Ist die Bildung in Bayern und Sachsen wirklich so viel besser?

  • Ich weiß, dass überall in deutschen Schulen viel schief läuft. Doch was läuft in diesen Bundesländern besser?

    Ich hab eine These: Bayern und Sachsen haben die detailliertesten Lehrpläne. Während andere Bundesländer versuchen, mit Kompetenzplänen den Anforderungen besser gerecht zu werden, denen sich junge Menschen in der Welt ausgesetzt sehen, setzen BY und SN auf konkrete Listen mit Inhalten. Entweder hilft das im Unterricht dabei, stringenter und strukturierter voranzuschreiten oder es ist das, was in Schulleistungsstudien abgefragt/gemessen wird (um letzteres beurteilen zu können, müsste man die Aufgaben kennen.)


    Und Sachsen hatte während der Lockdowns die Grundschulen nicht so lange zu, wie einige andere Bundesländer. Ich erwähne es nur bezogen auf die Leistung, jetzige 4.-Klässler haben doch eine wesentliche Zeit, in der sie lesen und schreiben lernten, zu Hause verbracht.


    Zur Stoffülle, die alpha anspricht: mag sein, allerdings sagen die ukrainischen SuS gerade auch überall auf der Welt, dass sie zu Hause 1-2 Jahre weiter im Stoff waren. Allerdings auch, dass jeder Nachhilfe hatte. Und dass der Unterricht viel mit Auswendiglernen und wenig mit Meinung und Diskussion zu tun hatte. Ich weiß um die Einbildung der älteren sächsischen Lehrer*innen auf die angeblich so tolle Schulbildung in der DDR und dem Herabsehen auf alle "aus dem Westen" stammenden Schülern und Schülerinnen, auch heute noch, über 30 Jahre nach der Wende. Da fehlt auch der differenzierte Blick auf Unterschiede.

  • Ich hab eine These: Bayern und Sachsen haben die detailliertesten Lehrpläne. Während andere Bundesländer versuchen, mit Kompetenzplänen den Anforderungen besser gerecht zu werden, denen sich junge Menschen in der Welt ausgesetzt sehen, setzen BY und SN auf konkrete Listen mit Inhalten

    Finde ich einen interessanten Gedanken. Bei uns im Baselland ist eine Reaktion auf die schlechten Ergebnisse der nationalen Vergleichstests dass auf Niveau Volksschule den Lehrpersonen freigestellt ist wieder mit konkreten Stofflehrplänen anstelle des kompetenzenorientierten Lehrplan 21 zu arbeiten. Gerade an dem gab es sehr viel Kritik. Ich bin auf jeden Fall gespannt, ob das Wirkung zeigt. Dass man auch bei strenger Dreigliedrigkeit und Selektion ziemlich viel kaputt wursten kann, zeigt sich bei uns jedenfalls eindrücklich. Insofern scheint mir in Bayern und Sachsen wohl wirklich mehr als das dahinter zu stecken.

  • Als mögliche Gründe wurden bis jetzt vor allem stärkere Selektion und detailliertere Lehrpläne genannt. Es wäre sicher spannend, in einem Bundesland mit unterdurchschnittlichem Bildungsniveau mal für eine längere Zeit diese Aspekte ebenfalls umzusetzen, um zu schauen, ob sich die Ergebnisse in Vergleichsstudien bessern. Das setzt aber natürlich voraus, dass die Bildungsminister selbstkritisch die bisherigen Ergebnisse und dabei auch ihre eigenen pädagogischen Ideale reflektieren.

  • Die stärkere Selektion kann es nicht sein, da erst nach der vierten Klasse die Schüler auf die nächste Schulform wechseln.

    Doch, da dies z.B. die Anstrengungsbereitschaft oder die Grundhaltung gegenüber der Schule beeinflussen könnte.


    Nicht meine Position, aber eine Einflussmöglichkeit könnte gegeben sein.

  • Ich find's ja lustig, dass die bayerischen Schüler als gut dargestellt werden, obwohl die Leistungskurve laut Studie stark nach unten geht ...

    Nachdem wir MS-Lehrer seit Jahren schockiert sind, mit welchen "Kenntnissen" Schüler nach 4 Jahren GS zu uns kommen, mag ich mir gar nicht vorstellen, wie wenig die Kinder in den schwach getesteten Bundesländern können. Unsere 5.Klässler können kaum noch lesen, das Schreiben bereitet riesige Probleme - von Rechtschreibung rede ich gar nicht.


    Große Klassen, Inklusion, Integration, Elternwille, fehlendes qualifiziertes Personal für Förderunterricht, ... die Liste an Ursachen könnte ich ewig weiterführen und ist eigentlich allen in der Schule Tätigen bekannt. Nur wird das heute alles unter den Teppich gekehrt. Man verlangt einfach immer weniger, Prüfungen werden vereinfacht, die Quote hoher und v.a. auch sehr guter Abschlüsse immer besser - und schon passt wieder alles, Veränderungen überflüssig.

  • Ich find's ja lustig, dass die bayerischen Schüler als gut dargestellt werden, obwohl die Leistungskurve laut Studie stark nach unten geht ...

    Nachdem wir MS-Lehrer seit Jahren schockiert sind, mit welchen "Kenntnissen" Schüler nach 4 Jahren GS zu uns kommen, mag ich mir gar nicht vorstellen, wie wenig die Kinder in den schwach getesteten Bundesländern können. Unsere 5.Klässler können kaum noch lesen, das Schreiben bereitet riesige Probleme - von Rechtschreibung rede ich gar nicht.


    Große Klassen, Inklusion, Integration, Elternwille, fehlendes qualifiziertes Personal für Förderunterricht, ... die Liste an Ursachen könnte ich ewig weiterführen und ist eigentlich allen in der Schule Tätigen bekannt. Nur wird das heute alles unter den Teppich gekehrt. Man verlangt einfach immer weniger, Prüfungen werden vereinfacht, die Quote hoher und v.a. auch sehr guter Abschlüsse immer besser - und schon passt wieder alles, Veränderungen überflüssig.

    Weitere Faktoren - zu viel Zeit mit Digitalem - das kann nicht ohne Einfluß sein. Wenn man fragt, was die Kinder nach der Schule machen, dann immer weniger Zeit draußen, beim Sport usw. Mehr Zeit vor PC und co. Ich sehe aus dem Grund auch die geforderte Zunahme der digitalen Mittel für die Förderung kritisch.

  • Anfaengerin

    Das sehe ich ähnlich.


    Ganz kurz noch zur Selektion:

    Der Übertrittsdruck führt sicherlich dazu, dass Eltern in der GS mehr auf Leistung achten als in anderen Bundesländern. Gleichzeitig führt sie jedoch dazu, dass die Schwächsten irgendwann abgehängt werden. Der Fokus liegt an den GS (v. a. 3./4. Klasse) auf den Übertrittskindern, die Schwachen können gar nicht mehr mithalten, laufen nur noch mit, werden "durchgezogen", wie oft so schön gesagt wird. Förderunterricht existiert maximal auf dem Papier.


    Ganz extrem ist die negative Entwicklung seit der Einführung des kompetenzorientierten Lehrplans feststellbar.

  • Das setzt aber natürlich voraus, dass die Bildungsminister selbstkritisch die bisherigen Ergebnisse und dabei auch ihre eigenen pädagogischen Ideale reflektieren

    @mods: Bitte in den Bereich für unrealistische Utopien verschieben. :angst:

    Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

  • Es gibt zu keiner anderen Variable auch nur im Ansatz eine so hohe Korrelation zum Bildungserfolg, wie zum in das Bildungswesen Investierte Geld pro Schüler. Alle anderen Diskussionen sind nur Ablenkung von dieser fundamentalen Tatsache. (Das war schon vor 25 Jahren bei der ersten großen Pisa-Diskussion genau so.)

    Dem muß ich zustimmen. Wobei meines Erachtens der Hype der Handlungsorientierung in den Lehr-/Lernarrangements sich ebenfalls negativ auswirkt. Das Konzept der Handlungsorientierung kommt zwar aus den technischen Berufsschulen, allerdings funktioniert es dort auf einer ganz anderen Basis als das, was die Schulministerien heute daraus gemacht haben. Fragt man einen Werkstattlehrer, bedeutet "Handlungsorientierung" für ihn: "Vormachen, nachmachen, fünf mal üben, fertig."

    Diese Handlungsorientierung versucht man heute auf die Theoriefächer zu übertragen. Im Ergebnis hat man dann überall überlange Textaufgaben, bei denen ein Großteil der Schüler, zumindest habe ich das in meinem Unterricht festgestellt, schon am Verständnis der Aufgabe scheitert, weil es bei der deutschen Sprache Defizite gibt. Sie sind also in Mathe schlecht, weil sie nicht hinreichend Deutsch können, um die verschachtelten Sätze der Aufgabenstellung eines Akademikers zu verstehen.


    Entsprechend haben wir bei uns an der Schule auch schon den Mathe-Förderunterricht eingestellt und bieten nur noch Deutsch-Förderkurse an. Das Problem für unsere Migranten dabei: Die Deutschkurse, die ihnen zur INtegration angeboten werden, hören bei einem Level auf, mit dem man den Alltag halbwegs meistern kann, aber für die Schule reicht das heute bei weitem nicht mehr aus, zumindest nicht in der Sek 2 bzw. Sek 2b.


    Mein Lösungsgedanke dabei: Hoffentlich erkennen auch die Größen in der Verwaltung mal, daß das aktuelle Modell der "vollständigen Handlungsorientierung", das allen möglichen Fächern übergestülpt wird, bei den Theorie-Fächern nicht anwendbar ist. Hoffentlich wird dann der ganze Zirkus genauso begraben wie das unsägliche "Schreiben nach Gehör", "Lesen durch Schreiben" oder wie immer man es auch nennen will. Um wieder eine vernünftige Basis zu haben, würde ich dann auf den Lehrplänen aus den späten 1970ern oder frühen 80ern wieder aufbauen. Denn ja, die Fachlichkeit zählt mehr als die Methode des Unterrichtens.

  • Wer mehr Zeit braucht, kann die NRW Gesamtschule besuchen, die hatte immer G9.
    Die Abschaffung von G8 ist ein weiterer Schritt in den Abgrund für NRW.

    Das sehe ich anders. Für mich war die flächendeckende Einführung der Gesamtschulen in NRW, die zwischen das bestehende dreigliedrige Schulsystem gepflanzt wurde, DER Schritt in den Abgrund. Eine Gesamtschule macht auf dem "flachen Land" Sinn, wo die Schülerzahlen nicht für drei weiterführende Schulformen reichen. Das Paradebeispiel sind da die Nordseeinseln. Aber in den Großstädten macht das keinen Sinn. Da kanibalisieren sich die Schulen nur gegenseitig die Schüler.


    Gucke ich ins Nachbarland Niedersachsen, sehe ich den Abgrund noch deutlicher. Dort gibt es nur noch das Gymnasium und die Integrierte Gesamtschule, Real- und Hauptschulen wurden komplett abgeschafft. Wenn ich da privat die Aufgaben eines Siebtklässlers mit denen einer Drittklässlerin vergleiche, muß ich erschrocken feststellen, daß die Kinder in den dazwischenliegenden vier Jahren ausschließlich vor sich hin pubertiert haben. Unterschiede in der Aufgabenstellung und im Schwierigkeitsgrad sind nicht zu erkennen. Aus dem Grund überlegen wir auch schon, wie wir ein Kind von der Gesamtschule in NDS nehmen und auf eine Realschule in NRW schicken können, die Landesgrenze ist keine 10 Minuten entfernt.

  • fossi74 : Haha, ich weiß :( !


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    Ich habe gerade dieses Video mit einem Kurzinterview zwischen dem Moderator der Welt und der Bundesbildungsministerin Frau Stark-Watzinger gefunden. Schwerpunkte waren Digitalisierung, Föderalismus und Bürokratie. Auf die Frage des Moderators, warum digitale Endgeräte aufgrund von fehlendem Lehrer-Knowhow in Berlin nicht genutzt werden (Klingt dies nur für mich nach einem Seitenhieb gegen Lehrer, nach dem Motto "Würden die Lehrer die Geräte benutzen können, könnten unsere Schüler tatsächlich Deutsch und Mathematik."?), meinte sie, dass entsprechende Fort- und Weiterbildungen angeboten. Auch auf den Input des Förderalismus meint sie, dass Bund und Länder zukünftig stärker zusammenarbeiten wollen. Sie sehe eine Chance im Bürokratieabbau und befürwortet wissenschaftlich geführtes Monitoring im Bildungsbereich, um die Auswirkungen von Veränderungen (durch was?) messen zu können.

  • Scheint mir zu einfach, dass immer die anderen Schuld sein sollen. Wenn in der Grundschule zu wenig geschrieben wurde, dann schreibt halt mehr in Klasse 5. Und wenn die Hauptschulen jetzt Gesamtschulen heißen, dann wird das eigene Kind nicht besser, nur weil man es umschult. Jede persönliche Erfahrung in Ehren, möglich ist immer alles. Aber es geht ja hier um systemische Unterschiede. Und dass digitale Medien zu viel sein sollen, wo alle klagen, dass die 5 Milliarden Digitalpakt noch nirgends angekommen sind, scheint mir auch arg dystopisch.

  • Gleichzeitig führt sie jedoch dazu, dass die Schwächsten irgendwann abgehängt werden. Der Fokus liegt an den GS (v. a. 3./4. Klasse) auf den Übertrittskindern, die Schwachen können gar nicht mehr mithalten, laufen nur noch mit, werden "durchgezogen", wie oft so schön gesagt wird. Förderunterricht existiert maximal auf dem Papier.


    Ganz extrem ist die negative Entwicklung seit der Einführung des kompetenzorientierten Lehrplans feststellbar.

    Ich frage mich gerade, ob das wirklich "schlimm" ist. Die Schwachen werden de facto nirgends so gefördert, dass sie plötzlich zu Überfliegern mutieren. Dort, wo eine Orientierung an den Schwachen erfolgt, crashed aber oft das Niveau für die Gesamtgruppe... bei Fokussoerung auf die Stärkeren scheint mir der "Gesamtschaden" unterm Strich geringer zu sein.

  • Durch meine Erfahrung würde ich sagen, dass man auch gar nicht allen gerecht werden kann. Fokussiert man sich auf die Schwachen, kommen die Starken zu kurz, fokussiert man sich auf die Starken, kommen die Schwachen zu kurz. Versucht man allen irgendwie gerecht zu werden, wird man keinem wirklich gerecht. Es ist also immer eine Überlegung, was man gesellschaftlich möchte und wo man im Zweifelsfall eher bereit ist, Abstriche zu machen.

  • Gucke ich ins Nachbarland Niedersachsen, sehe ich den Abgrund noch deutlicher. Dort gibt es nur noch das Gymnasium und die Integrierte Gesamtschule, Real- und Hauptschulen wurden komplett abgeschafft.

    Das stimmt so nicht. Viele Haupt- u. Realschulen wurden als Oberschulen zusammengefasst. Darunter sind manche mit Gymnasialzweig. Einige Realschulen haben überlebt. Ob es auch noch reine Hauptschulen gibt, weiß ich nicht.

  • Ich frage mich gerade, ob das wirklich "schlimm" ist. Die Schwachen werden de facto nirgends so gefördert, dass sie plötzlich zu Überfliegern mutieren. Dort, wo eine Orientierung an den Schwachen erfolgt, crashed aber oft das Niveau für die Gesamtgruppe... bei Fokussoerung auf die Stärkeren scheint mir der "Gesamtschaden" unterm Strich geringer zu sein.

    Die Schwachen sollen nicht zu Überfliegern werden, sondern grundlegende Fähigkeiten wie Schreiben und Lesen lernen. Auch soll sich nicht die ganze Gruppe an den Schwachen orientieren, sondern diese sollten extra fördern. Früher gab es z.B. Förderunterricht in Kleinstgruppen, der existiert heute nicht mehr.

  • Ich habe 41 Jahre Schuldienst hinter mir. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der neuen Fünfer haben kontinuierlich nachgelassen. (Aber scheinbar in anderen Bundesländern mehr). Zum Beispiel schriftliche Addition und Multiplikation kennen nur noch wenige. Das wird aber sofort gebraucht. Also heißt es erst einmal sehr viel nach- und wiederholen.

    Viele Kinder sind nicht mehr in der Lage, sich diese Verfahren dauerhaft zu merken. Früher waren die die Rettung für Kinder, die aufgrund fehlenden Zahlverständnisses an den halbschriftlichen Verfahren scheiterten. Und natürlich musste man sie mit diesen Kindern wiederholt üben. Aber dann saßen sie. Tun sie heute nicht mehr, auch nicht bei eigentlich schlaueren Kindern. Bei den Kindern, die ich zur Zeit unterrichte, erkläre ich mir das damit, dass deren Tage, Wochenenden und Ferien so vollgestopft sind mit Zeug (Ganztagsschule, Hobbys, Event-Kindergeburtstage, Urlaubsreisen.....), dass das Gehirn gar keine Chance mehr hat, gründlich zu verarbeiten und die (für die Schule) wichtigen Dinge zu filtern. Die Kinder, die ohne Ende Energie haben und trotz Programm alles aufnehmen, gibt es natürlich noch immer. Das sind dann die klaren Gymnasiasten.

  • Gucke ich ins Nachbarland Niedersachsen, sehe ich den Abgrund noch deutlicher. Dort gibt es nur noch das Gymnasium und die Integrierte Gesamtschule, Real- und Hauptschulen wurden komplett abgeschafft.

    Nein, das stimmt nicht, wie Rena schon schrieb. Es gibt in NDS zum einen neben dem Gymnasium und der IGS insbesondere die "Oberschulen", in denen Haupt- und Realschulen zusammengefasst wurden, zum anderen gibt es im Gesamtschulbereich auch noch die KGS ("kooperative Gesamtschule"). Des weiteren stimmt es nicht, dass die Haupt- und Realschulen in NDS komplett abgeschafft wurden. Zwar gibt es nur noch wenige, aber in meinem Schulort bspw. existieren neben unserer BBS weiterhin ein Gymnasium, eine Realschule und eine Hauptschule. Und dort gibt es auch keine Bestrebungen, die letztgenannten Schulformen abzuschaffen.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

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