Bildungsgerechtigkeit

  • Ich halte Individualisierung für etwas Gutes. Jeder hat gerne eine Wahl. Und was soll es schon bringen, alle dasselbe zu lehren, nur damit sie danach ganz verschiedene Dinge tun.


    An das Mantra der Vergleichbarkeit glaube ich auch nicht. Ich habe in einem früheren Leben Leute eingestellt. Ein Vertriebsmann und ein Programmierer benötigen unterschiedliche intellektuelle, emotionale und charakterliche Fähigkeiten. Man kann sie nicht vergleichen. Die Mathenoten des Programmierers kann man mal mit einem müden Blick prüfen, die des Vertriebsmanns sind irrelevant.


    Der Glaube der Zentralabiturs-Fetischisten, man könne die Menschheit in eine absolute Reihenfolge bringen, in der man messen kann, wer objektiv besser ist, ist verfehlt. Es ist auch nichts, woran die Wirtschaft glaubt. Einzig der Staat stellt nach Noten ein.


    Man sollte sich besser darauf konzentrieren, dass alle möglichst viel lernen.

  • Ich halte Individualisierung für etwas Gutes. Jeder hat gerne eine Wahl. Und was soll es schon bringen, alle dasselbe zu lehren, nur damit sie danach ganz verschiedene Dinge tun.

    Hintergrund ist die Schaffung einer gemeinsamen Grundlage auf der aufbauend in einem nächsten Schritt die Individualisierung erfolgt. Es gibt bestimmte fachliche Inhalte, die jeder Jugendliche beherrschen sollte, unabhängig ob er später Bäcker, Banker oder Chemiker wird, quasi als Allgemeinwissen.

  • Ich halte Individualisierung für etwas Gutes. Jeder hat gerne eine Wahl. Und was soll es schon bringen, alle dasselbe zu lehren, nur damit sie danach ganz verschiedene Dinge tun.


    Wir sind uns in den wesentlichen Punkten eigentlich relativ einig, denke ich. Bezüglich der Individualisierung finde ich eben wirklich, früher war besser. Heute sollen alle alles aber dann eben nur noch ein bisschen können. Mir gefällt das nicht. Aber da kann man anderer Meinung sein. Ich glaube jedenfalls nicht, dass man so individuelle Fähigkeiten fördert. Aber irgendwie kommen wir doch vom eigentlichen Thema ab ;)

  • Diese Zahlen kann ich nicht nachvollziehen

    Ach übrigens... Ich hatte offenbar schon richtig überlegt:


    https://www.tagesschau.de/wirt…sbildung-chancen-101.html


    Es heisst, 47 % aller Abiturienten gingen in eine Ausbildung. Irgendwie passt das aber nicht mit der Studienanfängerquote zusammen. Dann muss die sich eben doch auf alle grundsätzlich "Berechtigten" beziehen, ne? :gruebel:

  • Deinen Beitrag finde ich einigermaßen beruhigend. Aber hierzu:

    Einzig der Staat stellt nach Noten ein.

    ...sei gesagt, dass in der Idee dahinter das Konzept der Bestenauslese steckt. Also weder Vetternwirtschaft noch die adelige Familie, in die man hineingeboren wurde, soll einem zu einer Stelle verhelfen und dieser Grundgedanke ist perr se ja ein guter.

  • ...sei gesagt, dass in der Idee dahinter das Konzept der Bestenauslese steckt. Also weder Vetternwirtschaft noch die adelige Familie, in die man hineingeboren wurde, soll einem zu einer Stelle verhelfen und dieser Grundgedanke ist perr se ja ein guter.

    Das ist ein sehr wichtiger Aspekt und funktioniert in der Praxis ja auch einigermaßen gut, auch wenn gute Verbindungen doch ganz nützlich sein können.


    Der Glaube der Zentralabiturs-Fetischisten, man könne die Menschheit in eine absolute Reihenfolge bringen, in der man messen kann, wer objektiv besser ist, ist verfehlt. Es ist auch nichts, woran die Wirtschaft glaubt. Einzig der Staat stellt nach Noten ein.

    Dazu sei nur angemerkt, dass auch "der Staat" sich nicht ausschließlich auf die Noten als Kriterium zur sinnvollen Bestenlese stützt. Hier in NDS haben wir als Schule z.B. einen guten Beurteilungsspielraum bei der Einstellung neuer Lehrkräfte innerhalb eines breiten Notenkorridors und können daher andere sachgerechte Kriterien mit heranziehen. Andersherum nehmen natürlich auch Unternehmen eine Art Bestenauslese vor, die sich halt noch etwas stärker auf andere Kriterien als die reinen Abschlussnoten stützen, wobei letztere auch dort nicht völlig unwichtig sind.

  • Widerspricht sich das nicht?

    Im Gegenteil, Leute lernen wenig, wenn man sie immer wieder zwingt, sich mit Dingen zu beschäftigen, bei denen sie niemals wirklich Erfolg haben werden.


    Der Mensch hat eine Eigensteuerung, die ihn dazu bringt, seinen Platz in der Gesellschaft zu suchen. Das bedeutet, Dinge zu lernen, in denen man Erfolg haben kann und mit denen man beitragen kann und Dinge, in denen man immer nicht gut genug sein wird, anderen zu überlassen. Deshalb spiele ich auch nicht mehr Geige, obwohl ich ein paar Jahre meiner Jugend darauf verwendet habe.


    Schüler lernen nicht mehr Mathe, wenn man alle Gymnasiasten zwingt, Mathe-Leistungskurs zu machen. Es wird dann nur der Leistungskurs zum Grundkurs, die vorherigen Leistungskurs-Schüler hängen ab und künftige Juristen und Deutschlehrer quälen sich und verlieren Zeit, die sinnvoller genutzt werden könnte.

  • Die meisten Abiturienten, die eine Ausbildung machen, studieren anschließend noch. Sie tauchen also zeitverzögert in beiden Satistiken auf.

    Merci, so wird ein Schuh draus. OK, da sind unsere Fach- und Berufsmaturanden natürlich klar im Vorteil. Da ist das Maturjahr im Prinzip ja schon vorbereitend fürs Studium, viele machen das Berufspraktikum direkt an der Fachhochschule.

  • Das bedeutet, Dinge zu lernen, in denen man Erfolg haben kann und mit denen man beitragen kann und Dinge, in denen man immer nicht gut genug sein wird, anderen zu überlassen.

    Und so schliesst sich dann doch noch der Kreis: Es soll möglichst von selber gehen und die elterliche Unterstützung gar nicht brauchen. Wenn man dann akzeptiert, dass eben nicht mehr die Hälfte ans Gymnasium geht, kommt's eigentlich für alle Beteiligten besser raus. Mir ist in der ganzen Diskussion hier auch grade bewusst geworden, warum bei uns die Fachmatura in den letzten Jahren so einen starken Zulauf erfahren hat. Wir haben einen Jahrgang dabei, in dem wir 5 Klassen an der FMS und 6 Klassen am Gymnasium haben, das ist das absolute Rekord-Verhältnis. Jetzt kommen wieder mehr ans Gymnasium, aber die 5 Klassen FMS halten sich hartnäckig. Das ist schon eine gute Mischung aus Allgemeinbildung und Berufspraxis. Die Stundentafel wurde zuletzt überarbeitet, so dass mehr Spezialisierung aufs Berufsfeld möglich ist. Die Jugendlichen finden das gut. Ich habe einen Kurs mit Berufsfeld Gesundheit/Naturwissenschaften, denen erzähle ich fast das gleiche wie den Gymnasiasten. Die Prüfungen sind halt einfacher. Die finden das total cool, dass man im Unterricht irgendein schräges Zeug überlegen kann, das man dann aber nicht so genau lernen muss. Am Gymnasium wird mit der nächsten Reform genau das Gegenteil passieren. Leider.

  • Grundsätzlich ist es ja kein Problem, einen größeren Teil der Bevölkerung länger und besser auszubilden. [...]


    Das allgemeine Bildungsniveau ist heute in Deutschland mit Sicherheit höher als Anfang der 70er Jahre, als nur 15% Abitur gemacht haben und der größte Teil der Bevölkerung nur Volksschulbildung (d.h. Hauptschulbildung) hatte.

    Die von mehr fett unterstrichenen Fragmente zeigen in meinen Augen einen Teil des Problems. Wer mit 19 Abitur hat ist nicht besser ausgebildet als jemand, der mit 19 Realschulabschluss und Lehre hinter sich hat.

  • Die von mehr fett unterstrichenen Fragmente zeigen in meinen Augen einen Teil des Problems. Wer mit 19 Abitur hat ist nicht besser ausgebildet als jemand, der mit 19 Realschulabschluss und Lehre hinter sich hat.

    Gebildet sein ist nicht das gleiche wie ausgebildet sein.

    Ob das Abitur eine höhere Bildung nachweist, kann man sicher diskutieren, aber das Ziel von Abitur und Studium ist nicht (primär) die Ausbildung.

  • Man kann allgemein sagen: Man erreicht das höchste Bildungsniveau, wenn man beim Individuum das Meiste aus dem vorhandenen Potential herausholt. Das heißt aber im Gegenzug nicht, dass das Bildungsniveau höher wäre als jetzt, wenn jeder Abitur machen würde. Im Gegenteil! Ist man konstant überfordert, schaltet man irgendwann auf Standby und dann kommt gar nix mehr an.

    Die Herausforderung ist, beim individuellen Schüler herauszufinden, wo das Maximalpotential liegt und die Anforderungen an den Schüler so hoch anzusetzen, dass man möglichst nah an dieses Potential kommt.

  • Die von mehr fett unterstrichenen Fragmente zeigen in meinen Augen einen Teil des Problems. Wer mit 19 Abitur hat ist nicht besser ausgebildet als jemand, der mit 19 Realschulabschluss und Lehre hinter sich hat.

    Wer mit 19 Abitur hat, ist im Durchschnitt besser ausgebildet als jemand der mit 19 Realschulabschluss und Lehre hinter sich hat. Das gilt auch, wenn die Abiturquote ein bisschen gestiegen ist.


    Was man von dem Meister irgendeines Feld-Wald-Wiesen-Betriebs lernen kann, ist oft gemessen an der langen Lehrzeit überschaubar. Viele Lehren sind für einen durchschnittlichen Gymnasiasten kaum zu ertragen. Das nachträgliche Urteil "schlimmer als Schule" habe ich schon von vielen erfolgreichen Absolventen über verschiedenste Ausbildungen gehört. (kaufmännische Ausbildung bei verschiedensten Unternehmen - auch wenn die Ausbilder oft Akademiker sind, Schreiner - 6 Wochen lang nur Türen schleifen, Bibliothekswesen - ach das ist ja angeblich ein Studium ...). Bei manchen Lehren fragt man sich, was es da überhaupt zu lernen gibt (Bäckereifachverkäuferin).


    Dass es Schüler gibt, die von einer Lehre - oder einfach vom Arbeiten - mehr profitieren als von weiteren Schuljahren, ist unbestritten. Ebenso natürlich, dass es Ausbildungsbetriebe gibt, wo man viel lernen kann. In die Rechnung muss auch eingehen, dass die 2-3 Jahre, die der Gymnasiast länger an der Schule verweilt, bevor er produktiv wird, die Gesellschaft etwas kosten.

  • Bei manchen Lehren fragt man sich, was es da überhaupt zu lernen gibt (Bäckereifachverkäuferin).

    Nur mal am Beispiel:


    -> Warenpräsentation/Verkaufsraumgestaltung/Marketing

    -> Verkaufsgespräche

    -> Ernährungslehre

    -> Lebensmittelhygiene, Warenkenntnis

    -> Zubereitung kalte Küche

    -> Lagerhaltung

    -> Arbeits-/Sozial- und Vertragsrecht

    -> Betriebswirtschaft (Kalkulation, Kassenführung...)

    usw.

  • ... und nicht zuletzt Probeessen (Vergustieren). :flieh:

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Weil man da richtig arbeiten muss?

    Nein, weil vieles davon für einen Jugendlichen, der intellektuell tatsächlich fürs Gymnasium qualifiziert ist eine arge Unterforderung darstellt. Ich habe immerhin ein Jahr lang an einer Berufsschule gearbeitet, ich wäre da nicht geblieben weil es mich schlichtweg gelangweilt hat. Es gibt einige technische Ausbildungsgänge (Laboranten, Elektroinstallateure, etc.), die durchaus anspruchsvoll sind. Die meisten Berufslernenden finden sich bei uns allerdings am KV und das ist jetzt einfach wirklich ziemlich lau.

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