Werbekampagne und andere Maßnahmen gegen Lehrermangel

  • Dieser Artikel auf SWR gibt mir gerade echt zu denken:


    Zu wenig Lehrer? Studienplätze in BW bleiben unbesetzt - SWR Aktuell


    Darin wird geschildert, dass neben dem Lehrermangel , den es ja sowieso schon gibt nun in BaWü auch erstmal ein deutlicher Bewerbermangel herrscht. So bleiben an "den Hochschulen in Ludwigsburg, Freiburg, Heidelberg, Schwäbisch Gmünd, Karlsruhe und Weingarten (Kreis Ravensburg) erstmals 190 der zur Verfügung stehenden Anfängerplätze unbesetzt".


    Als Reaktion möchte man nun wohl "die landeseigene Werbe-Kampagne "lieberlehramt" in diesem und im nächsten Jahr ausbauen. Damit sollen wieder mehr junge Menschen für diesen Beruf begeistert werden."


    Manchmal kommt man aus dem Kopfschütteln echt nicht mehr heraus. Ich finde das unter all den Reaktionen, die man haben könnte, so ziemlich die die Nutzloseste. Oder bin ich zu blauäugig? Glaubt ihr, dass wirklich sich jemand aufgrund einer Werbekampagne für das Lehramtsstudium entscheidet? Eine andere Maßnahme soll wohl die Einführung eines Lebensarbeitszeitkontos sein. Das finde ich schon interessanter, kann es aber nicht so richtig einordnen. Es gibt ja wohl schon Bundesländer, die das bereits haben. Vielleicht mag einmal jemand, der das kennt, darüber berichten?

  • Ich glaube, wenn man junge Menschen für unseren Beruf begeistern möchte, muss vor allem bei den Arbeitsbedingungen deutlich nachgelegt werden. So ist es meines Erachtens kontraproduktiv, Teilzeitoptionen (oder auch Sabbatjahroptionen) immer weiter zu reduzieren, da genau diese heutzutage von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Sinne einer optimierten Work- Life- Balance zunehmend erwartet werden. Entlastungsstunden für Zusatzaufgaben bzw. Beförderungsoptionen an allen Schularten zusätzlich zur Schulleitung wären ebenfalls hilfreich. Schließlich wäre es eine Überlegung wert, das Studium für gymnasiales Lehramt und Sek.I- Lehramt weiter zusammenzuführen, um von Überbelegungen im Studium für gymnasiales Lehramt für die Sek.I besser profitieren zu können, weil die Differenzierung womöglich erst im Lehramtsmaster erfolgt, wobei alle im Bachelor an verschiedenen Schularten Praktika machen müssten oder womöglich der Lehramtsmaster lediglich eine Spezialisierung darstellt, aber keine abschließende Schulartentscheidung, die erst der Refplatz bringt. Vor diesem Hintergrund würde es dann auch sicherlich nicht schaden, wenn die SEK.I nicht sowohl ein höheres Deputat gegenüber den Gymnasien hätte als auch eine niedrigere Besoldung (sowie die fehlenden Beförderungsoptionen) bei gleicher Regelstudienzeit. Manch tradierter Zopf lässt sich jungen Menschen gegenüber einfach nicht mehr rechtfertigen und wirkt vor allem abschreckend.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Manch tradierter Zopf lässt sich jungen Menschen gegenüber einfach nicht mehr rechtfertigen

    Och, wenns ein Hefe- oder Nusszopf ist, sehe ich da wenig Probleme...


    Und im Ernst: Du hast absolut Recht. Es ist keineswegs die Bezahlung, die abschreckend wirkt, sondern die Arbeitsbedingungen.

  • Ja, das sehe ich auch so. Das in den Medien gezeichnete - und leider teils gar nicht so unrealistische - Bild von schwierigen Schülern, Schulen mit deutlichem Sanierungsbedarf u.ä. trägt nicht gerade zur Attraktivität bei.

  • Als einer der (noch gerade so) zur jungen Generation gehört: Ich würde sofort einen Teil des Gehaltes für deutlich bessere Arbeitsbedingungen und mehr persönliche Freiheiten eintauschen. Mehr Geld würde mich nicht motivieren. Was bringt mir das Geld, wenn ich gar keine Zeit habe es auszugeben und zu genießen?


    Unter den aktuellen Bedingungen würde ich heutzutage auf keinen Fall wieder ein Lehramts-Studium beginnen. Auch jüngeren Interessenten rate ich derzeit nur davon ab.

  • Als einer der (noch gerade so) zur jungen Generation gehört: Ich würde sofort einen Teil des Gehaltes für deutlich bessere Arbeitsbedingungen und mehr persönliche Freiheiten eintauschen.

    Was würde das für dich denn ganz konkret bedeuten abgesehen von Teilzeitoptionen, die zumindest mitschwingen in dem, was du schreibst?

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Das wird sicherlich nicht ohne Weiteres kommen, da vor allem Grund- und Sek1-Schulen ja (leider) häufig noch als Kinderverwahrungsanstalt betrachtet werden (siehe die "verlässliche Grundschule"), aber langfristig muss der Job um attraktiv zu bleiben auch mehr Home-Office ermöglichen.


    Einige wenige Schulen des zweiten Bildungsweges bieten ja bereits "Abi-Online" an.


    Ich kann mir vorstellen, dass die Aussicht auf starre Ferienzeiten und hohe Präsenzzeiten viele jüngere Leute abschreckt. Viele Realitäten der Lebenswelt im Lehrerberuf gehen völlig gegen das, was die jüngere Generation sich beruflich wünscht. Dann noch das Sabbatjahr einschränken? Dann sieht es ganz übel aus. Die Möglichkeit des Sabbatjahr müsste man wohl eher promoten und in den Werbekampagnen explizit betonen.

  • Ich glaube, wenn man junge Menschen für unseren Beruf begeistern möchte, muss vor allem bei den Arbeitsbedingungen deutlich nachgelegt werden.

    Ich denke, daß man an folgende Dinge ran muß, um unseren Job attraktiver zu machen:

    • Abbau der Bürokratie, wenn es um das Mahnwesen der Schüler etc. geht.
    • Steigerung der Durchsetzbarkeit und Effizienz erzieherischer Maßnahmen. Der Lehrer bestraft sich aktuell durch die notwendige Mehrarbeit mehr mit den Maßnahmen selber, als das es den Schüler trifft. Besseres Durchgreifrecht gegenüber Helikoptereltern. Es kann nicht sein, daß 5% meiner Schüler 80% meiner Arbeitszeit fressen.
    • Wenn ein Schüler das System sprengt, ist es nicht ein Versagen des Lehrers, auch wenn es gerne so dargestellt wird.
    • Weg mit den überbordenen Forderungen nach Inklusion, Nachteilsausgleich etc. aus der Politik, die aktuell nur aus Schüler oder maximal Elternsicht argumentiert. Sprüche wie damals von Gerd Schröder, daß wir eh alle nur faule Säcke sind, darf es nicht geben. Hin zu einer Schulentwicklung aus sicht der Lehrerbelastung.
    • Sanierung der Schulgebäude, auf das sie länger durchhalten als die nächste Wahlperiode.
    • Besoldung auf das Niveau anheben, daß wir, ich spreche jetzt mal für die berufliche Schulen, auch mit den Ausbildern in der Industrie mit vergleichbaren Abschlüssen mithalten können. Die IG Metall ist uns da in den letzten 30 Jahren doch ziemlich enteilt mit den Lohnabschlüssen.

    Wenn die Politik werben will:

    • Einführung des Dualen Studiums für die Lehramtsausbildung, wie es bereits bei den Studiengängen beim Zoll und bei der Finanzverwaltung üblich ist. Dort wird man mit Beginn des Studiums bereits eingestellt und, wenn auch nur mit Anwärterbezügen, bezahlt.
  • Ich denke, daß man an folgende Dinge ran muß, um unseren Job attraktiver zu machen:

    • Abbau der Bürokratie, wenn es um das Mahnwesen der Schüler etc. geht.
    • Steigerung der Durchsetzbarkeit und Effizienz erzieherischer Maßnahmen. Der Lehrer bestraft sich aktuell durch die notwendige Mehrarbeit mehr mit den Maßnahmen selber, als das es den Schüler trifft. Besseres Durchgreifrecht gegenüber Helikoptereltern. Es kann nicht sein, daß 5% meiner Schüler 80% meiner Arbeitszeit fressen.
    • Wenn ein Schüler das System sprengt, ist es nicht ein Versagen des Lehrers, auch wenn es gerne so dargestellt wird.
    • Weg mit den überbordenen Forderungen nach Inklusion, Nachteilsausgleich etc. aus der Politik, die aktuell nur aus Schüler oder maximal Elternsicht argumentiert. Sprüche wie damals von Gerd Schröder, daß wir eh alle nur faule Säcke sind, darf es nicht geben. Hin zu einer Schulentwicklung aus sicht der Lehrerbelastung.

    Zumindest diese Punkte halte ich ausnahmslos für weitestgehend irrelevant für die Studiengangsentscheidung für oder gegen ein Lehramtsstudium, da sie einen Einblick in die reale Arbeit als Lehrkraft erfordern, den man erst nach dem Studium nach und nach erlangt.

    Besoldungsfragen halte ich persönlich (vor allem, nachdem der Aufhänger die in BW mit A13 besoldete SEK.I ist) ebenfalls für nachrangig nach anderen Arbeitsbedingungen, wobei vor allem eine fehlende/unzureichende Flexibilisierung der Arbeitszeiten meines Erachtens für viele junge Menschen abschreckend ist, wenn sie über unseren Beruf nachdenken.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Was würde das für dich denn ganz konkret bedeuten abgesehen von Teilzeitoptionen, die zumindest mitschwingen in dem, was du schreibst?


    Teilzeitoptionen (nicht nur am Deputat gemessen, sondern an allen Aufgaben), die mir auch mit einer kleinen Reduzierung schon eine 4-Tage-Woche garantieren. In meinem Umkreis sehe ich genügend Leute, die 32 oder 35 Stunden arbeiten und dauerhaft eine 4-Tage-Woche damit haben. Ein Traum.


    Aber abgesehen davon gibt es natürlich noch sehr viele Stellschrauben:


    - Übernahme von organisatorischen und administrativen Aufgaben von Fachpersonal, wie zum Beispiel Sekretären, IT-Admins, Labor-/Sammlungsassistenten. An meiner Schule in England war all das abgedeckt von Fachpersonal. Arbeitsteilung eben. Spart im Endeffekt sogar Geld, weil eine Lehrkraft sich dann nicht mit Aufgaben rumschlagen muss, für die sie entweder völlig überqualifiziert (und überbezahlt) ist, oder für die sie unterqualifiziert ist und deswegen deutlich länger braucht oder es schlechter macht.


    - Sabbatjahre nicht erschweren oder abschaffen, sondern erleichtern.


    - Freie Wahl zumindest eines Anteils der Urlaubszeit außerhalb der Schulferien. Damit meine ich jetzt nicht mehr Urlaubstage, aber eine freiere Wahl, wann sie genommen werden.


    - Mehr Entscheidungsfreiheit beim Wohn-/Arbeitsort auch später im Beruf.


    - Die Wahl zwischen einem eignerichteten persönlichen Arbeitsplatz in der Schule oder eines adäquaten Budgets für die Einrichtung des Home Office


    - Zieldifferente Inklusion abschaffen (oder massiv mehr Fachpersonal dafür einstellen, sodass es nicht einfach zu Lasten der Lehrkräfte und SuS geschieht)


    - Deutliche Entlastungen für Korrekturen und/oder eine Verringerung solcher Prüfarten, die umständliche Korrekturen erfordern


    - etc.

  • Ich würde sofort einen Teil des Gehaltes für deutlich bessere Arbeitsbedingungen und mehr persönliche Freiheiten eintauschen. Mehr Geld würde mich nicht motivieren

    Dem stimme ich absolut zu. Wir haben dieses Jahr 2.5 % Teuerungsausgleich bekommen, alle jubeln. Hm ja, ist ganz nett. Ich hätte gerne 2 Lektionen weniger Unterricht fürs Volldeputat und kleinere Klassen. Unter anderem. Von den 2.5 % mehr Geld kann ich mir nichts kaufen, wenn mir die Zeit dazu fehlt.

  • Ich kann es mir ohne Nachteilsausgleiche, Differenzierung und zieldifferente Beschulung kaum noch vorstellen, zudem wird vieles erst im Laufe der ersten Schuljahre ersichtlich und die Kinder sind eine Weile (2-3 Jahre) in der Klasse.


    Entsprechend müsste die Personalausstattung eine komplett andere sein … und die Arbeitszeiterhebung entsprechenden Ausgleich bewirken.

    Könnte man die Mehrarbeit ansparen, hätte man in den darauffolgenden Jahren stets ein reduziertes Deputat, womöglich eine Dauerschleife, aber eben kein Fass ohne Boden mit immer neuen Aufgaben.


    Es wäre sicher gute Werbung, wenn die Schulen viel besser ausgestattet würden, aber die BL schauen einander das Sparen ab, nicht aber die besseren (teureren) Bedingungen.

  • Ich würde mir wünschen, dass Stellen ausschließlich über Ausschreibung und Bewerbungsgespräch besetzt werden. So, dass eine deutlich höhere Anzahl Lehrer an einer Schule arbeiten, die auch genau an dieser Schule sein möchten. Ich denke das würde etlichen Frust abbauen. Ich habe meinen Job noch nie so ungern gemacht, seit dem ich an der "falschen" Schule bin und die Aussicht da wegzukommen die nächsten Jahre Null ist...

  • Ich würde mir wünschen, dass Stellen ausschließlich über Ausschreibung und Bewerbungsgespräch besetzt werden. So, dass eine deutlich höhere Anzahl Lehrer an einer Schule arbeiten, die auch genau an dieser Schule sein möchten. Ich denke das würde etlichen Frust abbauen. Ich habe meinen Job noch nie so ungern gemacht, seit dem ich an der "falschen" Schule bin und die Aussicht da wegzukommen die nächsten Jahre Null ist...

    In NRW ist das so. Es gibt auch noch das "Ziehen" von Listen, das angewendet wird, wenn man einen Referendar an der Schule behalten wird. Ansonsten: Schulscharfe Ausschreibung.


    Was ich mich frage: bei solchen Gesprächen zeigen sich beide von der besten Seite. Erkennt man da wirklich, was an einer Schule so los ist?

  • Ich kenne es auch noch so aus Hamburg. Ich habe damals einen ganzen Tag an der Schule verbracht. Mit Lehrkräften gesprochen, spontan mit dem SL unangekündigt in verschiedene Unterrichte geschaut (da war dann schnell klar, da herrscht ein sehr offener und entspannter, wertschätzenden Umgang).

    Der gute Ruf der Schule war bekannt und hat sich bewahrheitet.


    Nicht zu Vergleichen mit dem Frust, den ich gerade beruflich schiebe, weil ich jeden Tag gegen das arbeiten muss, warum ich Lehrer geworden bin (nach Bundeslandwechsel).

  • In NDS gibt es das auch,

    bestimmt erkennt man nicht immer alles, aber die Bewerbenden sehen sich die Schulen genauer an und überlegen, wo sie landen möchten. In den letzten Jahren haben sie auch verzichtet, wenn ihnen keine Stelle zusagte, um kurz darauf eine befristete Vertretung anzunehmen und abzuwarten.


    Es bleibt ein Nachteil für Schulen mit Standortnachteile, da man als Schule e8n tolles Kollegium aufwarten kann, aber keine anderen Vergünstigungen.

  • Die jungen Leute, die sich in meinem Umfeld gegen Lehramt entscheiden, tun dies nicht aufgrund des Gehalts oder der Arbeitsbedingungen (wenn überhaupt, werden diese als Vorteile des Jobs empfunden), sondern wie zuvor schon beschrieben aufgrund eines größer werdenden Teils an verhaltensauffälligen Schülern, zusätzliche Herausforderungen durch Integration und Inklusion bei gleichzeitig geringerem Handlungsspielraum bei Unterrichtsstörungen.

  • Ich würde sofort einen Teil des Gehaltes für deutlich bessere Arbeitsbedingungen und mehr persönliche Freiheiten eintauschen. Mehr Geld würde mich nicht motivieren.

    Auf keinen Fall.

    Oder präzisiert: Ich brauche nicht mehr Geld, um motivierter zu sein. Da würden Entlastungen, weniger Stunden, bessere Strukturen, mehr Rückhalt, mehr Sozialpädagogen, weniger Bürokratie etc. deutlich mehr helfen.

    Aber wenn ich das alles nur bekäme, unter der Voraussetzung, dass ich einen Teil meines Gehalts hergebe - da würde ich mich auch bedanken.

  • wie zuvor schon beschrieben aufgrund eines größer werdenden Teils an verhaltensauffälligen Schülern, zusätzliche Herausforderungen durch Integration und Inklusion bei gleichzeitig geringerem Handlungsspielraum bei Unterrichtsstörungen.

    = Arbeitsbedingungen


    Wieviele Leute kennst Du denn, die sich gegen das Lehramt entschieden haben und war das eine echte Option mit dem Lehramt? Oder nur das üblich: Ne, dazu hätte ich keine Lust, doofe Schüler, Blabla

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