Ein Journalist schreibt seiner Tochter einen Brief

  • Als passionierte ZEIT-Leserin habe ich mich schon vor einem halben Jahr über diesen Artikel geärgert (und mich über kritische Kommentare gefreut). Schon diesen Ansatz, dass man sich mit so völlig überflüssigen, lebensfeindlichen Multiplikationsaufgaben den Sonntag versaut, finde ich zum Erbrechen. Um Himmels Willen, mein Kind muss lernen, Hilfe!


    Früher hatten wir unendlich viel Zeit und mussten nicht so einen Quatsch machen wie Quadratzahlen lernen? Wie kommt er auf das schmale Brett?


    Kann es auch aus der Erfahrung mit meinen Kindern nicht bestätigen (eins in G9, eins in G8 ). Ja, Schule versaut einem den ganzen Tag. Aber ob in G8 oder G9 ... das macht den Unterschied nicht.


    Nebenbei bemerkt kommt der wahre Schock erst im Studium. Da muss man nämlich wirklich anfangen zu arbeiten.

  • der Artikel hat mich zum Nachdenken gebracht, ja.... ABER: mich regt seit Beginn der G8/G9-Diskussion auf, wie halb Deutschland sich darüber aufregt, nur 12 Schuljahre zu haben und demzufolge auch nachmittags Unterricht. Für die Sachsen und viele Thüringer ist das absolut unverständlich, da 12 Schuljahre das Normalste auf der Welt! und wir sind garantiert nicht dümmer als der Rest von Deutschland, man schaue sich die Bildungsvergleiche an... Ich finde diese Diskussion affig, auch degradiert das einen Teil der deutschen Schüler und erfolgreichen Abiturienten. Wer ein Abi haben will, hat eben auch mal Nachmittagsunterricht. so what? und jetzt mal ganz ketzerisch gesagt: wer seine kompletten Nachmittage und Wochenenden mit Lernen verbringt und noch dazu zusätzlich Nachhilfe nehmen muss, der ist wohl auf dem Gym falsch. Ich für meinen Teil habe frühestens in der 8. Klasse auch mal "richtig für einen Test gelernt".

  • Ich war auch gegen G8, aber nicht, weil damit die Schüler überfordert wären. Eine negative Begleiterscheinung ist z.B. , dass nun unbedingt jede Schule eine Ganztagsschule sein muss...
    Die Schüler müssen nicht mehr lernen als vorher. Vielmehr ist es häufig so, dass sich viele Lehrer wg. G8 gar nicht mehr trauen, Leistung zu fordern, weil ja in G8 die Schüler so überfordert sind. Dies führt dazu, dass die Schüler nun nicht mehr, sondern weniger
    schulischen Druck haben und dementsprechend häufig unterfordert sind. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren aber wirklich jeder Schüler das Gymnasium besuchen kann/muss. Wenn also hinreichend Schüler, die vor wenigen Jahren bestenfalls auf einer Realschule glücklich geworden wären, nun das Gymnasium besuchen, werden sie natürlich auch an Anforderungen, die massiv niedriger als an einem Gymnasium vor 5 Jahren sind, scheitern.

    • Offizieller Beitrag

    Generell gefällt mir der Brief, aber es gibt ein paar Punkte, da muss ich widersprechen: Ich kann mich durchaus auch an durchgelernte Wochenenden und Winterferien erinnern. Bei uns in Bayern ist das G8 eingeführt, aber so dermaßen schlecht, dass es nur noch schrecklich ist. Mit einigen Schulbüchern kommt man im Schuljahr kaum durch, mit anderen dafür ist man im Mai fertig. Zeit fürs Wiederholen? Wäre super, aber das schaffen die Schüler gedanklich nicht. Die sind bei Facebook, X-BoX, PC usw. und wenn das nicht, dann müssen sie an einem Tag in Sport, am nächsten zum Musikkreis, dann zum Sprachenzusatzkurs etc. pp. Und am Wochenende zu den diversen Wettbewerben.
    D a s ist es meiner Ansicht nach, was zu unserer Zeit gefehlt hat und sie angenehmer machte. Wir beispielsweise wohnen in einer Straße, in der Kinder wohnen. Das weiß ich aber nur daher, dass ich sie aus den Autos ein- und aussteigen sehen. Selbst wenn meine zweijährige Tochter mit KInder aus der Straße spielen wollte- sie könnte es nicht, es sind nämlich keine da. Manchmal komme ich mir fast ein bisschen vor wie in "Momo".

    • Offizieller Beitrag

    Auch mir war unbehaglich zumute beim Lesen des Briefs.
    Wer seine Kinder bei jeder gelegenheit mit schulischen Abfragen piesackt, wer seinem Kind dauerhaft Nachhilfeunterricht meint bezahlen zu müssen, wer den Kindern schon im Kindergartenalter einen prallen Terminkalender beschert, der sollte sich mal als Elternteil an die eigene Nase fassen. Muss es denn immer das Gymnasium sein ? Muss ein Kind ein oder mehrere Instrumente lernen?
    Darf sich ein Kind im Elternhaus, im Urlaub überhaupt mal langweilen?


    Meine Schüler in G8 haben durchaus Zeit für Treffen, Shoppen, Facebook, Parties.


    (Manchmal wünschte ich, sie würden lernen :whistling: )

  • Ich habe in MeckPomm im Jahr 2000 auch in 12 Jahren Abi gemacht und hatte nur einen Nachmittag lang Unterricht und das meist Sport. Das geht alles. Und wir haben Zentralabitur geschrieben. Im Jahrgang nach mir wurde das 13-Jährige Abitur eingeführt, die 11 war dann ein Orientierungsjahr, was ein Quatsch. Wieder ein paar Jahre später wurde es wieder zurückgenommen.


    Man sollte mal einen Blick auf die Inhalte werfen und reduzieren, dann geht auch in den bisherigen G9 Ländern.


    Das Thema 2. Weltkrieg ist z.B: sehr wichtig, aber wir haben es in 5, 8 und 10 behandelt. Irgendwann ist auch mal gut.


    LG Anja

  • Nebenbei bemerkt kommt der wahre Schock erst im Studium. Da muss man nämlich wirklich anfangen zu arbeiten.


    Oh ja, das kann ich unterschreiben. Ich weiß nur nichts, ob das vor dem Bachelor noch besser war, als es heute ist, was ja auch immer wieder gesagt wird. An der Uni ist es wirklich wichtig, in der Schule das lernen gelernt zu haben!


  • Das Thema 2. Weltkrieg ist z.B: sehr wichtig, aber wir haben es in 5, 8 und 10 behandelt. Irgendwann ist auch mal gut.


    Das wird aber noch von der Reformation getoppt, die sowohl im Geschichts- als auch im Religionsunterricht mindestens 3 mal mehr oder minder intensiv behandelt wird. :rolleyes:


    Hingegen kam die Antike bei mir (in Geschichte) deutlich zu kurz.


    Aber das ist offtopic, sorry, wenn ihr wollt, löscht den Beitrag ...

  • Ich kann mich an des Thema 2. WK nur einmal in Geschichte erinnern (10.Klasse) und das auch nur halb, weil dann das Schuljahr zuende war. Naja, nochmal im "Strafkurs" Geschichte für die Abwähler wie mich, was aber eher so pillepalle-Filme-gucken war.

  • ...


    +1


    Was in der Diskussion immer vernachlässigt wird, weil es keiner so gerne hören möchste:
    Gerade in den Großstädten ist die Zahl der Gymnasialkinder unheimlich gestiegen, auf meist über 50 %. Die Kinder sind aber nicht schlagartig intelligenter geworden unter den 50% ist ca. 1/3, die vor 10 bis 20 Jahren selbstverständlich die Realschule besucht hätten. Wenn die nun auf einmal Abtiur machen sollen, weil die Bildungspoitik oder die Eltern das wollen, geht dies natürlich nur, wenn man entweder die Anforderungen senkt, oder die richtig hart arbeiten müssen - die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Das die Ansprüche gestiegen wären, kann man definitiv verneinen (was ich persönlich jetzt auch nicht so massiv betrauere). Traurig wird es, wenn Eltern ihre Kinder mit Gewalt zum Abi treiben wollen, auch wenn die partout nicht die Voraussetzungen dazu mitbringen. Und die in dem Brief geschilderten Umstände hören sich schon stark danach an (oder einfach nach überzogenem Notenehrgeiz).

  • Als passionierte ZEIT-Leserin habe ich mich schon vor einem halben Jahr über diesen Artikel geärgert (und mich über kritische Kommentare gefreut). Schon diesen Ansatz, dass man sich mit so völlig überflüssigen, lebensfeindlichen Multiplikationsaufgaben den Sonntag versaut, finde ich zum Erbrechen. Um Himmels Willen, mein Kind muss lernen, Hilfe!


    Früher hatten wir unendlich viel Zeit und mussten nicht so einen Quatsch machen wie Quadratzahlen lernen? Wie kommt er auf das schmale Brett?


    Du sprichts mir so aus der Seele! ich finde weite Teile dieses offenen Briefes unerträglich.


    Vom Stoffumfang her haben wir damals das gleiche lernen müssen wie die heutige Schülergeneration. Der Unterschied ist der, dass wir damals konzentriert und aufmerksam im Unterricht saßen und dem Lehrer Respekt und ein Grundvertrauen entgegen gebracht haben. Wer es anders machte, hatte RICHTIG Ärger. Auch haben wir den Stoff gleich vor Ort kapiert, brauchten deshalb keine Extra-Stunden, und konnten dann den ganzen Nachmittag draußen Fußball spielen. Und am nächsten Tag ging's in der Schule dann weiter und wir wussten den Stoff vom Vortag noch, weil es kein XBox-Gelumpe gab mit dem wir uns stumpfsinnig das Hirn wegballern konnten.

    »...Aus Mettwurst machste kein Marzipan! «
    Bernd Stromberg

  • Leute, Leute, eure Kritik an dem Zeitungs-Artikel ist aber so gar nicht bildungspolitischer Mainstream :P


    Wird aber selbstverständlich in großen Teilen von mir auch so gesehen :thumbup:
    Die Schüler haben nachmittags Zeit für alles Mögliche, nur nicht für die Schule: Gerade die, die es nötig hätten, haben allerlei "wichtige Termine". Aber was soll's: Für die außerunterrichtliche Erziehung sind immer noch(!) die Eltern zuständig. Wohl auch ein entscheidender politischer Grund für die Ganztagsschule...


    Gruß !

    Mikael - Experte für das Lehren und Lernen

    • Offizieller Beitrag


    Vom Stoffumfang her haben wir damals das gleiche lernen müssen wie die heutige Schülergeneration. Der Unterschied ist der, dass wir damals konzentriert und aufmerksam im Unterricht saßen und dem Lehrer Respekt und ein Grundvertrauen entgegen gebracht haben. Wer es anders machte, hatte RICHTIG Ärger. Auch haben wir den Stoff gleich vor Ort kapiert, brauchten deshalb keine Extra-Stunden, und konnten dann den ganzen Nachmittag draußen Fußball spielen.

    Echt? Wo und wann bist du denn zur Schule gegangen? Ich kann mich erinnern, dass ich in der Pubertät faul und aufsässig war. Gelernt hab ich nicht, dafür aber aufbegehrt, wo es ging.
    Mir kommt es doch so vor, als seien die heutigen Schüler viel angepasster und "braver" als wir damals.


    Von G8-Schülern und - Lehrern höre ich immer wieder, dass es ein ziemlicher Stress sein muss, in dieser verkürzten Zeit den Stoff durchzuziehen. Das liegt vermutlich auch an der mangelhaften Vorbereitung, wie Hermine schon beschrieb.
    Jedenfalls kann ich gut nachvollziehen, was der Journalist schreibt. Was soll dieser Zeitgewinn von einem Jahr bringen?


    Mein Sohn ist 15 und geht aufs G 9 - Gymnasium. In RLP ist es zum Glück freiwillig, ob man G 8 oder G 9 wählt.
    Ich kann beim besten Willen keine Nachteile durch die längere Schulzeit erkennen. In absehbarer Zeit ist sogar ein einjähriger Auslandsaufenthalt geplant. Danach soll und will er die 11. Klasse wiederholen. Noch ein Jahr verloren, dafür aber viel Lebenserfahrung gewonnen.


    Hat er dann keine Chancen mehr, auf dem weltweiten Arbeitsmarkt, oder worum geht es?


    Wenn man mal ehrlich ist, war G 8 doch ein Schuss in den Ofen, oder?


  • Wenn man mal ehrlich ist, war G 8 doch ein Schuss in den Ofen, oder?


    Wenn man mal ehrlich ist, ist ein guter Teil des G8-Gejammers purer Egoismus von uns Lehrern, weil uns dadurch eine vergleichsweise angenehm zu unterrichtende Alterstufe verlorengegangen ist.
    Wir müssen die gleichen Inhalte jetzt mit einem Jahr jüngeren Schülern machen und das ist natürlich oft anstrengender, weil man weniger eigenverantwortliches und erwachsenes Verhalten erwarten kann.
    Natürlich kann man über die Umsetzung streiten. Die Grundtendenz war ja bei den curricularen Inhalten das gleiche zu machen wie vorher, dafür aber das Komplexitätsniveau etwas runter zu fahren. Ich schaffe "meinen Stoff" durchaus, ohne dass jetzt dramatisch mehr Schüler scheitern als vorher. Mehr als G8 bedauere ich persönlich die Abwertung der Realschulabschlusses in den letzten Jahren, die eine immer größere Anzahl Schüler auf das Gymnasium treibt, wo sie sich zwei Jahre länger als nötig durch anspruchsvolleren Stoff quälen müssen, nur weil sie sonst keine Chance mehr in vielen Lehrberufen haben.


    Ich persönlich würde mich freuen, wenn das Abi wieder nach 13 Jahren erteilt wird (was nicht passieren wird), aber nicht weil ich das als großen Gewinn für die Schüler sehe, sondern weil es für mich als Lehrer angenehmer wäre, in den Oberstufenkursen wieder 1 Jahr ältere Schüler sitzen zu haben.

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