Abwertung wegen gehäufter Verstöße gegen sprachliche Richtigkeit

  • Ja, ich gebe dir komplett Recht. Und ich sehe auch das Dilemma, insbesondere weil fehlerhafter und unpräziser Sprachgebrauch nicht selten die Aussagen in den Ausführungen (bzw. eigentlich Gemeintes) verfälscht. Aber ich weiß schlichtweg nicht, wie man damit noch umgehen soll. Dass in Oberstufen Schüler landen, die nicht schreiben können (und das betrifft mein altes Gymnasium gleichermaßen wie die derzeitige Schule), ist ein Versäumnis der kompletten bisherigen Schulkarriere und den Schuh, dass da 10 Jahre lang irgendwas gravierend falsch gelaufen ist, müssen wir alle (als Lehrer, als Gesellschaft) uns letztlich anziehen. Was macht man jetzt also mit diesen Leuten? Alle durchfallen lassen? Was genau würde dadurch unterm Strich besser?


    Ich bin nicht sicher, ob man sich das "Kompetenzlevel" von Oberstufenschülern in gewissen Ecken Deutschlands überall vorstellen kann. ich war auch mal an Schulen, an denen solche Fehlerhäufungen die Ausnahme waren und die Entscheidung, wie man mit den wenigen defizitären Schreibern verfährt, leichter fiel. Wenn man sich aber plötzlich in Settings findet, in denen 60-80% aller Klausuren eigentlich abgewertet werden müssten, sieht die Sache auf einmal etwas komplexer aus. Und man macht es eben nicht mehr in gleicher Konsequenz.

  • Die verweichte Abiquote in NRW wird auch keiner mehr verhindern, wenn man dann im Abitur den harten Hund raushängen lässt (und die Schüler nicht mal erfahren, wie die Note zustande kam).

    Wie kommt man eigentlich in so eine Abiturauswahlkommission und kann für ein härteres Abitur sorgen?

    • Offizieller Beitrag

    Wie kommt man eigentlich in so eine Abiturauswahlkommission und kann für ein härteres Abitur sorgen?

    Gar nicht, weil der Standard nicht einseitig durch die Kommissionen definiert oder durchgesetzt wird. Da sitzen auch noch FachwissenschaftlerInnen und DezernentInnen, sowie Leute vom MSB mit drin. Außerdem ist ein "härteres Abitur" politisch nicht erwünscht.

  • In Mathe und Informatik gibt es aber z.B. gar keine Punkte für die sprachliche Leistung/Darstellung.

    Hängt vom Bundesland ab.
    Im aktuellen Abi-Korrekturerlass in BW für Informatik steht:

    "Bei der Bewertung werden auch kommunikative Kompetenzen berücksichtigt. Erläuternde, kommentierende und begründende Texte, die die Schlüssigkeit der Argumentation belegen, sind unverzichtbare Bestandteile der Prüfungsleistung."

  • Bei uns in der FHR Prüfung ist extra ein Schema für Fehlerquotienten und Abzüge, dass wenden wir auch in den IT Fächern bei Aufgaben mit mehr Text an. Ich wende dieses Schema inzwischen so auch bei den Klassenarbeiten an und sage und zeige das den SuS auch.

    Da der Abzug dann pro Teilaufgabe ist, gilt das in der Regel nur bei Aufgaben, die 5 oder mehr Punkte geben. Und wirklich Abzug bekommen dann die mit ca. 6 oder mehr Fehlern auf 100 Wörter. Der Abzug ist aber gestaffelt bis max. 20% von der Teilaufgabe.

    Ich lese dabei nicht extra auf Sprache, sondern streiche das an, was mir direkt auffällt. Eine Deutschlehrkraft würde wahrscheinlich mehr sehen.

    • Offizieller Beitrag

    Ich hatte gerade die Bewerbung einer Germanistik-Studentin (kurz vorm Abschluss) auf dem Schreibtisch.
    Über 20 Fehler auf anderthalb Seiten Motivationsschreiben. (mehrheitlich Groß- und Kleinschreibung von Adjektiven und Verben, das/dass und Tippfehler oder Ähnliches).
    Vom ungelenkigen Ausdruck will ich nicht mal anfangen.

    Yeah, in zwei Jahren unterrichtet sie selbst Deutsch, unter anderem auch Bewerbungsbriefe und Motivationsschreiben.
    (Ich habe JEDEN einzelnen Punkt annotiert und zurückgeschickt, wohlwollend formuliert und hoffentlich sieht sie es als Lernmöglichkeit an.)

    Das ist das Gute am Sprachwandel: unsere Wahrnehmung ist nur eine Momentaufnahme. In ein paar Jahren werden wir es anders sehen.

  • Wenn Schülerinnen und Schüler auch in der Sekundarstufe II noch derart viele Fehler begehen, dass im Mittel über eine ganze Klausur hinweg entsprechend viele verschiedene Verstöße gegen die sprachliche Richtigkeit bestehen (zur Erinnerung: Wiederholungsfehler werden gar nicht als weitere Fehler berücksichtigt), dann ist ein solcher Abzug vermutlich auch gerechtfertigt.

    Das sehe ich nicht so. Ein großer Teil der jetzigen Sek1 und vor allem der Sek2-Schüler in Niedersachsen haben in der Grundschule „Schreiben nach Gehör“ gelernt. Ich kann aus eigener Erfahrung mit zwei Kindern sagen, dass die Kinder dadurch eine mehr als bescheidene Rechtschreibung haben. Korrigieren der Kinder war nicht erwünscht! Das Resultat sehen wir nun in den weiterführenden Schulen. Die Schüler, für ein nicht selbstverschuldetes Defizit, in nahezu jedem Fach mit Abzug von Notenpunkten zu bestrafen erlebe ich als demotivierend.

    • Offizieller Beitrag

    ja, und einige SuS hatten in der Grundschule einen nicht ausgebildeten Mathe-Lehrer und haben dadurch echt Stress mit dem Fach entwickelt.
    Rechenfehler bis in die Oberstufe hinein zu bestrafen halte ich auch für demotivierend.

    Es gibt auch in der Sek 1 weiterhin Rechtschreibstrategien im Unterricht, viel kann und soll man sich auch aneignen, zum Glück lässt man die phonetische Schreibung von Zweitklässler*innen in der Mittelstufe nicht zu.

  • Ich kann nur aus meinen persönlichen Erfahrungen und aus unserem Umfeld berichten und die zeigen, dass Kinder, die vier Jahre in der Grundschule, durch eine inzwischen ja auch fragwürdige Methode, das Schreiben gelernt haben, an den weiterführenden Schulen benachteiligt sind. Dieses Defizit kann auch an den weiterführenden Schulen nicht wirklich konsequent aufgearbeitet werden. Im Übrigen ist das nicht nur meine Meinung, sondern auch die Lehrer an unserer weiterführenden Schule benennen dieses Problem ganz klar.

    Mit dem Erlernen von mathematischen Grundkenntnissen ist diese Tatsache auch nicht wirklich vergleichbar 😉. Es sei denn, Sie vergleichen Äpfel auch gerne mal mit Birnen.

    • Offizieller Beitrag

    Ja, Äpfel und Birnen schmecken beide, wenn auch unterschiedlich. Für beide Obstsorten gibt es Menschen, die ein Messer brauchen, aber auch Menschen, die direkt reinbeißen.
    Nicht alles, was unterschiedlich ist, muss getrennt voneinander gesehen werden. Man darf auch vergleichen.

    Und klar ist diese Methode mit vielen Nachteilen verbunden.
    Aber zumindest beim NRW wischiwachi-Kriterium ist die Lehrkraft durchaus in der Lage zu sehen, ob die Fehlerhäufung eine besondere Quantität hat, und zwar nicht im Vergleich mit 1970, sondern mit den aktuellen Anforderungen und Ergebnissen.

  • Das sehe ich nicht so. Ein großer Teil der jetzigen Sek1 und vor allem der Sek2-Schüler in Niedersachsen haben in der Grundschule „Schreiben nach Gehör“ gelernt. Ich kann aus eigener Erfahrung mit zwei Kindern sagen, dass die Kinder dadurch eine mehr als bescheidene Rechtschreibung haben. Korrigieren der Kinder war nicht erwünscht! Das Resultat sehen wir nun in den weiterführenden Schulen. Die Schüler, für ein nicht selbstverschuldetes Defizit, in nahezu jedem Fach mit Abzug von Notenpunkten zu bestrafen erlebe ich als demotivierend.

    Wir reden hier nicht über 5. oder 6. Klässler, sondern über angehende Abiturienten und damit bald Studierende. Nach 6 Jahren in der Sek 1 sollten langsam bestimmte elementare Regeln verinnerlicht sein.

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