"Augen auf bei der Berufs-/Fächerwahl!" - Frustbeitrag der anderen Art

  • Ich habe schon verstanden, worum es geht. Mein Bruder arbeitet seit 35 Jahren im Schichtdienst in der chemischen Industrie*. Er trägt keine Verantwortung, er geht nach 8 Stunden nach Hause und hat dann gar nichts mehr zu tun. Natürlich verdient der einiges weniger als ich und das ist auch absolut angemessen. Ob die Kassiererin bei Coop so ein schlechtes Leben hat, wage ich ebenso zu bezweifeln.


    *Edit: Mit der Ausbildung fertig war er mit 19, da habe ich gerade angefangen zu studieren. Das erste richtige Gehalt habe ich mit 31 verdient. Während des Doktorats bekam man damals in Deutschland sowas wie 1000 € im Monat. Man muss sich das alles schon ein bisschen genauer anschauen, bevor man pauschal Leute bedauert, von deren Tätigkeit und Ausbildungsweg man gar keine Ahnung hat. Ich halte das ohnehin für ein Phänomen unter gut situierten Akademikern, sich stellvertretend für andere mal pauschal aufzuregen. Geht mal davon aus, dass es die wenigsten Pflegefachpersonen überhaupt interessiert, was wir Lehrpersonen verdienen und wie viel wir arbeiten. Unter unseren Fachmaturand*innen ist die Pflegefachperson übrigens neben dem Lehramt Primarschule die am häufigsten gewählte Ausbildung. Kann so schlecht wohl nicht sein.

  • @Markus40 und was hat die Überfüllung des jeweiligen Lehramtes mit der Arbeitsbelastung zu tun?

    Nichts. Es erleichtert es aber dem Dienstherrn, strukturelle Probleme weiterzuschieben und nicht anzugehen, weil er es sich das offensichtlich erlauben kann. Daher empfindet der Dienstherr bisher keinen Druck, etwas an den problematischen Strukturen zu ändern. Und LK mit bestimmten Fächern leiden dann. An den Symptomen wird dann bspw. so herumgedoktert, dass Prüfungen in den Sprachen vor Prüfungen in MINT-Fächern liegen, weil die KuK halt mehr Zeit für die Korrektur brauchen. Symptomatische Behandlung.

    Tim Finnegan liv’d in Walkin Street
    A gentle Irishman mighty odd.

  • Mir ist es gestern tatsächlich gelungen, einem der LehrerhabensoeintollesLeben-Nörgler das Maul zu stopfen. Der Hinweis darauf, dass er ganz ruhig sein müsse, weil in der Zuckerfabrik ja nur drei Monate im Jahr (während der "Kampagne") richtig gearbeitet werde, löste zunächst einen Rechtfertigungsschwall und dann Nachdenken aus. Again what learned!

  • Habe ich nicht genau deine Fragestellung in dem von dir zitierten Abschnitt beantwortet?

    1. Prüfung, ob man wirklich zu viel arbeitet.

    2. Prüfung, ob man wirklich die Prüfungen/Klausuren/Klassenarbeiten/Tests so gestaltet, wie die Anforderungen sind und nicht über das Ziel hinausschießt.

    3. Unterrichtsvorbereitung reduzieren (was meist nicht automatisch Türschwellenpädagogik bedeutet).

    Ganz genau so!

    3. Führt meiner Erfahrung nach nicht zu weniger Differenzierung.


    Zusätzlich 4. Freundlich "Nein" sagen, denn - wie hier mehrfach besprochen- gibt es Kolleginnen, die definitiv und niemals im Rahmen ihrer Möglichkeiten arbeiten, die sind dann einfach auch mal dran!


    An anderer Stelle habe ich es schonmal gesagt: ich habe mit KL, Korrekturfach, nicht entlasteten Zusatzaufgaben, (chronischer Erkrankung, die nicht bekannt ist und deshalb nicht berücksichtigt wird) usw. meine Arbeitszeit im Blick und kann ggf.die oben genannten Punkte dann berücksichtigen UND ich habe ein gutes Einkommen, den ganzen Sommer frei (so ist es einfach!), Wochenenden, Feiertage, Ferien zur freien Einteilung meiner Arbeitszeit! So habe ich die Möglichkeit, stressintensive Phasen auszugleichen.

  • Und noch etwas: kommt mir jemand blöd mit "Lehrer haben nachmittags und überhaupt immer frei" sage ich auch grundsätzlich "Augen auf bei der Berufswahl- kannste ja auch so machen".


    Aber in den letzten Jahren, und das möchte ich wirklich betonen, sehe ich eine Welle der Anerkennung sowohl bei SuS-Eltern als auch in meinem persönlichen Umfeld. Die "krasser Job, das möchte ich niemals machen, wie schaffst du es mit 32 Kindern auf Klassenfahrt zu fahren, die Politik nimmt Bildung ja garnicht ernst"- Kommentare überwiegen die anderen Kommentare zahlenmäßig bei weitem!

  • Und noch etwas: kommt mir jemand blöd mit "Lehrer haben nachmittags und überhaupt immer frei" sage ich auch grundsätzlich "Augen auf bei der Berufswahl- kannste ja auch so machen".


    Aber in den letzten Jahren, und das möchte ich wirklich betonen, sehe ich eine Welle der Anerkennung sowohl bei SuS-Eltern als auch in meinem persönlichen Umfeld. Die "krasser Job, das möchte ich niemals machen, wie schaffst du es mit 32 Kindern auf Klassenfahrt zu fahren, die Politik nimmt Bildung ja garnicht ernst"- Kommentare überwiegen die anderen Kommentare zahlenmäßig bei weitem!

    Zu dem ersten Punkt: Bei uns im BBS-Bereich komme ich dann mit: "Was hast du für ne Ausbildung/Studium?" Und (fast) egal, was dann als Antwort kommt, fange ich an: "Hey, cool! Das ist bei uns Mangelfach! Ruf doch mal im Ministerium an oder in einer Schule, mach mal ne Woche Praktikum in der Schule und schnupper rein! Vielleicht kannst du bei uns einsteigen? Vielleicht suchen "wir" genau dich?" An der Stelle ist dann der LuL-Job plötzlich nicht mehr so geil und es kommen 100 Ausflüchte und Wenns und Abers :D


    Zu Letzterem: "Die Erfahrung mache ich auch: "Respekt! Das ist anstrengend, oder?" "Ja, ist aber das, was ich unbedingt machen will. Und hat auch viele tolle Seiten :) "


    Und: Gruppe 1 ist deutlich kleiner als die, die nix kommentieren oder Respekt zeigen.

    Tim Finnegan liv’d in Walkin Street
    A gentle Irishman mighty odd.

    • Offizieller Beitrag

    Der Fehler ist nicht die Fächerwahl, sondern die fehlende Arbeitszeiterfassung und die Missachtung der Tatsache, dass unterschiedliche Fächer unterschiedlichen Zeitaufwand mit sich bringen.

    wird das nicht in HH berücksichtigt?
    Falls ich da nicht etwas falsch im Kopf habe, würden mich die praktische Umsetzung und Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit des Systems interessieren.

    • Offizieller Beitrag

    Aus meiner Beobachtung machen sich nicht wenige Kollegen das Leben selbst schwer ohne messbaren Qualitätszuwachs.

    womit wir bei einem zweiten Spruch wären, den ich persönlich als abwertend empfinde: (Spoiler: ich habe meine Belastungsgrenzen ganz gut im Blick,. soweit es an meiner eigenen Orga liegt)

    "Wer sich zu sehr belastet fühlt, macht etwas falsch. Selbst Schuld"

    Grenzwertig, diese Haltung

  • bei uns an der Schule machen die KorrekturfachkollegInnen früher oder später alle zur Entlastung nen Zertifikatskurs in Praktische Philosophie und versauen uns unseren Nachwuchs. (das liegt natürlich auch daran, dass die Forbildung und die Schulbücher grottig sind)

  • Nichts. Es erleichtert es aber dem Dienstherrn, strukturelle Probleme weiterzuschieben und nicht anzugehen, weil er es sich das offensichtlich erlauben kann. Daher empfindet der Dienstherr bisher keinen Druck, etwas an den problematischen Strukturen zu ändern. Und LK mit bestimmten Fächern leiden dann. An den Symptomen wird dann bspw. so herumgedoktert, dass Prüfungen in den Sprachen vor Prüfungen in MINT-Fächern liegen, weil die KuK halt mehr Zeit für die Korrektur brauchen. Symptomatische Behandlung.

    Da hast Du wohl (leider) Recht. Der Zusammenhang ist mir beim Lesen grad nicht gekommen.

    Allerdings gibt es ja einen großen Mangel in anderen Bereichen. Müsste man nicht aus diesem Grund schon an den Bedingungen was ändern (wollen), damit eben mehr Leute in den MINT/beruflichen Bereich gehen? Auch das ist ja aktuell in weite Ferne gerückt...

  • womit wir bei einem zweiten Spruch wären, den ich persönlich als abwertend empfinde: (Spoiler: ich habe meine Belastungsgrenzen ganz gut im Blick,. soweit es an meiner eigenen Orga liegt)

    "Wer sich zu sehr belastet fühlt, macht etwas falsch. Selbst Schuld"

    Ja, das ist abwertend formuliert, aber einen winzig kleinen wahren Kern hat doch, denn es gibt doch bei dem ein oder anderen Stellschrauben, an denen man drehen kann, um die Belastung zu senken. Ich weiß: das reicht nicht, aber manche Probleme sind hausgemacht und die muss man zuerst abstellen. Das ist besonders für Menschen schwer, die tendenziell perfektionistische Personen sind. War ich auch mal, hab ich mich schnell ans Pareto-Prinzip gehalten. Beispiel: Finde ich nach 2 Minuten das perfekte Bild oder das beste Video nicht, nehme ich das 2. beste oder auch mal gar keins. Oder zu Zusatzkram auch mal Nein sagen.


    Dass das bei manchen schon bis aufs Minimum runtergefahren ist, weiß ich auch. Aber es gibt durchaus Personen, die da noch was machen können.

  • Mathe empfinde ich als korrektur- und vorbereitungsfreundliches Fach.

    In Physik sieht es dann schon anders aus. Es ist viel vorbereitungsintensiver. Kollegen, die Deutsch und Physik haben, sagen auch, dass Physik mehr Vorbereitungszeit als Deutsch braucht.

    Ich beneide die Sportlehrer nicht, die ständig in der lauten Turnhalle und die stinkenden Umkleiden ertragen müssen. Dafür dürfen sie gerne mal cool über den Gang schlendern. Ebenfalls Musiklehrer beneide ich auch nicht. Diese oft sehr feinfühligen Menschen müssen sich mit einer Horde desinteressierter Jugendliche abgeben (Meine Klasse hasst Sport, Kunst und Musik 😢).

  • Und wer wartet und organisiert die Instrumente und Sportgeräte und bereitet alles vor?


    Bei Mint Fächern am BK ist eine ständige Fortbildung Pflicht und die Geräte/ Anlagen müssen stets verwaltet und gewartet werden.

    Auch dabei gibt es Korrekturen und warum dieser weniger zeitintensiv sind als Spracharbeiten leuchtet mir nicht wirklich ein.

  • Auch dabei gibt es Korrekturen und warum dieser weniger zeitintensiv sind als Spracharbeiten leuchtet mir nicht wirklich ein

    Weil jeder stets glaubt, dass der eigene Job am anstrengensten ist und die anderen sich vermutlich eher ausruhen.

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