arbeiten, sie zu erziehen und ein stückweit auf ihrem Weg durchs Leben zu begleiten, sollte vermutlich wirklich nicht Lehrer werden.

    Ich habe mich diesbezüglich vor Eintritt in das Referendariat auch noch einmal selbst "getestet", indem ich an einem privaten Internat als studentischer Erzieher gearbeitet habe - mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 20 Jahren. Alle kapitalen Fehler, die ich als Referendar sonst gemacht hätte, habe ich glücklicherweise ohne negative Folgen dort gemacht und eine Menge über meine künftige Zielgruppe sowie über mich gelernt. Danach bin ich mit Überzeugung ins Referendariat gegangen und habe trotz einiger anderer Widrigkeiten und meines noch abzuschließenden Zweitstudiums in meinem Kerngeschäft - der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen - eigentlich keine nennenswerten Probleme gehabt.

    Ein Praktikum kann hilfreich sein, ist aber nur eine Momentaufnahme und nicht zu verallgemeinern. Und ja, man entwickelt sich in den 20ern seines Lebens durchaus noch ganz erheblich weiter - das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

    Für mich war die Entscheidung Lehrer zu werden kein Abwägen von Vor- und Nachteilen sondern erwuchs in mir als eine Art "Berufung". Daher war ich auch immer mit viel Herzblut dabei. Und trotzdem kann es passieren, dass man irgendwann die Nase voll davon hat bzw. mal für eine Weile etwas anderes machen muss. Wenn man findig und ein bisschen flexibel ist, geht auch das.

    Ich tu mich aufgrund meiner Biographie schwer damit, Dir jetzt per se vom Lehrerberuf abzuraten. Wichtig ist, dass Du weiterhin reflektiert mit diesem Thema umgehst und Dir die Chance gibst bzw. lässt, Dich weiterzuentwickeln. Nicht jede Lehrkraft ist ein Entertainer oder eine Rampensau. Ich habe in meinem alten Kollegium genug KollegInnen gehabt, die als Mäuseriche oder Mäuschen auftraten, aber in dem, was sie taten, sehr erfolgreich - und nicht minder beliebt - waren.

    Gruß
    #TheRealBolzbold

    Ceterum censeo factionem AfD non esse eligendam.

  • Tatsächlich ja. Ist das so verwerflich? Ich hab da ehrlich gesagt Angst, will das aber irgendwie ändern.

    Nein. Motivationen sollen generell nicht Gegenstand einer ethischen Beurteilung sein. Ausserdem sagt deine Motivation nichts über deine Qualifikation als Lehrer aus. Deine Eignung ist in einem Forum auch schwer bis gar nicht zu beurteilen. Ob der Beruf das Richtige für dich ist, auch nicht. Das kannst nur du selbst, aber wenn du so einen guten persönlichen Kontakt zu deinen ehemaligen Lehrern hast, können sie dich in dieser Hinsicht beraten - denn sie kennen dich ja schon seit einigen Jahren. Mit ihren würde ich auch das Thema Qualifikation für den Lehrberuf diskutieren.

    Wenn es wirklich ein Lehramtsstudium sein soll, warum nicht Kunst? Hier würde dir quasi der rote Teppich ausgerollt werden. Ausserdem ermöglicht das Studium dir, dich auch privat damit zu beschäftigen. Ich kenne Kunstlehrer, die hier sehr aktiv sind und selber ausstellen, Ausstellungen organisieren, Kunstkurse anbieten und vieles mehr.

  • Was hältst du anfangs von ner Handwerkslehre?

    Da lernst du dich neu kennen, ein ganz anderes Metier und je nach Werkstatt den kreativen Umgang auch mit KuKuK (Kolleginnen und Kollegen und Kunden).


    Wenn du dann immer noch studieren willst, steht dir inklusive Lehramt alles offen - mit ganz neuem Blick auf dich und die Welt.

    Das kann ich auch nur ans Herz legen.


    Ich habe nach meinem Abitur 2 Jahre eine Ausbildung in einem Service-Beruf gemacht. Zum einen lernt man verschiedenste Menschen kennen, zum anderen hat man noch einmal einen zeitlichen Puffer, um für sich selbst zu klären, was man wirklich will!


    Netter Nebeneffekt: Man hat im (weiteren) Studium jederzeit die Sicherheit, eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche zu haben. Das beruhigt einen ungemein, nicht mit Ende 20 "ohne etwas" dazustehen. :)

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